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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Digitale Lehre nach der Pandemie – bereichende Vielfalt der Lehrmethoden und Freiräume für neigungsorientiertes Lernen?

Leitartikel Digitale Lehre

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  • corresponding author Martin R. Fischer - LMU München, LMU Klinikum, Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, München, Deutschland

GMS J Med Educ 2021;38(6):Doc111

doi: 10.3205/zma001507, urn:nbn:de:0183-zma0015078

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2021-38/zma001507.shtml

Eingereicht: 3. September 2021
Überarbeitet: 3. September 2021
Angenommen: 3. September 2021
Veröffentlicht: 15. September 2021

© 2021 Fischer.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Leitartikel

Unabhängig von der anhaltenden COVID-19-Pandemie sollten digitale Lehr- und Prüfungsformate regelhaft und nachhaltig in angemessenem Umfang und entsprechend der standortspezifischen Möglichkeiten in den medizinischen Curricula eingesetzt werden. Wie ein gemeinsames Positionspapier von MFT und GMA treffend darstellt [1]: „Dabei besteht die Herausforderung darin, die neuen digitalen Formate als wichtige und curricular voll anzurechnende Ergänzung der etablierten Präsenzlehrformate einzusetzen, um das selbstgesteuerte Lernen und das Erarbeiten einer Wissensbasis unterstützen und Freiraum schaffen für die essentielle Anwendung und Diskussion des Gelernten in der Präsenzlehre.“ Die persönliche und sozial erlebbare Dimension des Lernens insbesondere in den anwendungs- und Patienten-orientierten Formaten der medizinischen Ausbildung bleiben dabei Pandemie-unabhängig präsenzpflichtig.

„Die Potentiale für eine effektive und effiziente Weiterentwicklung digitaler Lehr-Lernmethoden sind aber durch die Pandemie-bedingten Erfahrungen deutlich geworden und bedürfen einer weiteren kritischen und nachhaltigen Analyse. Formen der digitalen Lehre reichen von asynchronen Formaten über synchrone interaktive Formate bis hin zu komplexen Kleingruppenformaten des kollaborativen Lernens. Der Vorteil asynchroner Formate liegt in der Möglichkeit selbstgesteuerten Lernens, das unterschiedliche Lerntempi, wiederholtes Zugreifen und Wiederholen sowie einen individuellen Fokus auf der Basis von Wissenslücken ermöglicht. Synchrone Formate erlauben den direkten Austausch zwischen Lehrenden und Studierenden in interaktiven Lernphasen, das Klären von offenen Fragen und Verständnisproblemen sowie kollaboratives Lernen unter Studierenden. Sie bieten eine Alternative zu Teilen der Präsenzlehre und können so eine gewinnbringende Ergänzung der bisherigen Unterrichtsmethoden in Präsenz sein. Großes Potenzial der digitalen Formate besteht darin, dass Studierende gut vorbereitet sind für die notwendige Präsenzlehre, für simulationsbasierte Lehrformate und für die Ausbildung im klinischen Kontext.“ [1]

Blended Learning-Konzepte mit gut abgestimmten digitalen Angeboten bieten eine wichtige Möglichkeit an den Medizinischen Fakultäten zur stärker individualisierten kompetenzorientierten Ausbildung im Sinne des aktuellen Nationalen Kompetenz-basierten Lernzielkataloges 2.0 (siehe [http://www.nklm.de]). Sie erlauben auch die flexible und organisatorisch niedrigschwellige Verknüpfung von Lehrveranstaltungen für Teilnehmende aus verschiedenen Ausbildungs- und Studiengänge zur Förderung der interprofessionellen Lehre. Darüber hinaus bieten sie flexible Optionen für Nachteilsausgleiche zugunsten beeinträchtigter Studierender. Blended Learning sollte grundsätzlich den Studierenden aller Fakultäten in angemessener Qualität angeboten werden und fest in den Curricula verankert werden. Damit ergeben sich auch neue Umsetzungsmöglichkeiten für neigungsorientierte Lehrangebote seitens der Lehrenden, die unabhängig von den Vorgaben des NKLM semesterübergreifend im Rahmen von Wahlcurricula mit geringem organisatorischen Aufwand angeboten werden können („Lehr doch, was Du willst!“). Damit kann den Befürchtungen der übermäßigen Verschulung durch überbordende Vorgaben durch Lernzielkataloge wie den NKLM entgegengewirkt werden [2].

Es gibt noch viel zu tun: „An den Medizinischen Fakultäten ist eine tragfähige Infrastruktur für die digitale Lehre erforderlich, die nahtlos mit der IT-Infrastruktur der Universitäten, der Universitätsklinika und akademischen Lehrkrankenhäuser verknüpft ist. Dafür ist ein zwischen diesen beiden IT-Welten abgestimmtes und transparentes Verfahren zur datenschutz- und nutzungsrechtlichen Freigabe von Softwarelösungen erforderlich. Die Lehrenden sollen sich sowohl an universitären als auch an klinischen Rechnerarbeitsplätzen auf die Nutzbarkeit klassischer Werkzeuge digitaler Lehre verlassen können, wie insbesondere Campusmanagement- und Lernmanagementsysteme, Videokonferenzsysteme und Prüfungs- und Evaluationsumgebungen. Für die Erarbeitung und Aufzeichnung asynchron nutzbarer digitaler Lehr- und Lernmaterialien sind an ausgewiesenen Arbeitsplätzen entsprechende Hard- und Softwarevoraussetzungen zu schaffen. Die Lehrenden sollen ohne technische Hürden ihre Medien aufbereiten und verarbeiten können, insbesondere mithilfe von Medienservern mit entsprechenden Kapazitäten.“ [1] Dafür sind gut aufeinander abgestimmte Software-Pakete und -Lizenzen mit Open-SourceLösungen anzustreben und – wo immer möglich – fakultätsübergreifend zu implementieren und zu pflegen [3]. „Die technischen Voraussetzungen und Bedarfe der Studierenden sind dabei entsprechend zu berücksichtigen. Für die didaktisch-konzeptionell und technisch angemessene Erstellung von digitalen Lehr und Lernmaterialien sind leicht zugängliche und verständliche Schulungsmaterialien erforderlich. Diese Materialien müssen mit einem bedarfsgerechten und nachhaltig angebotenen Schulungsangebot für alle Lehrenden und Lehradministratorinnen und -administratoren kombiniert werden. Außerdem ist ein Supportangebot z.B. in Form studentischer eScouts und eTutorinnen und -Tutoren sowie durch die entsprechenden Medienabteilungen wichtig, um einen ausreichenden Qualitätsstandard der Unterrichtsmaterialien einerseits und eine sichere, leicht auffindbare und ausreichend performante technische Bereitstellung andererseits zu gewährleisten.“[1]

Zur ökonomischen Nutzung digitaler Lehr-/Lernressourcen sollte unbedingt auf verfügbare z.T. öffentlich finanzierte Angebote (z.B. Virtuelle Hochschule Bayern, siehe [https://www.vhb.org/]) zurückgegriffen werden, sowohl auf Landesebene als auch auf Bundesebene (z.B. LOOOPshare-Plattform des MFT [https://looop-share.charite.de/]). Diese sollten gezielt und konzertiert ausgebaut werden. Hierzu ist ein nachhaltiges nationales Förderprogramm in Anlehnung an die Konzeption der vhb erforderlich, das zwischen Neuerstellung und Überarbeitung von digitalen Lehr-/Lernressourcen differenziert und außerdem deren Betreuung honoriert. Nicht zuletzt ist sicherzustellen, dass ausreichend den Leistungsanforderungen entsprechende Endgeräte für alle Studierenden, insbesondere für digitale Prüfungen zur Verfügung stehen. Während digitale Prüfungsformate an vielen Fakultäten weit verbreitet sind und sicher eingesetzt werden, sind Fernprüfungsformate vorrangig ein wirksames Mittel, um ein formatives Feedback zu geben. Die rechtssichere und faire Bereitstellung summativer digitaler Prüfungen erfordert noch viele weitere Überlegungen und Implementierungsanstrengungen im Hinblick auf ihre Rechts- und Datensicherheit. Voraussetzung dafür ist aber in jedem Falle eine belastbare technische Infrastruktur.

Die vorliegende Ausgabe des GMS Journal for Medical Education spannt einen weiten Bogen im Hinblick auf die Lehrmethoden und -kontexte mit den Beiträgen zur klinischen Präsenzlehre in Form von Visiten [4] und den Vorschlägen zur Verbesserung der Anamnesetechnik [5], den Beiträgen zum simulationsbasierten Lernen [6] und dem Einsatz von VR-Technologie [7] hin zu den digitalen Trends in der Lehre [8]. Auch die Beiträge zur interprofessionellen Lehre [9] und zur Lernerfolgsmessung mithilfe formativer Prüfungsformate [10] stehen stellvertretend für die auch zukünftig wichtige und herausfordernde Entwicklungs- und Integrationsarbeit dieser Themen mithilfe von Lehr- und Prüfungsformaten in Präsenz und in digitaler Form.


Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass er keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

1.
Medizinischer Fakultätentag; Gesellschaft für Medizinische Ausbildung. Digitale Lehre für alle: Voraussetzungen, Machbarkeit und Optionen im Human- und Zahnmedizinstudium Ein gemeinsames Positionspapier des Medizinischen Fakultätentags (MFT) und der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA) zu digitalen Lehr- und Prüfungsformaten. Berlin: MFT; 2010. Zugänglich unter/available from: https://medizinische-fakultaeten.de/wp-content/uploads/2020/10/MFT-und-GMA-Positionspapier-zu-digitalen-Lehr-und-Pru%CC%88fungsformaten.pdf Externer Link
2.
Hawkins RE, Welcher CM, Holmboe ES, Kirk LM, Norcini JJ, Simons KB, Skochelak SE. Implementation of competency-based medical education: are we addressing the concerns and challenges? Med Educ. 2015;49(11):1086-1102. DOI: 10.1111/medu.12831 Externer Link
3.
Haag M, Igel C, Fischer MR. Digital Teaching and Digital Medicine: A national initiative is needed. GMS J Med Educ. 2018;35(3):Doc43. DOI: 10.3205/zma001189 Externer Link
4.
Khan MA, Rajendram R, Al-Jahdali H, Al-Harbi A, Al-Ghamdi M, Hasan I, Obaidi MM, Masuadi E. Do ward rounds offer effective teaching and training? Obstacles to learning and what makes good teaching in a large tertiary care hospital from trainee doctor's perspective. GMS J Med Educ. 2021;38(6):Doc106. DOI: 10.3205/zma001502 Externer Link
5.
Flugelman MY. History-taking revisited: Simple techniques to foster patient collaboration, mprove data attainment, and establish trust with the patient. GMS J Med Educ. 2021;38(6):Doc109. DOI: 10.3205/zma001505 Externer Link
6.
Kronschnabl DM, Baerwald C, Rotzoll DE. Evaluating the effectiveness of a structured, simulator-assisted, peer-led training on cardiovascular physical examination in third-year medical students: a prospective, randomized, controlled trial. GMS J Med Educ. 2021;38(6):Doc108. DOI: 10.3205/zma001504 Externer Link
7.
Walter S, Speidel R, Hann A, Leitner J, Jerg-Bretzke L, Kropp P, Garbe J, Ebner F. Skepticism towards advancing VR technology - student acceptance of VR as a teaching and assessment tool in medicine. GMS J Med Educ. 2021;38(6):Doc100. DOI: 10.3205/zma001496 Externer Link
8.
Speidel R, Schneider A, Körner J, Grab-Kroll C, Öchsner W. Did video kill the XR star? Digital trends in medical education before and after the COVID-19 outbreak from the perspective of students and lecturers from the faculty of medicine at the University of Ulm. GMS J Med Educ. 2021;38(6):Doc101. DOI: 10.3205/zma001497 Externer Link
9.
Borchers P, Bortz M, Hoffmann H, Seele K, Schübel J. A mixed-methods evaluation of interprofessional education in palliative care: changes in student attitudes towards health professions. GMS J Med Educ. 2021;38(6):Doc104. DOI: 10.3205/zma001500 Externer Link
10.
Büssing O, Ehlers JP, Zupanic M. The prognostic validity of the formative for the summative MEQ (Modified Essay Questions). GMS J Med Educ. 2021;38(6):Doc99. DOI: 10.3205/zma001495 Externer Link