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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Der Einsatz des online Inverted-Classroom-Modells für die digitale Lehre mit Gamification im Medizinstudium

Kurzbeitrag Inverted Classroom

  • corresponding author Johanna Huber - LMU Klinikum München, Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, München, Deutschland
  • Matthias Witti - LMU Klinikum München, Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, München, Deutschland
  • Michaela Schunk - LMU Klinikum München, Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin, München, Deutschland
  • Martin R. Fischer - LMU Klinikum München, Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, München, Deutschland
  • Daniel Tolks - LMU Klinikum München, Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, München, Deutschland; Leuphana Universität Lüneburg, Zentrum für Gesundheitswissenschaften, Lüneburg, Deutschland

GMS J Med Educ 2021;38(1):Doc3

doi: 10.3205/zma001399, urn:nbn:de:0183-zma0013991

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2021-38/zma001399.shtml

Eingereicht: 31. Juli 2020
Überarbeitet: 30. Oktober 2020
Angenommen: 19. November 2020
Veröffentlicht: 28. Januar 2021

© 2021 Huber et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Einleitung: 2014 wurde in den Fächern Gesundheitssysteme, -ökonomie und öffentliche Gesundheitspflege (GGG) ein neu konzipiertes, fallbasiertes Seminar erfolgreich implementiert. Das Seminar „Der einsame Patient“ basiert auf einem realen Patientenfall und thematisiert das deutsche Gesundheitssystem aus der Perspektive eines Patienten. Um mehr Raum für Diskussionen und den Austausch der Studierenden untereinander zu gewinnen, wurde das Seminar auf der Basis der Inverted-Classroom-Methode (ICM) umgestaltet.

Projektbeschreibung: Durch die COVID-19-Pandemie mussten zügig im Sinne des Emergency Remote Teaching neue, rein digitale Lehrformate entwickelt werden. Daher wurde das Inverted-Classroom-Konzept des Seminars in eine online ICM umgestaltet. Um auf der Basis des ICAP-Modells (Interactive, Constructive, Active, Passive) aktives Lernen zu fördern, wurde die online Präsenzphase mit Hilfe des gamifizierten Audience-Response-Systems Kahoot! als synchrone interaktive Lerner-zentrierte Lehrveranstaltung gestaltet.

Ergebnisse: Die bisherigen Evaluationsergebnisse und die Feedbackrunden mit den Studierenden deuten darauf hin, dass die online ICM des Seminars zu mindestens genauso guten Evaluationsergebnissen wie die vorherige Präsenzveranstaltung führt. So heben die Studierenden insbesondere die Nutzung von Kahoot! als aktivierendes digitales Medium positiv hervor.

Diskussion: Durch den Einsatz des ICM und des gamifizierten Audience-Response-Systems Kahoot! konnten die Lernenden sinnvoll aktiviert werden. Die dadurch induzierten Diskussionen über den Patientenfall und die Lehrinhalte der Quiz-Fragen im Rahmen der synchronen Online-Lehrveranstaltung konnten genauso gut umgesetzt werden wie in der Präsenzveranstaltung der vorangegangenen Semester.

Schlussfolgerung: Die Anwendung des online ICM bei gleichzeitiger Beachtung des ICAP-Modells, hat im Kontext der erschwerten Bedingungen des Emergency Remote Teaching zu einer erfolgreichen Implementierung einer digitalen Lehrveranstaltung geführt. Zudem ist der Lernerfolg der Studierenden auf einem ähnlichen Niveau wie in der Präsenzveranstaltung der vorangegangenen Semester geblieben.

Schlüsselwörter: online Inverted-Classroom-Modell, ICAP-Modell, Game-Based Learning, medizinische Ausbildung, deutsches Gesundheitssystem


Einleitung

2014 wurde in den Fächern Gesundheitssysteme, -ökonomie und öffentliche Gesundheitspflege (GGG) ein neu konzipiertes, fallbasiertes Seminar erfolgreich implementiert [1]. Das Seminar „Der einsame Patient“ basiert auf dem realen Patientenfall des Herrn P. und thematisiert das deutsche Gesundheitssystem aus der Perspektive des Patienten. Um mehr Raum für Diskussionen und den Austausch der Studierenden untereinander zu gewinnen, wurde das Seminar auf der Basis der Inverted-Classroom-Methode (ICM) umgestaltet [2]. Mit der ICM wird im Gegensatz zur klassischen Vorlesung die Reihenfolge der Selbstlernphase und der Präsenzphase umgedreht. Die Studierenden eigenen sich Faktenwissen zur Thematik online mittels verschiedener Lernmaterialen, z. B. Videopodcasts, Fachartikel, u. ä. im eigenen Lerntempo, zeit- und ortsunabhängig an. Laut einigen Studien zeigt ICM bislang gute Erfolge bezüglich der Motivation, dem Engagement und dem Lernergebnis der Studierenden [2], [3], [4], [5], [6], [7]. Im Bereich der medizinischen Ausbildung wurde die ICM ebenfalls eingesetzt [8], [9], [10], [11], [12].

Im WiSe 2018/19 wurde basierend auf der ICM eine ca. 15-minütige Online-Selbstlernphase für das Seminar „Der einsame Patient“ entwickelt, in der sich die Studierenden zunächst einen Überblick über die Patientengeschichte verschaffen und sich mittels festgelegter Lernziele eigenständig Faktenwissen aneignen sollen. Zu diesem Zweck wurden die vorhandenen schriftlichen Lehr- und Lernmaterialien (Patientenfall, Factsheets) in zwei- bis drei-minütige Lehrvideos umgestaltet. In der Präsenzveranstaltung werden die Themen der Videos mit Hilfe von Flipchart-Zusammenfassungen, Impulsreferaten der Dozierenden, Gruppendiskussionen, und eines Quizzes praxisbezogen vertieft und diskutiert. Im Sinne des ICAP-Modells (Interactive, Constructive, Active, Passive) sollte dabei die Interaktion zwischen den Studierenden und den Dozierenden erhöht werden [13]. Gemäß dem ICAP Modell führt aktives Lernen zu einem nachhaltigeren Wissenserwerb, es fördert die Fähigkeit zur Problemlösung und wirkt sich positiv auf die Lernmotivation der Lernenden aus. Darüber hinaus schaffen Aktivitäten und Interaktionen ein lernzentriertes Umfeld und basieren eher auf konstruktivistischem Unterricht als auf einem direkten, hauptsächlich einseitigen, Dozierenden-zentrierten Unterrichtsansatz [14]. Die Quizze wurden als zusätzliches interaktives Moment eingesetzt, um die Interaktion der Studierenden weiter zu fördern.


Projektbeschreibung

Durch die COVID-19-Pandemie mussten zügig im Sinne des Emergency Remote Teaching neue, rein digitale Lehrformate entwickelt werden [15]. Der relativ hohe Mehraufwand für die digitale Lehre konnte im Rahmen des Seminars „Der einsame Patient“ durch die bereits bestehende ICM reduziert werden. Die Online-Selbstlernphase konnte direkt weiterverwendet werden. Die Anpassungen bezogen sich daher auf die vorherige Präsenzphase, die es zu adaptieren galt. Um die Interaktion in der reinen Online-Lehre möglichst hoch zu halten, wurde das Kurskonzept gemäß der Vorgabe des online Inverted-Classroom-Modells angepasst [16]. Es wurde mit dem Videokonferenzsystem ZOOM synchrone Lehre durchgeführt. Zur Aktivierung der Studierenden wurde das gamifizierte Audience-Response-System (ARS) Kahoot! eingesetzt. Es handelt sich dabei um ein online basiertes Quizsystem mit Punkten, Badges und Leaderboards. Der positive Effekt des Einsatzes von Gamification konnte bereits in einigen Studien nachgewiesen werden [16], [17]. Der Einsatz von ARS und speziell der Einsatz von Kahoot! konnte ebenfalls in einigen Studien als lernförderlich nachgewiesen werden [18]. Die Studierenden wurden während der synchronen Veranstaltung immer wieder dazu aufgerufen, Fragen zur Veranstaltung und zu dem ursprünglich verwendeten Quiz zu beantworten.


Methodik

Der Fragebogen wurde auf Grundlage des ICAP-Modells entwickelt und umfasst 28 Evaluationsfragen, die unter anderem den eigenen Lernprozess der Studierenden erfassen. Der Fragebogen wurde zum Ende der Veranstaltung per QR Code bzw. Link eingesetzt (N=202; Rücklaufquote: 41%).


Ergebnisse

Anhand der ersten Evaluationsergebnisse und Feedbackrunden mit den Studierenden kann der vorsichtige Schluss gezogen werden, dass der Einsatz des online Inverted-Classroom-Modells zu keinen schlechteren Ergebnissen beim subjektiv wahrgenommenen Lernerfolg und der Interaktivität während des Unterrichts im Vergleich zu den vorherigen Präsenzsemestern führt. So wird das Seminar in der Gesamtbeurteilung im Mittel etwas besser beurteilt als das vorherige Präsenzsemester. Dieses Ergebnis wurde durch die im Anschluss an das Seminar durchgeführten kurzen Feedbackrunden („Was hat Ihnen an dem Seminar besonders gut gefallen?“) bestätigt: So gaben die Studierenden positive Rückmeldungen bezüglich des Kurskonzepts und hoben insbesondere den Einsatz von Kahoot! hervor. Auch gaben die Studierenden an, dass sie das synchrone Veranstaltungsformat im Vergleich zur asynchronen digitalen Lehre bevorzugen. Zudem ist festzuhalten, dass der Rücklauf der Online-Evaluation im Vergleich zu den Präsenzveranstaltungen der vorangegangenen Semester oder auch im Vergleich zur asynchronen Lehre höher war.


Diskussion

Durch den Einsatz des online Inverted-Classroom-Modells und mittels der eingeplanten interaktiven Bestandteile (Kahoot!) konnte die Interaktion mit dem Studierenden auf einem gleichhohen Niveau gehalten werden wie in einem Präsenzformat derselben Lehrveranstaltung. Die Nachteile der reinen Online-Lehre ohne aktivierende Elemente konnten so reduziert werden.


Schlussfolgerung

Durch den Einsatz der online Inverted-Classroom-Methode konnte die digitale Lehre im COVID-19-Sommersemester weiter erfolgreich durchgeführt werden. Es scheint sich zudem zu zeigen, dass die Nachteile der reinen Online-Lehre, wie die reduzierte oder fehlende Interaktion mit den Studierenden aufgefangen werden konnte. Gemäß dem ICAP-Modell konnte so der Lernerfolg der Studierenden gewährleistet oder zumindest nicht im großen Umfang verschlechtert werden. Im Wintersemester 2020/21 wird diese Lehrveranstaltung voraussichtlich wieder in digitaler Form durchgeführt werden. Es ist geplant, das Kurskonzept mit einem ARS durchzuführen, das im Vergleich zu Kahoot! reflektierende Elemente enthält. Die weitere Evaluation wird zeigen, ob sich diese ersten positiven Ergebnisse bestätigen lassen. Das vorliegende Konzept kann in leicht modifizierter Version theoretisch auch in Zukunft eingesetzt werden.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

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