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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Digitale Lehre mit interaktiven Fallvorstellungen von HNO-Erkrankungen – Diskussion der Nutzung und der Motivation der Studierenden

Kurzbeitrag Synchrone digitale Lehre

  • corresponding author Veronika Vielsmeier - Universitätsklinikum Regensburg, Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Regensburg, Deutschland
  • Steffen Auerswald - Universitätsklinikum Regensburg, Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Regensburg, Deutschland
  • Jörg Marienhagen - Universität Augsburg, Studiengang Humanmedizin, Augsburg, Deutschland
  • Stephanie Keil - Universität Regensburg, Fakultät für Medizin, Studiendekanat, Regensburg, Deutschland
  • Nico Müller - Universitätsklinikum Regensburg, Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Regensburg, Deutschland

GMS J Med Educ 2020;37(7):Doc100

doi: 10.3205/zma001393, urn:nbn:de:0183-zma0013937

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2020-37/zma001393.shtml

Eingereicht: 31. Juli 2020
Überarbeitet: 8. Oktober 2020
Angenommen: 29. Oktober 2020
Veröffentlicht: 3. Dezember 2020

© 2020 Vielsmeier et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Einleitung: Aufgrund der Umstände der Covid-19-Pandemie wurde der Unterricht während des Blockpraktikums der Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde auf digitales Lernen umgestellt. Diverse Online-Lehrangebote wurden erstellt und die Nutzung der Studierenden analysiert.

Material & Methoden: Es wurden Untersuchungsvideos, Operationsbilder und -videos erstellt sowie Live-Vorlesungen abgehalten. Darüber hinaus wurden Patientenfälle von häufigen HNO-Erkrankungen rekonstruiert auf einer interaktiven Plattform angeboten. Insgesamt wurden 16 Fälle im wöchentlichen Wechsel angeboten, diese sind mit Lückentexten, offenen und Auswahl-Fragen, weiterführenden Links und Videos und thematisch passenden Exkurs-Angeboten versehen. Die zeitaufwendige Erstellung erfolgte als HTML 5 Lernpaket mit dem Autorenprogramm Exelearning 2.5. Jeder Fall sollte nach Bearbeitung durch die Studierenden separat evaluiert werden.

Ergebnisse: Die direkten Rückmeldungen und die Evaluationsergebnisse der Studierenden zum Praktikum und zu den Fallbearbeitungen waren durchweg positiv. An den wöchentlichen Videomeetings haben jedoch zum Beispiel im Schnitt nur 50,72% der angemeldeten Studierenden teilgenommen. Im Laufe des Semesters nahm die Teilnahmebereitschaft ab. Zudem war die Bereitschaft die Patientenfälle zu evaluieren gering.

Diskussion: Mit dem Tool der Fallvorstellung können konkrete Patientenbeispiele, insbesondere bei nicht möglichem Patientenkontakt (vor allem in der HNO wegen Verletzung der Abstandsregeln), gut dargestellt werden. Auch wenn die Evaluationen inhaltlich positiv waren, erscheint uns die Nutzungshäufigkeit und auch Motivation zum Feedback enttäuschend. Dies scheint vor allem mit zunehmender Rückkehr zum Alltagsgeschehen nach dem Ende des Lockdowns assoziiert zu sein.

Schlüsselwörter: digitale Lehre, Praxisnähe, Fallbearbeitung, Motivation, Covid-19


Einleitung

Die Covid-19-Pandemie hat großen Einfluss auf die Lehre im Medizinstudium genommen [1] und neue digitale Tools mussten entwickelt werden [2]. Der Unterricht der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde wurde komplett in digitale Lehre umgewandelt. Gründe hierfür waren die nicht einzuhaltenden Abstandsregeln gegenüber Patienten, da bei Untersuchungen naturgemäß der Mund-Nasen-Schutz nicht getragen werden kann und enger Kontakt, z.B. auch bei endoskopischen Techniken erforderlich ist. Dies führt zu einem erhöhten Infektionsrisiko für Studierende und Patienten [3], [4]. Darüber hinaus wurden einige der Studierenden in der Pandemie auf Covid-19-Stationen oder -Testeinrichtungen eingesetzt und bargen somit ein erhöhtes Infektionsrisiko. Außerdem wurde von der Universität darauf hingewiesen - soweit möglich - auf Präsenzveranstaltungen zu verzichten.

Problematisch wird damit, dass praktische Übung nur sehr eingeschränkt und der im Humanmedizin-Studium essentielle Patientenkontakt nicht möglich ist. Praxisnähe gilt jedoch als unabdingbar für eine gute Ausbildung von Medizinern [5], [6], so dass die Bearbeitung von möglichst realitätsnahen Patientenfällen einen entscheidenden Aspekt in der Ausbildung einnehmen sollte.

Frühere Studien wie zum Beispiel bei Daubenfeld et al. zeigten allerdings auch, dass neuartige Lehrkonzepte oder auch digitales Lernen nicht unbedingt besser abschneiden als traditionelle Konzepte [7], [8], [9]. Daher war das Ziel dieser Arbeit vor allem auch, neuartige Lehrkonzepte zu evaluieren und deren Nutzung zu registrieren.


Material & Methoden

Um die Inhalte der Lehre der HNO-Klinik auf eine Lehre ohne Präsenz umzustellen, wurde die Hauptvorlesung als synchrone Online-Vorlesung (Zoom) gehalten. Die Inhalte des Blockpraktikums wurden komplett auf digitale Distanz-Lehre umgestellt, d.h. es wurden Untersuchungsvideos, Operationsbilder und Lehrvideos erstellt und Einmalinstrumente (Nasenspekulum, Mundspatel, Ohrtrichter) für zuhause ausgegeben.

Aufgrund der fehlenden Möglichkeit des Präsenzunterrichts und des Patientenkontaktes erfolgte darüber hinaus die Erstellung von Patientenfällen, die auf einer Lern-Plattform bereitgestellt wurden. Hinzu tritt das Problem, dass bei den HNO-ärztlichen Untersuchungen der Mund-Nasen-Schutz seitens der Patienten nicht getragen und der Abstand bei den Untersuchungen nicht eingehalten werden kann. Daher entwickelten wir insgesamt 16 virtuelle Fälle von häufigen HNO-Erkrankungen, wovon jeweils zwei Fälle pro Woche im wöchentlichen Wechsel angeboten wurden, beispielhaft sei hier Epistaxis, akute Tonsillitis oder Larynxkarzinom genannt. Diese sind mit Lückentexten, offenen und Auswahl-Fragen, weiterführenden Links und Videos versehen. Zum Teil wurden thematisch passende Exkurs-Angebote hinzugefügt, z.B. internistische Komorbiditäten bei Epistaxis. Die zeitaufwendige Erstellung erfolgte im Wechsel durch ärztliche Mitarbeiter als HTML 5 Lernpaket mit dem Autorenprogramm Exelearning 2.5 (Quelle: [https://exelearning.net/en/]).

Die Studierenden wurden ähnlich dem Präsenzunterricht in acht Gruppen für jeweils eine Woche eingeteilt (à 12-15 Teilnehmer) und per individualisierter Mail auf den Wochenplan mit täglichen Aufgaben hingewiesen. Jeweils donnerstags sollten zwei Fälle bearbeitet und evaluiert werden. Freitags wurde die Teilnahme an einem 45-60minütigen Videomeeting erwartet, um Inhalte zu besprechen und Fragen zu beantworten.

Um die klinische Praxis mit Patientenkontakt und Untersuchungstechniken zu ermöglichen, wurde den Studierenden eine kurze Famulatur (über fünf Tage) angeboten. Die Evaluation der neu entwickelten interaktiven Patientenfallbearbeitung erfolgte mittels der Umfragesoftware EvaSys.


Ergebnisse

Für die Teilnahme an Vorlesung und Blockpraktikum waren 138 Studierende aus dem 6. Klinischen Semester angemeldet.

Die angebotenen Einmalinstrumente wurden von 65 von 138 Studierenden (47,10%) abgeholt (bzw. bei Bedarf verschickt). Am wöchentlichen Videomeeting haben 70 von 138 Studierenden (50,72%) teilgenommen, wobei sich hier eine deutlich rückläufige Teilnahme über die Zeit zeigte, siehe Abbildung 1 [Abb. 1]. Die angebotene kurze Famulatur wurde von 2 der 138 Studierenden (1,45%) in Anspruch genommen. Darüber hinaus fiel auf, dass die Studierenden trotz mehrmaligen mündlichen und schriftlichen Aufforderungen (da es sich um ein neues Tool handelte) nur in geringer Anzahl die neu entwickelte Fallbearbeitung evaluierten, siehe Abbildung 2 [Abb. 2].


Diskussion

Die kurzfristige Umstellung auf die neue Lehr-Situation im Rahmen der Covid-19-Pandemie war eine große Herausforderung für Lehrende im Humanmedizinstudium. Durch die eingeschränkten Möglichkeiten der Präsenz mussten Alternativangebote zügig mit großem Aufwand erstellt werden. In der HNO-Klinik wurde unter anderem ein Online-Blockpraktikum angeboten, welches insbesondere durch rekonstruierte Fälle mit interaktiven Bearbeitungsmöglichkeiten ergänzt wurde.

Es zeigte sich jedoch, dass die Nutzung durch die Studierenden enttäuschend war und noch Potential hat. Das Angebot einer kurzen Präsenzzeit zum Erlernen praktischer Übungen wurde lediglich von 1,45% der Studierenden genutzt. Die angebotenen kostenlosen Einmalinstrumente für die Untersuchungsübungen zuhause wurden ebenso wie ein 45-60minütiges Videomeeting zur Besprechung der Inhalte von lediglich der Hälfte genutzt. Insbesondere fällt auf, dass die Beteiligung über den Zeitraum der acht Wochen Blockpraktikum bei wöchentlich anderer eingeteilter Gruppe eine rückläufige Tendenz hatte. Da die Gruppengröße und das Semester gleich waren, kann der Gruppenwechsel jedoch keinen entscheidenden Einfluss auf den Rückgang der Beteiligung nehmen.

Da fallbasiertes Lernen als erfolgversprechend gilt [10], ergänzten wir unser Lehrangebot durch Patientenfälle. Die Evaluation hierfür war inhaltlich sehr zufriedenstellend, jedoch war die Teilnahme an der Evaluation trotz mehrfacher Hinweise weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Dies erscheint vor allem unter dem Aspekt enttäuschend, dass ein neues Lehrinstrument evaluiert und optimiert werden sollte.

Der direkte Kontakt zu Lehrpersonen sowie Motivation sind bekannte wichtige Gründe für Lernerfolg [5]. Spekuliert werden kann, ob die eingeschränkte Motivation durch nachlassendes Interesse am Fach, durch Zeitverbrauch durch konkurrierende Studienaufgaben wie Prüfungen oder durch die zunehmende Rückkehr zum alltäglichen Leben mit entsprechenden Zerstreuungsangeboten nach dem Lockdown assoziiert sein könnte.

Es scheint, dass nur durch unmittelbaren Kontakt zu den Studierenden und deren Präsenz vor Ort ausreichend Motivation zur Nutzung der Lehrangebote, auch bei weniger am Fach interessierten Studierenden zu gewährleisten ist. Zur Sicherstellung, dass jeder Studierende sich mit Basisinhalten der HNO beschäftigt, ist daher aus unserer Sicht verpflichtender Präsenzunterricht in Kleingruppen mit entsprechenden Anwesenheits- und Lernkontrollen essentiell. Perspektivisch muss das Ziel sein, die Bearbeitung und Nutzung der Online-Lehrangebote, welche den Präsenzunterricht ergänzen, in digitaler Form zu kontrollieren.


Danksagung

Wir danken Frau Birgit Scheungrab für die admininistrative Unterstützung bei der Erstellung der Pläne und bei der Kommunikation mit den Studierenden.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Soosaipillai G, Archer S, Ashrafian H, Darzi A. Breaking Bad News Training in the COVID-19 Era and Beyond. J Med Educ Curric Dev. 2020;7:2382120520938706. DOI: 10.1177/2382120520938706 Externer Link
2.
Byrnes KG, Kiely PA, Dunne CP, McDermott KW, Coffey JC. Communication, collaboration and contagion: "virtualisation" of anatomy during COVID-19. Clin Anat. 2020;1-8. DOI: 10.1002/ca.23649 Externer Link
3.
Cheng X, Liu J, Li N, Nisenbaum E, Sun Q, Chen B, Casiano R, Weed D, Telischi F, Denneny 3rd JC, Liu X, Shu Y. Otolaryngology Providers Must Be Alert for Patients with Mild and Asymptomatic COVID-19. Otolaryngol Head Neck Surg. 2020;162(6):809-810. DOI: 10.1177/0194599820920649 Externer Link
4.
Meng L, Hua F, Bian Z. Coronavirus Disease 2019 (COVID-19): Emerging and Future Challenges for Dental and Oral Medicine. J Dent Res. 2020;99(5):481-7. DOI: 10.1177/0022034520914246 Externer Link
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6.
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7.
Daubenfeld T, Kromeier J, Heermann S, Hildenbrand T, Giesler M, Offergeld C. Tradition vs. Moderne: Möglichkeiten und Limitationen eines neuen Vorlesungskonzepts in der curricularen HNO-Lehre [Traditional vs. modern: possibilities and limitations of the new lecture concept in ENT teaching curricula]. HNO. 2020;68(4):263-271. DOI: 10.1007/s00106-020-00834-z Externer Link
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Ruiz JG, Mintzer MJ, Leipzig RM. The impact of E-learning in medical education. Acad Med. 2006;81(3):207-712. DOI: 10.1097/00001888-200603000-00002 Externer Link
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Gul A, Khan RA, Yasmeen R, Ahsan NU. How Case Based Learning Promotes Deep Learning In Preclinical Years Of Medical Students? J Ayub Med Coll Abbottabad. 2020;32(2):228-233.