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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Ein Projektbericht über die Umstellung von Präsenz- auf Online-Unterricht des Vorbereitungskurses auf die Kenntnisprüfung für ausländische ÄrztInnen – Anleitung für die Gestaltung des Online-Sommersemesters 2020 an der Medizinischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster

Artikel Online-Lehre

  • corresponding author Zornitsa Shomanova - Universitätsklinikum Münster, Klinik für Kardiologie I: Koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz und Angiologie, Münster, Deutschland; Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Institut für Ausbildung und Studienangelegenheiten, Münster, Deutschland
  • author Helmut Ahrens - Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Institut für Ausbildung und Studienangelegenheiten, Münster, Deutschland
  • author Tanja dos Santos - Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Institut für Ausbildung und Studienangelegenheiten, Münster, Deutschland
  • author Janina Sensmeier - Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Institut für Ausbildung und Studienangelegenheiten, Münster, Deutschland
  • author Rahel Kurpat - Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Institut für Ausbildung und Studienangelegenheiten, Münster, Deutschland
  • author Maike Schnase - Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Institut für Ausbildung und Studienangelegenheiten, Münster, Deutschland
  • author Kemal Yildirim - Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Institut für Ausbildung und Studienangelegenheiten, Münster, Deutschland
  • author Bernhard Marschall - Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Institut für Ausbildung und Studienangelegenheiten, Münster, Deutschland

GMS J Med Educ 2021;38(5):Doc88

doi: 10.3205/zma001484, urn:nbn:de:0183-zma0014847

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2021-38/zma001484.shtml

Eingereicht: 29. Juli 2020
Überarbeitet: 5. März 2021
Angenommen: 31. März 2021
Veröffentlicht: 15. Juni 2021

© 2021 Shomanova et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Einleitung: Ausländische ÄrztInnen sind in Deutschland fester Bestandteil der Ärzteschaft. ÄrztInnen mit einer Ausbildung aus einem Drittstaat müssen laut der Approbationsordnung für Ärzte eine Kenntnisprüfung ablegen, für die die Landesprüfungsämter oder die Bezirksregierungen zuständig sind.

Projektbeschreibung: Der Vorbereitungskurs besteht aus 10 Modulen. Freitags werden Fälle in Kleingruppen besprochen und fachspezifische Untersuchungstechniken geübt. Samstags werden mit SimulationspatientInnen bestimmte Krankheiten simuliert. Nach der Interaktion bekommen die TeilnehmerInnen ein 360°-Feedback von FachdozentInnen, PsychologInnen und KollegInnen aus der Gruppe.

Durch die Corona-Pandemie wurde der schon seit 2 Jahren bestehende Kurs innerhalb von einer Woche auf ein Onlineformat umgestellt. Die Freitagseinheiten wurden mit Power-Point visualisiert und Lernvideos besprochen. Samstags wurden die Fälle mit SimulationspatientInnen telemedizinisch simuliert.

Ergebnisse: Der Kurs konnte ohne Unterbrechung durchgeführt werden (75 Stunden als Präsenz-, 75 Stunden als Online-Unterricht). In der mündlichen Evaluation der TeilnehmerInnen wurde die telemedizinische Vermittlung von praktischen Fertigkeiten bemängelt. 7/22 (32%) der TeilnehmerInnen haben an der Kenntnisprüfung teilgenommen, 6/7 (86%) haben die Prüfung bestanden (in Präsenzunterricht 18/19 (95%)).

Diskussion: Der Präsenzunterricht wurde eindeutig präferiert. Es wurden Einschränkungen durch das telemedizinische Setting festgestellt. Die Bestehungsquote hat sich durch die Umstellung nicht verändert.

Schlussfolgerung: Die Umstellung von Präsenzeinheiten auf Online war möglich. Die Erfahrungen flossen in die Entwicklung der Online-Semester an unserer Fakultät ein, insbesondere der Unterricht mit den SimulationspatientInnen.

Schlüsselwörter: Online-Kurs, Kenntnisprüfung, ausländische Ärzte


1. Einleitung

Seit dem Jahr 2002 wird in Deutschland ein Ärztemangel beklagt [1]. Die Altersstruktur der Ärzteschaft und das vermehrte Abwandern der jüngeren ÄrztenInnen aus der Patientenversorgung führten zu einer Vielzahl von unbesetzten ärztlichen Stellen in der Krankenversorgung [https://www.kbv.de/html/5724.php]. Die Politik diskutiert verschiedene Strategien, wie z. B. Landarztquoten, neue Auswahlverfahren für das Medizinstudium, Förderung der allgemeinmedizinischen Weiterbildung [https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/__75a.html], um die Lücken zu füllen. Ausländische ÄrztInnen sind Teil der Strategie. Laut der letzten Statistik der Bundesärztekammer von 2019 arbeiten in Deutschland 58.168 ausländische ÄrztInnen aus der ganzen Welt [2]. Das entspricht etwa 10% der gesamten Ärzteschaft der Bundesrepublik Deutschland und diese Zahlen steigen jedes Jahr [2].

Um im deutschen Gesundheitssystem tätig werden zu können, benötigen die ausländischen ÄrztInnen eine gültige Approbation. Bei den aus der Europäischen Union (EU) kommenden ÄrztInnen wird im Rahmen der EU-Regelungen über die Anerkennung von Berufsqualifikationen die Approbation anerkannt [https://ec.europa.eu/growth/single-market/services/free-movement-professionals/policy/legislation/].

Bei nicht aus EU/Europäischem Wirtschaftsraum (EWR) Staaten stammenden ÄrztInnen wird ein anderes Vorgehen angewandt. Deren Ausbildungsnachweise werden durch die Approbationsbehörden kontrolliert. Sollten wesentliche Unterschiede zwischen der ärztlichen Ausbildung im Drittstaat und Deutschland festgestellt werden, sind die ÄrztInnen dazu verpflichtetet, eine sogenannte Kenntnisprüfung abzulegen. Es handelt sich hierbei um eine Art Äquivalenzprüfung zum dritten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung des deutschen Medizinstudiums. Nach § 12 Absatz 3 der Bundesärzteordnung ist die nach Landesrecht zuständige Stelle für die Durchführung der Kenntnisprüfung verantwortlich [https://www.gesetze-im-internet.de/b_o/BJNR018570961.html] – normalerweise sind Landesprüfungsämter und Bezirgsregierungen für die Organisation und die Durchführung der Prüfung zuständig. Nach erfolgreich bestandener Prüfung wird ausländischen ÄrztInnen die deutsche Approbation erteilt und sie dürfen dann ärztlich tätig werden. Die Kenntnisprüfung darf zwei Mal wiederholt werden. Bei Nichtbestehen verlieren die ausländischen ÄrztInnen endgültig die Möglichkeit, als ÄrztInnen in Deutschland tätig zu werden [http://www.gesetze-im-internet.de/_appro_2002/BJNR240500002.html]. Deshalb hängen von der Kenntnisprüfung neben der Wissenskontrolle auch die Existenzen der Prüflinge ab.

Laut der Approbationsordnung für Ärzte handelt es sich bei der Kenntnisprüfung um eine mündlich-praktische Prüfung mit Patientenvorstellung [http://www.gesetze-im-internet.de/_appro_2002/BJNR240500002.html]. Bei dem praktischen Teil werden die ÄrztInnen am Patientenbett in der Erhebung einer Anamnese, der körperlichen Untersuchung und im Erstellen eines Arztbriefes geprüft. Im zweiten Teil der Prüfung werden die ÄrztInnen von einer Prüfungskommission (vier PrüferInnen) mündlich über fachliches Wissen geprüft. Die Prüfungsfächer sind Innere Medizin und Chirurgie, wobei die Fragestellungen ergänzend Aspekte aus den Fächern Notfallmedizin, Klinische Pharmakologie/Pharmakotherapie, Bildgebende Verfahren, Strahlenschutz und Rechtsfragen der ärztlichen Berufsausübung berücksichtigen [http://www.gesetze-im-internet.de/_appro_2002/BJNR240500002.html].

Um die ÄrztInnen bestmöglich auf die Kenntnisprüfung und auf das Arbeiten im Gesundheitssystem vorzubereiten, haben wir an der Medizinischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster das Projekt „Kompetenzbasierte medizinische Qualifizierung – Vorbereitungskurs auf die Kenntnisprüfung unter besonderer Berücksichtigung des ländlichen Raumes – Komed-Q“, entwickelt. Es ist ein Teilprojekt des Förderprogramms „Integration durch Qualifizierung“ (IQ Netzwerk NRW) und wird durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und den Europäischen Sozialfonds (ESF (Art. 8 (EG) Nr. 1828/2006)) gefördert.


2. Projektbeschreibung

Inhaltlich steht das Projekt auf drei Säulen: fallorientiertes Lernen und E-Learning im Selbststudium, körperliche Untersuchungstechniken und Training der Arzt-Patienten-Kommunikation. Lerntheoretisch basiert der Kurs auf dem bekannten Inverted-Classroom- Konzept [3]. Neben praxisbezogener Festigung des Fachwissens liegt der Fokus auf der Arzt-Patienten-Kommunikation sowie auf einem zielgerichteten Coaching der TeilnehmerInnen. Das theoretische Fachwissen wird im Selbststudium über ein ILIAS basiertes E-Learning-Tool begleitet, welches eine Auswahl an Lernartikeln und -videos beinhaltet. Im Kurs wird das Wissen anhand von Fallbesprechungen gefestigt. Es werden die bereits gelernten körperlichen Untersuchungstechniken an die in Deutschland geltenden gesetzlichen und medizinischen Vorgaben angepasst. Kulturelle Besonderheiten, genau wie Spezifika des Gesundheitssystems, werden im Einsatz mit SimulationspatientInnen im geschützten Raum geübt. Der Kurs findet an zehn Wochenenden ganztägig jeweils freitags und samstags anwesenheitspflichtig statt.

2.1. Detaillierter Kursablauf unter bisherigen Umständen

Die BewerberInnen für den Kurs durchlaufen vor Beginn der Veranstaltung ein Kompetenzfeststellungsverfahren, welches aus einer schriftlichen Prüfung (60 Multiple Choice Fragen aus den für die Kenntnisprüfung relevanten Fächern) und einer praktischen Parcoursprüfung aus sechs praxisnahen, klinisch relevanten Patientenfällen besteht (4 Fälle mit SimulationspatientInnen und 2 Aktenfälle). Die Fälle werden von fachspezifischen JurorInnen beobachtet und bewertet. Die Bewertung erfolgt anhand der Entrustable Professional Activities (EPAs) [4], die an der Medizinischen Fakultät Münster seit vier Jahren in der Ausbildung der Medizinstudierenden angewandt werden. Die Kompetenzen, die die BewerberInnen zum Bestehen der Kenntnisprüfung später vorweisen sollen, entsprechen den Kompetenzen der Studierenden im letzten Ausbildungsjahr. Deswegen verwenden wir im Kurs die Bewertungsskala, die initial für die medizinische Ausbildung gedacht war. Den BewerberInnen wird entlang verschiedener Kompetenzen (1-13 Core-EPAs) eine Entrustmentlevel von 0-5 (übersetzt und adaptiert von der originalen Chen-Vertrauensscala [5]) zugesprochen:

  • 0 – Ich würde den Studierenden bei dieser Tätigkeit nicht zuschauen lassen.
  • 1 – Ich würde den Studierenden diese Tätigkeit nur beobachten lassen.
  • 2 – Ich würde den Studierenden diese Tätigkeit mit vollständiger direkter Supervision bzw. der Möglichkeit zum direkten Eingreifen übernehmen lassen.
  • 3 – Ich würde den Studierenden diese Tätigkeit unter räumlich entfernter Supervision mit direkter Erreichbarkeit und Kontrolle des Ergebnisses ausführen lassen.
  • 4 – Ich würde den Studierenden diese Tätigkeit unter räumlich entfernter Supervision ohne direkte Erreichbarkeit ausführen lassen.
  • 5 – Ich würde dem Studierenden zutrauen diese Tätigkeit unter voller Verantwortung durchzuführen und andere in dieser Tätigkeit anzuführen und zu supervidieren.

Die Entrustmentlevel entsprechen Supervisionsgraden und enthalten mehrere Subdimensionen, die auch Fertigkeiten, Wissen und sprachliche und interpersonelle Kompetenzen beinhalten (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

Die Bestehensgrenze des theoretischen und des praktischen Teils, um im Kurs teilnehmen zu dürfen, liegt bei 50% richtig beantworteter Prüfungsfragen und einem Entrustmentlevel >2 in der praktischen Parcourprüfung.

Der Kurs besteht aus 150 Stunden Präsenzunterricht und einer Vorbereitungsphase im inverted-classroom-Model (160 Stunden). Der Präsenzunterricht beinhaltet 10 zweitägige Module (Freitag/ Samstag). In den jeweiligen Modulen werden die wichtigsten, häufigsten und relevantesten Krankheitsbilder aus den zuvor genannten Prüfungsfächern bearbeitet.

Freitags findet der Unterricht in Kleingruppen (6-7 TeilnehmerInnen) statt. Jede Kleingruppe wird von FachdozentInnen aus dem jeweiligen Fachgebiet betreut. Es werden klinisch passende Patientenfälle in 75-minütigen Unterrichtseinheiten thematisch erarbeitet. Am Nachmittag werden anhand von Modellen oder gegenseitig fachspezifische Untersuchungstechniken geübt.

Am Samstag werden mit SimmulationspatientInnen typische Krankheiten simuliert. Dazu bearbeiten die Kleingruppen im Rotationsprinzip sechs im Voraus vorbereitete Fälle, passend zum jeweiligen Modul. Einzelne Kurs-TeilnehmerInnen gehen dabei in die ärztliche Interaktion (Anamnese und körperliche Untersuchung), während der/die FachdozentIn mit den anderen Kleingruppenmitgliedern aus einem benachbarten Raum die Szene beobachten. Die Interaktion wird im Studienhospital Münster® durchgeführt. Hier gibt es die Möglichkeit die Fälle in realitätsnaher Umgebung im „Krankenhauszimmer“ oder „Praxisräumen“ zu simulieren und gleichzeitig die Interaktion der TeilnehmerInnen durch halbdurchlässige Fenster zu beobachten.

Jede Kleingruppe wird von einer/einem PsychologIn und von der/dem FachdozentIn begleitet. Für die die Anamnese und körperliche Untersuchung hat der/die TeilnehmerIn 10 Minuten Zeit.

Die PsychologenInnen bewerten die TeilnehmerInnen durch einen Mini-CEX-Bogen. Mit Tablets ausgestattet können die FachdozentInnen im Laufe der Beobachtung die Fachkompetenz und den benötigten Supervisionsgrad hinsichtlich einer ausgewählten EPA einschätzen. Um eine intuitive Eingabe zu ermöglichen, wurde das webbasierte Bewertungstool EPASS entwickelt (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Die erhobenen Daten werden vertraulich behandelt und dienen ausschließlich dazu, den TeilnehmerInnen Feedback zu ihrer fachlichen Entwicklung zu geben.

Nach jeder Simulationsszene bekommt der Teilnehmende ein umfassendes 360°-Feedback von zwei der KollegInnen aus der Gruppe, dem/der SchauspielerIn, von dem/der PsychologIn und von dem/der DozentIn. Der/die SchauspielerInnen konzentriert sich beim Feedback auf das eigene Befinden, die eigenen Gedanken und Emotionen und auf das Verhalten des Gegenübers, insbesondere auf die Mimik und Gestik während des Arzt-Patienten-Kontakts. Hier können durchaus sprachliche oder kulturell bedingte Aspekte eine Rolle spielen.

Nach der Interaktion erfolgt eine 20-minütige fachliche Besprechung des Falls. Ein Feedback der erhobenen Daten durch den Mini-CEX-Bogen erfolgt in der Mitte des Kurses und am Ende des Kurses. Die Einstufung des Entrustmentlevels wird den TeilnehmerInnen erst am Ende des Kurses mitgeteilt.

2.2. Entwicklung der Fälle und Schauspielerschulung

Die Fälle basieren auf ausgewählten Krankheiten, die konkret für den Kurs ausgesucht und inhaltlich aufgearbeitet wurden. Hier wurde explizit darauf geachtet, realistische und häufig auftauchende Settings zu wählen, welche die Realität in Deutschland widerspiegeln. Die SchauspielerInnen erhalten eine Woche vor der Veranstaltung per E-Mail eine Krankheitsbeschreibung mit der Erklärung der Krankheit, einer genauen Beschreibung der Symptome und zudem einigen Eckdaten, die ihre Rolle und das Setting ausmachen sollen.

Im Gegensatz zum Kompetenzfeststellungsverfahren, bei dem die Reproduzierbarkeit von Simulationsszenen unabdingbar ist, um faire Prüfungsvoraussetzungen zu ermöglichen, erfolgt bei den Simulationen im Kurs keine Standardisierung. Die SchauspielerInnen erarbeiten ihre Rolle auf Basis der oben genannten Vorgaben selbst. Somit reagieren bzw. interagieren sie frei im Rahmen der eigenen Rollenbiografie nach den vorgeschriebenen Symptomen und Informationen. Direkt vor der Veranstaltung können die SchauspielerInnen ihre selbst entwickelten Rollen vorstellen und zudem Fragen mit den SchauspieltrainerInnen klären.

2.3. Die Auswirkung der Corona-Pandemie auf dem Kurs

Der erste Kurs in 2020 sollte vom 14.02. bis 25.04.2020 nach dem oben beschriebenen Schema durchgeführt werden. Durch die Corona-Pandemie und die nachfolgenden Restriktionsmaßnahmen war der Ablauf des Kurses mit Präsenzunterricht von insgesamt 22 TeilnehmerInnen, vier DozentInnen, vier PsychologInnen und acht SchauspielerInnen nicht mehr möglich. Die Face-to-face Phase des ursprünglich in Anwesenheit stattgefunden Unterrichtes wurde 1:1 in ein virtuelles Seminar und in Kleingruppenräume transferiert, so dass der Kurs ohne Unterbrechung online im Zoom® stattfand.

Um den Ablauf der Module äquivalent zu erhalten, wurden freitags vormittags die wichtigsten Fälle des jeweiligen Moduls anhand von Power-Point-Präsentationen besprochen. Am Nachmittag wurden die Untersuchungstechniken anhand von Lernvideos oder Power-Point-Präsentationen besprochen. Am Samstag wurden ausgewählte Fälle mit SimulationspatientInnen telemedizinisch realisiert und besprochen. Alle TeilnehmerInnen, DozentInnen und PsychologInnen haben im Home-Office mitgearbeitet. Alle Beteiligten wurden im Vorfeld auf die neuen Rahmenbedingungen und die Technik geschult.

2.3.1. Schulung der TeilnehmerInnen und DozentInnen

Zuerst wurde die Beteiligten auf die Anwendung von Zoom® mittels eines speziell angepassten Manuals geschult. In einem Zoom®-Meeting vorab wurden die Dozentinnen mit der Konferenzsoftware und die Umsetzung der Didaktik vertraut gemacht.

2.3.2. Schulung der SchauspielerInnen

Der telemedizinische Arzt-Patienten-Kontakt ermöglicht gemeinsames Arbeiten ohne direkten Kontakt zwischen den TeilnehmerInnen und SimulationspatientInnen. Aus technischen Gründen und Gründen des Rollenschutzes wurde entschieden, dass die SchauspielerInnen vor Ort im Studienhospital kontaktlos und in eigenen Räumen arbeiten. Im Vorfeld wurden die entsprechenden Krankheitsbeschreibungen angepasst und umgeschrieben. Hierbei fiel auf, dass sich nicht alle Krankheiten aus unserem Repertoire telemedizinisch umsetzen ließen. Simulationen, die z.B. ein Maskenbild benötigen oder ohne körperliche Untersuchung keinen Sinn ergeben, mussten entfallen.

Die SchauspielerInnen-Schulung erfolgte kontaktlos via Zoom®. Später im Kurs erhielt jeder der SimulationspatientInnen einen eigenen Raum, in dem bereits die Konferenz gestartet war. Nach einer kurzen Einweisung in die wichtigsten Funktionen der Konferenzsoftware wurden alle Abläufe äquivalent des „realen“ Kurses durchgeführt.

2.3.3. Der genaue Ablauf des Kurses – „Corona-Edition“

Der Host (OrganisatorIn) startet 40 Minuten vor Beginn des Modultages das Meeting und erstellt Break-Out Sessions (Gruppenräume und Dozenten- bzw. SchauspielerInnenlounges). Dadurch wird die virtuelle Kleingruppenarbeit abgebildet. Der genaue Ablauf des Kurses wird anhand von Abbildung 2 [Abb. 2] und Abbildung 3 [Abb. 3] veranschaulicht:


3. Ergebnisse

Die Umstellung des Kurses erfolgte innerhalb einer Woche. Durch die schnelle Umstellung konnte der Kurs in Zeiten von bundesweiten Lockdown Maßnahmen ohne Unterbrechung in der vorgesehenen Zeit durchgeführt und beendet werden. Von den zehn geplanten Modulen wurden fünf im Präsenzunterricht (bis 14.03.2020) und fünf online (ab 20.03.2020) durchgeführt. Dadurch ergaben sich für den ganzen Kurs 75 Stunden Präsenzunterricht und 75 Stunden Online-Unterricht. Der E-Learning-Anteil hat sich durch die Umstellung nicht geändert und liegt nach wie vor bei 160 Stunden. Keiner der TeilnehmerInnen hat den Kurs nach der Umstellung unterbrochen.

Am Ende des Kurses haben die TeilnehmerInnen zurückgemeldet, dass die Vermittlung von fachlichem Wissen sowohl in Präsenz- als auch in Online-Unterricht sehr gut funktioniert hat. Problematisch beschrieben wurde die Vermittlung von praktischen Fertigkeiten. Eine körperliche Untersuchung telemedizinisch durchzuführen wurde von Ihnen als mangelhaft bewertet.

Insgesamt haben 7 von 22 (32%) der TeilnehmerInnen vom Online-Kurs an der Kenntnisprüfung teilgenommen, 6 (86%) davon haben die Prüfung bestanden. Zum Vergleich zu den 4 Präsenzkursen vorher, haben insgesamt 19 von 72 (26%) TeilnehmerInnen an der Kenntnisprüfung teilgenommen und 18 (95%) davon haben bestanden.


4. Diskussion

Rückmeldungen der TeilnehmerInnen zeigten eine eindeutige Präferenz zum Präsenz-Unterricht. Die TeilnehmerInnen ausländischer Herkunft zeichnen sich trotz ausreichender Deutschkenntnisse durch eine gewisse Sprachbarriere aus, die in einem telemedizinischen Setting zusätzlich die Kommunikation erschwert. Alle TeilnehmerInnen haben den Kurs als sehr sinnvoll in der Vorbereitung auf die Kenntnisprüfung empfunden.

Als Limitation sehen wir die fehlende schriftliche Evaluation. Unsere Schlussfolgerungen basieren nur auf den mündlichen Rückmeldungen der TeilnehmerInnen. Weiterhin wurde ein Lernzuwachs vor und nach dem Kurs nicht explizit gemessen.

Die niedrige Zahl der an der Prüfung teilgenommenen KandidatInnen liegt daran, dass die Terminvergabe der zuständigen Behörden Monate und manchmal mehr als ein Jahr dauert. Die Corona-Pandemie hat die Terminvergabe noch etwas verzögert. Trotz des Online-Formats hat sich aber die Erfolgsquote des Kurses nicht verschlechtert.

4.1. Wie haben die beteiligten Personen die Umstellung empfunden?
4.1.1. Die Sicht des Organisators

Die kurzfristige Umstellung auf den Online-Unterricht war zuerst eine Herausforderung, doch mit viel Engagement gut umsetzbar. Hierzu zählen unter anderem Aufstockung von Personal, Sicherung der technischen Hard- und Software, Umstellung der Ablaufpläne, Erstellung neuer Zeitpläne und gute Absprachen im Team.

4.1.2. Die Sicht der DozentInnen

Die Umstellung auf Online-Unterricht hat die Arbeit der DozentInnen nicht wesentlich verändert. Die Fallbesprechungen freitags konnten unproblematisch auch online durchgeführt werden, da die Fälle schon von den meisten DozentInnen als Power-Point-Präsentation vorbereitet worden war.

Als schwierig erwies sich das Erklären von körperlichen Untersuchungen. Trotz Einsatz von Videos und Power-Point-Präsentationen empfanden die Lehrenden die Vermittlung von praktischen Fertigkeiten als unbefriedigend.

4.1.3. Die Sicht der PsychologInnen

Durch das gemeinsame Miteinander an den Wochenenden vor der Corona-Pandemie entstand eine vertrauensvolle Lernatmosphäre. Hier gelang es, Themen wie ethisches, kulturelles und persönliches Handeln in der Arzt-Patienten-Beziehung aufzuzeigen und kollegial zu reflektieren. Dies wurde durch die Umstellung auf ein Online-Setting geschmälert. Stattdessen wurden Themen im Zusammenhang mit dem ärztlichen Auftreten in telemedizinischen Settings eingeübt und reflektiert. Darüber hinaus wurde allen schnell deutlich, dass die Kamera wie ein „Brennglas“ wirkt: Fehler in der Kommunikation mit den PatientInnen erschienen oft schnell sehr viel größer und schwerwiegender, als in „Live-Situationen“, da in denen der Fokus breiter ist.

4.1.4. Die Sicht der Schauspieler-TrainerInnen

Die Umstellung des direkten auf einen virtuellen Kontakt zwischen TeilnehmerInnen und SimulationspatientInnen lief unkompliziert ab, brachte aber eine Menge Grundsatzentscheidungen und Mehrarbeit mit sich. Das Umschrieben der Krankheitsbeschreibungen und die Vorbereitung eines kontaktlosen Einsatzes von SchauspielerInnen war zwar aufwändig, hat aber zu äußerst zufriedenstellenden Ergebnissen geführt, die den Weg für ein komplett virtuelles Semester gewiesen haben. Hier mussten im Hintergrund Grundsatzentscheidungen bezüglich der Dramaturgie und des Rollenschutzes getroffen werden, die nun die Basis der telemedizinischen Arbeit mit SimulationspatientInnen im Medizinstudium der Universität Münster geworden sind.

4.1.5. Sicht der TeilnehmerInnen

Für die TeilnehmerInnen war der Kurs eine Möglichkeit, ihr Wissen vor der Kenntnisprüfung zu strukturieren und zu erweitern. Besonders wichtig war das Arzt-Patient-Kommunikationstraining. Die Umstellung auf den Online-Unterricht in der Zeit des Lockdowns sei für sie die beste Lösung für ihre Prüfungsvorbereitung. Einen Ausfall des Kurses hätte für diejenigen, die gerade vor ihrem Kenntnisprüfungstermin standen, eine schlechtere Vorbereitung bedeutet.


5. Schlussfolgerung

Die schnelle Umstellung des Kurses von Präsenzunterricht mit Simulationspatienten-Interaktion auf Online-Veranstaltungen war möglich und erfolgreich. Die Erfahrung mit dieser Umstellung, vor allem die Umstellung des Unterrichtes mit den SimulationspatientInnen, diente als Vorlage für die erfolgreiche Etablierung des Online-Semesters der Medizinischen Fakultät des Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Welche Möglichkeiten in einem synchronen Live-Online-Unterricht bestanden, war im Vorfeld nicht bekannt.

In der Konsequenz dieses Kurses wurden in den Online-Lehrveranstaltungen mit SimulationspatientInnen die Fremdeinschätzungen in den beobachteten Szenen entlang der Core-EPAs eingeführt. Auch die Schulungen der BeobachterInnen wurden optimiert und inzwischen in einem E-Learning-Modul als Inverted-Classroom-Konzept implementiert.

Im Kursverlauf wurde sehr früh festgestellt, dass der Online-Unterricht bei der Übermittlung von praktischen Fertigkeiten an seine Grenzen stößt und dass genau diese Lehrveranstaltungen später im Planen und Durchführen schwierig sein werden. Diese Erkenntnisse haben der Fakultät die Möglichkeit gegeben, sehr früh mögliche Lösungen zu erstellen, wie z. B. Nutzung von Lernvideos zur Vermittlung von praktischen Fertigkeiten, damit das Sommersemester 2020 ohne große Verluste an Lehreinheiten durchgeführt werden konnte.


Erstautorenschaft

Die Autoren Zornitsa Shomanova und Helmut Ahrens teilen sich die Erstautorenschaft.


Förderung

Diese Arbeit wurde durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dem Europäischen Sozialfonds (Art. 8 (EG) Nr. 1828/2006) unter dem Förderkennzeichen 2019010337-11 unterstützt.


Danksagung

Danke an Lukas Lohschelder für das technische Layout.


Interessenkonflikt

Die AutorInnen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Bundesärztekammer. Gehen dem deutschen Gesundheitswesen die Ärzte aus? Ergebnisse der Ärztestatistik zum 31.12.2001. Berlin: Bundesärztekammer; 2006. Zugänglich unter/available from: https://web.archive.org/web/20111205141758/http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=0.3.1667.1697.1706 Externer Link
2.
Bundesärztekammer. Ausländische Ärztinnen und Ärzte. Berlin: Bundesärztekammer; 2019. Zugänglich unter/available from: https://www.bundesaerztekammer.de/ueber-uns/aerztestatistik/aerztestatistik-2019/auslaendische-aerztinnen-und-aerzte/ Externer Link
3.
Tolks D, Schäfer C, Raupach T, Kruse L, Sarikas A, Gerhardt-Szép S, Klauer G, Lemos M, Fischer MR, Eichner B, Sostmann K, Hege I. An Introduction to the Inverted/Flipped Classroom Model in Education and Advanced Training in Medicine and in the Healthcare Professions. GMS J Med Educ. 2016;33(3):Doc46. DOI: 10.3205/zma001045 Externer Link
4.
Association of American Medical Colleges (AAMC). Core Entrustable Professional Activities for Entering Residency. Curriculum Developers' Guide. Washington, DC: AAMC; 2014. Zugänglich unter/available from: https://store.aamc.org/downloadable/download/sample/sample_id/63/%20 Externer Link
5.
Chen HC, van den Broek WE, ten Cate O. The case for use of entrustable professional activities in undergraduate medical education. Acad Med. 2015;90(4):431-436. DOI: 10.1097/ACM.0000000000000586 Externer Link
6.
Association of American Medical Colleges (AAMC). Core Entrustable Professional Activities for Entering Residency. EPA 1 Toolkit: Gather a History and Perform a Physical Examination. Washington, DC: AAMC; 2017. Zugänglich unter/available from: https://www.aamc.org/media/20141/download Externer Link