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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Die medizinische Ausbildung in Zeiten von COVID-19: Eine Umfrage über die Perspektiven von Dozierenden einer deutschen medizinischen Fakultät

Artikel COVID-19

  • author Anne Herrmann-Werner - Universitätsklinikum Tübingen, Abteilung für Innere Medizin VI/Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Tübingen, Deutschland
  • author Rebecca Erschens - Universitätsklinikum Tübingen, Abteilung für Innere Medizin VI/Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Tübingen, Deutschland
  • author Stephan Zipfel - Universitätsklinikum Tübingen, Abteilung für Innere Medizin VI/Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Tübingen, Deutschland; Eberhard Karls Universität Tübingen, Medizinische Fakultät, Tübingen, Deutschland
  • corresponding author Teresa Loda - Universitätsklinikum Tübingen, Abteilung für Innere Medizin VI/Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Tübingen, Deutschland

GMS J Med Educ 2021;38(5):Doc93

doi: 10.3205/zma001489, urn:nbn:de:0183-zma0014899

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2021-38/zma001489.shtml

Eingereicht: 16. September 2020
Überarbeitet: 8. März 2021
Angenommen: 31. März 2021
Veröffentlicht: 15. Juni 2021

© 2021 Herrmann-Werner et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Dozierende Klinikärzte/-ärztinnen und medizinische Fakultäten hatten es schwer, den medizinischen Ausbildungsbedürfnissen der Medizinstudierenden in Zeiten von COVID-19 gerecht zu werden. Insbesondere waren sie vor die Herausforderung gestellt, wie die medizinische Ausbildung unter den gegebenen Bedingungen aussehen könnte und wie sich die Vermittlung maßgeblicher zwischenmenschlicher oder praktischer Fähigkeiten integrieren ließe. Diese Studie hatte zum Ziel, die Perspektiven der Dozierenden hinsichtlich der medizinischen Ausbildung und COVID-19 im Allgemeinen zu untersuchen, einschließlich ihres eigenen Stresslevels.

Methoden: Die Fragebögen dieser quantitativen Erhebung wurden den Dozierenden der Medizinischen Fakultät Tübingen online zur Verfügung gestellt. Die Dozierenden beantworteten Fragen zur medizinischen Ausbildung, zu COVID-19 im Allgemeinen (anhand einer 7-stufigen Likert-Skala von "überhaupt nicht" bis "sehr") und zu ihrem psychischen Wohlergehen (STAI). Es wurden deskriptive Datenanalysen und and t-Tests durchgeführt.

Ergebnisse: Die Dozierenden gaben an, dass sie sich in ihrer medizinischen Lehrtätigkeit signifikant mehr (p<0,01) belastet fühlten (M=4,63, SD=1,24) als in ihrem Privatleben (M=3,58, SD=1,38) oder ihrer klinischen Tätigkeit (M=3,33, SD=1,95). Ferner fühlten sie sich hinsichtlich ihrer Lehraufgabe unter COVID-19-Bedingungen signifikant weniger informiert (p<0,001). Sie wünschten sich mehr Unterstützung und Informationen von ihrer medizinischen Fakultät. Auf die Frage, welche Lehrformen in Zukunft implementiert werden sollten, gaben die Dozierenden überwiegend Online-Vorlesungen an (87,5%), gefolgt von kollaborativem Arbeiten (75,5%), Live-Übertragungen (62,5%) und Online-Chats (58,3%). Die Dozierenden sahen die aktuelle Situation mit COVID-19 auch als Chance für eine digitale Transformation der medizinischen Ausbildung an (M=5,92, SD=0,95).

Diskussion: Dozierende der Medizinischen Fakultät Tübingen sahen Online-Lehrformate als Chance an, um den Bedürfnissen der Medizinstudierenden in ihrer medizinischen Ausbildung gerecht zu werden. Videobasierte Formate wie Online-Vorlesungen und Online-Chats mit Dozierenden könnten bei der Wissensvermittlung eine wichtige Rolle spielen. Darüber hinaus sollten Medizinstudierende auch in digitalen Formaten wie der Telemedizin ausgebildet werden, einschließlich der Fern-Interaktion zwischen Arzt/Ärztin und Patient/-in.

Schlüsselwörter: medizinische Ausbildung, COVID-19, Dozierende, psychisches Wohlergehen, Digitalisierung


1. Einleitung

Die Coronavirus-Pandemie stellte die medizinische Ausbildung weltweit vor Herausforderungen [1]. An den deutschen medizinischen Fakultäten wurde der Beginn des Sommersemesters 2020 verschoben, Famulaturen und wichtige Prüfungen wurden plötzlich abgesagt, um persönliche Kontakte und die Verbreitung von COVID-19 zu minimieren [2]. Die Association of American Medical Colleges legte in ihren Leitlinien sogar nahe, dass medizinische Fakultäten die Rotation der Medizinstudierenden durch die verschiedenen Bereiche aussetzen sollten [http://www.aamc.org].

Obwohl die medizinische Ausbildung an den deutschen medizinischen Fakultäten gestoppt wurde, mobilisierten Medizinstudierende das Gesundheitssystem und wurden im Kampf gegen COVID-19 eingesetzt [3], http://www.bvmd.de]. Die diesbezügliche Unterstützung der Medizinstudierenden bedeutete in Zeiten von COVID-19 eine besondere Herausforderung für Ärzte/Ärztinnen in ihrer Funktion als Kliniker/-innen und Dozierende. Da Abstandhalten die gängige Methode zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie darstellt, stellte sich die Frage, wie die Ausbildung nun aussehen könnte und wie Fortschritte der Medizinstudierenden bzw. deren Studienabschluss zu gewährleisten wären.

Die medizinische Ausbildung musste in ein digitales Format überführt werden, obwohl sie traditionellerweise als Präsenzausbildung ausgelegt war [1]. Die Dozierenden des Fachbereichs Medizin mussten sowohl innovativ als auch kreativ sein, um die Qualität der medizinischen Ausbildung durch die Kombination technologiegestützten Lernens und traditioneller Methoden aufrechtzuerhalten [4]. Online-Videokonferenz-Plattformen wurden für Vorlesungen und das Lernen in Kleingruppen genutzt. Newman (2020) argumentierte jedoch, dass diese Online-Lehrformate nur einen geringen Teil des früheren Curriculums vor COVID-19 beinhalteten [5]. Sandhu & Wolf (2020) betonten, dass die Online-Formate angepasst werden müssten, um klinische und praktische Fähigkeiten zu vermitteln, die andernfalls in Präsenzkursen entwickelt worden wären.

Im Vereinigten Königreich waren die Medizinstudierenden im Abschlussjahr erheblich von den COVID-19-Maßnahmen betroffen, da ihre ärztliche Ausbildung gestoppt wurde. Hierbei wurde diskutiert, ob sie ihr Studium eigenständig im Schnelldurchlauf durchführen sollten, wenn sie sich in der Lage fühlten, diese Verantwortung zu übernehmen [1], [6]. Kernkompetenzen für Ärzte/Ärztinnen, wie Kommunikation und zwischenmenschliche Fähigkeiten, müssen in Online-Lehrformate integriert werden, um die Entwicklung empathischen Verhaltens in der Begegnung von Arzt/Ärztin und Patient/-in zu gewährleisten [7], [https://www.acgme.org/Newsroom/Blog/Details/ArticleID/10281/ACGME-e-Communication-May-26-2020].

Die bisherige Literatur zu COVID-19 und die medizinische Ausbildung enthält vielfältige Vorschläge für digitale Lehrmöglichkeiten, wie beispielsweise die Implementierung von Virtual-Reality-Umgebungen [2], [8]. Übereinstimmung herrschte insbesondere darüber, dass die medizinische Ausbildung generell einer digitalen Transformation bedarf und dass einzelne Maßnahmen nicht ausreichen werden [1], [9], [10].

Somit stellten sich hinsichtlich der medizinischen Ausbildung in Zeiten von COVID-19 folgende Fragen:

  • Wie sollte die medizinische Ausbildung in Zeiten von COVID-19 aussehen?
  • Wie lassen sich Lehrveranstaltungen - insbesondere die Vermittlung zwischenmenschlicher und praktischer Fähigkeiten – am besten online gestalten?
1.1. Ziel der Studie

Wie sah die medizinische Ausbildung im Sommersemester 2020 praktisch aus und wie haben die Dozierenden diese Herausforderung erlebt?

Diese Erhebung diente der Untersuchung der medizinischen Ausbildung, einschließlich der Stressoren und Erwartungen aus Sicht der Dozierenden einer medizinischen Fakultät in Deutschland im Sommersemester 2020. Darüber hinaus wurden die Dozierenden zu ihrem psychischen Wohlergehen und ihrer Einstellung zu COVID-19 befragt.


2. Material und Methoden

2.1. Studiendesign, Teilnehmer und Vorgehensweise

Diese Studie wurde in Form einer quantitativen Fragebogenerhebung an der Medizinischen Fakultät Tübingen durchgeführt. Die Lehrbeauftragten dieser Fakultät wurden per E-Mail eingeladen, an einer Befragung teilzunehmen, die ab Mai 2020 für vier Wochen online stattfand.

2.2. Ethik

Die Studie wurde von der Ethik-Kommission der Medizinischen Fakultät Tübingen genehmigt (Nr. 314/2020BO2). Die Teilnahme war freiwillig und die Datenerhebung erfolgte anonymisiert. Alle Teilnehmer gaben ihre schriftliche Einwilligung.

2.3. Bewertungen
2.3.1. Demographische Variablen

Es wurden demographische Daten wie Alter und Geschlecht erhoben. Darüber hinaus wurden die Dozierenden nach ihrer Lehrerfahrung und ihren Qualifikationen gefragt.

2.3.2. Themen zu COVID-19

Die Dozierenden wurden zum Maß der Belastung befragt, welche sie zu COVID-19-Zeiten im privaten Bereich, im klinischen Bereich und durch ihre Lehrtätigkeit empfanden. Ferner stuften sie ihren Wissensstand zu COVID-19 im Allgemeinen sowie im medizinischen und im Lernkontext ein. Alle Fragen wurden anhand einer siebenstufigen Likert-Skala mit Punkten von 1 („überhaupt nicht“) bis 7 („sehr“) eingestuft. Abschließend gaben die Dozenten an, ob sie bereits an COVID-19 erkrankt waren, wie groß ihre Angst war, daran zu erkranken und wie hoch sie ihr Risiko einschätzten, sich mit COVID-19 zu infizieren (0% bis 100%).

2.3.3. Lehrtätigkeit

Die Dozierenden gaben ihre gewünschten und erwarteten Kursinhalte im Sommersemester 2020 an, sowie mögliche langfristige Veränderungen in ihrer medizinischen Lehre, ausgelöst durch die Bedingungen während der Pandemie (Mehrfachoptionen). Darüber hinaus gaben sie ihre Erwartungen an ihre Studierenden in diesem Sommersemester an. Anhand einer siebenstufigen Likert-Skala von 1 („stimme überhaupt nicht zu“) bis 7 („stimme voll und ganz zu“), stuften die Dozierenden ein, inwieweit die COVID-19-Krise eine Chance für eine digitale Transformation in den medizinischen Fakultäten darstellte. In offenen Fragen nannten die Teilnehmer ihre Stressfaktoren während der COVID-19-Pandemie und was sie sich von ihrer medizinischen Fakultät erhofften. Darüber hinaus konnten sie weitere Anmerkungen oder Kommentare zur Lehre in COVID-19-Zeiten notieren.

2.3.4. Bemessung des psychischen Wohlergehens

Zur Bemessung des psychischen Wohlergehens wurde das Maß der Belastung der Dozierenden anhand des STAI-Fragebogens (State-Trait Anxiety Inventory) [11] bemessen, insbesondere des „Angstzustandes“, um das Maß der gefühlten Belastung festzustellen. Die Einstufung erfolgte mithilfe einer vierstufigen Skala von 1 („überhaupt nicht“) bis 4 („sehr“). Die Teilnehmer stuften auch ein, inwieweit sie sich Empfehlungen zum Umgang mit Stress, Entspannungstechniken oder Psychotherapie wünschten. Darüber hinaus stuften sie ihre Fähigkeiten ein, mit Krisen im Allgemeinen umzugehen. Diese Fragen wurden anhand einer siebenstufigen Likert-Skala mit Punkten von 1 („überhaupt nicht“) bis 7 („sehr“) eingestuft.

2.4. Datenanalyse

Es ergab sich eine Normalverteilung der Daten gemäß Kolmogorov-Smirnov-Test. Es wurden deskriptive Daten wie Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD), Summenscores, Häufigkeiten und Prozentzahlen relevanter Faktoren berechnet. Fehlende Daten wurden durch Mittelwerte ersetzt. Der Ergebnisvergleich wurde auf Grundlage des t-Tests für unabhängige Stichproben und der Pearson Korrelation durchgeführt. Das Signifikanzniveau betrug p<0,05. Die Datenanalyse erfolgte mit IBM SPSS Statistics, Version 26.


3. Ergebnisse

3.1. Demographie

Vierundzwanzig von 42 Dozierenden führten die Befragung vollständig durch (Rücklaufquote=57,1%). Das mittlere Alter der Dozierenden betrug 44,8 (SD=8,8). Acht Teilnehmer waren weiblich (33,3%), 16 Teilnehmer waren männlich (66,7%). Die Lehrerfahrung lag im Durchschnitt bei 15,7 Jahren (SD=8,7), bei einer Bandbreite von drei bis 40 Jahren. Achtzehn Dozierende (75,0%) gaben an, über eine medizindidaktische Qualifikation zu verfügen. Weitere Informationen sind Anhang 1 [Anh. 1] zu entnehmen.

3.2. Themen zu COVID-19

Die Dozierenden stuften ihre Belastung im privaten Bereich mit 3,6 (SD=1,4) und im klinischen Bereich mit 3,3 (SD=2,0) ein. Mit einem Wert von 4,6 (SD=1,2) stuften sie ihre Belastung in ihrer Lehrtätigkeit jedoch signifikant höher ein, (t(45)=-2,77, p<0,01). Ihr Wunsch nach Psychotherapie und Entspannungstechniken war gering, mit einem Wert von 2,0 (SD=1,1) für die Psychotherapie und von 2,1 (SD=1,3) für Entspannungstechniken. Ihr Wunsch nach Empfehlungen für den Umgang mit Stress war mit 2,6 (SD=1,4) größer, dieser Unterschied war jedoch nicht signifikant.

In Bezug auf ihren aktuellen Wissensstand fühlten sie sich gut informiert über COVID-19 allgemein mit einem Wert von 6,0 (SD=1,0) und im klinischen Kontext mit einem Wert von 5,9 (SD=10). In Bezug auf ihre Lehrtätigkeit unter COVID-19 fühlten sie sich jedoch mit einem Wert von 3,9 (SD=1,4) signifikant weniger informiert (t(41)=6,29, p<0,001).

Einundzwanzig Teilnehmer (87,5%) gaben an, noch nicht mit COVID-19 infiziert gewesen zu sein, zwei Teilnehmer (8,33%) machten hierzu keine Angaben. Die Angst infiziert zu werden, lag bei 17,1% und die Teilnehmer schätzten ihre Wahrscheinlichkeit, infiziert zu werden, auf 34,6%.

Die Dozierenden nannten folgende durch COVID-19 ausgelöste Stressfaktoren: Informationsmangel, mangelnde Interaktion mit den Studierenden, Wechsel zum Online-Unterrichten, Doppelbelastung durch die Kombination aus klinischer Tätigkeit und Lehrtätigkeit, sowie Home Office ohne Kinderbetreuung.

3.3. Lehrtätigkeit

Die Dozierenden gaben ihre gewünschten und erwarteten Kursinhalte für das COVID-19-Sommersemester 2020 an, sowie mögliche langfristige Veränderungen in ihrer medizinischen Lehre. Die Ergebnisse sind Tabelle 1 [Tab. 1] zu entnehmen.

Darüber hinaus gaben sie mit einem Wert von 5,9 (SD=1,4) an, die COVID-19-Krise als Chance für eine digitale Transformation der medizinischen Ausbildung zu sehen. Ferner wünschten sie sich von der medizinischen Fakultät mehr Transparenz, klarere Ansagen und einen offeneren Dialog. Zudem wünschten sie sich Lizenzen für stabile Videokonferenzen und mehr Unterstützung bei der Digitalisierung. Darüber hinaus gaben sie ihre Erwartungen an die Studierenden an. Abbildung 1 [Abb. 1] enthält dazu nähere Einzelheiten.

3.4. Bemessung des psychischen Wohlergehens

In der STAI-Bemessung (Cut-off-Wert >43) war das aktuelle Maß der Belastung der Dozierenden mit einem Wert von 44,3 (SD=5,9) hoch. Gleichzeitig gaben sie mit einem Wert von 5,3 (SD=1,0) an, mit der Krise umgehen zu können.


4. Diskussion

Diese Befragung hatte zum Ziel, die Sichtweisen der Dozierenden hinsichtlich der medizinischen Ausbildung und des Stresslevels in Zeiten von COVID-19 zu untersuchen. Auf die Frage, was die Lehre in Zeiten von Covid-19 beinhalten sollte, lagen Online-Vorlesungen an vorderster Stelle, gefolgt von kollaborativem Arbeiten, der Live-Übertragung von Lehrinhalten und Online-Chats. Die Dozierenden gaben an, dass sie sich durch ihre medizinische Lehrtätigkeit signifikant mehr belastet fühlten als durch Probleme in ihrem Privatleben oder bei ihrer klinischen Tätigkeit. Allerdings gaben sie generell an, mit der Belastung umgehen zu können.

4.1. Perspektiven von Dozierenden in Bezug auf COVID-19 und die medizinische Ausbildung

Die Teilnehmer gaben an, von ihrer medizinischen Lehraufgabe sehr gestresst zu sein, in ihrem Privatleben hingegen fühlten sie sich durch COVID-19 allgemein weniger gestresst. Dieses hohe Maß an Belastung spiegelte eine Tatsache wider, der sich bereits einige Autoren gewidmet haben: Dozierende mussten ihre Lehrformate innerhalb sehr kurzer Zeit anpassen und dabei gleichzeitig eine hohe Qualität der medizinischen Ausbildung aufrechterhalten [2], [5], [8]. Dies stellte eine besondere Herausforderung für die Dozierenden dar. Sie wünschten sich mehr Informationen darüber, welche Auswirkungen COVID-19 auf ihre medizinische Lehraufgabe im Sommersemester haben könnte. Sie erwarteten zu diesem Thema mehr Transparenz von den Fakultätsmitgliedern. Ferner wünschten sie sich mehr Unterstützung beim Transfer ihrer Lehrinhalte in ein digitales Format. Hier spiegelte sich die allgemeine Wahrnehmung wider, wie unvorbereitet man beim Lehren und Lernen auf den Gebrauch moderner Technologien war.

Ähnlich wie in anderen Studien erwarteten auch die teilnehmenden Dozierenden dieser Studie eine einfache Umstellung von traditionellen Lehrformen wie Vorlesungen auf digitale Formate wie Online-Vorlesungen [1], [8], [9], [12]. Darüber hinaus sahen sie eigenständige Arbeitsgemeinschaften als wichtige Methode an, um in Zeiten, in denen ein persönlicher Kontakt nicht möglich ist, Wissen weiterzugeben [2]. Deshalb strebten die Dozierenden die Implementierung von Online-Chats mit ihren Studierenden an, um trotz der sozialen Distanz den persönlichen Kontakt aufrechtzuerhalten. Im Allgemeinen zeigten die Ergebnisse, dass die Dozierenden die COVID-19-Krise als große Chance ansahen, um eine digitale Transformation in der medizinischen Ausbildung herbeizuführen. Ferner sollten Medizinstudierende auch in der Telemedizin ausgebildet werden, einschließlich der technischen Aspekte und professioneller Fern-Interaktionsmodelle zwischen Arzt/Ärztin und Patient/-in [13]. Darüber hinaus könnte eine Unterstützung der Medizinstudierenden seitens der Dozierenden von Nöten sein, wenn es darum geht, ihre Rolle in der medizinischen Gemeinschaft zu finden, da es wahrscheinlich schwer sein wird, ohne vollständige Rotation durch die verschiedenen klinischen Bereiche und die entsprechenden Erfahrungen in der Zusammenarbeit, bedingt durch COVID-19, die eigene Aufgabe zu finden, sich weiterzuentwickeln und zu integrieren [2].

Zur optimistischen Haltung der Dozierenden gehörte auch eine gewisse Erwartung an ihre Medizinstudierenden, um die Online-Lernmodule im Sommersemester erfolgreich implementieren zu können. Von ihren Medizinstudierenden erwarteten sie Nachsicht, Geduld und Bereitschaft zur Online-Ausbildung.

Loda et al. (2020) befragten auch Studierende zu ihren Erwartungen an die medizinische Ausbildung zu COVID-19-Zeiten [14]. Ähnlich wie die Dozierenden fühlten sich die Studierenden hinsichtlich ihrer medizinischen Ausbildung in Zeiten von COVID-19 schlechter informiert als im privaten Bereich oder allgemein. Darüber hinaus fühlten sie sich gestresst durch ihre medizinische Ausbildung. Sie waren jedoch auch optimistisch, dass ihre Dozierenden ihre digitalen Kompetenzen während der Pandemie verbessern würden.

Die Dozierenden standen auch in ihrer klinischen Tätigkeit Herausforderungen gegenüber. Sie berichteten über die Doppelbelastung durch die Kombination aus Lehrtätigkeit und klinischer Tätigkeit, was für sie sehr stressbehaftet war. Mögliche zukünftige Stressfaktoren waren mangelnde Information seitens der Regierung und ihrer Vorgesetzten sowie die Arbeit von zu Hause ohne Kinderbetreuung. Interessanterweise äußerten die Dozierenden kein Bedürfnis nach Entspannungstechniken oder Psychotherapie zur Stressbewältigung. Dies mag in verschiedenen Konzepten oder Begriffsverständnissen begründet sein.

4.2. Implikationen

Auf Grundlage der Ergebnisse lassen sich einige Implikationen ableiten. Medizinische Fakultäten sollten Verbesserungen anstreben hinsichtlich einer klaren und transparenten Kommunikation, damit sich die Dozierenden ausreichend informiert fühlen. Darüber hinaus sollte den Dozierenden angeboten werden, sich in der Durchführung von Online-Lehrformaten schulen zu lassen. Solche Schulungen könnten Dozierende dabei unterstützen, die Nutzung digitaler Lernplattformen und Videokonferenzsysteme zu erlernen und deren verschiedene Funktionen (wie interaktive Whiteboards) kennenzulernen. Gleichzeitig sollten auch Medizinstudierende geschult werden, um in Online-Kursen mit ihren Dozierenden eine klare Kommunikation etablieren zu können. Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit wird eine solche Schulung Dozierende und Studierende bei der Überführung des medizinischen Lehrens und Lernens in die digitale Welt unterstützen. Die meisten Online-Erfahrungen, die infolge der COVID-19-Pandemie gemacht wurden, lassen sich nicht ausreichend mit der medizinischen Ausbildung vereinen und bedürfen der Anpassung und Verbesserung für eine adäquate Online-Lehre der Zukunft [15].

4.3. Grenzen der Studie

Wir sind uns darüber bewusst, dass unsere Ergebnisse begrenzt sind, da sie Dozierende nur einer medizinischen Fakultät repräsentieren und sich die Anzahl der Teilnehmer auf 24 beschränkte. Dennoch denken wir, dass es von Interesse sein könnte zu untersuchen, wie die medizinische Ausbildung in Zeiten von COVID-19 implementiert werden könnte. Bei der Datenanalyse ist zu berücksichtigen, dass die Zurechnung des Mittelwertes zu Verzerrung/Varianz führen kann. Der Gesamt-Mittelwert der fehlenden Daten wurde jedoch mit 1,28% beziffert, was sehr niedrig ist.


5. Fazit

Diese Befragung hatte zum Ziel, Perspektiven von Dozierenden hinsichtlich der medizinischen Ausbildung zu Zeiten der COVID-19-Pandemie zu untersuchen. Übereinstimmend mit der bereits bestehenden Literatur sahen die teilnehmenden Dozierenden die Notwendigkeit, weiterhin in der ärztlichen Ausbildung Lehrveranstaltungen durchzuführen und es wurden neue Wege des Lehrens über Online-Lernplattformen entwickelt, welche Online-Vorlesungen, Live-Übertragungen und Online-Chats mit Studierenden ermöglichten [1], [5], [8]. Die Ergebnisse dieser Studie zeigten praktische Implementierungen verschiedener Lehrformen in der medizinischen Ausbildung in COVID-19-Zeiten auf. Ferner wurden Stressfaktoren, Erwartungen und das psychische Wohlergehen der Dozierenden in dieser nie da gewesenen, durch COVID-19 bedingten Situation untersucht, wobei zusätzlicher Stress durch die Lehrtätigkeit festgestellt wurde, welcher jedoch im Allgemeinen mit dem Gefühl einherging, die Situation gut bewältigen zu können.


Beiträge der Autoren

AHW und TL waren verantwortlich für das Studiendesign und die Durchführung der Studie, sowie für die Erfassung, Analyse und Auswertung der Daten. AHW und TL entwarfen die erste Version des Manuskripts. RE war an den Datenanalysen und der Datenauswertung beteiligt und unterzog das Manuskript einer kritischen Prüfung. SZ leistete wesentliche Beiträge zum Studiendesign und unterzog das Manuskript einer kritischen Prüfung. Alle Autoren gaben ihre Zustimmung zur finalen Version des Manuskripts und zur Übernahme der Verantwortung für sämtliche Aspekte der Arbeit.


Erklärungen

Zustimmung der Ethikkommission und Einwilligung zur Teilnahme

Die ethische Bewertung und Zustimmung zur Studie erfolgten durch die Ethik-Kommission der Medizinischen Fakultät Tübingen. Die Dozierenden unterschrieben ihre Einwilligung zur Teilnahme.

Verfügbarkeit von Daten und Materialien

Die in dieser Studie verwendeten und/oder analysierten Datensätze stehen uneingeschränkt zur Verfügung.


Danksagung

Wir danken Lea Herrschbach, B.Sc., für ihre Unterstützung bei dieser Studie. Wir bedanken uns für die Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und den Open-Access-Publikationsfonds der Universität Tübingen.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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