gms | German Medical Science

GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

„AssistenzärztIn light?“ – Rückmeldungen von AbsolventInnen zum Praktischen Jahr

Artikel Evaluation

Suche in Medline nach

  • Alexandra Eichhorst - Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Kompetenzzentrum Evaluation in der Medizin BW, Freiburg/Breisgau, Deutschland
  • Kevin Kunz - Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Kompetenzzentrum Evaluation in der Medizin BW, Freiburg/Breisgau, Deutschland
  • corresponding author Marianne Giesler - Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Kompetenzzentrum Evaluation in der Medizin BW, Freiburg/Breisgau, Deutschland

GMS J Med Educ 2021;38(2):Doc44

doi: 10.3205/zma001440, urn:nbn:de:0183-zma0014402

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2021-38/zma001440.shtml

Eingereicht: 1. April 2020
Überarbeitet: 17. August 2020
Angenommen: 20. November 2020
Veröffentlicht: 15. Februar 2021

© 2021 Eichhorst et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Das Praktische Jahr (PJ) als letzter und zugleich längster Praxisabschnitt des Medizinstudiums in Deutschland ist entscheidend für den Erwerb und Ausbau ärztlicher Kernkompetenzen. Studien zeigen jedoch, dass die Ausbildungsbedingungen oftmals nicht optimal sind. Ziel der vorliegenden Studie war es, mehr über die Ausbildungsbedingungen im PJ zu erfahren, um ggfs. herauszufinden, wie das PJ verbessert werden kann. Hierzu wurden Freitextkommentare aus Absolventenbefragungen analysiert.

Methodik: Mit den Daten der Befragung von Freiburger Absolventinnen und Absolventen der Abschlussjahrgänge 2015/16 und 2016/17 wurde untersucht, welche Verbesserungsmöglichkeiten AbsolventInnen im Praktischen Jahr (PJ) sehen und von welchen Aspekten des PJ Absolventinnen und Absolventen der Humanmedizin bezüglich des Berufseinstiegs besonders profitieren konnten. Die Freitextkommentare zu den Fragen nach Verbesserungsmöglichkeiten sowie nach für den Berufseinstieg hilfreichen Aspekten des PJ der Freiburger Abschlussjahrgänge 2015/16 (N=88; Rücklauf 28%) und 2016/17 (N=112; Rücklauf 36%) wurden qualitativ-inhaltsanalytisch ausgewertet. Als Vergleichsbedingung wurden die Freitextkommentare von AbsolventInnen derselben Jahrgänge der anderen medizinischen Fakultäten Baden-Württemberg herangezogen.

Ergebnisse: Die Freitextkommentare der Freiburger Absolventinnen und Absolventen zu den beiden Fragen konnten jeweils 5 übergeordneten Kategorien zugeordnet werden. Am häufigsten ließen sich die Kommentare jeweils entweder der Kategorie „(Mehr) Selbstständiges Arbeiten wie ein/e Assistenzarzt/ärztin“ und „(Verstärkte) Förderung der PJ-Studierenden als Lernende“ einordnen. Rückblickend betrachtet, konnten Freiburger AbsolventInnen für den Berufseinstieg dementsprechend bereits von selbstständigem Arbeiten unter Supervision im PJ profitieren, sie sehen aber zugleich Raum für Verbesserungen des PJs und wünschen sich beispielsweise, verstärkt als Lernende wahrgenommen und gefördert zu werden. Die Auswertungen der Freitextkommentare derselben Abschlussjahrgänge von Absolventinnen und Absolventen anderer Standorte aus Baden-Württemberg erbrachten Ergebnisse, die mit denen der Freiburger Absolventinnen und Absolventen übereinstimmen.

Schlussfolgerung: Die Ergebnisse dieser Studie zeigen auf, wie die Ausbildungsbedingungen im PJ optimiert werden können. Beispielsweise sollen mehr Möglichkeiten zu selbstständiger Arbeit und Patientenbetreuung für PJlerInnen geschaffen werden, das Lehrangebot erweitert und gegebenenfalls an die Bedürfnisse der PJ-Studierenden angepasst werden. Darüber hinaus sollten PJ-BetreuerInnen besser geschult und für die Lehrtätigkeit freigestellt werden.

Schlüsselwörter: Praktisches Jahr, medizinische Ausbildung, Lernen am Arbeitsplatz, qualitative Analyse


Kernaussagen

  • Absolventinnen und Absolventen der Humanmedizin haben retrospektiv betrachtet am meisten profitiert vom selbstständigen, eigenverantwortlichen Arbeiten „Wie eine Assistenzärztin“ im PJ.
  • Absolventinnen und Absolventen fordern, auch im PJ als Lernende wahrgenommen und gefördert zu werden und wünschen sich mehr praxisorientierte Lehre.
  • Zugleich fordern Absolventinnen und Absolventen, künftigen PJ-Studierenden verstärkt die Möglichkeit zum selbstständigen, eigenverantwortlichen Arbeiten „Wie eine Assistenzärztin“ zu geben.
  • Die vorliegenden Ergebnisse zeigen konkret auf, welche Anforderungen junge Ärztinnen und Ärzte an die Optimierung des Kompetenzerwerbs im PJ haben und können dadurch zur Entwicklung neuer und dem Ausbau bestehender Maßnahmen zur Verbesserung des Kompetenzerwerbs im PJ beitragen (PJ-Betreuerschulung, interprofessionelle Ausbildungsstationen, Trainings- und Simulationszentren).

Einleitung

Das Praktische Jahr (PJ) ist der längste praktische Abschnitt des Studiums der Humanmedizin und stellt für das Erreichen der 2015 vom Medizinischen Fakultätentag (MFT) und der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA) im Nationalen Kompetenzorientierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM) ausgegebenen Ziele, nach denen das Medizinstudium in Deutschland kompetenzorientiert gestaltet werden soll, einen entscheidenden Ausbildungsschritt dar. Während der Ausbildung im PJ,

[...] in deren Mittelpunkt die Ausbildung am Patienten steht, sollen die Studierenden die während des vorhergehenden Studiums erworbenen ärztlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten vertiefen und erweitern. Sie sollen lernen, sie auf den einzelnen Krankheitsfall anzuwenden. Zu diesem Zweck sollen sie entsprechend ihrem Ausbildungsstand unter Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des ausbildenden Arztes ihnen zugewiesene ärztliche Verrichtungen durchführen. (Approbationsordnung für Ärzte ÄApprO, 02.08.2013).

Aus den wenigen bisher durchgeführten Studien geht jedoch hervor, dass PJ-Studierende nicht immer mit den Bedingungen im PJ zufrieden sind. Viele arbeiten, wie die Ergebnisse einer Befragung des Marburger Bundes [1] zeigen, häufig bis 50 Stunden pro Woche und verrichten in dieser Zeit oftmals nichtärztliche Tätigkeiten. Zudem fühlen sich manche PJlerinnen und PJler nicht angemessen betreut. Ein Grund hierfür ist die starke Auslastung der Betreuenden, die kaum Zeit für eine angemessene Betreuung der PJlerInnen lässt. Diese Ergebnisse finden sich auch in weiteren Studien [2], [3]. Auch in der Online-Petition des BvMD „für ein faires PJ“ aus dem Jahr 2018 [4] werden die Rahmenbedingungen kritisiert. In dieser Petition wird daher eine Verbesserung der Lehr- und Lernbedingungen im PJ gefordert mit festgelegten wöchentlichen Mindestzeiten für Lehre und Selbststudium.

Vor diesem Hintergrund war es Ziel der vorliegenden Studie, mehr darüber zu erfahren, welche Ausbildungsbedingungen im PJ aus der Sicht der Absolventinnen und Absolventen dazu beigetragen haben, dass sie sich gut auf ihren Beruf vorbereitet fühlten, und welche Verbesserungsmöglichkeiten sie sehen. Hierzu wurden Daten aus AbsolventInnenbefragungen analysiert. Diese Befragungen stellen eine wertvolle Methode dar, die Qualität und die Rahmenbedingungen des Studiums der Humanmedizin zu überprüfen und falls erforderlich zu verbessern [5].


Methoden

Fragebogen

Die im Rahmen des BMBF-Projektes MERLIN (Medical education research – Lehrforschung im Netz Baden-Württemberg) durchgeführten Befragungen der Absolventinnen und Absolventen des Studiums der Humanmedizin an der Universität in Freiburg erfolgen ca. 1,5 Jahre nach Studienabschluss. Mit 49 Fragen werden der berufliche Werdegang, die Zufriedenheit der Absolventinnen und Absolventen im Beruf, die retrospektive Beurteilung des Studiums sowie die Selbsteinschätzung der Kompetenzen erfasst. Zum PJ werden unter anderem folgende offenen Fragen gestellt:

  • Welche Aspekte im PJ haben besonders dazu beigetragen, dass Sie sich gut auf Ihren Beruf vorbereitet gefühlt haben? sowie „
  • Welche Aspekte im PJ empfehlen Sie zu verändern, so dass künftige Ärzte noch besser auf ihren Beruf vorbereitet sind?

Zur Auswertung der offenen Fragen zum PJ herangezogen wurden die Daten der Abschlussjahrgänge 2015/16 sowie 2016/17, da in diesen Jahrgängen erstmals die beiden genannten offenen Fragen Teil des Fragebogens waren. Die Teilnehmenden hatten sowohl die Möglichkeit postalisch als auch online an der Befragung teilzunehmen.

Stichprobe

Zur Auswertung wurden die Daten der Absolventinnen und Absolventen der Abschlussjahrgänge 2015/2016 und 2016/2017 aller medizinischen Fakultäten Baden-Württembergs herangezogen. Die Ergebnisse von Freiburger Absolventinnen und Absolventen der Humanmedizin, die an den freiwilligen AbsolventInnenbefragungen teilgenommen haben (NFR_Jg.15/16=88; NFR_Jg.16/17=112) wurden mit den zusammengefassten Ergebnissen der vier weiteren Medizinischen Fakultäten Baden-Württembergs verglichen (NVG_Jg.15/16=293; NVG_Jg.16/17=224). Die Rücklaufquoten liegen bei 29% bzw. 36%. Weitere Eckdaten der befragten Freiburger Kohorten sowie der Vergleichsgruppe sind nach Jahrgang aufgeschlüsselt in Tabelle 1 [Tab. 1] dargestellt.

Qualitative Auswertung der Freitextantworten

Die Freitextkommentare zu den Fragen nach Verbesserungsmöglichkeiten sowie nach für den Berufseinstieg hilfreichen Aspekten des PJs der Freiburger Abschlussjahrgänge 2015/16 und 2016/17 wurden kategorisiert und qualitativ-inhaltsanalytisch nach Mayring [6] ausgewertet. Hierbei wurden aus den Antworten der offenen Fragen induktiv Kernkategorien gebildet, die die zentralen Motive zusammenfassen und die Daten strukturieren. Hierdurch wurden die einzelnen Antworten zu Typologien verdichtet, über die auch verallgemeinerbare, also quantitative Aussagen über Häufigkeitsverteilungen getroffen werden konnten. Die zu einer Kategorie zusammengefassten Daten weisen nach außen, verglichen mit Daten anderer Kategorien, eine möglichst große und innerhalb einer Kategorie eine möglichst geringe Unterschiedlichkeit auf.


Ergebnisse

Kategorienbildung mittels qualitativer Inhaltsanalyse

Die Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse umfassen die gebildeten Kategorien sowie die prozentuale Verteilung der Nennungen auf die Kategorien und Subkategorien.

Bei der Frage 1: Welche Aspekte im PJ haben besonders dazu beigetragen, dass Sie sich gut auf Ihren Beruf vorbereitet gefühlt haben? haben 122 der 200 an der Befragung teilgenommenen Freiburger AbsolventInnen einen Kommentar abgegeben.

Fünf Hauptkategorien konnten aus dem Datensatz gebildet werden:

  • Selbstständig arbeiten wie ein/e Assistenzarzt/ärztin: Die Kommentare der AbsolventInnen bringen zum Ausdruck, den größtmöglichen Kompetenzerwerb immer dann erlebt zu haben, wenn selbstständiges, eigenverantwortliches Arbeiten unter kompetenter Supervision ermöglicht wurde. Beispiel: „Eigene Patienten betreuen und dies dann mit einem erfahrenen Assistenzarzt oder Oberarzt besprechen.“
  • In der Rolle als Lernende wahrgenommen und gefördert zu werden: Hier wurden die Kommentare der AbsolventInnen zusammengeführt, in denen die Lehre und/oder Betreuung im PJ als positiv für den Erwerb von berufsspezifischen Kompetenzen hervorgehoben wurde. Beispiel: „Viel klinische Arbeit, viel Patientenkontakt, begleitende Seminare zur Vertiefung der klinisch erworbenen Kenntnissen“.
  • Struktur und Organisation des PJ: In dieser Kategorie sind Kommentare der AbsolventInnen zu einem gelungenen Ablauf des PJs zusammengeführt, z.B. Zufriedenheit mit der Möglichkeit des Fachwahls. Beispiel: „Rotation durch verschiedene Abteilungen, engagierte einzelne Assistenzärzte“.
  • Wenig/Nichts: In dieser Kategorie sind alle Kommentare der AbsolventInnen zusammengefasst, in denen das PJ als eine überwiegend negative Erfahrung bewertet wird, die nicht dazu beigetragen hat, sie auf das Berufsleben vorzubereiten. Beispiel: „…insgesamt (war das) PJ für mich sehr wenig hilfreich, im Wesentlichen verschwendete Zeit“.
  • Sonstiges: Diese Kategorie wurden alle Kommentare der AbsolventInnen zusammengeführt, die keiner der anderen übergeordneten Kategorien oder deren Subkategorien eindeutig zuzuordnen waren. Beispiel: „Übernahmeangebot nach PJ“.

Zur Frage 2: Welche Aspekte im PJ empfehlen Sie zu verändern, so dass künftige Ärzte noch besser auf ihren Beruf vorbereitet sind? haben 103 der 200 Freiburger AbsolventInnen einen Kommentar abgegeben.

Diese Kommentare konnten vier Hauptkategorien zugeordnet werden, die größtenteils denen von Frage 1 ähneln:

  • Selbstständiger arbeiten „wie ein/e Assistenzarzt/ärztin“: In dieser Kategorie sind alle Kommentare der AbsolventInnen zusammengeführt, die zum Ausdruck bringen, im PJ zu wenig Spielraum für eigenverantwortliches Arbeiten (wie eine Ärztin/ein Arzt) gehabt zu haben; oft bei gleichzeitiger Einstufung des eigenverantwortlichen Arbeitens als optimaler Weg des Kompetenzerwerbs im PJ. Beispiel: „Mehr selbstständige Patientenbetreuung“ „Übertragung von Kernaufgaben eines Arztes im Alltag mit ständiger Supervision!“
  • PJ-Studierende stärker in Ihrer Rolle als Lernende wahrnehmen und fördern: Die Kommentare der AbsolventInnen dieser Kategorie bringen zum Ausdruck, dass sich die jeweiligen AbsolventInnen wünschen, verstärkt als Lernende wahrgenommen zu werden, z.B. durch mehr praxisorientierte Lehre im PJ. Beispiel: „PJler als Lernenden einzusetzen und nicht nur als verfügbare Arbeitskraft (insbesondere in den Fachbereichen Innere Medizin und Chirurgie)“.
  • Struktur und Organisation des PJ verbessern: In dieser Kategorie sind die Kommentare der AbsolventInnen zu bestehenden Hindernissen für einen gelungenen Ablauf des PJs, Feedbackprozess sowie Vorschläge zur Verbesserung der Organisationsstrukturen zusammengeführt. Beispiel: „Angemessene Vergütung; Position/ansehen des PJlers im Team; Selbstbestimmte zeitliche Einteilung der Tertiale (z.B. Interessierte in Chirurgie können 4 Monate Chirurgie machen und nur 2 Monate Innere oder so?)“
  • Sonstiges: In dieser Kategorie sind alle Kommentare der AbsolventInnen zusammengeführt, die keiner der Kategorien eindeutig zuzuordnen waren. Beispiel: „…faire + gleichwertige mündliche Prüfungen nach PJ“.

Inhaltsanalytisch konnten aus den Antworten zur Frage 1 nach positiven Aspekten des PJs 13 Subkategorien bestimmt werden. Die Antworten zur Frage 2 nach Verbesserungsvorschlägen für das PJ wurden 17 Subkategorien zugeordnet. In Tabelle 2 [Tab. 2] sind die jeweiligen Subkategorien aufgeführt, die zu den genannten übergeordneten Kategorien gebildet wurden:

Verteilung der Antworten auf die Kategorien

Zu der Frage, welche Aspekte des PJ beim Berufsstart geholfen haben (Frage 1), geben über die Hälfte (N=117) der Absolventinnen und Absolventen positive Kommentare ab. Etwa genauso groß ist der Anteil der Absolventinnen und Absolventen, die sich zu konkreten Verbesserungsvorschlägen (Frage 2) äußern (N=103).

Da pro Freitextfeld Mehrfachantworten möglich waren, d.h. Nennungen von Schlagworten, die in mehreren (Haupt-) Kategorien verortet werden können, übersteigt die Anzahl der Schlagwort-Nennungen die Anzahl der abgegebenen Freitextkommentare. Daher beziehen sich die Prozentangaben der statistischen Auswertungen im Folgenden immer auf die Zahl der Schlagwort-Nennungen der jeweiligen Kategorie und nicht auf die Zahl der abgegebenen Freitextkommentare. In Tabelle 3 [Tab. 3] sind die Anzahl der Schlagwort-Nennungen sowie die Anzahl der Freitextkommentare für die beiden untersuchten Fragen nach Jahrgang differenziert für Freiburg und die Vergleichsgruppe aufgeführt.

Auf die Frage, welche Aspekte im PJ besonders hilfreich für den Berufseinstieg waren (Frage 1), entfielen mit 148 von 236 Schlagwort-Nennungen (63%), relativ gesehen die meisten Antworten, in die Kategorie Selbstständiges Arbeiten wie ein/e Assistenzarzt/ärztin (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Auf die Frage nach Verbesserungsvorschlägen für das PJ (Frage 2) ließen sich etwa die Hälfte der Freitextkommentare (99 von 204 Nennungen) der Kategorie PJlerInnen stärker in Ihrer Rolle als Lernende wahrnehmen und fördern zuordnen, mit 36% der Nennungen am zweithäufigsten wurde der Wunsch genannt, im PJ bereits selbstständiger „wie ein/e Assistenzarzt/ärztin“ arbeiten zu können (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). 12% der Nennungen zu der Frage nach positiven Aspekten des PJ (Frage 1) entfielen auf die Kategorie Struktur und Organisation des PJ“, (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]) und 14% der Nennungen zur Frage 2 nach Verbesserungsvorschlägen in die Kategorie Struktur und Organisation des PJ verbessern (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). Lediglich 2% der Absolventinnen und Absolventen beantwortete die Frage, welche Aspekte im PJ besonders hilfreich für den Berufseinstieg waren, mit „Nichts“ bzw. „Wenig“ (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

In den Abbildung 3 [Abb. 3] und Abbildung 4 [Abb. 4] ist die Verteilung der Antworten (Anzahl der Schlagwort-Nennungen) auf die einzelnen Subkategorien dargestellt. Hierbei ist erwähnenswert, dass zu beiden Fragen relativ gesehen, die meisten Antworten in die Subkategorie (mehr) eigenverantwortliches Arbeiten sowie „(verstärkte) Wahrnehmung und Förderung als Lernende fallen. Während angegeben wurde, eigenständiges Arbeiten habe besonders zur Berufsvorbereitung beigetragen, wünschen sich AbsolventInnen für künftige PJlerInnen vor allem, verstärkt als Lernende wahrgenommen zu werden. Besonders häufig wurde hierbei der Wunsch genannt, weniger zu Lasten der klinischen Ausbildung für Routinetätigkeiten wie Blutentnahmen eingesetzt zu werden und insgesamt intensiver und kontinuierlicher durch zuständige Lehrärztinnen und -ärzte betreut zu werden.

Eine Auswertung der Schlagwort-Nennungen zu den beiden Fragen der Vergleichsgruppe bestätigte weitestgehend die Ergebnisse der Freiburger Kohorte (siehe Tabelle 4 [Tab. 4]).


Diskussion

Ziel dieser Studie war es, mehr über die Ausbildungsbedingungen im PJ zu erfahren, um u.U. Verbesserungen für das PJ ableiten zu können. Zu diesem Zweck wurden die im Rahmen von AbsolventInnenbefragungen auf zwei auf das PJ bezogene Fragen erhaltene Freitextkommentare inhaltsanalytisch ausgewertet. Die Fragen bezogen sich auf Aspekte, die beim Berufsstart geholfen haben und auf konkrete Vorschläge, die dabei helfen können, das PJ zu verbessern.

Die Ergebnisse zeigen, dass Absolventinnen und Absolventen sich für künftige PJ-Studierende wünschen, vermehrt eigenverantwortlich unter Supervision arbeiten zu können. Wie eine „Assistenzärztin light“, so der Freitextkommentar einer Absolventin. Zugleich wird im Einklang damit selbstständiges Arbeiten und die Betreuung eigener PatientInnen bereits im PJ retrospektiv als besonders wertvoll für den Kompetenzerwerb und ärztlichen Berufseinstieg beurteilt. Der Wunsch, ärztliche Kernkompetenzen im Rahmen des PJ verstärkt durch eigenständiges, supervidiertes Patientenmanagement auszubauen, wurde bereits im Rahmen zweier qualitativer Studien mit PJ-Studierenden an zwei Baden-Württembergischen Standorten [2], [7] und einer kleinen Kohorte Studierender aus dem PJ und dem Blockpraktikum Allgemeinmedizin [3] berichtet. Entsprechend der im Rahmen dieser Studie dargestellten Ergebnisse, wonach Absolventinnen und Absolventen retrospektiv eine mangelnde Wahrnehmung und Förderung der Studierenden als Lernende während des PJs beklagen, berichten Schrauth et al. [2] ähnliche Resultate. Demnach bemängeln PJ-Studierende besonders den Zeitmangel seitens der betreuenden Ärztinnen und Ärzte, einhergehend mit mangelndem Feedback, mangelnder Lehre sowie einer zu starken Auslastung durch Routinetätigkeiten. Ähnliches wurde als Ergebnis einer Interview-Studie mit Heidelberger PJ-Studierenden berichtet [7]: Übermäßiger Einsatz für Routineaktivitäten sowie mangelnde Integration ins Team wurden von den Studierenden als Auslöser für Stress und als Hindernis in der professionellen Weiterentwicklung identifiziert. Insgesamt unterstützen die Ergebnisse der genannten Studien die erhobenen Ergebnisse der vorliegenden Studie. Daraus abgeleitet, ergibt sich die Notwendigkeit, Maßnahmen zur Förderung des eigenverantwortlichen Arbeitens zur Verbesserung des ärztlichen Kompetenzerwerbs im PJ zu entwickeln.

Zur Qualitätsverbesserung und Optimierung des Kompetenzerwerbs im PJ wurden in den letzten Jahren in Deutschland einige Projekte ins Leben gerufen: Dem Wunsch der PJ-Studierenden, verstärkt als Lernende wahrgenommen zu werden, wurde an den Medizinischen Fakultäten in Baden-Württemberg im Rahmen des MERLIN-Projekts durch die Einführung regelmäßig stattfindender PJ-BetreuerInnenschulungen und/bzw. der Verteilung eines Manuals für PJ-BetreuerInnen begegnet [https://www.merlin-bw.de/publikationen/manual-fuer-pj-betreuer.html]. Entsprechend dem von AbsolventInnen geäußerten Wunsch nach mehr Feedback durch PJ-Betreuerende wurden in Freiburg ebenfalls im Rahmen des MERLIN-Projekts Feedbackinformationskarten im Kitteltaschenformat sowie ein Feedbackmanual als Handreichungen für Lehrende und Studierende entwickelt. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena wird im Rahmen des Programms „PJ Plus“ durch eine kontinuierliche mentorielle Begleitung der Studierenden der Erwerb ärztlicher Kernkompetenzen unterstützt [https://www.uniklinikum-jena.de/studiendekanat/PJPLUS.html]. Des Weiteren ermöglichen es Pilotprojekte, wie beispielsweise die Heidelberger Interprofessionelle Ausbildungsstation HIPSTA in der Allgemein- und Viszeralchirurgie [8] sowie das Freiburger Pilotprojekt IPAPÄD (Interprofessionelle Ausbildungsstation in der Pädiatrie am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin Freiburg) [9] PJ-Studierenden gemeinsam mit Auszubildenden der Pflege selbstständig eine ganze Station unter oberärztlicher Supervision zu koordinieren und ermöglicht den PJ-Studierenden dadurch ein Arbeiten wie eine Assistenzärztin bzw. ein Assistenzarzt im interprofessionellen Team.

Um vermehrt eigenverantwortlich unter Supervision arbeiten zu können, ist auch das von Kadmon et al. [10] für das Fach Chirurgie exemplarisch erarbeitete curriculare Konzept zukunftsweisend. Mit dem Modell der „anvertraubaren professionellen Aktivitäten“ (APT) sollen Studierende im PJ Handlungskompetenz erwerben, indem ihnen „professionelle Arbeitseinheiten“, die als Aufgabenbereiche definiert sind, unter der Voraussetzung übertagen werden, dass sie ausreichend Kompetenzen zu ihrer Erfüllung gezeigt haben. Um die Patientensicherheit und damit die rechtlichen Bedingungen zu gewährleisten, sind es im PJ in der Regel die APTs, deren Leistungsniveaus auf der Ebene 2 (APT darf unter enger Supervision durchgeführt werden) und 3 (APT darf unter Supervision auf Abruf durchgeführt werden) angesiedelt sind. Kadmon et al. weisen jedoch auch darauf hin, dass es im PJ komplett delegationsfähige Handlungen gibt,

„…die über die einfache psychomotorische Fertigkeit hinausgehen und Zeitmanagement, Patientenkommunikation und Arbeit im Team verlangen und bis zum Leistungsniveau 4 durchlaufen werden sollen, weil sie zu Beginn der Weiterbildung auf einem selbständigen Niveau vorausgesetzt werden.“ (S. 6)

Die meisten der hier beschriebenen Ansätze zur Erhöhung der Eigenverantwortlichkeit und damit der Verbesserung der Handlungskompetenz der PJlerinnen und PJler verlangen den Einsatz von motivierten und geschulten ärztlichen Betreuerinnen und Betreuern. Doch bereits unter den bisherigen Bedingungen können die für die Betreuung zuständigen Ärztinnen und Ärzte ihren Betreuungsauftrag meist wegen hoher Arbeitsbelastung nicht nachkommen. Hier sind, wie Schrauth et al [2] in ihrer Studie hervorheben, „tiefgreifende politische Maßnahmen zur Sicherung des institutionellen Auftrages der Universitätsklinika und Lehrkrankenhäuser vonnöten“ (S.173).

Besonderheiten und Einschränkungen dieser Studie

Auffällig ist, dass in dieser Studie die mangelnde Betreuung nicht so häufig wie in den zitierten Studien thematisiert wurde. Dies kann u.a. an der schriftlichen Form der Erhebung im Vergleich zu den in beiden zitierten Studien durchgeführten Fokusgruppeninterviews liegen. Aber auch der Wortlaut der beiden Fragen könnte hierfür verantwortlich sein. Die Fragen wurden bewusst positiv formuliert, um die üblichen kurzen Rückmeldungen zu den Erfahrungen im PJ wie „mehr Praxis“ oder „bessere Betreuung“ zu vermeiden und stattdessen aussagekräftigere Rückmeldungen zu erhalten.

Auch ist zu berücksichtigen, dass die Freitextkommentare zwar von Freiburger Absolventinnen und Absolventen stammen, sie lassen aber nur bedingt Rückschlüsse auf die Rahmenbedingungen des PJ am Studienstandort Freiburg zu. Unsere Auswertungen zeigen, dass die befragten Absolventinnen und Absolventen nicht zwangsläufig alle ihrer Tertiale an Kliniken der Heimatuniversität verbracht haben: 76% der Freiburger Kohorte haben einen Teil des PJ im Ausland verbracht. Um die Vergleichbarkeit der erhobenen Daten in Bezug auf das PJ zu überprüfen, wurden die AbsolventInnenbefragungen für andere Standorte in Baden-Württemberg ebenfalls nach der gleichen Fragestellung und Methode ausgewertet und den Freiburger Ergebnissen gegenübergestellt. Dabei wurden die gleichen Kategorien identifiziert. Die Ergebnisse der Vergleichsgruppe weichen kaum von den Ergebnissen der Freiburger Absolventinnen und Absolventen ab (siehe Tabelle 4) und weisen damit auf eine hohe Generalisierbarkeit der Freiburger Ergebnisse hin.

Im Hinblick auf die Aussagekraft dieser Studie ist zu vermerken, dass die Ergebnisse der vorliegenden Studie mittels qualitativer Inhaltsanalyse von Freitextantworten von Freiburger AbsolventInnen der Humanmedizin erhoben wurden. Eine mögliche Einschränkung dieser Auswertung liegt in der Subjektivität der Kategorienbildung. Da durch eine weitere ärztliche Mitarbeiterin ebenfalls induktiv mit hoher Übereinstimmung ähnliche Kategorien gebildet wurden und ähnliche Kategorien auch in anderen qualitativen Studien zum PJ identifiziert wurden [2], [3], [7], gehen wir dennoch von einer gewissen Generalisierbarkeit der Ergebnisse aus. Des Weiteren haben in den zwei ausgewerteten Jahrgängen von den insgesamt 200 Teilnehmenden, die bereits etwa lediglich ein Drittel der Absolventinnen und Absolventen repräsentieren, nicht alle auch die Freitextfragen beantwortet. Es lässt sich nicht ausschließen, dass hier eine Ergebnisverzerrung durch einen Selektionsbias vorliegt, da möglicherweise diejenigen AbsolventInnen, die sich zum einen Zeit für die Teilnahme an der Befragung und zusätzlich für das Ausfüllen der Freitexte nahmen, nicht unbedingt den Durchschnitt der angeschriebenen Gesamt-Kohorte repräsentieren. Dadurch lässt sich eine grundsätzliche Verzerrung der Daten nicht ausschließen, was bei der Frage nach Generalisierbarkeit berücksichtigt werden sollte.


Schlussfolgerung

Die Auswertung zeigt, dass die Freiburger AbsolventInnen rückblickend zum Zeitpunkt des Berufsstarts bereits von selbstständigem Arbeiten unter Supervision im PJ profitieren konnten. Gleichzeitig sehen die AbsolventInnen Raum für Verbesserungen des PJs und wünschen sich, verstärkt als Lernende wahrgenommen und gefördert zu werden. Diese Ergebnisse können zur Entwicklung und zum Ausbau von Maßnahmen zur Verbesserung des Kompetenzerwerbs im PJ beitragen indem beispielsweise für PJlerInnen mehr Möglichkeiten zu selbstständiger Arbeit und Patientenbetreuung unter ärztlicher Supervision geschaffen werden und gleichzeitig PJ-Betreuende in Ihrer Rolle als Lehrende gezielt gestärkt und geschult werden. Dies würde aber gleichzeitig bedeuten, dass den PJ-Betreuenden mehr Zeit für die Betreuung eingeräumt wird.


Förderung

Die Befragungen der Absolventinnen und Absolventen wurden im Rahmen des BMBF-geförderten Verbundprojekts MERLIN (Medical Education Research – Lehrforschung im Netz BW) der Medizinischen Fakultäten Freiburg, Heidelberg, Mannheim, Ulm und Tübingen unter Federführung des Standortes Freiburg durchgeführt. Die Daten und Auswertungen zu diesem Artikel stammen vom Standort Freiburg; Förderzeichen: 01Pl12011B.


Ethik

Die Forschung wurde gemäß der Deklaration von Helsinki durchgeführt und von der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg genehmigt (446/16). Alle Teilnehmenden wurden schriftlich über den Verlauf der Studie aufgeklärt und erklärten ihre Einwilligung. Die Teilnahme war freiwillig. Keinerlei individuelle Daten der Teilnehmenden werden in der vorliegenden Studie berichtet.


Danksagung

Wir danken unseren Kooperationspartnerinnen und -partnern im Rahmen des MERLIN-Projekts der Medizinischen Fakultäten in Heidelberg, Mannheim, Tübingen und Ulm für die Beteiligung und die gute Zusammenarbeit bei den Befragungen der Absolventinnen und Absolventen. Unser besonderer Dank gilt auch den Absolventinnen und Absolventen für die Teilnahme an der Befragung.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Laschet H. MB-Umfrage. PJler fühlen sich oft als Lückenbüßer. Ärztezeitung. 2018. Zugänglich unter/available from: https://www.aerztezeitung.de/Wirtschaft/PJler-fuehlen-sich-oft-als-Lueckenbuesser-231816.html Externer Link
2.
Schrauth M, Weyrich P, Kraus B, Jünger J, Zipfel S, Nikendei C. Lernen am späteren Arbeitsplatz: Eine Analyse studentischer Erwartungen und Erfahrungen im "Praktischen Jahr". Z Evid Fortbild Qual Gesundheitswesen. 2009;103(3):169-174. DOI: 10.1016/j.zefq.2008.05.005 Externer Link
3.
Kruschinski C, Hummers-Pradier E, Eberhard J, Schmiemann G. "In der Funktion als Arzt": Erwartungen an das PJ Allgemeinmedizin aus Sicht von Studierenden. Z Evid FortbildQual Gesundheitswesen. 2012;106(2):101-109. DOI: 10.1016/j.zefq.2010.01.002 Externer Link
4.
bvmd. Petition für ein faires PJ. Berlin: bvmd. Zugänglich unter/available from: https://www.bvmd.de/unsere-arbeit/projekte/praktisches-jahr/petition-fuer-ein-faires-pj/ Externer Link
5.
Jungbauer J, Kamenik C, Alfermann D, Brähler E. Wie bewerten angehende Arzte rückblickend ihr Medizinstudium? Gesundheitswesen. 2004;66(1):51-56. DOI: 10.1055/s-2004-812705 Externer Link
6.
Mayring P. Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken. 12 ed. Weinheim: Beltz Pädagogik; 2015.
7.
Moczko TR, Bugaj TJ, Herzog W, Nikendei C. Perceived stress at transition to workplace: a qualitative interview study exploring final-year medical students' needs. Adv Med Educ Pract. 2016;7:15-27. DOI: 10.2147/AMEP.S94105 Externer Link
8.
Interprofessionelles Training auf Station. Heilberufe. 2017;69(11):61. DOI: 10.1007/s00058-017-3109-8 Externer Link
9.
Peters S, Bode S, Straub C. Interprofessionelle Ausbildungsstation in der Pädiatrie am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin Freiburg: Grenzen überwinden - zusammen lernen und arbeiten (IPAPÄD). JuKip. 2018;07(04):173-174. DOI: 10.1055/a-0635-2650 Externer Link
10.
Kadmon M, Ganschow P, Gillen S, Hofmann HS, Braune N, Johannink J, Kühn P, Buhr HJ, Berberat PO. Der kompetente Chirurg. Brückenschlag zwischen der Ausbildung im Praktischen Jahr und der chirurgischen Weiterbildung. Chirurg. 2013;84:859-868. DOI: 10.1007/s00104-013-2531-y Externer Link