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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

TIP – Training intensivmedizinischer Unterstützung im Pandemie-Fall

Kurzbeitrag Intensivmedizin

  • corresponding author B. Lütcke - Universitätsklinikum Erlangen, Klinik für Anästhesiologie, Simulations- und Trainings-Zentrum, Erlangen, Deutschland
  • J. Günther - Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Medizinische Fakultät, SkillsLab PERLE, Erlangen, Deutschland
  • J. Köhnen - Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Medizinische Fakultät, SkillsLab PERLE, Erlangen, Deutschland
  • A. Puchinger - Universitätsklinikum Erlangen, Klinik für Anästhesiologie, Simulations- und Trainings-Zentrum, Erlangen, Deutschland
  • A. Schmidt - Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Medizinische Fakultät, SkillsLab PERLE, Erlangen, Deutschland

GMS J Med Educ 2021;38(1):Doc23

doi: 10.3205/zma001419, urn:nbn:de:0183-zma0014196

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2021-38/zma001419.shtml

Eingereicht: 17. Juni 2020
Überarbeitet: 6. Dezember 2020
Angenommen: 8. Dezember 2020
Veröffentlicht: 28. Januar 2021

© 2021 Lütcke et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Die COVID-19-Pandemie hat zu einem kurzfristig stark erhöhten Bedarf an Hilfskräften in Notaufnahmen und auf Intensivstationen geführt. Vor diesem Hintergrund haben studentische TutorInnen der Medizinischen Fakultät Erlangen ein Schulungskonzept entwickelt. Ziel war es, Studierende im klinischen Abschnitt schnell und effektiv mit Fertigkeiten vertraut zu machen, die in einem klinischen Einsatz als (studentische) Hilfskraft bei der Betreuung von Corona-Patienten besonders wichtig sind (z.B.: persönliche Schutzausrüstung, Intubationsassistenz, arterielle Blutentnahme, Beurteilung von Blutgaswerten und Beatmungsparametern).

In einem Blended Learning-Konzept wurden Lernmaterialien vorab bearbeitet und in einer Präsenzphase praktisch umgesetzt und vertieft. Durch die Auswahl der Lernmaterialien und den niedrigen Betreuungsschlüssel (1:2) konnte ein binnendifferenzierter Ansatz realisiert werden. Das Angebot stieß auf großes Interesse bei den Studierenden aller klinischen Semester und wurde sehr positiv evaluiert. Die erlernten Fertigkeiten sind auch unabhängig von einer Pandemie breit einsetzbar.

Schlüsselwörter: COVID-19, peer-teaching, Binnendifferenzierung, Eigenschutz


Einleitung

COVID-19 hat vor allem die MitarbeiterInnen aus dem medizinischen Sektor vor neue bis dahin wenig bekannte Herausforderungen gestellt. Medizinisches Wissen ändert sich in einer bis dahin nicht wahrgenommenen Geschwindigkeit. Gerade noch aktuelle Behandlungskonzepte werden verworfen und in aktualisierter Form ersetzt [1].

Das Ziel des Projektes ist es, Medizinstudierenden verschiedener Semester zügig Pandemie-bedingte Basisfertigkeiten zur Versorgung von Coronapatienten für den Einsatz als Hilfskraft zu vermitteln. Ein Vorbild für TIP war der Einsatz Medizinstudierender während der Polio-Epidemie 1952/53 in Kopenhagen [2], [3]. Für TIP werden Medizinstudierende aus allen Fachsemestern rekrutiert, so dass der Ausbildungsstand der Teilnehmenden sehr inhomogen ist. Zudem werden gerade praktische Fertigkeiten innerhalb der verschieden Abschnitte des Studiums (Pflegepraktikum, Famulaturen, Praktika, PJ) sehr inhomogen vermittelt.


Projektbeschreibung

Unter diesem Hintergrund wurde von den studentischen TutorInnen des Skills Lab PERLE (Praxis ERfahren und LErnen) und des Simulations- und Trainingszentrum Anästhesie (STZ) ein Basis-Schulungs-Konzept für Studierende entwickelt. Das Ziel ist, diese im Rahmen einer Pandemie kurzfristig für die Unterstützung zur Patientenversorgung einsetzen zu können. Der Fokus dieses Trainingskonzeptes liegt auf Fertigkeiten, die in der aktuellen Situation in der Notaufnahme und im intensivmedizinischen Bereich gebraucht werden. Die vermittelten Skills sind natürlich auch außerhalb einer Pandemie hilfreich, um zum Beispiel kritisch kranke PatientInnen zu identifizieren.

Die studentischen TutorInnen identifizierten in Zusammenarbeit mit intensivmedizinischem Personal 8 Fertigkeiten, die für die Unterstützung wichtig sein können und für den Selbstschutz von MitarbeiterInnen wichtig sind. Diese Fertigkeiten werden im medizinischen Curriculum überwiegend theoretisch und auch nicht systematisch vermittelt.

TIP (Training Intensivmedizinischer Unterstützung im Pandemiefall) baut auf ein Blendend Learning-Konzept, in dem die KursteilnehmerInnen vorab Lernmaterialien bearbeiten, um diese Inhalte anschließend in der praktischen Präsenzphase anzuwenden und zu vertiefen. Für das praktische Training bekommen die Teilnehmenden eine Entscheidungs- und Gedächtnishilfe (Kitteltaschenkarte), um den Fokus auf das Erlernen und Einüben der praktischen Fertigkeiten zu lenken und die Entwicklung prozeduralen Wissens zu unterstützen. Ein weiterer Aspekt bei der Erstellung des Kurskonzeptes liegt in einer zeitlich optimierten, qualitativ exzellenten Präsenzphase.


Methoden

In dem Vorab-Lernmodul setzen sich die Studierenden mit verschiedenen Themen auseinander:

  • Aktuelle COVID-19-Informationen: Fokus Infektionsweg, Inkubationszeit, Symptomatik, Diagnostik, Komplikationen, Therapie
  • Beatmungsparameter: Fokus Tidalvolumen, AMV, etCO2, PIP, PEEP, BIPAP, Beatmung bei ARDS
  • Blutgasanalyse: Fokus Normwerte

Für die Vertiefung der Themen wird weitere Fachliteratur vorgeschlagen und zur Eigenrecherche motiviert. Mit diesen Maßnahmen soll ein homogenerer Wissenstand zu Beginn des praktischen Trainings der Studierenden aus verschiedenen Fachsemestern im Sinne eines binnendifferenzierten Ansatzes [4] erreicht werden.

Das praktische Training erfolgt an 6 Stationen und umfasst vier Stunden. Zwei Teilnehmende werden an jeder Station im Rotationsprinzip durch einen Instruktor/Tutor geschult. Die Einhaltung der Abstandsregeln ist dadurch problemlos umsetzbar.

Auf die basishygienischen Aspekte (soziale Distanz, Mund-Nasen-Schutz, Hände Desinfektion) wird bei der Einführung in den Trainingsparcours (Station 0) hingewiesen. Während des gesamten Trainings liegt das Augenmerk der TutorInnen auch auf der korrekten Durchführung dieser Aspekte.

An den weiteren Stationen werden folgende Fertigkeiten vermittelt:

  • Schutzkleidung, An- und Ablegen (= „Donning/Doffing“ – mit und ohne Buddy)
  • Intubationsassistenz (Vorbereitung)
  • Nasopharyngeale Probegewinnung zur COVID-19-Testung
  • Arterielle Blutentnahme aus Arterienkatheter
  • Arterielle Punktion am Punktionstrainer
  • Umgang mit Perfusoren und Vorbereitung von Katecholaminen (Verdünnung)
  • Basics zu Beatmung und Blutgasanalyse (Alarm-Station; erkennen kritischer Situationen)

An den Stationen (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]) wird zuerst das Vorwissen durch die vom Intensivpersonal umfassend geschulten TutorInnen erfragt. Die Skills werden dann binnendifferenziert vermittelt, Studierende mit weniger Vorkenntnissen bekommen eine Basisausbildung, Studierende mit mehr Vorkenntnissen erweiterte Informationen zu den Skills. Alle haben die Möglichkeit, die praktischen Fertigkeiten durch mehrfache Übung zu vertiefen. Neben der verbalen Vermittlung werden auch Filmsequenzen und Bilderreihen und Elemente des 4-Step-Aproaches [5] eingesetzt.

Die Kitteltaschenkarte kann während des Trainings als Entscheidungs- und Gedächtnishilfe angewendet werden und enthält Informationen und Hinweise zu:

  • An und Ablegen von Schutzkleidung
  • Blutentnahme aus arteriellem Katheter
  • Blutgasanalyse
  • Arterielle Punktion
  • Intubationsassistenz
  • Vorbereitung von Katecholaminen (Aufziehen/Konzentrationen)

Umsetzung

An 12 Kurstagen wurden 72 Studierende mit „TIP“ geschult (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). Alle Teilnehmenden haben ihre Eindrücke in einem frei formulierten Feedback (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]) reflektiert. Die TutorInnen haben ebenso Ihre Erfahrungen und Eindrücke in einem Feedback dargestellt. Die Rückmeldungen wurden zur Optimierung des Kursablaufes und der Kursinhalte genutzt. Zusammenfassend ist die Auswahl der Stationen und der Inhalte sehr positiv aufgenommen worden. Sowohl die Vorbereitung auf den Kurs als auch die Umsetzung an den jeweiligen Stationen wurde als zielgerichtet erlebt. Die Hygieneaspekte und der damit verbundene Eigenschutz wurden als wichtige Inhalte wahrgenommen, auch im Hinblick auf weitere Infektionslagen oder für die Versorgung von aus anderen Gründen hygienisch isolierten PatientInnen. Eine Nachbetrachtung, wie die geschulten Fertigkeiten zur Unterstützung von intensivmedizinischem Personal im praktischen Einsatz angewendet wurden, konnte noch nicht erfolgen. Aufgrund der angespannten Gesamtsituation ging es primär um die Evaluation der Umsetzbarkeit des Konzeptes.


Diskussion und Resümee

Durch die geringe Anzahl an COVID-19 Erkrankten am Universitätsklinikum Erlangen im Verlauf der Pandemielage konnte TIP nicht sein volles Leistungsspektrum zeigen. Die aktuelle Situation und das resultierende Trainingsprogramm zeigen, dass Aspekte des Eigenschutzes und der Hygiene im Medizinstudium besser repräsentiert und praktisch trainiert werden müssen. Auch außerhalb einer Pandemie-Situation sind die im TIP trainierten Fertigkeiten essentielle Fertigkeiten im Studierenden- bzw. Berufsalltag. Zum Beispiel ist der Kontakt zu isolierten Patienten (VRE, MRSA) in Famulaturen und weiteren klinischen Einsätzen keine Seltenheit. Ein korrekter Umgang mit der persönlichen Schutzausrüstung schützt hier vor der Verbreitung von kritischen Keimen.

Mit dem Kurskonzept wurde eine Möglichkeit geschaffen, Fertigkeiten im PEER-Teaching zu vermitteln und intensivmedizinisches Personal von Schulungsmaßnahmen für Unterstützungskräfte zu entlasten.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Windisch W, Weber-Carstens S, Kluge S, Rossaint R, Welte T, Karagiannidis C. Invasive and non-invasive ventilation in patients with COVID-19. Dtsch Arztebl Int. 2020;117(31-32):528-533. DOI: 10.3238/arztebl.2020.0528 Externer Link
2.
Andersen EW, Ibsen B. The Anaesthetic Management of Patients with Poliomyelitis and Respiratory Paralysis. Br Med J. 1954;1:786-788. DOI: 10.1136/bmj.1.4865.786 Externer Link
3.
Burchardi H. Wie alles begann: Die Ibsen-Story. How it started: The Ibsen story. DIVI. 2010;505(1):1.
4.
Wissenschaftsrat. Empfehlungen zur Differenzierung der Hochschulen. Dresden: Wissenschaftsrat; 2010. p.45-46. Zugänglich unter/available from: https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/10387-10.html?v=3 Externer Link
5.
Münster T, Stosch C, Hindrichs N, Franklin J, Matthes J. Peyton's 4-Steps-Approach in comparsion: Medium - term effects on learning external chest compression - a pilot study. GMS J Med Educ. 2016;33(4):Doc60. DOI: 10.3205/zma001059 Externer Link