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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Soziale Distanzierung in fortgeschrittenen Notfallmedizinkursen – kann das funktionieren?

Kurzbeitrag Notfallmedizin

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  • Robert Gintrowicz - Charité Universitätsmedizin Berlin, Prodekanat für Studium und Lehre, Berlin, Deutschland
  • Klemens Pawloy - Charité Universitätsmedizin Berlin, Prodekanat für Studium und Lehre, Berlin, Deutschland
  • corresponding author Antje Degel - Charité Universitätsmedizin Berlin, Med. Klinik für Kardiologie, Campus Benjamin Franklin, Berlin, Deutschland; Charité Universitätsmedizin Berlin, Prodekanat für Studium und Lehre, Berlin, Deutschland

GMS J Med Educ 2021;38(1):Doc22

doi: 10.3205/zma001418, urn:nbn:de:0183-zma0014188

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2021-38/zma001418.shtml

Eingereicht: 31. Juli 2020
Überarbeitet: 15. Oktober 2020
Angenommen: 24. November 2020
Veröffentlicht: 28. Januar 2021

© 2021 Gintrowicz et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Einführung: Die Coronavirus-Pandemie machte in diesem Sommersemester Präsenzunterricht praktisch unmöglich. Viele Veranstaltungen wurden in E-Learning-Formate umgewandelt. Aber nicht alle Lerninhalte und -ziele lassen sich ohne weiteres in den digitalen Raum übertragen.

Projektskizze: Der Unterricht in der Notfallmedizin stützt sich auf praktisches Simulationstraining. Deshalb mussten wir einen Maßnahmenkatalog erarbeiten, der es uns ermöglicht, Simulationstraining für Advanced Life Support anzubieten.

Zusammenfassung der Arbeit: Strenge Hygienevorschriften einschließlich der regelmäßigen Desinfektion der Hände, des durchgehenden Tragens persönlicher Schutzausrüstung und der Desinfektion der Ausrüstung wurden umgesetzt. Die Gruppengröße und die Anzahl der Mitarbeiter wurden reduziert. Feste Studierendenteams in Begleitung desselben Dozierenden wurden eingeführt. Es wurden nur noch große Räume mit guter Belüftung verwendet. Unter diesen Bedingungen durften wir die Schlüsselsimulationen zum Advanced Life Support durchführen. Andere Inhalte mussten auf Online-Plattformen übertragen werden.

Diskussion: Unter Beachtung der allgemeinen Hygieneberatung und unter Verwendung persönlicher Schutzausrüstung wurde ein zentrales Cluster von Simulationen durchgeführt. Die Studierenden und das Personal hielten sich problemlos an die Regeln. Es wurden keine Infektionen innerhalb der Fakultät oder der Studentenschaft gemeldet.

Schlussfolgerung: Es scheint vertretbar zu sein, Kernsimulationen unter streng hygienischen Bedingungen durchzuführen.

Schlüsselwörter: Notfallmedizin, Simulation, COVID-19, Hygienestandards, Blended Learning


Einführung

Der Beginn des Sommersemesters 2020 wurde aufgrund der Coronavirus-Pandemie verschoben und der Unterricht danach meist in Fernformate umgewandelt [1]. Einige Formate können jedoch in digitaler Form mit den gleichen qualitativen Ergebnissen nicht angeboten werden. Notfallmedizin wird in der Regel in Simulationen gelehrt [2], [3], [4], [5]. Das Training der Kombination aus technical und non-technical Skills, Teamarbeit, Führung und Crew-Ressourcenmanagement lässt sich mit E-Learning-Formaten nicht leicht kompensieren, wie für Unterricht ohne Simulationen hinsichtlich der Zufriedenheit der Lernenden und der Prozessfertigkeiten unterlegen war [6]. Der European Resuscitation Council (ERC) empfiehlt Vor-Ort-Simulationen mit anschließender Nachbesprechung für das Training psychomotorischer Fertigkeiten und non-technical Skills im Rahmen des Advanced Life Support (ALS) [7]. Das kognitive Lernen von Hintergrundinformationen kann und wurde vom ERC erfolgreich in das digitale Lernen übertragen.


Projektskizze

Der Notfallmedizin-Kurs im 10. Semester umfasst in der Regel 16 Simulationen mit 90 bis 180 Minuten Dauer, die die Bereiche Innere Medizin, traumatische, neurologische, pädiatrische und geburtshilfliche Notfälle für unsere 319 Medizinstudierenden abdecken (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Sechs dieser Simulationen werden interdisziplinär gelehrt (Anästhesiologie, Innere Medizin, Traumatologie), eine wird mit Hilfe von zwei Simulationspatienten unterrichtet, zwei werden im Tandem von einem klinischen Lehrer und einem studentischen Tutor durchgeführt und sieben werden von einem einzigen klinischen Lehrer unterrichtet. In diesen Simulationen werden neun Studierende in Untergruppen eingeteilt, die im Team Notfallszenarien durchspielen müssen. Dies fordert einen engen persönlichen Kontakt und schwere körperliche Arbeit im Falle von Herzkompressionen. Dies entsprach nicht den Regeln der sozialen Distanzierung, wie sie vom Bundesministerium für Gesundheit verordnet wurden [8]. Wir mussten daher Alternativen für die Durchführung der Simulationen mit Schwerpunkt auf die technical und non-technical Skills finden, um diese vor Ort durchführen zu dürfen, sowie eine digitale theoretische Unterstützung mit Hintergrundinformationen entwickeln.


Zusammenfassung der Arbeit

Der Mindeststandard in der Notfallmedizin wurde entsprechend der Lernziele des Advanced Life Support festgelegt, wie sie vom Europäischen Wiederbelebungsrat benannt wurden. Ein ALS-Zertifikat ist in vielen europäischen Gesundheitssystemen eine Grundvoraussetzung für die medizinische Praxis. Daher mussten die neun Simulationen, die diese Inhalte umfassen, an die erforderlichen hygienischen Standards angepasst werden [9]. In Basic Life Support (BLS) wurde Compression-only-CPR unterrichtet, wobei der präpandemische Algorithmus zu Ausbildungszwecken angewendet wurde (letzter Kurs vor dem Abschluss). Der modifizierte Algorithmus für COVID-19 für Laien (ERC) [10] und medizinische Fachkräfte (American Heart Association) [11] wurde online angeboten. Die Probleme im Zusammenhang mit der Notfallbehandlung von Patienten mit Infektionskrankheiten oder unbekanntem Infektionsstatus wurden in dieser Sitzung vorgestellt und in allen folgenden Simulationen wiederholt. Die anderen acht Simulationskurse, die sich z.B. auf Trauma, Geburtshilfe oder Ethik konzentrierten, wurden in Online-Vorlesungen und Seminare mit Videofällen übertragen. Semesterevaluation und Kursauswertung wurden angeboten.

In Zusammenarbeit mit dem Institut für Hygiene und der Arbeitsgruppe COVID-19 haben wir die folgenden Regeln aufgestellt:

1.
Lernen in kleinen Gruppen (nicht mehr als neun) mit nur einem einzigen Lehrer (kein Kontakt zwischen verschiedenen Kliniken) in allen Sitzungen.
2.
Einlass zum Unterricht für Studenten und Lehrer nur nach Händedesinfektion und Tragen einer Gesichtsmaske während der gesamten Dauer der Veranstaltung.
3.
Für die Dauer des gesamten Kurses (alle neun Simulationen) wurden drei feste Studierenden-Untergruppen definiert, innerhalb dieser Gruppen waren die Individuen von sozialer Distanzierung (bei dauerhaftem Tragen von Masken und Handschuhen) befreit, was Wiederbelebungsbemühungen in den Simulationen ermöglichte. Zwischen den Untergruppen wurde ein Mindestabstand von 2 Metern eingehalten.
4.
Der Abstand zwischen Studierenden und Dozierenden betrug zu jeder Zeit mehr als 2 Meter.
5.
Es wurden nur große Schulungsräume (35-45 m2) mit vielen Fenstern zur Luftzirkulation verwendet. Einige Sitzungen (falls inhaltlich zutreffend, z.B. Basic Life Support) wurden im Freien im Innenhof abgehalten. Die Fenster wurden während der gesamten Sitzung offen gehalten (warme Temperaturen erlaubten dieses Vorgehen).
6.
Manikins und Ausrüstung wurden zwischen den Szenarien gemäß den Richtlinien desinfiziert.
7.
Die Räume wurden zwischen den Sitzungen gemäß den Richtlinien desinfiziert.
8.
Mund-zu-Mund-Beatmung war in den BLS-Klassen nicht erlaubt.
9.
Diese Maßnahmen wurden allen Teilnehmern per E-Mail mitgeteilt, in allen Räumen und den Sälen wurden Poster angebracht.
10.
Zwei Mitarbeiter des Simulationszentrums überwachten die Einhaltung der Maßnahmen.

Studierende und Dozierende hielten die genannten Hygienemaßnahmen bereitwillig ein. Die Leistungsmotivation war hoch, die Teilnehmer waren froh, ALS trainieren zu können. Das ständige Tragen von Gesichtsmasken und Handschuhen, die Desinfektion von Puppe und Ausrüstung schreckte nicht von der Teilnahme ab. Alle Studierenden wurden einmal vor und zweimal nach den Simulationskursen getestet. Unter den Studenten der ALS-Klassen wurden keine SARS-CoV-2-Infektionen festgestellt.

Die Übertragung der Szenarien in den digitalen Raum war angesichts der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit eine Herausforderung. Daher wurden für einige Themen, wie z.B. Pädiatrie, professionelle Videofälle verwendet, während für andere Fälle selbst entwickelt wurden.

Die Semesterbewertung wurde von 22 von 319 Studierenden zurückgegeben, die Kursauswertung wurde von 156 von 319 Studierenden abgeschlossen. Beide Auswertungen zeigten, dass viele Studierende insgesamt froh waren, dass sie trotz der Pandemie an dem Kurs teilnehmen konnten. 86% bewerteten den Notfallkurs mit „ausgezeichnet“ oder „gut“, das ist etwas weniger als in den vorangegangenen Semestern (im Durchschnitt etwa 90-95% für diese Evaluation). Kritik an der Übertragung von Vor-Ort-Simulationen in das Online-Lernen, insbesondere ohne Online-Seminar oder Videovorlesungen, wurde von 3 der 22 Studierenden in der Semesterevaluation, 29 von 156 Studierenden in der Kursevaluation, geäußert.


Diskussion

Wir schlagen einen Maßnahmenkatalog vor, wie Präsenzveranstaltungen mit Teamarbeit in enger räumlicher Nähe unter COVID-19-Bedingungen durchgeführt werden könnten. Natürlich gibt es keinen absoluten Ausschluss des Ansteckungsrisikos [9]. Da keiner unserer 319 Studenten positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurde, scheint die Einhaltung der Hygienestandards, die Verwendung von Gesichtsmasken und Handschuhen sowie die Arbeit mit festen Teams eine gangbare Alternative zu sein, um den Studenten das dringend benötigte Simulationstraining in der Notfallmedizin anbieten zu können. Aktuelle Themen zu hygienischen Überlegungen in Notfallsituationen können in bereits bestehende Fälle implementiert werden.

Die Übertragung von Veranstaltungen in das Online-Lernen muss sorgfältig abgewogen werden, da Notfallkurse stark auf den Erwerb von Fertigkeiten, die Übungsmöglichkeiten bei der Anwendung auf Simulationsfälle sowie auf die Schulung und Nachbesprechung von non-technical Skills angewiesen sind [7]. Bloßer Wissenserwerb reicht nicht aus. Daher werden neue - wahrscheinlich gemischte - Formate erforderlich sein, um diesen Bedürfnissen ebenso wie den pandemischen Einschränkungen gerecht zu werden.


Schlussfolgerung

Strenge Hygienemaßnahmen können während des Simulationsunterrichts eingehalten werden und ermöglichen so die Durchführung notfallmedizinischer Schulungen, wie durch negative Ergebnisse von Kohorten-Tests gezeigt wird.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Der Regierende Bürgermeister - Senatskanzlei Wissenschaft und Forschung. Aktuelle Informationen zu Corona-Maßnahmen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen - Berlin.de. Berlin: Der Regierende Bürgermeister; 2020. Zugänglich unter/available from: https://www.berlin.de/sen/wissenschaft/aktuelles/news/2020/artikel.908920.php#Sommersemester Externer Link
2.
McLaughlin SA, Doezema D, Sklar DP. Human simulation in emergency medicine training: A model curriculum. Acad Emerg Med. 2002;9(11):1310-1318.
3.
Small SD, Wuerz RC, Simon R, Shapiro N, Conn A, Setnik G. Demonstration of high-fidelity simulation team training for emergency medicine. Acad Emerg Med. 1999;6(4):312-323.
4.
Steadman RH, Coates WC, Huang YM, Matevosian R, Larmon BR, McCullough L, Ariel D. Simulation-based training is superior to problem-based learning for the acquisition of critical assessment and management skills. Crit Care Med. 2006;34(1):151-157. DOI: 10.1097/01.CCM.0000190619.42013.94 Externer Link
5.
Wayne DB, Didwania A, Feinglass J, Fudala MJ, Barsuk JH, McGaghie WC. Simulation-based education improves quality of care during cardiac arrest team responses at an academic teaching hospital: A case-control study. Chest. 2008;133(1):56-61. DOI: 10.1378/chest.07-0131 Externer Link
6.
Mundell WC, Kennedy CC, Szostek JH, Cook DA. Simulation technology for resuscitation training: a systematic review and meta-analysis. Resuscitation. 2013;84(9):1174-1183. DOI: 10.1016/j.resuscitation.2013.04.016 Externer Link
7.
Greif R, Lockey AS, Conaghan P, Lippert A, De Vries W, Monsieurs KG, Education and implementation of resuscitation section Collaborators; Collaborators. European Resuscitation Council Guidelines for Resuscitation 2015: Section 10. Education and implementation of resuscitation. Resuscitation. 2015;95:288-301. DOI: 10.1016/j.resuscitation.2015.07.032 Externer Link
8.
Bundesministerium für Gesundheit. Coronavirus SARS-CoV-2: Chronik der bisherigen Maßnahmen. Berlin: Bundesministerium für Gesundheit; 2020. Zugänglich unter/available from: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/coronavirus/chronik-coronavirus.html Externer Link
9.
Ma QX, Shan H, Zhang HL, Li GM, Yang RM, Chen JM. Potential utilities of mask-wearing and instant hand hygiene for fighting SARS-CoV-2. J Med Virol. 2020.
10.
German Resuscitation Council. Reanimation durch Ersthelfer in Zeiten von COVID-19. Berlin: German Resuscitation Council; 2020. Zugänglich unter/available from: https://www.grc-org.de/files/ArticleFiles/document/Reanimation%20durch%20Ersthelfer%20in%20Zeiten%20von%20COVID-19_%C3%BCberarbeitet.pdf Externer Link
11.
American Heart Association. ACLS Cardiac Arrest Algorithm for Supspected or Confirmed COVID-19 Patients. Dallas, TX: American Heart Association; 2020. Zugänglich unter/available from: https://cpr.heart.org/-/media/cpr-files/resources/covid-19-resources-for-cpr-training/english/algorithmacls_cacovid_200406.pdf?la=en Externer Link