gms | German Medical Science

GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Authentische SP-basierte Lehre trotz COVID-19 – ist das möglich?

Kurzbeitrag Kommunikation

Suche in Medline nach

  • corresponding author Lilly Hartmann - Universität Heidelberg – Medizinische Fakultät Mannheim, Mannheim, Deutschland
  • author Jens J. Kaden - Universität Heidelberg – Medizinische Fakultät Mannheim, Mannheim, Deutschland
  • author Renate Strohmer - Universität Heidelberg – Medizinische Fakultät Mannheim, Mannheim, Deutschland

GMS J Med Educ 2021;38(1):Doc21

doi: 10.3205/zma001417, urn:nbn:de:0183-zma0014178

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2021-38/zma001417.shtml

Eingereicht: 31. Juli 2020
Überarbeitet: 12. Oktober 2020
Angenommen: 24. November 2020
Veröffentlicht: 28. Januar 2021

© 2021 Hartmann et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Die ärztliche Gesprächsführung spielt eine zentrale Rolle bei der Krankheitsbewältigung und Therapie. In der Lehre kommen immer häufiger Simulationspersonen (SPs) zum Einsatz, die mit den Studierenden Gesprächssituationen darstellen und im Anschluss Feedback geben. Um dieses Unterrichtskonzept auch unter Pandemiebedingungen aufrechtzuerhalten, wurde ein digitales Modell entwickelt, das sowohl hohe Sicherheit, als auch hohe Authentizität bieten sollte.

Methodik: Insgesamt wurden von Mai bis August 2020 176 Unterrichtseinheiten à 45 Minuten digital durchgeführt. Im Rahmen der Unterrichtseinheiten führten Medizinstudierende Gespräche mit SPs, die verschiedene PatientInnen darstellten. Hierbei wurde die Online-Konferenz-Software „HeiConf“ genutzt. Im Rahmen der Unterrichtseinheiten konnten insgesamt 354 Studierenden Gesprächstechniken wie NURSE und SPIKES üben. Im Anschluss an die Unterrichtseinheiten wurde eine Rückmeldung von Studierenden und SPs eingeholt.

Ergebnisse: Der digitale Unterricht zu ärztlicher Gesprächsführung mit SPs erhielt positive Rückmeldungen seitens der SPs und Studierenden. Die Authentizität der Rollendarstellung der SPs erschien von dem neuen Format unbeeinträchtigt. Das Trainieren und Beobachten von Gesprächstechniken gelang Studierenden gut. Aspekte der nonverbalen Kommunikation, Atmosphäre und Gruppendynamik sowie weiterführende Diskussionen konnten jedoch nicht in dem Umfang aufgegriffen werden, wie dies bei der üblichen Präsenzlehre geschieht.

Schlussfolgerung: Die Umstellung der SP-basierten Lehre auf ein digitales Format ist in kurzer Zeit gelungen und konnte einen Ausfall des Unterrichts zu ärztlicher Gesprächsführung verhindern. Konkrete Gesprächstechniken konnten digital von Studierenden erprobt werden. Aufgrund der Defizite von digitalem Unterricht in Bezug auf nonverbale Kommunikation und Atmosphäre wird für die Zukunft ein Blended-Learning-Format angestrebt. Hierbei sollen zunächst konkrete Gesprächstechniken online erlernt werden, um in einer späteren physischen Unterrichtseinheit mit SPs den Fokus stärker auf tiefgreifende Aspekte der Kommunikation und Diskussionen zu legen und so eine möglichst authentische Lernerfahrung zu ermöglichen.

Schlüsselwörter: Lehre, Ausbildung, Kommunikation, Patientensimulation, Feedback, Arzt-Patienten-Beziehungen


1. Einleitung

Es ist inzwischen weithin bekannt, dass die Kommunikation zwischen ÄrztInnen und PatientInnen eine entscheidende Rolle bei Heilungsprozessen und Diagnostik spielt [1], [2]. An der medizinischen Fakultät Mannheim ist die ärztliche Gesprächsführung daher seit 2006 fest im Curriculum verankert. Ein Teil des Unterrichts zu ärztlicher Gesprächsführung wird mit Simulationspersonen (SPs) durchgeführt, die verschiedene PatientInnen darstellen. Die Effektivität von SP-basierter Lehre ist empirisch bestätigt [3], [4]. Im Unterricht mit SPs können Studierende ihre kommunikativen Fertigkeiten und Gesprächstechniken wie NURSE und SPIKES trainieren [5], [6]. Im Mannheimer Lernkrankenhaus TheSiMa [https://www.umm.uni-heidelberg.de/studium/modellstudiengang-medizin/thesima/] finden die verpflichtenden Gespräche mit SPs üblicherweise physisch in Kleingruppen statt. So soll eine möglichst hohe Authentizität der Gesprächssimulation erreicht werden, die unserer Ansicht nach entscheidend zum Lernerlebnis von Studierenden beiträgt. Eine hohe Authentizität bedeutet für uns sowohl eine überzeugende schauspielerische Leistung der SPs, als auch ein natürlicher Gesprächsfluss auf verbaler und nonverbaler Ebene und eine intensive Gruppendynamik und Unterrichtsatmosphäre. Nun wurde aufgrund der COVID-19-Pandemie die physische Präsenzlehre eingestellt, und an ihre Stelle sollten neue Lehrformate mit niedrigem Infektionsrisiko treten. Auch der Unterricht zu ärztlicher Gesprächsführung war hiervon betroffen. Im Weiteren wird berichtet, welche spezifischen Maßnahmen das Mannheimer Lernkrankenhaus TheSiMa ergriffen hat, um trotz Pandemie eine authentische SP-basierte Lehre zu ermöglichen und welche Schlussfolgerungen für die Zukunft gezogen wurden.


2. Projektbeschreibung

Im Frühjahr 2020 musste der Unterricht mit SPs in kürzester Zeit an die Pandemiebedingungen angepasst werden. Die besondere Herausforderung bestand darin, ein authentisches, emotionales und konstruktives Gespräch zwischen SPs und Studierenden ohne physischen Kontakt zu ermöglichen. Als Lösung wurde ein Konzept entwickelt, bei dem die SPs unter Einhaltung der Hygienevorschriften im Lernkrankenhaus einen Raum zur Verfügung gestellt bekamen. Sie hielten sich allein in diesem Raum auf und nahmen über einen bereitgestellten Laptop digital am Unterricht teil. Hierfür wurde aus Datenschutzgründen die als sicher geltende Software „HeiConf“ [https://heiconf.uni-heidelberg.de/] von der Fakultät ausgewählt. Die Studierenden schalteten sich ihrerseits von zuhause aus per HeiConf in den Unterricht zu. Von Mai bis August 2020 wurden auf diese Weise 176 Unterrichtseinheiten à 45 Minuten durchgeführt. Insgesamt nahmen 354 Studierende aus den Studienjahren 3, 4 und 5 an den Unterrichtseinheiten teil. Im Rahmen einer Unterrichtseinheit fand jeweils ein 10–30-minütiges Gespräch mit SPs statt, das Studierenden die Möglichkeit bot, Gesprächstechniken wie NURSE und SPIKES anzuwenden und zu üben. Im Anschluss an die Gespräche erhielten die Studierenden strukturiertes Feedback [7] von den SPs, ihren KommilitonInnen und Dozierenden. Die Gespräche zwischen SPs und Studierenden wurden aufgezeichnet. Während der Zeitspanne von Mai–August 2020 kamen in solchen Unterrichtseinheiten 18 SPs zum Einsatz, die jeweils verschiedene Rollen spielten. Insgesamt wurden 15 verschiedene komplexe Rollen beziehungsweise Szenarien gespielt, wie die Überbringung einer Krebsdiagnose, ein Erstgespräch nach einem Suizidversuch und ein Gespräch zur Raucherentwöhnung. Im Anschluss an die Unterrichtseinheiten wurde eine mündliche Rückmeldung der SPs und Studierenden eingeholt.


3. Ergebnisse

Studierende gaben an, die Online-Unterrichtseinheiten zu ärztlicher Gesprächsführung mit SPs kämen der Lernerfahrung bei der sonst üblichen Präsenzlehre erstaunlich nahe. So konnten sie erlernte Gesprächstechniken gut im Gespräch anwenden und umsetzen. Alle 18 befragten SPs gaben an, die Unterrichtseinheiten liefen besser, als sie erwartet hätten. Zudem fühlten sie sich in ihrer Rollendarstellung durch das digitale Format nicht eingeschränkt. Tatsächlich erschien bei Analyse von Videoaufzeichnungen der Gespräche selbst die Darstellung hoch emotionaler Szenarien wie der Überbringung einer Krebsdiagnose oder dem Gespräch nach einem Suizidversuch authentisch. Ein Kritikpunkt, der von einem Großteil der befragten SPs und Studierenden genannt wurde, bezog sich auf die nonverbalen Aspekte des Gesprächs sowie auf die Gruppendynamik und Atmosphäre des Unterrichts. Das Feedback am Ende eines Gesprächsdurchlaufs bezog sich vorwiegend auf verbale Aspekte der Kommunikation und die Anwendung der erlernten Gesprächstechniken, wohingegen nonverbale Aspekte wie Blickkontakt, Körperhaltung und Distanz weniger intensiv beurteilt wurden. Die Emotionalität der Gruppe und die Intensität der Gruppendynamik in der Diskussionsphase nach dem SP-Gespräch fielen gegenüber dem Präsenzunterricht deutlich ab, was die Authentizität und Qualität der Lernerfahrung einschränkt.


4. Diskussion und Ausblick

Die digitale Umsetzung der SP-basierten Lehre zu ärztlicher Gesprächsführung unter Pandemiebedingungen stellte in den letzten Monaten eine einfache und konstruktive Möglichkeit dar, die kommunikativen Fertigkeiten der Studierenden zu fördern. Es wurde festgestellt, dass konkrete Gesprächstechniken sowie die Beobachtung von Gesprächsstrukturen online gut trainiert werden können. Aus diesem Grund soll dies auch in Zukunft im Rahmen von Online-Unterricht geschehen, ergänzend zum bisherigen Unterrichtsmodell mit SPs in Präsenz. Geplant ist, dass zukünftige Studierende zunächst in einem technisch orientierten Online-Unterricht lernen, die konkreten Gesprächstechniken und -strukturen zu erkennen und anzuwenden. In darauffolgenden physischen Unterrichtseinheiten mit SPs kann der Fokus noch stärker auf nonverbale und atmosphärische Aspekte des Gesprächs sowie die emotionale Erfahrung der Studierendengruppe gelegt werden. Es ist geplant zu evaluieren, wie ein solches Blended-Learning-Format die kommunikativen Fertigkeiten von Studierenden verbessern kann.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Riedl D, Schüßler G. The influence of Doctor-Patient Communication on health outcomes: A systematic review. Z Psychosom Med Psychother. 2017;63(2):131-50. DOI: 10.13109/zptm.2017.63.2.131 Externer Link
2.
Ha JF, Longnecker N. Doctor-Patient communication: A Review. Ochsner J. 2010;10:38-43.
3.
Safdieh JE, Lin AL, Aizer J, Marzuk PM, Grafstein B, Storey-Johnson C, Kang Y. Standardized patient outcomes trial (SPOT) in neurology. Med Educ Online. 2011;16:5634. DOI: 10.3402/meo.v16i0.5634 Externer Link
4.
Wündrich M, Schwartz C, Feige B, Lemper D, Nissen C, Voderholzer U. Empathy training in medical students - A randomized controlled trial. Med Teach. 2017;39(10):1096-1098. DOI: 10.1080/0142159X.2017.1355451 Externer Link
5.
Back AL, Arnold RM, Baile WF, Tulsky JA, Fryer-Edwards K. Approaching difficult communication tasks in oncology. Can J Clin. 2005;55(3):164-177. DOI: 10.3322/canjclin.55.3.164 Externer Link
6.
Baile WF, Buckman R, Lenzi R, Glober G, Beale EA, Kudelka A. SPIKES-A six-step protocol for delivering bad news: Application to the patient with cancer. Oncologist. 2000;5(4):302-311. DOI: 10.1634/theoncologist.5-4-302 Externer Link
7.
Stangl W. Feedback. Regeln für eine wirksame Rückmeldung. Hochschuldidaktikzentrum der Universitäten des Landes Baden-Württemberg. 2017. Zugänglich unter/available from: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/KOMMUNIKATION/FeedbackRegeln.shtml Externer Link