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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

„Corona-Debriefing“: Konzept und Pilottest eines 90-Minuten-Workshops für die Aus- und Weiterbildung in der Allgemeinmedizin

Kurzbeitrag Online-Workshop

  • corresponding author Andreas Klement - Universität Halle-Wittenberg, Institut für Allgemeinmedizin, KOMPAS: Kompetenzzentrum für die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin Sachsen-Anhalt, Halle/Saale, Deutschland
  • Torben Ibs - Universität Halle-Wittenberg, Institut für Allgemeinmedizin, KOMPAS: Kompetenzzentrum für die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin Sachsen-Anhalt, Halle/Saale, Deutschland
  • Sebastian Longard - Universität Halle-Wittenberg, Institut für Allgemeinmedizin, KOMPAS: Kompetenzzentrum für die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin Sachsen-Anhalt, Halle/Saale, Deutschland
  • Catarina Klinkhart - Universität Halle-Wittenberg, Institut für Allgemeinmedizin, KOMPAS: Kompetenzzentrum für die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin Sachsen-Anhalt, Halle/Saale, Deutschland
  • Thomas Frese - Universität Halle-Wittenberg, Institut für Allgemeinmedizin, KOMPAS: Kompetenzzentrum für die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin Sachsen-Anhalt, Halle/Saale, Deutschland
  • Marcus Heise - Universität Halle-Wittenberg, Institut für Allgemeinmedizin, KOMPAS: Kompetenzzentrum für die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin Sachsen-Anhalt, Halle/Saale, Deutschland

GMS J Med Educ 2020;37(7):Doc95

doi: 10.3205/zma001388, urn:nbn:de:0183-zma0013884

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2020-37/zma001388.shtml

Eingereicht: 31. Juli 2020
Überarbeitet: 19. Oktober 2020
Angenommen: 23. Oktober 2020
Veröffentlicht: 3. Dezember 2020

© 2020 Klement et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Die Corona-Pandemie verändert die Rahmenbedingungen von Studium und Weiterbildung in der Medizin ebenso wie die Arbeit am Patienten und im Team. Eine systematische Reflektion und Kommunikation über Erfahrungen und Umgangsweisen bildet die Grundlage für ein erfolgreiches Lernen in und aus der Krise. Wir konzipierten daher einen 90-Minuten Workshop „Corona-Debriefing“ für Studierende und Ärzt*innen in Weiterbildung (ÄiW) mittels drei aufeinanderfolgenden moderierten Interaktionsphasen: Fragebogenerhebung per Tele-Dialog-Voting (TED) mit unmittelbarer Ergebnisvorstellung und Diskussion, moderierte Erlebnisberichte zu den Kategorien Gefährdung / Bewertung / Unterstützung / Bewältigung und schließlich moderierte Gruppendiskussionen in Kleingruppen zur Sammlung von „Best-Practice“ – Beispielen zur Krisenbewältigung.

Ziele: Wir erprobten „Corona-Debriefing“ als Pilottest mit 48 ÄiW als Teilnehmern (TN) im Juli 2020 (30 präsent, 14 online) mit den Auswertungszielen psychische Belastung / Gefährdungseinschätzung der TN, inhaltliche Schwerpunkte, technische Umsetzung, Gesamtbewertung und Kritik am Format.

Methoden: Zur Erfassung der psychischen Belastung diente der PHQ-4 mit seinen Subskalen GAD-2 (Ängstlichkeit) und PHQ-2 (Depressivität); Gefährdungseinschätzungen wurden mit selbstkonstruierten 5-Punkt-Likert-Skalen zu den Dimensionen Person/Gesellschaft/Gesundheit/Ökonomie erhoben. Eine formative und Evaluation erfolgte mittels Fragebogen am Veranstaltungsende, die Gesamtbewertung wurde mittels Schulnotenskala erfragt.

Ergebnisse: Ausgewertet werden konnten 37 komplette TED-Fragebögen und 22 Evaluationen. TN zeigten eine geringe persönliche Gefährdungseinschätzung, jedoch erhebliche Befürchtungen zu gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen. Bedarfe werden v.a. in Organisation, Schutzausrüstung und fachlicher Kommunikation (z.B. offiziellen Handlungsempfehlungen) gesehen. Der Workshop wurde in 95% der Evaluationen „gut“ oder „sehr gut“ bewertet. Kritik betraf zeitliche Enge, thematische Einengung durch Moderatoren und den Wunsch nach (noch) mehr Raum für Austausch persönlicher Erfahrungen.

Schlussfolgerung: Der Workshop „Corona-Debriefing“ ist eine relativ aufwandsarm umsetzbare Möglichkeit um Krisenerfahrungen für Lernprozesse zu nutzen. „Corona-Debriefing“ kann durch Änderung der Moderationsschwerpunkte in diversen Studiengängen, -jahren bzw. Fachgebieten genutzt werden, wobei eigene persönliche und klinische Krisenerfahrungen der TN Voraussetzung für ein sinnvolles „Debriefing“ bleiben.

Schlüsselwörter: Corona, Debriefing, Workshop, Allgemeinmedizin, Pilottest


Einleitung

Die Corona-Pandemie betrifft Studierende und Ärzt*innen in Weiterbildung (ÄiW) persönlich wie professionell. Arbeiten und Verhalten in Studium und Beruf mussten sich schnell veränderten Bedingungen anpassen [1]. Arbeitsbedingungen der Allgemeinmedizin wie Niedrigschwelligkeit, Kontinuität und persönliche Nähe waren besonders betroffen [2]. Befürchtungen, Unsicherheit und Belastungen verlangten nach besonderen Fähigkeiten zur Selbstsorge sowie Kommunikation und Organisation [3]. Für erfolgreiches Lernen in und aus Krisen wird weithin das Konzept der Nachbesprechung (engl. „Debriefing“) zur Frage „was ist warum passiert und ginge besser“ genutzt. In der Medizindidaktik wurde systematisches Debriefing bisher v.a. im Simulationslernen und Umgang mit kritischen Ereignissen (z.B. CIRS) genutzt, erscheint jedoch auch für den Umgang mit Krisen als „facilitator-guided post-event debriefing“ (PED) geeignet [4]. An unserem Standort liegen zu PED langjährige Erfahrungen im Rahmen von SkillsLab-Stationen im Medizinstudium vor. Wir nutzten nun PED zur Konzeption eines 90-minütigen Workshop zu „Lehren aus Corona“ in Medizinstudium und Weiterbildung, der Krisenerfahrungen und -Strategien erfragt und „Best-Practice“ sammelt. Wir berichten über den Pilottest Anfang Juli 2020 an 48 ÄiW Allgemeinmedizin. Aufgrund corona-bedingter Abstandsregeln nahmen nur 30 TN in Präsenz (Antworten per WebTED) und weitere 18 mittels BigBlueButton im Online-Stream (Antworten per SoSciSurvey) teil. Zur Erfassung der psychischen Belastung diente als Screeninginstrument der PHQ-4 mit seinen Subskalen GAD-2 (Ängstlichkeit) und PHQ-2 (Depressivität) [5], die in der Professionalisierungsforschung zur Corona-Pandemie gebräuchlich sind.

Auswertungsziele des Pilottesteswaren psychische Belastung/Gefährdungseinschätzung der TN, inhaltliche Schwerpunkte, technische Umsetzung, Gesamtbewertung und Kritik am Format.


Projektbeschreibung

Übliche Bestandteile eines PED sind eine mindestens drei-phasische Gesprächsstruktur zur Beschreibung von Reaktion, Analyse und Bearbeitung des Geschehens, meist ergänzt durch ggf. visualisierte Zusammenfassung des Gelernten [4]. Wir adaptierten die PED-Struktur auf ein zeitgleiches Präsenz und Online-Format unter Nutzung multimedialer Instrumente (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).


Ergebnisse

Von 48 TN waren 70% weiblich; 75% ≤35 Jahre; zu 40% im ≤2ten bzw. zu 95% im ≤4ten Weiterbildungsjahr. Ausgewertet wurden 37 Fragebögen und 22 Evaluationen. SARS-CoV-2-Kontakt gaben 66% der TN an, davon 75% beruflich. Auffälligkeiten im PHQ-4 (≥3 Punkte) erreichten in den Subskalen zu Ängstlichkeit (GAD-2) drei TN und zu Depressivität (PHQ-2) ein TN. Die Mittelwerte (Standardabweichungen) für Summenindizes des PHQ-4, PHQ-2 und GAD-2 betrugen 2.00 (1.57); 0.78 (0.87) und 1.22 (0.90). Substantielle Effekte der PHQ-Dimensionen ergaben sich zu subjektiven Erleben psychosozialer Krisen sowie Gefährdungseinschätzung (v.a. gesellschaftlich: gesundheitlich, wirtschaftlich & psycho-sozial) sowie zu fachlichen Informationsbedarf. Die am stärksten (überwiegend oder sehr) bejahten Fragebogenitems waren gesellschaftliche Befürchtungen (psychosozial 81%; wirtschaftlich 69%). Persönlich sahen TN sich in ihrer Berufswahl bestätigt (74%), formulierten jedoch klare Bedarfe an (besserer) Organisation (67.7%), Ausrüstung (58%) und Information (44%). „Corona Debriefing“ wurde von 95% (N=21) „gut“ oder „sehr gut“ bewertet, einmal „nicht empfohlen“. Kritik betraf zeitliche / thematische Enge, gewünscht wurde (noch) mehr Raum für persönliche Erfahrungen.

IStehgreiferzählungen kamen von ca. 20 der 30 Präsenz-TN und fünf von 18 Online-TN (relativ 66 Präsenz- vs. 30% Onlinebeiträge). OInhaltlich wesentliche Erzählstimuli waren hierfür Unterstützungs- und Belastungserlebnisse. Zum Krisenverlauf äußerten TN anfänglich verstärkte Unsicherheit, Anspannung und Ängste durch fehlende materielle (Schutzkleidung), organisatorische (Kinderbetreuung) wie informative (Empfehlungen) Unterstützung, die in Wut und Enttäuschung gipfelten. Hieraus entwickelten sich dann aber durch positiv besetzte Eigenschaften und Handlungen engere Teamarbeit, Entwicklung von (praxis)individueller Lösungen und verstärktes Gemeinschaftsgefühl, bis hin zu Bestärkung und sogar Stolz. In der Zusammenfassung konnte festgehalten werden: nach anfänglich gefühlter Hilflosigkeit war eine lösungsorientierte Reorganisation im (Praxis)Alltag möglich, die zu mehr Handlungssicherheit führte. Ambivalenz zwischen Unsicherheit auf das, was kommen mag und persönlicher Bestärkung durch bisher geleistetes blieb bestehen.


Diskussion

„Corona-Debriefing“ wurde im Pilottest positiv evaluiert und zeigte sich – nach Etablierung der technischen Voraussetzungen – aufwandsarm umsetzbar. Trotz vieler SARS-CoV-2-Kontakte zeigten die ÄiW bevölkerungsähnliche PHQ-4 Werte als Hinweis auf Resilienz. Eine Vielzahl Erzählungen zu Krisenerleben und –Strategien wurde angeregt. Daraus konnte „Best-Practice“ zur gegenseitigen Unterstützung und Handlungsabläufe für die nächste Welle/ Krise abstrahiert werden – wie in Simulationen üblich [6] bzw. in Reviews empfohlen [7]. Individuelle persönliche und klinische Krisenerfahrungen der TN bilden die Grundlage für sinnvolles „Debriefing“. Diese müssen daher zur Konzeption der Inhaltsschwerpunkte vorab exploriert und didaktische Konzeption sowie Dimensionen der Visualisierung angepasst werden. Die Übertragung des Konzeptes auf Studierende, deren Krisenerfahrungen sich von ÄiW unterscheiden können, verlangt entsprechend im Sinne eines „gemeinsamen Erfahrungsrahmens“ [4] nach veränderten Moderationsschwerpunkten (z.B. auf Lernmethoden; Praxiskontakte) für Stehgreiferzählungen und Kleingruppenarbeit, sowie Anpassung einzelner Fragebogenitems. Schwächen der Aussagekraft unseres Pilottestes sind mangelnde Repräsentativität, Moderatorenabhängigkeit und möglicherweise Unterschiede in verfügbarer Technik sowie Vorerfahrungen der TN.


Schlussfolgerung

„Corona-Debriefing“ ist eine anregende Möglichkeit für ein „Lernen in und aus der Krise“. Ein Pilottest unter ÄiW verlief vielversprechend. Das Konzept wird in Halle-Wittenberg für Studierende angepasst und im Wintersemester evaluiert werden.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Theoret C, Ming X. Our education, our concerns: The impact on medical student education of COVID-19. Med Educ. 2020;54(7):591-592. DOI: 10.1111/medu.14181 Externer Link
2.
Li DK, Zhu S. Contributions and challenges of general practitioners in China fighting against the novel coronavirus crisis. Fam Med Community Health. 2020;8(2):e000361. DOI: 10.1136/fmch-2020-000361 Externer Link
3.
Jenkins LS, Von Pressentin KB, Naidoo K, Schaefer R. The evolving role of family physicians during the coronavirus disease 2019 crisis: An appreciative reflection. Afr J Prim Health Care Fam Med. 2020;12(1):e1-e4. DOI: 10.4102/phcfm.v12i1.2478 Externer Link
4.
Sawyer T, Eppich W, Brett-Fleegler M, Grant V, Cheng A. More Than One Way to Debrief: A Critical Review of Healthcare Simulation Debriefing Methods. Simul Healthc. 2016;11(3):209-217. DOI: 10.1097/SIH.0000000000000148 Externer Link
5.
Löwe B, Wahl I, Rose M, Spitzer C, Glaesmer H, Wingenfeld K, Schneider A, Brähler E. A 4-item measure of depression and anxiety: validation and standardization of the Patient Health Questionnaire-4 (PHQ-4) in the general population. J Affect Disord. 2010;122(1-2):86-95. DOI: 10.1016/j.jad.2009.06.019 Externer Link
6.
Shi D, Lu H, Wang H, Bao S, Qian L, Dong X, Tao K, Xu Z. A simulation training course for family medicine residents in China managing COVID-19. Aust J Gen Pract. 2020;49(6):364-368. DOI: 10.31128/AJGP-04-20-5337 Externer Link
7.
Dunlop C, Howe A, Li D, Allen LN. The coronavirus outbreak: The central role of primary care in emergency preparedness and response. BJGP Open. 2020;4(1):bjgpopen20X101041. DOI: 10.3399/bjgpopen20X101041 Externer Link