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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Überführung des Präsenzseminar-Konzepts „Selbsthilfe und Patient*innenkompetenz“ mit subjektiven Erfahrungsberichten von Patient*innen in ein digitales Lehrformat

Kurzbeitrag Mentoring

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  • corresponding author Andrea Kiemen - Universitätsklinikum Freiburg, CCCF – ITZ, Stiftungsprofessur Selbsthilfeforschung, Freiburg, Deutschland
  • author Theresa Baadte - Universitätsklinikum Freiburg, CCCF – ITZ, Stiftungsprofessur Selbsthilfeforschung, Freiburg, Deutschland
  • author Martina Jablotschkin - Universitätsklinikum Freiburg, CCCF – ITZ, Stiftungsprofessur Selbsthilfeforschung, Freiburg, Deutschland
  • author Joachim Weis - Universitätsklinikum Freiburg, CCCF – ITZ, Stiftungsprofessur Selbsthilfeforschung, Freiburg, Deutschland

GMS J Med Educ 2020;37(7):Doc78

doi: 10.3205/zma001371, urn:nbn:de:0183-zma0013710

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2020-37/zma001371.shtml

Eingereicht: 30. Juli 2020
Überarbeitet: 14. Oktober 2020
Angenommen: 29. Oktober 2020
Veröffentlicht: 3. Dezember 2020

© 2020 Kiemen et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Das thematisch innovative und in Präsenzform konzipierte Seminar „Selbsthilfe und Patient*innenkompetenz“ vermittelt Konzepte der Patient*innenkompetenz, die u.a. durch die Schilderung persönlicher Krankheitserfahrung Betroffener veranschaulicht werden.

Methode: Umsetzung des Präsenz-Seminars in digitale Form via Video-Konferenz.

Ergebnis: Trotz Bedenken hinsichtlich der sensiblen Thematik und technischer Herausforderungen, ist die Umsetzung des ursprünglich in Präsenzform konzipierten Seminars in ein digitales Format mit interaktivem Charakter gelungen. Das Seminar wurde von Dozent*innen und Teilnehmer*innen gleichermaßen als zufriedenstellend erlebt.

Schlussfolgerung: In Zeiten von Covid-19 kann diese digitale Seminarerfahrung als Ermutigung für eine umstrukturierte Lehrveranstaltung dienen.

Schlüsselwörter: Selbsthilfe, Patient*innenkompetenz, Onkologie, digitale Lehre, Covid-19


Kurze Beschreibung des Seminars

Im Seminar „Selbsthilfe und Patient*innenkompetenz“ der Stiftungsprofessur für Selbsthilfeforschung des Universitätsklinikums Freiburg lernen Studierende der Medizin, Psychologie und Gesundheitspädagogik die Selbsthilfe (SH) als ein ergänzendes psychosoziales Angebot für chronisch Erkrankte u.a. als Beispiel zur Förderung von Patient*innenkompetenz kennen [1]. Es werden Vertreter*innen lokaler Selbsthilfeorganisationen (SHOs) eingeladen, die ihre persönliche Krankheitserfahrung sowie ihre Aktivitäten in der SH vorstellen [2], [3]. SHO-Vertreter*innen berichten sowohl von individuellen Ressourcen, die sie selbst als stärkend empfunden haben als auch von psychischen Belastungen im Zusammenhang mit ihrer Diagnose und Erkrankung wie z.B. Angst, Depression, Sorgen und Befürchtungen. Ergänzend werden Konzepte der Patientenkompetenz sowie spezifische Aspekte der Krankheitsbewältigung (z.B. Coping, Selbstwirksamkeitserwartung [4], Resilienz [5], Posttraumatisches Wachstum [6]) vorgestellt [7]. Aufgrund der meist sehr persönlichen Schilderungen der SHO-Vertreter*innen vermittelt das Seminar praxisnahe Erfahrungen und Begegnungen mit Betroffenen. Nicht zuletzt dadurch stellte die Umstellung des Seminars in ein Online-Format eine besondere Herausforderung dar.


Vorbereitung, Entwicklung, Herausforderungen

Das Seminar ist ein freiwilliges Angebot ohne Prüfungsrelevanz, es können jedoch 3 ECTS-Punkte als Studienleistung (Referat oder Hausarbeit) vergeben werden. Ein Dozent*innen-Team aus 3 Wissenschaftlerinnen zusammen mit Prof. Weis leitet das Seminar. Die Wahl des Formates für das Online-Seminar ergab sich aus der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Möglichkeiten der Online-Lehre:

  • Besprochene PowerPoint-Folien und leitfadengestützte, aufgezeichnete Interviews mit SHO-Vertreter*innen, die zum Zeitpunkt des Seminars in die Lernplattform ILIAS eingestellt werden und von den Studierenden im Eigenstudium bearbeitet werden;
  • Live-Veranstaltung mit den Studierenden und den zugeschalteten SHO-Vertreter*innen mit dem Risiko von technischen Problemen während der Lehrveranstaltung und eventuellen Berührungsängste bzgl. der Technik auf Seiten der z.T. älteren SHO-Vertreter*innen.

Nach intensiver Diskussion im Team wurde gemeinsam entschieden, ein interaktives Live-Format zu erproben. Hierbei wurden wir vom E-Learning Team der Universität unterstützt.

Dennoch war der Aufwand für die Dozierenden hoch:

  • Transfer des bisherigen analogen Formates in ein digitales;
  • Technisches Handling der Lernplattform ILIAS, sowie Testung verschiedener Optionen für Live Konferenzen;
  • Technische Neuanschaffungen (Headsets, Webcam, Laptop);
  • Erstellung von Dokumenten für Studierende und SHO-Vertreter*innen, sowie Betreuung des ILIAS-Forums für Rückfragen der Studierenden;
  • Didaktische Herausforderung: Motivierung der Studierenden über die Dauer des Seminars über geeignete interaktive Methoden in relativ kurzer Vorbereitungszeit;
  • Durchführung von Probesitzungen mit den SHO-Vertreter*innen und technische Betreuung.

Erwartungen des Lehrteams

Unser Anspruch war es, die Inhalte sowie den Charakter dieses Seminars, das geprägt ist von persönlichen Erfahrungsberichten der SHO-Vertreter*innen und dem Austausch mit den Studierenden, auch im Online-Format zu vermitteln. Wir stellten uns die Frage, wie aufmerksam die Studierenden im Home-Setting die Online Veranstaltung verfolgen und wie sie sich auf einen interaktiven Austausch und die Begegnung mit Betroffenen online einlassen können. Ebenso waren wir gespannt, wie es den SHO-Vertreter*innen gelingt, im Online-Format ihre persönliche Krankheitserfahrung vor dem Hintergrund möglicher Beeinträchtigung, z.B. Kehlkopfoperierte mit Sprechhilfen, zu vermitteln.


Erfahrungen

Das Live-Format mit Hilfe der Zoom Software hat sich bewährt. Durch die Behebung der Kapazitätsprobleme konnten sich die 20 Studierenden online zuschalten. Problematisch blieb, dass Einige wegen nicht ausreichender technischer Ausstattung oder Datenübertragung ihrerseits ohne Bild oder Ton teilnahmen. Dennoch begegnete uns eine unerwartete Offenheit und aktive Teilnahme der Studierenden. Ebenso registrierten wir einen hohen Anteil an Selbstmanagement auf Seiten der Studierenden.

Die Evaluation der Lehre per Online-Fragebögen durch die Studierenden zeigte, dass 90,9 % der Teilnehmenden die Relevanz der behandelten Themen sowie die Vermittlung der Inhalte durch die Dozent*innen die Lehrveranstaltung positiv bewerteten; ebenso bewertete die Mehrheit die Vorstellung der Selbsthilfe durch die Vertreter*innen der SHOs als insgesamt bereichernd. Zusammenfassend benoteten 58,8% der Studierenden das Seminar mit Note 1-2, Note 3 als schlechtestes Ergebnis vergaben 5,88%. Persönliche Rückmeldungen am Ende des Seminars bewerteten die interaktive Gestaltung des Seminars durch Nutzung des Whiteboards, Online-Gruppenarbeiten und Umfragen, deren Ergebnisse zeitnah besprochen werden konnten, als sehr gut.

Die SHO-Vertreter*innen konnten ihre Erfahrungen mit der Erkrankung, die daraus resultierenden Belastungen und auch die Unterstützung, die sie erfahren haben, online eindrücklich und lebensnah vermitteln. Die Studierenden waren zum Teil berührt und betroffen von den Berichten der SHO-Vertreter*innen und trauten sich nach leichtem Zögern Fragen zu stellen.


Ausblick und Transfer der Erkenntnisse in die weitere Praxis

Da die Online-Lehre in Baden-Württemberg vorerst weitergeführt werden soll, werden wir die Nutzung interaktiver Tools ausbauen und verbessern. Aus unser Erfahrung werden wir die Teilnehmeranzahl auf 30 Studierende begrenzen, damit der persönliche Austausch untereinander und mit den SHO-Vertreter*innen gewährleistet ist. Limitierend war und daher verbesserungswürdig ist die technische Unterstützung für die Studierenden vor Ort, damit sie ohne Einschränkungen mit Bild und Ton teilnehmen können.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Koch U, Weis J, editors. Patientenkompetenz im onkologischen Kontext: Konzeptionelle Grundlagen und Messung [Internet]. 1st ed. Göttingen: Hogrefe Verlag; 2009. p.158-170.
2.
Weis J, Kiemen A, Markovits-Hoopii R. Forschung im Bereich Krebsselbsthilfe. Forum. 2019;34:133-135. DOI: 10.1007/s12312-019-0558-9 Externer Link
3.
Kiemen A, Jablotschkin M, Weis J. Die Rolle der gemeinschaftlichen Selbsthilfe bei der Bewältigung einer Krebserkrankung. Dtsch Z Für Onkol. 2020;52(1):20-24. DOI: 10.1055/a-1101-3244 Externer Link
4.
Sarenmalm EK, Browall M, Persson LO, Fall-Dickson J, Gaston-Johansson F. Relationship of sense of coherence to stressful events, coping strategies, health status, and quality of life in women with breast cancer. Psychooncology. 2013;22(1):20-27. DOI: 10.1002/pon.2053 Externer Link
5.
Rönnau-Böse M, Fröhlich-Gildhoff K, editors. Resilienz und Resilienzförderung über die Lebensspanne. 2nd ed. Stuttgart: Kohlhammer; 2020.
6.
Zhai J, Newton J, Copnell B. Posttraumatic growth experiences and its contextual factors in women with breast cancer: An integrative review. Health Care Women Int. 2019;40(5):554-580. DOI: 10.1080/07399332.2019.1578360 Externer Link
7.
Giesler JM, Weis J. Patient competence in the context of cancer: its dimensions and their relationships with coping, coping self-efficacy, fear of progression, and depression. Support Care Cancer. 2020. DOI: 10.1007/s00520-020-05699-0 Externer Link