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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Wie lassen sich unter besonderen Herausforderungen medizinische Qualitätssicherung, gemeinsame ethische Standards und effizientes Teambuilding erreichen? Erfahrungen aus der interprofessionellen Zusammenarbeit in der COVID-19-Pandemie

Kurzbeitrag Ethik

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  • corresponding author Jonathan Hunger - Maastricht University, Maastricht, Niederlande
  • Heiko Schumann - Otto-von-Guericke- Universität Magdeburg, Medizinische Fakultät, Bereich Arbeitsmedizin, Magdeburg, Deutschland

GMS J Med Educ 2020;37(7):Doc79

doi: 10.3205/zma001372, urn:nbn:de:0183-zma0013720

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2020-37/zma001372.shtml

Eingereicht: 8. August 2020
Überarbeitet: 9. Oktober 2020
Angenommen: 23. Oktober 2020
Veröffentlicht: 3. Dezember 2020

© 2020 Hunger et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielstellung: Vor dem Hintergrund der aktuellen Pandemiekrise berichtet der vorliegende Projektbericht über Erfahrungen aus der interprofessionellen Teamarbeit mit Gruppenmitgliedern unterschiedlicher medizinischer Qualifikationsniveaus. Basierend auf den lessons learned werden relevante Wissensinhalte und Lehrformate vorgestellt, die sich für die effiziente und wertschätzende Zusammenarbeit als zielführend herausgestellt haben.

Methoden: Die Ergebnisse von regelmäßigen Teamdiskussionen und improvisierten internen Fortbildungen wurden in Form von field notes gesichert und zu einer Checkliste zusammengeführt, welche die Grundlage einer persönlichen Reflexion der Autoren und fachlichen Diskussion unter Einbezug einer akademisch – rettungsdienstlichen Perspektive bildete.

Ergebnisse: Es ließen sich drei inhaltliche Schwerpunkte herausarbeiten: die Notwendigkeit zur qualitätsgesicherten fachlichen Einarbeitung, die Klärung von Rollenerwartungen, Verantwortungsbereichen, Einfluss- und Entwicklungsmöglichkeiten im Teamprozess und die Entwicklung von arbeitsfeldbezogener Ethikkompetenz im Sinne einer shared moral public health literacy. Als ad hoc Lehrformate nutzen wir Online – Lernvideos, Übungen am Intubationsmodell, zielgruppenangepasste Fortbildungen und die gemeinsame Erarbeitung einer kommentierten, detaillierten Checkliste zu den Arbeitsabläufen der mobilen Corona-Einheit basierend auf täglichen Abschlussgesprächen.

Zusammenfassung: Die Notwendigkeit zur interprofessionellen Teambildung im Rahmen der aktuellen Gesundheitskrise stellt ein wertvolles Lernumfeld für alle Beteiligten dar. Wir schlagen vor, diesen Ansatz in einem professionsübergreifenden, innovativen Lehrformat aufzugreifen und konzeptionell weiterzuentwickeln.

Schlüsselwörter: Interprofessionelle Zusammenarbeit, Qualitätssicherung, Public Health Ethics, Pandemie, Schulung, mobile Coronaeinheit, COVID-19


Einleitung/Hintergrund

Als Reaktion auf zahlreiche Ausbruchgeschehen in stationären Pflegeeinrichtungen wurden in den ersten Monaten der Pandemiekrise zunehmend mobile Diagnostikteams eingesetzt, welche vor Ort Abstriche, Ersteinschätzungen und Beratungen durchführten. Diese Teams, bestehend aus ärztlichem Personal, Rettungsdienstmitarbeitern und weiteren (auch nichtmedizinischen) Helfern, definierten ihre Aufgabe als medizinische Leistung, für die der Anspruch einer medizinischen Professionalität, vor allem im Sinne einer Qualitätssicherung zur Vermeidung falsch negativer Ergebnisse und hinsichtlich einer fachlich qualifizierten Beratung galt. Im Rahmen eines auf die Gesamtbevölkerung orientierten Infektionsschutzes ergab sich häufig die Notwendigkeit, insbesondere im Umgang mit vulnerablen Patientengruppen, das eigene professionelle Handeln vor dem Hintergrund der medizinethischen Prinzipien Nicht – Schaden und Wahrung der Patientenautonomie zu reflektieren [1]. Obwohl sich medizinische Versorgung in interdisziplinären Abläufen und interprofessionellen Zusammenhängen vollzieht, wird die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Gesundheitsberufe mit unterschiedlichen Handlungskompetenzen im Medizinstudium und in der Rettungsdienstausbildung noch unzureichend thematisiert [2]. Gleichzeitig ergibt sich in der aktuellen Pandemielage ein großer Bedarf an ad hoc gebildeten Einsatzteams mit oft diskontinuierlicher Besetzung an verschiedenen Orten der medizinischen Versorgung, wie z.B. in Diagnostikzentren und Testeinrichtungen. Allerdings weisen diese Teams auf Grund ihrer Zusammensetzung ein heterogenes medizinisches Qualifikationsniveau mit unterschiedlichen Vorerfahrungen in der interprofessionellen Teamarbeit auf.


Fragestellungen

  • Welche Kompetenzen und geteiltes Wissen tragen zur Effizienz dieser interprofessionellen Teams bei?
  • Welche Lehrkonzepte können unter den Arbeitsbedingungen der aktuellen Krisenlage die Kompetenzentwicklung der Teammitglieder befördern?

Methoden

Grundlage dieses Projektberichts aus Gründungsphase und Arbeitsalltag einer mobilen Coronaeinheiten bilden field notes (JH; Studenten im Bereich Public Health Management mit Berufserfahrung als Arzt) über einen Zeitraum von etwa drei Monaten (März-Juni 2020). In diesem Kontext wurden lessons learned aus der Konzeptentwicklung zur täglichen Einarbeitung neuer Teammitglieder, regelmäßigen Kurzfortbildungen (Dauer ca. 10-5 min) und den Ergebnissen fortlaufender Feedbackgespräche (individuell zwischen Arzt/Ärztin und Teammitglied; täglich in den einzelnen Einsatzuntergruppen) formuliert. Die Einheit hatte eine Gesamtpersonalstärke von 10 bis 15 Mitarbeitenden unterschiedlicher medizinischer Qualifikationsniveaus (Stufe 2-8 nach Deutschem Qualifikationsrahmen [3]), es erfolgte eine tägliche Aufteilung in 3-4 Einsatzuntergruppen. Eine auf Grundlage der Tagesabschlussgespräche zwischen Teamleitern und ärztlicher Begleitung erstellte Checkliste fasste das gemeinsame Leitbild, Abläufe und Verantwortungsbereiche zusammen. Relevante Themenfelder wurden abschließend mit einem akademischen Experten (HS) mit Berufserfahrung als Rettungsdienstmitarbeiter und Rettungsschulleiter diskutiert.


Ergebnisse

Folgende geteilte Wissensinhalte und Kompetenzen stellten sich als besonders relevant für die effiziente und wertschätzende Zusammenarbeit heraus:

  • Kenntnis aktueller Handlungsanweisungen: etwa zur korrekten Abstrichdurchführung oder bezüglich Informationen zu Hygienemaßnahmen und Krankheitssymptomen
  • Verständnis für und Integration in Teamprozesse: Klärung von Rollenerwartungen, Verantwortungsbereichen, Einfluss - und Entwicklungsmöglichkeiten
  • arbeitsfeldbezogene Ethikkompetenz: Fähigkeit zum kritischen Denken in ethischen Konfliktsituationen (z. B. Indikationsstellungen bei palliativen Patienten, Utilitarismus und Triage) im Sinne einer shared moral public health literacy [4].

Dabei stellten die dynamische Arbeitssituation, die diskontinuierliche Teamzusammensetzung und unterschiedliches Qualifikationsniveau besondere Herausforderungen an die individuelle Rollenfindung und Zuordnung von Verantwortungsbereichen. Die organisatorischen Vorerfahrungen von Teammitgliedern aus zivilen Hilfsorganisationen erwiesen sich (z.B. in der Erarbeitung von Leitungsstrukturen und Meldewegen) als hilfreich, wobei die resultierenden flachen Hierarchien der selbstorganisiert arbeitenden medizinischen Teams von vielen Beteiligten zunächst als ungewohnt empfunden, insgesamt aber positiv bewertet wurden. Es wurden folgende Schulungsformate gewählt:

  • qualitätsgesicherte Einarbeitung zu Abstrichen am Intubationsmodell und Benutzung der persönlichen Schutzausrüstung unter Einbezug erklärender Videos des Online - Lernportals Amboss [https://www.amboss.com/de]. Zur Einhaltung von Hygienevorschriften wurden die Videosequenzen teilweise auf die individuellen Smartphones der Teammitglieder verschickt oder laminierte Taschenkärtchen ausgehändigt.
  • interne Fortbildungen mit kurzem Diskussions- und Frageteil, diese dienten der fachlichen Einordnung neuer Informationen und Vermittlung von wissenschaftlichem Navigationswissen. Als Referenz nutzen wir den Podcast Coronavirus-Update des Virologen Professor Christian Drosten [https://www.ndr.de/nachrichten/info/podcast4684.html].
  • Erarbeitung einer kommentierten, detaillierten Checkliste zu den Arbeitsabläufen der mobilen Coronaeinheiten und geteilten handlungsleitenden Werten und Prinzipien.

Die beschriebenen Themenfelder, Schulungsformate und Inhalte der Checkliste sind in der folgenden Abbildung 1 [Abb. 1] konzeptionell zusammengefasst.


Diskussion

Nach unserem Wissen ist dies die erste auf Einsatzerfahrungen basierende und unter den Bedingungen der Pandemiekrise erstellte, zusammenfassende Darstellung von Schulungselementen zur Verbesserung der interprofessionellen Zusammenarbeit in mobilen Coronaeinheiten. Als Herausforderung stellten sich Zeitknappheit und eine hohe Fluktuation in der Teambesetzung dar, wobei die Checkliste einen wesentlichen Beitrag zur Strukturierung und zeitlichen Effizienz von Schulungen und Einsatzabläufen leistete. Die Diskussion von geteilten Werten und ethischen Handlungsprinzipien zu einem gemeinsamen Leitbild sehen wir als eine besondere Stärke, auch in Hinblick auf wertschätzende Zusammenarbeit und Motivation aller Beteiligten.


Schlussfolgerung

Das beschriebene Schulungskonzept zur Vermittlung berufsübergreifenden Wissens leistet einen Beitrag zur effizienten und wertschätzenden interprofessionellen Zusammenarbeit in der aktuellen Gesundheitskrise. Darauf aufbauend wird eine konzeptionelle Weiterentwicklung und anschließende Evaluation vorgeschlagen.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Beauchamp TL, Childress JF. Principles of Biomedical Ethics. 7th ed. Oxford: Oxford University Press; 2012.
2.
Spura A, Werwick K, Feißel A, Gottschalk M, Winkler-Stuck K, Robra BP, Braun-Dullaeus RC, Stieger P. Preparation courses for medical clerkships and the final clinical internship in medical education - The Magdeburg Curriculum for Healthcare Competence. GMS J Med Educ. 2016;33(3):Doc40. DOI: 10.3205/zma001039 Externer Link
3.
Bundesministerium für Bildung und Forschung. Der Deutsche Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen. Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung. Zugänglich unter/available from: https://www.dqr.de/index.php Externer Link
4.
Maeckelberghe E, Schröder-Bäck P. Ethics in public health: call for shared moral public health literacy. Eur J Public Health. 2017;27(4):49-51. DOI: 10.1093/eurpub/ckx154 Externer Link