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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Erlernen ärztlicher Gesprächsführung erstmals online – das haben wir in Frankfurt am Main gelernt

Kurzbeitrag Kommunikation

  • corresponding author Judith Ullmann-Moskovits - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt/Main, Deutschland
  • author Maria Farquharson - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt/Main, Deutschland
  • author Miriam Schwär - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt/Main, Deutschland
  • author Monika Sennekamp - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt/Main, Deutschland

GMS J Med Educ 2021;38(1):Doc19

doi: 10.3205/zma001415, urn:nbn:de:0183-zma0014157

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2021-38/zma001415.shtml

Eingereicht: 30. Juli 2020
Überarbeitet: 3. November 2020
Angenommen: 24. November 2020
Veröffentlicht: 28. Januar 2021

© 2021 Ullmann-Moskovits et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Aufgrund der COVID-19-Pandemie musste ein Anamnesekurs, bestehend aus Theorie und Praxis, innerhalb kürzester Zeit auf ein Onlineformat umgestellt werden. Eine zentrale Frage war, ob bzw. inwiefern erste theoretische und insbesondere praktische Grundlagen für die ärztliche Gesprächsführung online erlernbar sind.

Methodik/Projektbeschreibung: Die theoretischen Grundlagen wurden asynchron auf einer Lernplattform eingestellt sowie didaktisch neu konzipiert, während der Praxisteil zur Einübung der Anamnesegespräche in synchronen Treffen mithilfe von Videokonferenzsoftware stattfand. Die Dozierenden des Praxisteils wurden organisatorisch und technisch unterstützt.

Ergebnisse: Nach Abschluss des Kurses und basierend auf ersten Evaluationsergebnissen zeichnet sich ein positives Bild der Umstellung ab: Dozierende und Studierende nahmen die Umstrukturierung des Kurses aufgrund der COVID-19-Pandemie gut an und durch aktivierende didaktische Methoden ist es gelungen, die Inhalte des Kurses erfolgreich an das Onlineformat anzupassen.

Schlussfolgerung: Die Lernziele des Kurses konnten durch das Onlineformat insgesamt gut erreicht werden. Bei Themen, wie z.B. der nonverbalen Kommunikation erscheint anhand der Evaluationsergebnisse ein Präsenzformat empfehlenswert. Die asynchrone Theorievermittlung wurde insgesamt sehr gut angenommen. Blended-Learning-Formate stellen also eine adäquate Option für die Vermittlung ärztlicher Gesprächsführung dar. Insgesamt bieten Onlinekurse zur Gesprächsführung eine Möglichkeit, Studierende für digitale Formate der Arzt-Patienten-Gesprächsführung zu sensibilisieren und diesbezügliche Kompetenzen zu fördern.

Schlüsselwörter: Blended-learning, Anamneseerhebung, Kommunikation, Gesprächsführung, Online-Lehre, digitale Didaktik, medizinische Ausbildung


1. Einleitung

Im Rahmen der COVID-19-Pandemie stand das Institut für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität Frankfurt vor der Herausforderung, den Kurs Einführung in die klinische Medizin (EKM) sehr zeitnah in ein neues, digitalgestütztes Lehr-Lern-Konzept für die theoretische und praktische Vermittlung und Einübung von Grundlagen zur ärztlichen Gesprächsführung in Form von Anamnesegesprächen umzustellen. Mit diesem Erfahrungsbericht möchten wir unsere didaktischen Überlegungen und Erkenntnisse teilen.

Der EKM-Kurs findet jeweils im Sommersemester für alle ca. 400 Medizinstudierenden des vierten vorklinischen Semesters verpflichtend statt. Eine Verschiebung in das Wintersemester wurde organisatorisch ausgeschlossen. Der ursprüngliche Kurs umfasst sieben zweistündige Termine, bestehend aus theoretischen Inhalten sowie dem praktischen Einüben von Anamnesegesprächen. Ziel ist, dass am Ende des Kurses alle Studierende, unter Berücksichtigung der erlernten theoretischen Inhalte, mind. ein Anamnesegespräch mit einem Patienten eigenständig durchgeführt haben. Die insgesamt 28 parallel stattfindenden Kurse mit Gruppen à 14 Studierenden werden von geschulten Dozierenden aus diversen klinischen Abteilungen durchgeführt. Die Anamnesegespräche finden mit echten und Simulationspatienten/innen statt.

Durch die COVID-19-Pandemie wurden – unter Beibehaltung des ursprünglichen Lernziels – Theorie und Praxis angelehnt an ein Blended-Learning-Format [1] voneinander getrennt, was auch den Vorgaben der Universität entsprach, möglichst asynchrone Lehr-Lernformate zu nutzen. Aus didaktischen Überlegungen heraus (erster praktischer Kommunikationskurs im Curriculum) war es uns wichtig, die Anamnesegespräche im synchronen Format durchzuführen.


2. Projektbeschreibung

Die asynchronen Theoriemodule

Die theoretischen Grundlagen wurden auf der Lernplattform OLAT modulweise asynchron aufgearbeitet und zum Selbststudium zur Verfügung gestellt. Inhaltlich umfassten sie Themen wie die Gliederung eines Anamnesegesprächs, Fragetechniken, Kommunikationstheorien etc. Aufgrund der Zeitknappheit wurden die Module wöchentlich entwickelt und online gestellt. Das bestehende Kurs-Skript wurde um Schaubilder, Video- und Fallbeispiele, Übungen und Reflexionsimpulse ergänzt, um dem online Format didaktisch gerecht zu werden [2]. Gerahmt wurden die Inhalte mit Lernzielen, Take Home Messages und Regieanweisungen als roter Faden und klaren Fristen als strukturierende Elemente.

Die synchronen Praxismodule

Pro Gruppe fanden vier jeweils zweistündige Termine statt, bei denen die Studierenden jeweils 3-4 Anamnesegespräche mit (Simulations-)Patient/innen praktisch durchführten. Abhängig von der technischen Ausstattung wurden diverse Videokonferenzsysteme genutzt. Zur didaktischen Strukturierung wurde den Dozierenden eine Excel-Liste mit den zu führenden Anamnesegesprächen pro Termin zur Verfügung gestellt. In dieser Datei wurde auch der Ablauf des gegenseitigen Studierendenfeedbacks (ein Kernelement des Kurses) vorstrukturiert [3]. Basierend auf den asynchronen Lerneinheiten wurden die Feedbackinhalte zunehmend umfangreicher (z.B. Fragetechniken, aktives Zuhören). Das neue Format benötigte online spezifische didaktische Herangehensweisen, z.B. die regelmäßige Aktivierung der Gruppe durch interaktive Methoden wie Breakout Rooms oder Umfragen zum Erhalt der Konzentrationsfähigkeit.


3. Ergebnisse und Diskussion

Insgesamt konnten auch im Onlineformat grundlegende Aspekte der ärztlichen Gesprächsführung gut vermittelt werden. Basierend auf ersten Ergebnissen einer dem neuen Format angepassten Evaluation und als Hilfestellung für all diejenigen, die aktuell oder zukünftig Kurse umgestalten, möchten wir unsere wichtigsten Lessons Learned zusammenfassen:

  • Dozierende und (Simulations-)Patienten/innen müssen speziell für das Onlineformat inhaltlich, didaktisch und technisch sensibilisiert und geschult werden (Techniktest, Einführung Mediennutzung und neue Kursstruktur). Die damit verbundene, verstärkte Vorstrukturierung des gesamten Kurses ist essentiell für eine erfolgreiche Umsetzung.
  • Aufgrund des Datenschutzes sind gerade im klinischen Kontext die Vorgaben der Kliniken zu erlaubten Videokonferenzsystemen zu beachten. Für die Theoriemodule ist es aus Studierendenperspektive wichtig, eine klare Übersicht der zu bearbeitenden Aufgaben inkl. gut sichtbar genannter Fristen für online zu absolvierende Aufgaben, Abgabeadressen und Bestehenskriterien zu haben.
  • Unsere Struktur setzte eine hohe Selbständigkeit bei den Studierenden voraus. Insgesamt wurde diese von den Studierenden positiv bewertet. In Einzelfällen waren jedoch mehrmalige Erinnerungen zur Bearbeitung notwendig.
  • Die asynchrone Theorieaneignung kann zu einer Entlastung der Dozierenden und einer Fokussierung auf die Vermittlung der Praxis führen. Zeit während der synchronen Praxismodule für die Nachbesprechung der theoretischen Aspekte sowie für entstandene Fragen wurde als sinnvoll rückgemeldet.
  • Auch online ließ sich der persönliche Kontakt zu einem gewissen Grad herstellen. Didaktisch herausfordernd für die Dozierenden in der neuen Moderationsrolle war jedoch die Aktivierung einer dem Lernerfolg förderlichen Gruppendynamik sowie die Entwicklung einer Diskussionskultur.
  • Zu beachten ist, dass sich die digital eingeübten Gespräche von Präsenzgesprächen durch geringere Möglichkeiten der nonverbalen Kommunikation und technische Limitationen unterscheiden und durch das Setting eine gewisse Künstlichkeit vorhanden ist, was in der Online-Evaluation (Fragebogen) zurückgemeldet wurde.
  • Um konstruktives Feedback zu fördern ist es hilfreich, Dozierende, Studierende und Patienten/innen zu schulen und in den Sitzungen ausreichend Zeit für Feedback zum Feedback einzuplanen.
  • Bezüglich der Aufmerksamkeitsspanne wurden im synchronen Teil 120 Min als Maximaldauer rückgemeldet.
  • Im Rahmen der Evaluationen wurde durch die Studierenden subjektiv ein hoher Lernzuwachs angegeben.

4. Schlussfolgerung

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Kursumstellung von allen Beteiligten positiv angenommen wurde und zu einem hohen Lernzuwachs geführt hat. Online- bzw. Blended-Learning-Formate stellen eine adäquate Option für das Erlernen ärztlicher Gesprächsführung dar, solange technische und didaktische Unterschiede berücksichtigt werden. Hat man die Wahl, erscheinen uns aufgrund der Evaluationsergebnisse jedoch für die praktische Durchführung der Anamnesegespräche Präsenzveranstaltungen besser geeignet. Der Onlinekurs zu dieser Thematik bietet darüber hinaus die Möglichkeit, digitale Formate der Arzt-Patient Kommunikation (z.B. Telemedizin) zu thematisieren und entsprechende Kompetenzen früh zu fördern.


Interessenkonflikt

Die Autorinnen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Kyaw BM, Posadzki P, Paddock S, Car J, Campbell J, Tudor Car L. Effectiveness of Digital Education on Communication Skills Among Medical Students: Systematic Review and Meta-Analysis by the Digital Health Education Collaboration. J Med Internet Res. 2019;21(8):e12967. DOI: 10.2196/12967 Externer Link
2.
Salmon G. E-tivities: The Key To Active Online Learning. 2nd ed. London: Kogan Page; 2002.
3.
Thrien C, Fabry G, Härtl A, Kiessling C, Graupe T, Preusche I, Pruskil S, Schnabel KP, Sennekamp M, Rüttermann S, Wünsch A. Feedback in medical education - a workshop report with practical examples and recommendations. GMS J Med Educ. 2020;37(5):Doc46. DOI: 10.3205/zma001339 Externer Link