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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Vorlesungsaufzeichnung, Microlearning, Videokonferenzen und LT-Plattform – Medizinisches Lernen in der COVID-19-Krise an der Medizinischen Universität Graz

Kurzbeitrag Asynchron

  • corresponding author Josef Smolle - Medizinische Universität Graz, Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Dokumentation, Graz, Österreich
  • author Andreas Rössler - Medizinische Universität Graz, Otto-Loewi-Forschungszentrum, Lehrstuhl für Physiologie, Graz, Österreich
  • author Herwig Rehatschek - Medizinische Universität Graz, Stabsstelle Lehre mit Medien, Graz, Österreich
  • author Florian Hye - Medizinische Universität Graz, Stabsstelle Lehre mit Medien, Graz, Österreich
  • author Sabine Vogl - Medizinische Universität Graz, Studium und Lehre, Graz, Österreich

GMS J Med Educ 2021;38(1):Doc11

doi: 10.3205/zma001407, urn:nbn:de:0183-zma0014073

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2021-38/zma001407.shtml

Eingereicht: 21. Juli 2020
Überarbeitet: 20. November 2020
Angenommen: 8. Dezember 2020
Veröffentlicht: 28. Januar 2021

© 2021 Smolle et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Im Zuge der COVID-19-Krise wurde es notwendig, den Großteil des Präsenzunterrichts auf E-Learning umzustellen. Dies sollte für die Studienrichtungen der Medizinischen Universität Graz in möglichst einheitlicher und transparenter Form erfolgen.

Methodik: Wir bauten auf dem seit 2003 bestehenden Virtuellen Medizinischen Campus auf. Für das Sommersemester 2020 setzten wir auf einen Ausbau des automatischen Vorlesungsaufzeichnungssystems, des Microlearnings und auf die Implementierung von Videokonferenzen sowie der Lernplattform LT.

Ergebnisse: Die Zahl der Vorlesungsaufzeichnungen stieg von 170 auf mehr als 700, die wöchentlichen Zugriffe erreichten mehr als 80.000, bei knapp 4.200 Studierenden. Im Microlearning-System wurden durchschnittlich 82.516+-12.071 SEM Lernschritte pro Woche absolviert, was gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres eine hoch signifikante Steigerung darstellte (15.101+-4.278 SEM; t-Test: t=5.2638, p<0.0001). Videokonferenzen via WebEx waren ein neu eingeführtes Werkzeug, das flächendeckend für interaktive Seminare, aber auch für mündliche Prüfungen, verwendet wurde. Als Ersatz für Praktika wurde vor allem in der Physiologie die LT-Plattform von AdInstruments erfolgreich eingesetzt.

Schlussfolgerungen: Aufbauend auf ausreichenden Vorarbeiten konnte durch einen raschen Ausbau des E-Learnings ein entsprechender Lehrbetrieb trotz COVID-19-bedingter Ausnahmesituation in Form von Home Learning gewährleistet werden. Erfolgsfaktoren waren die Bereitstellung von ausgewählten technischen Werkzeugen, konsistente Kommunikation der Universitätsleitung und eine technisch-inhaltliche Unterstützung der Lehrenden und Studierenden durch eine zentrale Stabsstelle.

Schlüsselwörter: E-learning, COVID-19-Krise, Microlearning, Videokonferenzen, Vorlesungsaufzeichnung, AdInstruments


1. Einführung

Als es im April 2020 in Österreich zu einem weitgehenden Lockdown gekommen ist, waren wir in der positiven Lage, mit der Virtualisierung nicht bei Null beginnen zu müssen. Mit staatlichen Förderungen wurde der Aufbau von E-Learning bereits 2002 eingeleitet [1], in den Regelbetrieb übernommen, und durch nachfolgende Förderungstranchen und aus dem Globalbudget der Universität weiter ausgebaut. Als Besonderheit hat unsere Universität – herausgefordert durch eine abrupte Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen – 2005/06 das erste Semester für die Studierenden der Human- und Zahnmedizin rein virtuell abgehalten [2].

Zum Zeitpunkt der Umstellung auf Home Learning verfügten wir über ein auf Moodle basierendem flächendeckendem E-Learning-Portal (VMC – Virtueller Medizinischer Campus) mit mehr als 13.000 Lernobjekten. Für die Zeit der weitgehenden Virtualisierung setzten wir in der Folge auf vier Komponenten: Vorlesungsaufzeichnungen, Microlearning und Videokonferenzen und auf den Einsatz der Lernplattform LT als Ersatz für Praktika. Somit bezieht sich die Darstellung auf die speziellen Gegebenheiten der Med Uni Graz mit der einschlägigen Vorerfahrung, die an anderen Standorten jeweils spezifisch anders ausgestaltet sein kann. Außerdem wurde a priori auf die rasche und problemlose Umsetzbarkeit geachtet, wobei bei der Auswahl der genannten Formate Bedacht auf die didaktischen Anforderungen der jeweiligen Themengebiete genommen wurde.


2. Vorlesungsaufzeichnungen als niederschwelliges Angebot für die Lehrenden

Im Zuge der Neuerrichtung der vorklinischen Institute am Med Campus wurden u.a. 5 Hörsäle mit einem Vorlesungs-Aufzeichnungssystem basierend auf Epiphan Hardware [https://www.epiphan.com/] ausgestattet. Dieses ist fix installiert und zeichnet stets zwei Streams auf: Vortragende und PC-Ausgang. Im Zuge der Corona-Krise wurden alle Großvorlesungen abgesagt und stattdessen als Videoaufzeichnung zur Verfügung gestellt. Bei den Großvorlesungen haben wir bewusst auf Livestreaming verzichtet, weil dabei auch im Präsenzformat die Interaktion nur eine eingeschränkte Rolle spielt und beim Livestreaming die Zeitunabhängigkeit für die Studierenden verloren ginge. Zur Vidoaufzeichnung kamen die Lehrenden allein in die Hörsäle, hielten ihre Vorlesungen und wurden jeweils von einer Person technisch unterstützt. Anschließend erfolgte eine professionelle Nachbearbeitung und die Bereitstellung der fertigen Vorlesungen sowohl auf dem Video Portal VITAL [https://vital.medunigraz.at] der Med Uni Graz als auch verknüpft in der eLearning Plattform Moodle. Im Ansichtsmodus können die Studierenden zwischen reiner Präsentationsansicht, reiner Vortragendenansicht und der – üblichen – doppelten Ansicht wählen. Während bis zum Corona-Lockdown 170 Vorlesungen im System verfügbar waren, sind es nun nach einem weitgehend virtuell abgehaltenen Sommersemester 2020 743. Die wöchentlichen Zugriffe betragen durchschnittlich 4.000 und erreichten Spitzenwerte bis zu 8.556 bei knapp 4.200 Studierenden.


3. Microlearning als interaktive Lernunterstützung

Microlearning ist Lernen in kleinen Schritten, zeit- und ortsunabhängig, möglichst über mobile Endgeräte [3]. Unsere Universität hat seit 2017 die Microlearning-Software KnowledgeFox (KnowledgeFox GmbH, Wien) lizensiert. Die Microlearning-Inhalte bestehen aus Wissenskarten (Informationskarten, Single-Select, Multiple-Select, Lückentext oder Vokabelkarten), die eine aussagekräftige Erläuterung und ggf. Bilder und Videos enthalten. Der zugrunde gelegte Wiederholalgorithmus nutzt das „power law of practice“ [4], den „testing effect“ [5] und den „spacing effect“ [6]. Mit Ende des Sommersemesters 2020 umfasste das Microlearning-System ca. 20.000 Wissenskarten. Die wöchentlichen Wissenskarten-Aufrufe haben sich vom Sommersemester 2019 mit durchschnittlich 15.101+-4.278 SEM auf 82.516+-12.071 SEM im Sommersemester 2020 gesteigert (t-Test: t=5.2638, p<0.0001). Bemerkenswert ist, dass zwei Kurse aus der Physiologie, die erst im Zuge des Semesters eingerichtet worden sind, in kürzester Zeit auf mehr als 160.000 bzw. 180.000 Lernschritte gekommen sind, was sowohl auf die Qualität des Angebots als auch auf die stringente Integration in den Unterrichts- und Prüfungsprozess zurückzuführen ist.


4. Videokonferenzen

Über mehrere Wochen war es nicht zulässig, Präsenzveranstaltungen abzuhalten. Um dennoch einen interaktiven Unterricht gewährleisten zu können, hat die Universität Webex (Meetings, Teams und Trainings) (Cisco Corp., San Jose, USA) lizensiert und allen Lehrenden und Studierenden zur Verfügung gestellt. Von Seiten der Stabsstelle Lehre mit Medien wurden den Lehrenden Informationsmaterial, eine detaillierte Anleitung und persönliche Einschulungen sowie aktive Übungseinheiten angeboten, um mit dem System einmal grundsätzlich vertraut zu werden. Die Lehrenden nutzten das Werkzeug zum Live-Streaming ihrer Präsentationen und zur interaktiven Diskussion. Zusätzlich zur Abhaltung von Seminaren wurde dieses Werkzeug auch für mündliche Prüfungen verwendet.


5. LT-Lernplattform als Ersatz für Praktika

Da durch die fehlende Präsenzlehre auch keine Praktika abgehalten werden konnten, wurde LT (AdInstruments) als online-Plattform benutzt [7]. Es wurden vor allem im Bereich der Physiologie Beispiele erarbeitet, mit Hilfe derer Studierende zu Hause Beobachtungen an sich selbst machen konnten, diese in ein Online-Protokoll eintrugen und am Ende auch ein Online-Endtestat durchführten. Der experimentelle Nachweis des blinden Flecks im Auge im Rahmen der Sinnesphysiologie ist ein solches Beispiel für einen Selbstversuch. Über 97% der Studierenden (476 von 488) machten von LT Gebrauch und alle von ihnen absolvierten auch die entsprechenden Endtestate.

Die Veränderungen in der Verwendung verschiedener E-Learning-Formate vor und während der Corona-Krise sind in Tabelle 1 [Tab. 1] semiquantitativ dargestellt.


6. Ausblick

Mit den vier zentralen Werkzeugen – Vorlesungsaufzeichnungen, Microlearning als interaktive Lernunterstützung, Videokonferenzen zur Abhaltung von Seminaren und Prüfungen und LT als Praktikumsersatz ist es der Med Uni Graz gelungen, den Corona-bedingten Lockdown zu überbrücken und den Studierenden weiterhin Unterricht ohne Unterbrechung zu bieten. Dabei war es ein großer Vorteil, dass E-Learning als Lehr-/Lernform nicht neu aufgenommen werden musste, sondern bereits am Campus gut etabliert war und lediglich ein konsistentes Upscaling erforderlich wurde. Als entscheidende Erfolgsfaktoren sind eine Konzentration auf wenige Werkzeuge, eine konzise Kommunikation der Universitätsleitung, eine enge Abstimmung der betroffenen, die Unterstützung der Lehrenden durch eine zentrale E-Learning-Stabsstelle und das Engagement der Lehrenden zu nennen. Keine Herausforderung stellten die digitalen Fertigkeiten und die digitale Ausrüstung der Studierenden dar, die – im Gegensatz etwa zum „virtuellen Semester“ im Studienjahr 2005/2006 – heute selbstverständlich sind. Im Weiteren wird man sich aber mit der differenzierten didaktischen Evaluierung der verschiedenen Methoden zur Wissensvermittlung und den Vor- und Nachteilen aus Studierenden- und Lehrendensicht befassen. So bereiten wir u.a. eine Befragung über die Akzeptanz bei den Lehrenden und Studierenden sowie vergleichende Untersuchungen der Prüfungsleistungen im Anschluss an die Elearning-Phasen gegenüber den Präsenzphasen vor [8].

Wir gehen davon aus, dass der Ausbau des E-Learning-Angebots als begleitendes Lehr- und Lerninstrument über die Corona-Krise hinaus erhalten bleiben wird und dass im Falle einer neuen pandemischen Herausforderung rasch und effizient reagiert werden kann. Insbesondere wird das unseres Erachtens sowohl die Vorlesungsaufzeichnungen als auch die Nutzung von Videokonferenzen betreffen, wobei letztere bei uns vor der Krise kaum verwendet worden sind und nun hohe Akzeptanz gefunden haben. Ähnliches gilt auch für das während des Lockdowns weiterentwickelte Microlearning, das den Studierenden auch in Zukunft zur Verfügung gestellt und ausgebaut werden wird.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Smolle J, Staber R, Jamer E, Reibnegger G. Aufbau eines universitätsweiten Lern- Informationssystems parallel zur Entwicklung innovativer Curricula - zeitliche Entwicklung und Synergieeffekte. In: Tavangarian D, Nölting K, editors. Auf zu neuen Ufern - E-Learning heute und morgen. Münster, New York, München, Berlin: Waxmann; 2005. p.217-226.
2.
Smolle J, Neges H, Staber R, Macher S, Reibnegger G. Virtuelles Eingangssemester im Studium der Humanmedizin. Kontext, Nutzung, Ergebnisse. In: Seiler Schiedt E, Kälin S, Sengstag C, editors. E-Learning - alltagstaugliche Innovation? Münser, New York, München, Berlin: Waxmann; 2006. p.287-295.
3.
Bruck PA, Motiwalla L, Foerster F, editors. Mobile Learning with micro-content: a framework and evaluation. 25th Bled conference; 2012. Bled2012.
4.
Evans NJ, Brown SD, Douglas, Mewhort DJ, Heathcote A. Refining the law of practice. Psychol Rev. 2018;125(4):592-605. DOI: 10.1037/rev0000105 Externer Link
5.
Larsen DP, Butler AC, Roediger HL. Test-enhanced learning in medical education. Medl Educ. 2008;42(10):959-966. DOI: 10.1111/j.1365-2923.2008.03124.x Externer Link
6.
Dempster FN. The spacing effect: A case study in the failure to apply the results of psychological research. Am Psychol. 1988;43(8):627. DOI: 10.1037/0003-066X.43.8.627 Externer Link
7.
Marcondes FK, Cardozo LT, Luchi KCG, Irfannuddin M, Karatzaferi C, Rocha MJ, Carroll RG. Meeting report: IUPS and ADInstruments 2017 Teaching Workshop. Adv Physiol Educ. 2018;42(2):334-339. DOI: 10.1152/advan.00015.2018 Externer Link
8.
Nicoll P, MacRury S, van Woerden, HC, Smyth K. Evaluation of technology-enhanced learning programs for health care professionals: systematic review. J Med Internet Res. 2018;20:e131. DOI: 10.2196/jmir.9085 Externer Link