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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Digitalisierung von Präsenzveranstaltungen im Rahmen der COVID-19-Pandemie – die Perspektive der Lehrenden

Kurzbeitrag Lehrende

  • corresponding author Marc Gottschalk - Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Universitätsklinik für Kardiologie und Angiologie, Magdeburg, Deutschland
  • author Katrin Werwick - Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Magdeburg, Deutschland
  • author Christian Albert - Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Universitätsklinik für Kardiologie und Angiologie, AG Lehre in der Kardiologie, Magdeburg, Deutschland; MVZ Potsdam, Diaverum Renal Services, Potsdam, Deutschland
  • author Soenke Weinert - Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Universitätsklinik für Kardiologie und Angiologie, Magdeburg, Deutschland
  • author Alexander Schmeißer - Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Universitätsklinik für Kardiologie und Angiologie, Magdeburg, Deutschland
  • author Philipp Stieger - Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Universitätsklinik für Kardiologie und Angiologie, AG Lehre in der Kardiologie, Magdeburg, Deutschland
  • author Ruediger C. Braun-Dullaeus - Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Universitätsklinik für Kardiologie und Angiologie, Magdeburg, Deutschland

GMS J Med Educ 2021;38(1):Doc30

doi: 10.3205/zma001426, urn:nbn:de:0183-zma0014264

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2021-38/zma001426.shtml

Eingereicht: 31. Juli 2020
Überarbeitet: 14. Oktober 2020
Angenommen: 24. November 2020
Veröffentlicht: 28. Januar 2021

© 2021 Gottschalk et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Durch die COVID-19-Pandemie wurde ein Großteil medizinischer Präsenzveranstaltungen aus Gründen des Seuchenschutzes unmöglich. Lehrende mussten kurzfristig auf online-Lehrveranstaltungen ausweichen. Der damit verbundene Entwicklungsschub digitaler Lehrmethoden, wie z.B. online-Unterricht, hat Veränderungen vorweggenommen, die teilweise einer Etablierung gleichkommen. In dieser Studie werden Erfahrungen und Effekte im Zuge dieser Veränderungen aus Sicht der Lehrenden untersucht.

Methodik: Wir führten zehn leitfadengestützte anonymisierte E-Mail-Interviews mit Lehrenden der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg durch. Es wurden Fragen zu den Themenkomplexen Vor- und Nachteile, Lehrerleben und Zukunft digitaler Lehre gestellt. Die Auswertung erfolgte qualitativ nach Mayring.

Ergebnisse: Die Einschätzungen zur Digitalisierung von Präsenzveranstaltungen ließen sich durch die induktiv gebildeten Kategorien „soziale Aspekte“, „methodische Aspekte“, „institutionelle Aspekte“, „technische Aspekte“ sowie „zeitlich-räumliche Aspekte“ beschreiben. Es zeigten sich in diesen besonders die Sorge um mangelnden persönlichen Austausch, zeitlich-räumliche Vorteile, technische Barrieren und Uneinigkeit über die zukünftige Rolle digitaler Lehre.

Schlussfolgerung: Im Rahmen der COVID-19-Pandemie wurden Präsenzveranstaltungen durch online-Unterricht ersetzt, dieser ist aktuell akzeptierter Bestandteil des Studiums. Die Ergebnisse zeigen, dass Lehrende die umfassende ad-hock-Digitalisierung theoretischer Lehrveranstaltungen gut umsetzen konnten, wenngleich vorbekannte Problemfelder aggravierten. Weiterhin muss eine grundlegende Auseinandersetzung mit der zukünftigen Rolle digitalisierter Lehrveranstaltungen in der medizinischen Ausbildung stattfinden.

Schlüsselwörter: Online-Lehrveranstaltungen, Lehre, COVID-19, Pandemie


1. Einleitung

Durch die COVID-19-Pandemie wurden viele medizinische Präsenzveranstaltungen aus Gründen des Seuchenschutzes [1] unmöglich. Es mussten in kurzer Zeit am Campus Magdeburg Lösungen entwickelt werden, die in ein bis dahin unerwartetes Angebot digitalisierter Lehrveranstaltungen mündeten. Nach Abschluss dieser-Veranstaltungen offenbaren sich Veränderungen der medizinischen Ausbildung. Die Diskrepanz zwischen unlängst dominierenden traditionellen Lehrveranstaltungen und nun etablierten online-Veranstaltungen ist der bisher geringen Präsenz digitaler Lehrangebote im deutschsprachigen Raum geschuldet. Bis zur Notwendigkeit aufgrund der Pandemiebestimmungen wurde der ausbleibende Entwicklungsschritt mit mangelnder Infrastruktur, begrenzten zeitlichen Ressourcen und fehlender institutioneller Unterstützung begründet [2], [3]. Über das Erleben der Umstellung auf digitale Formate aus Sicht der Lehrenden ist nur wenig bekannt. Ziel der Arbeit ist, die Erfahrungen der Lehrenden mit dieser neuen Situation zu beschreiben und ihre Effekte abzuschätzen.


2. Methodik

Wir führten nach Abschluss des Sommersemesters 2020 zehn anonymisierte leitfadengestützte Experteninterviews [4], [5] mit Lehrenden der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke Universität-Magdeburg durch. Diese erfolgten im Rahmen der Kontaktbeschränkungen als E-Mail-Interviews [6]. Die Lehrenden beantworteten einen vorgefertigten Leitfaden schriftlich, welcher sich aus offenen Fragen zu den Themenkomplexen Vor- und Nachteile, Lehrerleben und Zukunft digitaler Lehrveranstaltungen zusammensetzte. Das Material wurde qualitativ nach Mayring [7] analysiert und in ein induktiv gebildetes Kategoriensystem überführt. Zur Verbesserung der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit nutzten wir eine Forschungswerkstatt [8], [9] bestehend aus oben aufgeführten Autoren zur Interpretation des Materials (siehe Anhang 1 [Anh. 1]).


3. Ergebnisse

Aus den gewonnenen Aussagen der Befragten wurden fünf Kategorien induktiv gebildet (vgl. Tabelle 1 [Tab. 1]). Mit Blick auf „zeitlich-räumliche Aspekte“ beschrieben die Lehrenden positive Erfahrungen bezüglich Unabhängigkeit von Ort, Zeitpunkt sowie die Möglichkeit zur Individualisierung der Lernumgebung. Hinsichtlich „technischer Aspekte“ äußerten sie zwar Enthusiasmus für die Anwendung neuer Technologien, beklagten aber Einschränkungen von Hard- und Software. Probleme sahen viele Lehrende bezüglich des Fehlens direkter, persönlicher Interaktion, was sie als verunsichernd und frustrierend erlebten. Gleichzeitig sahen sie aber Potential im ortsunabhängigen Austausch. Bezüglich „methodischer Aspekte“ beschrieben die Lehrenden theoretische Veranstaltungen als geeignet für eine Digitalisierung. Praktika und Unterricht am Krankenbett wurden kritisch gesehen. Bei Betrachtung „institutioneller Aspekte“ fielen neben der Forderung nach mehr Unterstützung unterschiedliche Sichtweisen auf: Während einige Dozierende digitale Lehrveranstaltungen als Ergänzung eines weiterhin primär präsenzbasierten Studiums sahen, antizipierten andere nachhaltige Veränderungen der medizinischen Fakultäten mit erhöhten digitalen Lehranteilen, äußerten aber auch die Befürchtung, dass dies zu Lasten des akademischen Austausches gehen könnte (vgl. Tabelle 1 [Tab. 1]).


4. Diskussion

Mit den aufgrund Seuchenschutzvorgaben einhergegangenen Einschränkungen mussten in der Lehre neue Wege beschritten werden. Eine Lösung lag in der kurzfristigen Etablierung von online-Lehrveranstaltungen. Aus Sicht der Lehrenden vollzog sich damit eine Entwicklung, die traditionelle akademische Vorstellungen neubewerten lässt. Lehrende erlebten die Praktikabilität und Flexibilität von digitalisierten Lehrveranstaltungen als vorteilhaft, gleichzeitig bemängelten sie aber fehlenden persönlichen Austausch und technische Barrieren.

Die zeitlich-räumlichen Vorteile sind anschlussfähig an Ruiz [10] und wurden durch die flächendeckende Implementierung besonders deutlich. Technische Probleme und mangelnde Unterstützung wurden bereits als Barrieren für eine Weiterentwicklung digitaler Lehrformate identifiziert [3], aggravierten aber durch die in der Pandemie steigenden Bedarfe. Während Lehrende Formate wie Vorlesungen als gut digitalisierbar wahrnahmen, gab es bezüglich der Umsetzung von Seminaren und Praktika Bedenken hinsichtlich mangelnder Interaktivität. Die Vielzahl von publizierten Pilotprojekten [11], [12], die Hinweise zur Optimierung geben könnten, wurden aber nur von wenigen Lehrenden berücksichtigt. Mit Blick auf institutionelle Herausforderungen und die zukünftige Rolle digitaler Lehrveranstaltungen wurden bereits in der Vergangenheit Initiativen zur Koordinierung der Digitalisierung des Medizinstudiums gefordert [13], aktuell zeigt sich aber noch immer Uneinigkeit bezüglich des zukünftigen Umgangs mit digitalen Lehrangeboten. Um die medizinische Ausbildung effektiv zu verbessern, ist daher eine über den Umfang dieser Arbeit hinausgehende Betrachtung der Perspektive der Lehrenden und Studierenden notwendig. Die Erkenntnisse dieser Arbeit können hierbei als Grundlage dienen.

Zu den Limitationen dieser Studie zählt die kleine Zahl der Interviews, welche die Generalisierung der Ergebnisse einschränkt [8]. Die Methodik der E-Mail-Interviews wurde zur Kontaktreduktion gewählt, ein Informationsverlust [6] wurde zum Seuchenschutz in Kauf genommen. Ein bereits validierter Leitfaden konnte aufgrund der Neuartigkeit der Fragestellung nicht eingesetzt werden.


5. Schlussfolgerung

Im Rahmen der Covid-19-Pandemie wurden Präsenzveranstaltungen durch online-Unterricht ersetzt, dieser ist aktuell akzeptierter Bestandteil des Studiums. Die Ergebnisse zeigen, dass Lehrende die flächendeckende ad-hoc-Digitalisierung theoretischer Lehrveranstaltungen umsetzen konnten. Wenngleich bekannte Problemfelder im Rahmen der Krise aggravierten, sind die Vorteile unbestreitbar. Letztlich ist eine weitergehende Auseinandersetzung Lehrender mit der zukünftigen Rolle digitaler Lehrveranstaltungen in der medizinischen Ausbildung angezeigt.


Beiträge der Autoren

Alle Autoren haben entsprechend den Kriterien des International Committee of Medical Journal Editors [http://www.icmje.org/recommendations/browse/roles-and-responsibilities/defining-the-role-of-authors-and-contributors.html] substanzielle Beiträge zu Konzeption, Design und Analyse der Studie geleistet. Forschungsidee RCBD und PS. PS und KW entwarfen den Fragenkatalog. MG und PS akquirierten die Interviewdaten und werteten diese aus. MG und CA fertigten den ersten Entwurf des Manuskriptes an. Alle Autoren nahmen an der Interpretation der Daten im Rahmen einer Forschungswerkstatt sowie an der kritischen Überarbeitung der Veröffentlichung teil und lieferten wesentliche inhaltliche Beiträge. Alle Autoren akzeptierten die Verantwortung für den gesamten Inhalt und haben ihre finale Zustimmung zu der eingereichten Manuskriptversion gegeben.


Primärdaten

Die während der aktuellen Studie generierten und/oder analysierten Datensätze sind auf begründete Anfrage bei den Autoren erhältlich.


Danksagung

Wir bedanken uns bei allen teilnehmen Lehrenden, sowie allen beteiligten Studierenden.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Robert Koch Institut. Coronavirus SARS-CoV-2 - COVID-19: Optionen für Maßnahmen zur Kontaktreduzierung. Berlin: Robert Koch Institut; 2020. Zugänglich unter/available from: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Kontaktreduzierung.html Externer Link
2.
O'Doherty D, Dromey M, Lougheed J, Hannigan A, Last J, McGrath D. Barriers and solutions to online learning in medical education - an integrative review. BMC Med Educ. 2018;18(1):130. DOI: 10.1186/s12909-018-1240-0 Externer Link
3.
O'Doherty D, Lougheed J, Hannigan A, Last J, Dromey M, O'Tuathaigh C, McGrath D. Internet skills of medical faculty and students: is there a difference? BMC Med Educ. 2019;19(1):39. DOI: 10.1186/s12909-019-1475-4 Externer Link
4.
Hitzler R, Eberle T. Phänomenologische Lebensweltanalyse. In: Flick U, editor. Qualitative Forschung: Ein Handbuch. 11. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verl.; 2015. p.117.
5.
Hopf C. Qualitative Interviews - Ein Überblick. In: Flick U, editor. Qualitative Forschung: Ein Handbuch. 11. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verl.; 2015. p.353.
6.
Hunt N, McHale S. A practical guide to the e-mail interview. Qual Health Res. 2007;17(10):1415-1421. DOI: 10.1177/1049732307308761 Externer Link
7.
Mayring P. Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken. 12., überarb. Aufl. Weinheim: Beltz; 2015.
8.
Steinke I. Gütekriterien qualitativer Forschung. In: Flick U, editor. Qualitative Forschung: Ein Handbuch. 11. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verl.; 2015. p.319-332.
9.
Riemann G. Zur Bedeutung von Forschungswerkstätten in der Tradition von Anselm Strauss. Mittagsvorlesung. In: 1. Berliner Methodentreffen Qualitative Forschung. Berlin: 24-25. Juni 2005. Berlin: Freie Universität Berlin; 2005. Zugänglich unter/available from: https://berliner-methodentreffen.de/wp-content/uploads/2020/07/riemann_2005.pdf Externer Link
10.
Ruiz JG, Mintzer MJ, Leipzig RM. The impact of E-learning in medical education. Acad Med. 2006;81(3):207-212. DOI: 10.1097/00001888-200603000-00002 Externer Link
11.
Kuhn S, Frankenhauser S, Tolks D. Digitale Lehr- und Lernangebote in der medizinischen Ausbildung: Schon am Ziel oder noch am Anfang? Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz. 2018;61(2):201-209. DOI: 10.1007/s00103-017-2673-z Externer Link
12.
Back DA, Behringer F, Haberstroh N, Ehlers JP, Sostmann K, Peters H. Learning management system and e-learning tools: an experience of medical students' usage and expectations. Int J Med Educ. 2016;7:267-273. DOI: 10.5116/ijme.57a5.f0f5 Externer Link
13.
Haag M, Igel C, Fischer MR. Digital Teaching and Digital Medicine: A national initiative is needed. GMS J Med Educ. 2018;35(3):Doc43. DOI: 10.3205/zma001189 Externer Link