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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Evaluation eines Telemedizin-basierten Trainings für Medizinstudierende im Praktischen Jahr mit Simulationspatient*innen-Konsultationen, -Dokumentation und -Fallpräsentation

Kurzbeitrag Simulation

  • corresponding author Sigrid Harendza - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, III. Medizinische Klinik, Hamburg, Deutschland
  • Julia Gärtner - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, III. Medizinische Klinik, Hamburg, Deutschland
  • Elena Zelesniack - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, III. Medizinische Klinik, Hamburg, Deutschland
  • Sarah Prediger - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, III. Medizinische Klinik, Hamburg, Deutschland

GMS J Med Educ 2020;37(7):Doc94

doi: 10.3205/zma001387, urn:nbn:de:0183-zma0013877

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2020-37/zma001387.shtml

Eingereicht: 25. Juli 2020
Überarbeitet: 25. Juli 2020
Angenommen: 15. Oktober 2020
Veröffentlicht: 3. Dezember 2020

© 2020 Harendza et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Fokussierte Anamneseerhebung, wissensbasiertes klinisches Argumentieren und adäquate Fallpräsentationen in Übergabegesprächen stellen wichtige Kompetenzfacetten praktizierender Ärzt*innen dar. Basierend auf einer validierten 360-Grad Beurteilung eines simulierten ersten Arbeitstags in der ärztlichen Weiterbildung im Krankenhaus entwickelten wir ein Training für Studierende im Praktischen Jahr (PJ) mit einer Sprechstunde, einer Patient*innenbetreuungsphase und einem Übergabegespräch. Aufgrund der COVID-19 Pandemie wurde das Training in ein telemedizinisches Format umgewandelt und evaluiert.

Methoden: Im Jahr 2019 nahmen 103 PJ-Studierende an einem neu entwickelten, kompetenzbasierten Training teil, das seine Sprechstunde mit Simulationspatient*innen, eine Patient*innenbetreuungsphase mit einer elektronischen Patient*innenakte und eine Patient*innenfallpräsentation im Übergabeformat beinhaltete. Aufgrund der Abstandsregeln gab es keine Genehmigung, das Training in dieser Weise durchzuführen. Daher wandelten wir das Training in ein Telemedizinformat um. Im Mai 2020 nahmen 32 Studierende an dem Telemedizintraining teil. Eine 5-Punkte Likert Skala (1: trifft nicht zu, bis 5: trifft voll zu) wurde für die Evaluationsitems eingesetzt. Die beiden Formate wurden mittels t-Test verglichen.

Ergebnisse: Die Studierenden waren unabhängig vom Trainingsformat gleichermaßen mit den Inhalten des Trainings zufrieden. Beiden Gruppen fanden die Patient*innenfälle interessant (Präsenz: 4,68±0,49; Telemedizin: 4,66±0,48). In Bezug auf das Telemedizinformat waren die Teilnehmenden froh, dass eine Möglichkeit gefunden wurde, die trotz der COVID-19 Pandemie über das gesamte PJ hinweg durchgeführt werden kann (4,94±0,24) und sie erachteten das Format als sehr nützliches Training für ihre Abschlussprüfung (4,94±0,24).

Schlussfolgerung: Das Telemedizinformat des kompetenzbasierten Trainings funktionierte genauso gut wie das Präsenzformat. Im Telemedizinformat kann das Training Studierenden unabhängig von deren Standort angeboten werden.

Schlüsselwörter: Kommunikation, Kompetenz, Prüfung, Simulation, Sprechstunde, Telemedizin, Training


Einleitung

Eine kompetenzbasierte medizinische Ausbildung soll Medizinstudierende darauf vorbereiten, klinische Probleme zu lösen [1]. Fokussierte Anamneseerhebung, wissensbasiertes klinisches Argumentieren und adäquate Fallpräsentationen in Übergabegesprächen stellen wichtige Kompetenzfacetten dar, die für eine gute Patient*innenbetreuung entscheidend sind [2], [3], [4]. Um diese Kompetenzen zu erwerben wurden Kommunikationstrainings mit Simulationspatient*innen, Seminare und andere Trainingsprogramme im Medizinstudium etabliert [5], [6], [7], [8]. Seit Beginn der COVID-19 Pandemie erfuhr die medizinische Ausbildung einen Stopp von Seminaren und Unterricht am Krankenbett [9]. In der Patient*innenversorgung stieg die Zahl an telemedizinbasierten Sprechstunden während der COVID-19 Pandemie enorm an und wird sich vermutlich für noch längere Zeit auf diesem Niveau halten [10]. Für die medizinische Ausbildung wurde die Nutzung von Telemedizin für die Kern Anvertraubaren Professionellen Tätigkeiten (APT), die von der Association of American Medical Colleges (AAMC) definiert wurden, vorgeschlagen, inclusive virtueller Anamneseerhebung, Dokumentation klinischer Begegnungen und dem Geben oder Empfangen einer Patient*innenübergabe [11].


Projektbeschreibung

Im Jahr 2019 haben wir im neu gegründeten Centrum zur Entwicklung und Prüfung ärztlicher Kompetenzen am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf ein kompetenzbasiertes Training für PJ-Studierende entwickelt, das auf einem validierten 360-Grad Assessment basiert, das einen ersten Tag in der ärztlichen Weiterbildung simuliert [8]. Dieses Training umfasste eine Sprechstunde mit vier Schauspielpatient*innen pro Teilnehmer*in, die Patient*innendokumentation und -betreuung mittels einer neu entwickelten elektronischen Patient*innenakte und eine Fallpräsentation pro Teilnehmer*in im Übergabeformat. Die für dieses Training entwickelten Patient*innen sind in Tabelle 1 [Tab. 1] dargestellt. Alle Patient*innenfälle wurden nach dem Vorbild realer Patient*innen, die in der Notaufnahme des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf behandelt worden waren, gestaltet. Die Befunde der körperlichen Untersuchung und eine Zusammenstellung basaler Laborergebnisse wurden den Teilnehmer*innen nach jeder simulierten Patient*innenbegegnung zur Verfügung gestellt. Vor der Fallpräsentation erhielten alle Teilnehmer*innen weitere Befunde für einen Patienten oder eine Patientin, z.B: EKG, Röntenbilder oder Ergebnisse weiterer Blutuntersuchungen. Im Oktober und Dezember 2019 (Präsenz) nahmen 103 Medizinstudierende (63,1% weiblich) an diesem Training teil. Am Ende jedes Trainings nahmen die Teilnehmer*innen an einer elektronischen Evaluation teil. Die Schauspielpatient*innen füllten nach jeder Konsultation einen Fragebogen (ComCare) aus, der Aspekte der Kommunikation und der zwischenmenschlichen Fähigkeiten enthielt [12]. Weitere Trainings waren für 2020 geplant. Aufgrund der im März 2020 in Kraft tretenden Vorschriften zur sozialen Distanzierung konnten die Trainings jedoch nicht in der bewährten Weise stattfinden. Dank der Finanzierung von zehn Tablet-Computern konnten wir die Trainings über Telemedizin anbieten. Via Zoom wurden virtuelle Räume für die Konsultationen mit den Schauspielpatient*innen, für die Arbeit mit den elektronischen Patient*innenakten und für die Fallpräsentationen eingerichtet. Im Mai 2020 (Telemedizin) nahmen 32 Medizinstudierende (56,3% weiblich) am Telemedizintraining teil. Auch dieses Training wurde von den Teilnehmer*innen elektronisch evaluiert. Alle Teilnehmer*innen beantworteten Fragen zum Inhalt des Trainings. Die Teilnehmer*innen des Telemedizintrainings beantworteten zusätzlich Fragen zum Format des Trainings. Alle Items wurden auf einer 5-stufigen Likert-Skala bewertet (1: trifft nicht zu, 2: trifft etwas zu, 3: trifft teilweise zu, 4: trifft eher zu, 5: trifft voll zu). Vergleiche mit Bezug zu den Trainingsinhalten wurden mit t-Tests für unabhängige Stichproben berechnet. Die Signifikanzniveaus wurden auf p<0,05 festgelegt.


Ergebnisse

Alle 135 Teilnehmenden schlossen das Training ab und in beiden Formaten traten keine kritischen Probleme auf. Kleine technische Probleme während des Telemedizinformats konnten leicht gelöst werden. Alle Teilnehmenden schienen mit dem Inhalt des Trainings sehr zufrieden zu sein (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]). Es wurden keine signifikanten Unterschiede zwischen der Präsenz- und der Telemedizingruppe festgestellt. Beide Gruppen fanden die Patient*innenfälle interessant (Präsenz: 4,68±0,49; Telemedizin: 4,66±0,48) und erkannten die Lösung der Patient*innenfälle meist nicht sofort (Präsenz: 2,75±0,88; Telemedizin: 2,75±0,76). Was das Telemedizinformat betrifft (siehe Tabelle 3 [Tab. 3]), so fanden die Teilnehmenden es als Training für ihre Abschlussprüfung sehr nützlich (4,94±0,24) und meinten, dass ein solches Training während des gesamten PJ angeboten werden sollte (4,94±0,24). Die Teilnehmenden waren der Meinung, dass das Telemedizintraining sehr nützlich sei um die Übernahme von ärztlicher Verantwortung zu üben (4,75±0,50) und dass es im Medizinstudium ab dem 4. Studienjahr angeboten werden sollte (4,56±0,61).


Diskussion und Schlussfolgerung

Die Umstellung eines Trainings, das einen ersten Arbeitstag in der ärztlichen Weiterbildung im Krankenhaus simuliert, von einem Präsenz- auf ein Telemedizinformat führte zu keinen signifikanten Veränderungen in der hohen Bewertung des Nutzens der Trainingsinhalte. Die Teilnehmenden wünschten sich mehr Angebote von Trainingsmöglichkeiten in diesem Format, das – mit Gestaltung und Inhalt – dazu beitragen könnte, den Übergang vom Medizinstudium zur ärztlichen Weiterbildung zu verbessern [13]. Da die Studierenden – unabhängig vom Trainingsformat – berichteten, dass sie die Lösungen für die Patient*innenfälle nicht sofort kannten, scheint unser Training ein nützliches Lehrmittel zu sein, um die diagnostische Entscheidungsfindung der Studierenden zu verbessern [14]. Der für das klinische Argumentieren relevante Kontext der Patient*innenfälle [15] wurde so gestaltet, dass beide für das klinische Argumentieren wichtigen Wege, Mustererkennung und analytisches Denken [16], in der Bearbeitung der Patient*innenfälle angewandt werden mussten. Dies scheint erfolgreich funktioniert zu haben. In seinem Telemedizinformat kann unser kompetenzbasiertes Training Medizinstudierenden im PJ unabhängig von ihrem derzeitigen Studienort problemlos angeboten werden.


Förderung

Dieses Projekt wurde durch die Joachim Herz Stiftung unterstützt. Die Claussen Simon Stiftung unterstützte das Projekt zusätzlich mit fünf Tablet Computern.


Ethik

Diese Studie wurde in Übereinstimmung mit der Erklärung von Helsinki durchgeführt und die Ethik-Kommission der Ärztekammer Hamburg genehmigte die Studie und bestätigte ihre Unbedenklichkeit. Die Studie schloss ein schriftliches Einverständnis der Teilnehmenden ein und die Teilnahme war freiwillig und anonymisiert (Referenz-Nummer: PV3649).


Danksagung

Wir danken allen Medizinstudierenden, die am Training teilgenommen haben, und den Schauspielern und Schauspielerinnen Christian Bruhn, Christiane Filla, Franziska Herrmann, Ulrike Johannson, Thomas Klees, Thorsten Neelmeyer, Frank Thomé und Claudia Wiedemer, die uns dabei unterstützt haben, das Training trotz der COVID-19 Pandemie zu realisieren.


Interessenkonflikt

Die Autorinnen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

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