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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Emotionen gegenüber dem Medizinstudium vor und im COVID-19 bedingten Online-Semester – eine Längsschnittuntersuchung bei StudienanfängerInnen

Kurzbeitrag Mentoring

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  • corresponding author Sabine Polujanski - Universität Augsburg, Medizinische Fakultät, Lehrstuhl für Medizindidaktik und Ausbildungsforschung, DEMEDA, Augsburg, Deutschland
  • author Ann-Kathrin Schindler - Universität Augsburg, Medizinische Fakultät, Lehrstuhl für Medizindidaktik und Ausbildungsforschung, DEMEDA, Augsburg, Deutschland
  • author Thomas Rotthoff - Universität Augsburg, Medizinische Fakultät, Lehrstuhl für Medizindidaktik und Ausbildungsforschung, DEMEDA, Augsburg, Deutschland

GMS J Med Educ 2020;37(7):Doc77

doi: 10.3205/zma001370, urn:nbn:de:0183-zma0013701

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2020-37/zma001370.shtml

Eingereicht: 31. Juli 2020
Überarbeitet: 20. Oktober 2020
Angenommen: 23. Oktober 2020
Veröffentlicht: 3. Dezember 2020

© 2020 Polujanski et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Infolge der COVID-19 Pandemie wurden Studierende mit einem Online-Semester konfrontiert. Online Lehre kann aufgrund der besonderen Anforderungen negative Emotionen auslösen, die sich ungünstig auf den Lernprozess auswirken können und deshalb entsprechend reguliert werden sollten. Diese Studie untersucht Emotionen gegenüber dem Studium und deren Regulation vor (Dezember 2019) und im Online-Semester (Juni 2020) bei Medizinstudierenden im ersten Studienjahr.

Methode: Fragebogendaten (t1=Dez 2019; t2= Jun 2020) zum emotionalen Erleben des Studiums und der Emotionsregulation wurden aus einem longitudinalen Forschungsprojekt (Experienced Learning Medicine Augsburg, ELMA) der Universität Augsburg verwendet. Zusätzlich wurden die Studierenden in ihrer speziellen Situation als zukünftige Ärztinnen und Ärzte zu t2 aufgefordert, die drei bedeutendsten Emotionen gegenüber ihrem Studium unter Berücksichtigung der COVID-19 Situation zu benennen.

Ergebnisse: Die längsschnittlichen Analysen (Wilcoxon-Tests) zeigen kaum Veränderungen der emotionalen Wahrnehmung des Studiums. Die Emotionen fröhlich (r=.32) und stolz (r=.33) nehmen mit mittleren Effekten im Online-Semester signifikant zu. Im Online-Semester zeigt sich eine verstärkte, jedoch geringe Unterdrückung von Emotionen (r=.22). Angehende Ärztinnen und Ärzte stehen ihrem Studium mit Blick auf die COVID-19 Situation am häufigsten neugierig, dankbar und besorgt gegenüber. Insgesamt wurde das Studium im Online-Semester häufiger mit positiven, als mit negativen Emotionen assoziiert.

Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse zeigen, dass das Online-Semester keine bedenklichen Auswirkungen auf das emotionale Erleben des Studiums und die Emotionsregulation hat, sie deuten sogar daraufhin, dass Studierende von Online-Lehr-Formaten profitieren können.

Schlüsselwörter: Emotionen gegenüber dem Studium, Emotionsregulation, Online-Semester, COVID-19


1. Hintergrund

Das COVID-19 bedingte Online-Semester stellt besondere Anforderungen an die Studierenden (z.B. eine geringere soziale Einbindung und höhere Selbstregulation des Lernprozesses als in der Präsenzlehre), welche negative Emotionen (z.B. Frust) auslösen können [1], [2]. Dies kann insofern problematisch sein, da erfolgreiches Lernen z.B. in Form guter akademischer Leistungen [3] und einer günstigen Motivationslage [4], [5] idealerweise von positiven Emotionen begleitet wird. Mit Emotionsregulations-Strategien können Personen Erleben und Ausdruck von Emotionen in ihrer Intensität, Dauer und Qualität bewusst beeinflussen [6], [7]. Die Strategie Unterdrückung beschreibt das Unterbinden von Emotionsexpressionen. Kognitive Neubewertung beschreibt das aktive gedankliche Umdeuten emotionaler Situationen [8]. Dabei wird die Bedeutung einer emotionsauslösenden Situation reinterpretiert [6], was zu einer positiveren emotionalen Reaktion führen soll [8]. Beispielsweise kann Frust, beim Online-Lernen ausgelöst durch die Komplexität des Lernstoffs, vermieden bzw. abgemildert werden, indem die Situation nicht als Bedrohung, sondern als Möglichkeit des Wissenserwerbs angesehen wird. Leistungsstärkere Studierende wenden öfter kognitive Neubewertung an [9], die gleichzeitig negative Emotionen beim Lernen reduziert [10].

In dieser Studie werden Emotionen gegenüber dem Studium und deren Regulation vor und während des COVID-19 bedingten Online-Semesters bei Medizinstudierenden im ersten Studienjahr untersucht.


2. Methode

2.1. Studiendesign

Die längsschnittlichen, freiwillig und unter ethischer Unbedenklichkeit abgegeben Fragebogendaten (Dezember 2019 und Juni 2020) stammen aus dem Forschungsprojekt ELMA (Experienced Learning Medicine Augsburg). Es handelt sich um einen neugegründeten Modellstudiengang mit bereits im Präsenzsemester (WS2019/20) etablierter Online-Lehre (Plattform Moodle). Gestaltungsprozesse von Online-Lerneinheiten und synchroner Lehre in ZOOM werden medizindidaktisch begleitet.

2.2. Stichprobe

Für t1 liegt ein Datensatz von 71 Studierenden vor, für t2 von 75 Studierenden. Das längsschnittliche Matching erlaubte die Integration von 65 Datensätzen. (Soziodemografische Daten siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).

2.3. Instrumente

Es wurden 21 repräsentative Emotionen (10 positive; 11 negative) der Medical Emotion Scale (MES; 5-stufig von 0-überhaupt nicht bis 4-sehr stark) [11] gegenüber dem Studium abgefragt.

Die Emotionsregulations-Strategien Unterdrückung (4 Items, α=.74) und kognitive Neubewertung (6 Items, α=.76) wurden mittels des Emotion Regulation Questionnaire (ERQ; 7-stufig von 0-stimmt überhaupt nicht bis 6-stimmt vollkommen) [8], [12] erfasst.

In ihrer Rolle als zukünftige Ärztinnen und Ärzte, wurden die Studierenden in der Juni-Erhebung zusätzlich zu folgender Angabe gebeten: „Die COVID-19 Situation macht mich gegenüber meinem Medizinstudium… Bitte wählen Sie die drei zutreffendsten Emotionen aus.“

2.4. Analysen

Die Auswertung der Daten erfolgte deskriptiv und mittels Wilcoxon-Tests (Ordinal-Skalierung sowie nicht gewährleistete Normalverteilungsvoraussetzung).


3. Ergebnisse

Die längsschnittlichen Entwicklungen der Emotionen sind Tabelle 2 [Tab. 2] zu entnehmen.

Für die Emotionen fröhlich und stolz zeigte sich ein mittlerer, für enttäuscht ein kleiner Effekt. Die Emotionsregulations-Strategie Unterdrückung erfuhr eine signifikante Zunahme (r=.22, MdnDez=2.00, MdnJuni=2.75 z=-2.56, p=.01). Für die Strategie kognitive Neubewertung ergaben sich keine signifikanten Unterschiede (MdnDez=3.67, MdnJuni=3.50, z=-.66, p=.51).

Neugierig, dankbar und besorgt wurden am häufigsten auf die Frage, welche Emotionen die COVID-19 Situation gegenüber dem Medizinstudium auslösen würde, genannt. Insgesamt wurde das Medizinstudium in Anbetracht der COVID-19 Situation häufiger mit positiven, als mit negativen Emotionen assoziiert (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).


4. Diskussion

Während die meisten Emotionen gegenüber dem Medizinstudium längsschnittlich keine Veränderung erfahren, nehmen die Emotionen fröhlich und stolz im COVID-19 bedingten Online-Semester signifikant zu. Freie zeitliche Einteilung, individuelle Anpassung des Lerntempos und Zeitgewinn durch Wegfall der Anfahrtszeiten könnten Gründe dafür sein [13], [14]. In einer im Fragebogen zusätzlich eingesetzten Skala zu Be- und Entlastungen während des Online-Semesters, gaben die Studierenden eine Entlastung durch letzteres an. Zudem zeigen die veranstaltungsübergreifenden, semesterbegleitenden Lehrevaluationsergebnisse eine hohe Zufriedenheit mit der Online-Lehre. Die Zunahme des Stolz-Empfindens könnte mit dem Absolvieren einer systemrelevanten Ausbildung zusammenhängen, wobei dafür keine aufklärenden Daten vorliegen.

Enttäuschung nimmt im Online-Semester signifikant zu, allerdings mit kleiner Effektstärke. Dies könnte auf den Wegfall praktischer Lehreinheiten sowie reduzierten Peer-Austausch zurückzuführen sein. Beides wurde als belastend angegeben. Außerdem führte das COVID-19 bedingte Online-Semester zu einem anzunehmend stark veränderten studentischen Leben, was ebenfalls ein Grund für die Zunahme der Enttäuschung sein kann.

Auch die Strategie Unterdrückung erfährt einen signifikanten Zuwachs mit kleinem Effekt. Das häusliche Lernumfeld im Online-Semester, welches als belastend wahrgenommen wird, könnte damit in Verbindung stehen.

Auf die Frage, welche drei Emotionen am bedeutendsten für das Medizinstudiums mit Blick auf die COVID-19 Situation seien, wurde neugierig, dankbar und besorgt am häufigsten genannt. Neugierde könnte sich auf die zahlreichen unbekannten Variablen beziehen, die in Verbindung mit der Pandemie stehen [15] sowie der Möglichkeit für neuen Wissenserwerb [16]. Dankbarkeit drückt ggf. die oben beschriebenen Vorteile des Online-Semesters aus [13], [14]. Prüfungen ohne vorherige Präsenzlehre wurden von einer Mehrheit der Studierenden als Belastungsgrund gewertet, ggf. ein Indikator für Besorgnis. Auch hier lassen die genannten Gründe keine kausale Erklärung zu und sind als vorsichtige Interpretation zu sehen.

Die berichteten Ergebnisse lassen annehmen, dass die exklusive Online-Lehre - zumindest nach sechs Wochen - keine bedenkliche Auswirkung auf die Emotionen der Studierenden hat. Dabei gilt zu berücksichtigen, dass es sich um Daten aus einem aktuell im Aufbau befindlichen Modellstudiengang mit einer kleinen Studierendenkohorte handelt.


5. Ausblick

In Bezug auf die anhaltend stark reduzierte Präsenzlehre wird die Studierendenkohorte weiter im Längsschnitt begleitet, auch mit Blick auf einen (unsteten) Wiedereingliederungsprozess [17]. Zudem werden Gründe auch im Verständnis einer Study-Life-Balance miterhoben, um eine bessere Aufklärung emotionaler Entwicklungen abbilden zu können.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

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