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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Krise als Chance. Digitales Training sozialer Kompetenzen mit Simulationspersonen an der Medizinischen Fakultät der RWTH Aachen aufgrund der fehlenden Präsenzlehre in der SARS-Cov-2 Pandemie

Kurzbeitrag Kommunikation

  • corresponding author Andrea Lenes - RWTH Aachen, Medizinische Fakultät, Aixtra Kompetenzzentrum für Training und Patientensicherheit, Aachen, Deutschland
  • M. Klasen - RWTH Aachen, Medizinische Fakultät, Aixtra Kompetenzzentrum für Training und Patientensicherheit, Aachen, Deutschland
  • A. Adelt - RWTH Aachen, Medizinische Fakultät, Aixtra Kompetenzzentrum für Training und Patientensicherheit, Aachen, Deutschland
  • U. Göretz - RWTH Aachen, Medizinische Fakultät, Aixtra Kompetenzzentrum für Training und Patientensicherheit, Aachen, Deutschland
  • C. Proch-Trodler - RWTH Aachen, Medizinische Fakultät, Modellstudiengang, Aachen, Deutschland
  • H. Schenkat - RWTH Aachen, Medizinische Fakultät, Modellstudiengang, Aachen, Deutschland
  • S. Sopka - RWTH Aachen, Medizinische Fakultät, Aixtra Kompetenzzentrum für Training und Patientensicherheit, Aachen, Deutschland; Uniklinik Aachen, Klinik für Anästhesiologie, Aachen, Deutschland

GMS J Med Educ 2020;37(7):Doc82

doi: 10.3205/zma001375, urn:nbn:de:0183-zma0013750

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2020-37/zma001375.shtml

Eingereicht: 29. Juli 2020
Überarbeitet: 5. Oktober 2020
Angenommen: 29. Oktober 2020
Veröffentlicht: 3. Dezember 2020

© 2020 Lenes et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Das AIXTRA Kompetenzzentrum für Training und Patientensicherheit der RWTH Aachen hat als Konsequenz aus der entfallenen Präsenzlehre aufgrund der COVID-19-Pandemie ein Konzept erarbeitet, um das Erlernen kommunikativer Fertigkeiten mit Simulationspersonen (SP)digital zu ermöglichen.

Methodik: Bestehende SP-Fälle in der curricularen Lehre wurden auf die digitale Anwendbarkeit überprüft und modifiziert. Digitale Seminare mit der Methodik der Gesprächssimulation mit SP, für geplant 690 Studierende für die Kurse Anamnesetraining 6.Semester, Gespräche in der Psychiatrie 8. Semester und im klinischen Kompetenzkurs, 10. Semester, wurden über eine Videokonferenz-Software durchgeführt. Der Aufbau ist analog zu SP-Seminaren der Präsenzlehre mit einer Fallvorstellung, einem Ärztin/Patientin Gespräch und einer Feedbackrunde gestaltet. Die Seminare wurden im 6. und 10. Semester per Online-Fragebogen anonym durch die Studierenden evaluiert. SP wurden per Mail um ihre Einschätzung gebeten. Die Dozierenden werden mittels qualitativer Interviews zu ihrer Erfahrung mit den digitalen Seminaren befragt.

Ergebnisse: Die Befragung der Studierenden mit 92 ausgefüllten Fragebögen weist auf eine hohe Akzeptanz hin. Die digitale Lehre mit SP wurde von 63% der Studierenden mit „sehr gut“ und von 37 % mit „gut“ als Gesamtnote für den Kurs bewertet. Die digitale Durchführung ist gut praktikabel, die Beibehaltung und Erreichbarkeit aller Lernziele wird als gegeben eingestuft.

Schlussfolgerung: Digitale Lehre mit SP ist mit entsprechender Vorbereitung gut realisierbar. Spezifische Aspekte der digitalen Durchführung (z. B. Rollen- und Datenschutz) müssen beachtet werden. Die differenzierte Auswertung der Befragungen wird weitere Ergebnisse und ableitende Fragen bringen.

Schlüsselwörter: Kommunikation, Covid-19, digitales Training, soziale Fertigkeiten, Simulationspersonen


Hintergrund

Aufgrund der COVID-19-Situation fand an der medizinischen Fakultät der RWTH Aachen im Sommersemester 2020 keine Präsenzlehre statt. Das AIXTRA Kompetenzzentrum für Training und Patientensicherheit hat ein Konzept erarbeitet, um das Erlernen und Trainieren sozialer Kompetenz und Kommunikation in digitaler Form aufrecht zu erhalten.

Es gibt wenig Forschung zum Thema „digitale Gespräche mit Simulationspersonen (SP)“. Das ist bemerkenswert angesichts internationaler Erfahrungen mit der Telemedizin [1]. Auch das Konzept „Telesimulation“ des digital unterstützten Lehrens und Lernens beschränkt sich zumeist auf den Erwerb psychomotorischer Fertigkeiten anhand von Simulationsmodellen [2]. Ansätze zu digitaler SP-Lehre existieren zwar, sind allerdings bisher nicht gut erforscht. Zu nennen sind hier sogenannte virtuelle SP. Anscheinend können manche Skills damit erfolgreich trainiert werden [3], allerdings werden die Settings von den Teilnehmenden oft als künstlich empfunden und als ungeeignet für Kommunikationstrainings [4]. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass Kommunikationstraining über Videotelefonie ähnlich gut funktioniert wie Präsenz-SP-Trainings. Vor allem scheinen Zufriedenheit mit dem Gespräch, wahrgenommener Informationsaustausch und Aufbau einer interpersonellen Beziehung ähnlich gut zu sein [5]. Ein neues Review [6] zeigt, dass sowohl die medizinische Qualität als auch die Zufriedenheit der Patienten ähnlich zu sein scheint wie bei direkten Gesprächen.


Methode

Die Implementierung erfolgte im curricularen Programm für geplant 690 Studierende für den Anamnesekurs 6. Semester (12 Seminare), den Kommunikationskurs der Psychiatrie, 8. Semester (20 Seminare) und den klinischen Kompetenzkurs 10. Semester (14 Seminare). Die Teilnahme erfolgte, wie alle curricularen Veranstaltungen im Sommersemester 2020, jedoch freiwillig. Die Entwicklung erfolgte in einem mehrstufigen Programm.

1.
Überprüfung und Modifikation der Rollen und Lernziele für die digitale Durchführbarkeit mittels Videotelefonie über Zoom
2.
Telefonisches Erfragen der Bereitschaft und technischen Ausstattung der SP
3.
Vorbereitung der SP: Thema Rollenschutz, Privatsphäre, Ablegen der Rolle
4.
Technischer Probedurchlauf
5.
Probedurchlauf mit simulierten Teilnehmenden in Form von studentischen Hilfskräften des Aixtra
6.
Kontinuierliche Verbesserung durch iterativen Prozess

Das digitale Setting ist analog zur Präsenzlehre mit SP aufgebaut: Die Dozierenden und die beobachtenden Studierenden können die Gesprächspartner hören und sehen, sind allerdings selbst nicht sichtbar. Das anschließende Peer-Feedback findet unter visueller Beteiligung aller statt. Die SP bleibt während des Briefings im “Warteraum” von Zoom. Für das SP-Gespräch schaltet der Host alle Studierenden stumm bis zur Feedbackrunde. Die Studierenden werden vor Beginn darauf hingewiesen, dass das Gespräch der Vertraulichkeit unterliegt und Aufzeichnungen nicht gestattet sind. Die RWTH hat eine Datenschutzerklärung zur Zoom Nutzung entwickelt, die den Studierenden vorab zur Verfügung gestellt wird.

Die Studierenden konnten nach der Teilnahme freiwillig und anonym eine Bewertung abgeben. 19 Aussagen zu Inhalten, Organisation und Technik des Seminars konnten auf einer 6 stufigen Likert Skala bewertet werden. Die SP wurden per Mail zu ihrer Einschätzung befragt. Eine Befragung der Dozierenden in Form von qualitativen Interviews wird derzeit durchgeführt.

Das Studienprotokoll wurde der Ethikkommission vorgelegt und von dort bewilligt mit der EK Nummer 185/20.


Ergebnisse

Inzwischen wurden im 6., 8. und 10. Semester insgesamt 46 Seminare mit 2-3 Fällen und jeweils ca. 15 Studierenden pro Seminar durchgeführt, davon wurden 26 Seminare mittels Fragebogen evaluiert. In den 20 Terminen der Psychiatrie wurde ein mündliches Feedback erfragt.

Die Auswertung der Fragebögen ergab einen Rücklauf von n=92, bei 390 möglichen Teilnehmenden.

Im Schulnotensystem vergaben 63% ein „sehr gut“ und „37% ein „gut“ als Gesamtnote für den Kurs. „Ich kann das Seminar weiterempfehlen“ wurde von 64,13% als „voll zutreffend“ und 22,8% als „zutreffend“ gewertet. „Die bearbeiteten Fälle waren realitätsnah“ wurde von 73,36% als voll zutreffend und 20,88% als zutreffend gewertet.

Es lassen sich auch potentiell kritische Punkte der digitalen SP-Seminare identifizieren. Vereinzelt scheint es vorzukommen, dass Studierende sich einwählen, allerdings während der Veranstaltung nicht am Rechner oder Smartphone präsent sind, was für die Dozierenden aufgrund ausgeschalteter Kamera nicht erkennbar ist. Eine solche „Dummy-Anwesenheit“ kann insbesondere die Feedback-Runde empfindlich stören, wenn Studierende zum Feedback aufgefordert werden und keinerlei Reaktion erfolgt.

Bei den SP dominiert deskriptiv eine positive Einstellung zur digitalen Lehre.

Als Fazit kann festgehalten werden, dass die ausgewählten Fälle sowohl unter technischen Gesichtspunkten als auch hinsichtlich der Lernziele gut durchführbar sind, für die Studierenden, welche zuverlässig teilnehmen. Die Situation sollte mit den SPs vor Beginn trainiert werden. Dabei sollte sowohl Wert auf kommunikative als auch auf technische Aspekte gelegt werden.


Zusammenfassung und Ausblick

Es konnte in kurzer Zeit ein digitales Lehrkonzept für die curricularen Veranstaltungen mit Simulationspersonen entwickelt und durchgeführt werden. Es entstand ein fundiertes und praktikables Konzept mit begleitender Evaluation.

Die Seminare wurden sowohl technisch, organisatorisch als auch inhaltlich erfolgreich durchgeführt. Die Studierenden zeigen in den Videokonferenzen hohe Akzeptanz und Bereitschaft zur Teilnahme und äußern sich überwiegend positiv.

Die differenzierte Auswertung der Fragebögen wird genaueren Aufschluss über die Zufriedenheit der Studierenden, der SP und der Dozierenden bringen und zur Ableitung weiterführender Fragen führen. Sollte sich das Format der “telemedizinischen Konsultation” etablieren, ist geplant, die Rollen der SP inhaltlich an das Setting anzupassen.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Ryu S. History of Telemedicine: Evolution, Context, and Transformation. Healthc Inform Res. 2010;16(1):65-66. DOI: 10.4258/hir2010.16.1.65 DOI: 10.4258/hir.2010.16.1.65 Externer Link
2.
Papanagnou D. Telesimulation: A Paradigm Shift for Simulation Education. AEM Educ Train. 2017;1(2):137-139. DOI: 10.1002/aet2.10032 Externer Link
3.
Kononowicz AA, Woodham LA, Edelbring S, Stathakarou N, Davies D, Saxena N, Tudor Car L, Carlstedt-Duke J, Cor J, Zary N. Virtual patient simulations in health professions education: Systematic review and meta-analysis by the digital health education collaboration. J Med Internet Res. 2019;21(7):e14676. DOI: 10.2196/14676 Externer Link
4.
Peddle M, Bearman M, Nestel D. Virtual Patients and Nontechnical Skills in Undergraduate Health Professional Education: An Integrative Review. Clin Simul Nursing. 2016;12(9):400-410. DOI: 10.1016/j.ecns.2016.04.004 Externer Link
5.
Tates K, Antheunis ML, Kanters S, Nieboer TE, Gerritse MB. The Effect of Screen-to-Screen Versus Face-to-Face consultation on doctor-patient communication: An experimental study with simulated patients. J Med Internet Res. 2017;19(12):e421. DOI: 10.2196/jmir.8033 Externer Link
6.
Mold F, Hendy J, Lai YL, De Lusignan S. Electronic consultation in primary care between providers and patients: Systematic review. JMIR Med Inform. 2019;7(4):e13042. DOI: 10.2196/13042 Externer Link