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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Neurologische Lehre in Krisenzeiten

Kurzbeitrag Neurologie-Skills

  • corresponding author Anne-Sophie Biesalski - Ruhr-Universität Bochum, Neurologische Klinik St. Josef Hospital Bochum, Bochum, Deutschland
  • author Isabelle von Kirchbauer - Technische Universität München, Klinikum rechts der Isar, TUM Medical Education Center, München, Deutschland
  • author Friederike Schmidt-Graf - Technische Universität München, Klinikum rechts der Isar, Klinik und Poliklinik für Neurologie, München, Deutschland

GMS J Med Educ 2020;37(7):Doc69

doi: 10.3205/zma001362, urn:nbn:de:0183-zma0013627

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2020-37/zma001362.shtml

Eingereicht: 31. Juli 2020
Überarbeitet: 12. Oktober 2020
Angenommen: 19. Oktober 2020
Veröffentlicht: 3. Dezember 2020

© 2020 Biesalski et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund/Zielsetzung: Die im Rahmen der Corona-Pandemie notwendig gewordenen Veränderungen des Medizinstudiums haben auch in der Neurologie erhebliche Anpassungen erzwungen. Die Präsenzlehre musste innerhalb kurzer Zeit nahezu vollständig auf digitale Formate umgestellt werden. Die vorliegende Studie gibt einen Überblick über die jeweiligen Veränderungen und hiermit verbundenen Komplikationen wie auch Chancen in der neurologischen Lehre.

Methodik: Die Lehrbeauftragten Neurolog*Innen aller Universitätskliniken in der Bundesrepublik Deutschland wurden zu Ihrem Umgang und den individuellen Neuerungen im Lehrplan befragt. Von insgesamt 39 Standorten beantworteten 23 den Online-Fragebogen (siehe Anhang 1).

Ergebnisse: Während Frontalunterricht und Vorlesungen insgesamt problemlos digital durchgeführt werden konnten, ergaben sich insbesondere im Untersuchungskurs sowie dem Unterricht am Patientenbett Schwierigkeiten. Die Befragten gaben überwiegend an, keine zufriedenstellenden E-Learning-Formate als Ersatz für das Bedside-Teaching gefunden zu haben.

Schlussfolgerung: Die ad Hoc-Umstellung der neurologischen Lehre hatte zumeist einen deutlichen Mehraufwand auf Seiten der Lehrenden zur Folge, wurde von den Studierenden jedoch insgesamt gut angenommen. Die Corona-Pandemie bietet damit letztlich eine Chance, die Lehre in der Neurologie zu bereichern.

Schlüsselwörter: Medizinische Ausbildung, Medizinstudium, Neurologie, Corona, Lehrmethoden, E-Learning


Hintergrund

Die Corona-Pandemie hat auch in der medizinischen Lehre zu dramatischen Veränderungen geführt. Spätestens mit Eintreten der Kontaktbeschränkungen im März 2020 entschieden sich auch die medizinischen Fakultäten bundesweit, die Präsenzlehre vorübergehend auszusetzen. Damit gewannen digitale Formate an Bedeutung und hielten schnellen Schrittes Einzug in die medizinische Ausbildung.


Methodik

Zu Ende des Sommersemesters 2020 wurden die Lehrbeauftragten Neurolog*Innen aller Universitätskliniken anhand eines Online-Fragebogens (siehe Anhang 1 [Anh. 1]) zu Umsetzbarkeit und Nutzen neuer E-Learning-Formate während der Corona-Krise befragt.

Der Fragebogen (siehe Anhang 1 [Anh. 1]) enthielt 21 Items sowie eine sechsteilige Likertskala. Die anschließende Auswertung erfolgte mittels Evasys. Die Freitextangaben wurden qualitativ Inhalts-analytisch ausgewertet und kategorial zusammengefasst.


Ergebnisse

Bis zum Ende des 14-tägigen Befragungszeitraums nahmen 23 Neurolog*Innen von 39 Universitätskliniken teil.

Bei mehr als einem Drittel der Befragten (71,4%) musste der Semesterstart verschoben werden, nur 28,6% gaben an, das Semester habe zum geplanten Zeitpunkt begonnen. Lehrvisiten (60,9%), praktische Kurse (52,2%), Praktika/Hospitationen (39,1%) sowie Seminare und Kleingruppenunterricht (43,5%) entfielen ersatzlos. Vorlesungen konnten vollständig digital ersetzt werden (100%). Hierzu wurden überwiegend Folien (78,3%) oder Vorlesungsaufzeichnungen (65,2%) erstellt, Veranstaltungen via Zoom (69,6%) abgehalten und eigene Online-Plattformen der Universitäten (43,5%) und Moodle-Kurse (47,8%) genutzt. Die Anwesenheit bei digitalen Pflichtveranstaltungen wurde in etwa der Hälfte der Fälle geprüft (47,8% vs. 52,2% ohne Anwesenheitskontrolle). Ausgefallene Prüfungen wurden nicht berichtet, der Großteil (78,3%) fand in Präsenz unter Einhaltung der Hygienevorgaben statt.

Fast die Hälfte (47,8%) der Befragten gaben an, bereits vor Corona ausreichende oder besonders gute (21,7%) digitale Kenntnisse und Fähigkeiten besessen zu haben, während 30,4% diese nur in geringem Umfang hatten. An 56,6% der Standorte existierten bereits zuvor E-Learning-Formate.

Der zeitliche Aufwand für die Lehre war im Sommersemester 2020 erhöht: 81,8% gaben an, mehr oder deutlich mehr Aufwand als sonst gehabt zu haben.

Den Likert-Skalen war zu entnehmen, dass die ad Hoc-Digitalisierung insgesamt nicht als problemlos empfunden, jedoch als ein gewisser Fortschritt für die Lehre gesehen wird. Die Befragten selbst haben durch die Digitalisierung profitiert, wobei die Studierenden nach Einschätzung der Lehrenden keinen außerordentlich positiven Benefit hatten und auch das Interesse an der Neurologie scheinbar nicht vergrößert werden konnte. Für das nächste Semester wünschen sich die Befragten unter den gegebenen Bedingungen wieder mehr Präsenzlehre: vor allem praktische Kurse und Unterricht am Patienten, mehr personelle bzw. fachliche/technische Unterstützung sowie Verbesserung digitaler Formate.

Die Freitextangaben zu besonderen Lehrveranstaltungen während der Corona-Zeit zeigten einen gewissen Ideenreichtum: Die Angebote reichten von einem Blockpraktikum mit 1,5 m Sicherheitsabstand zwischen allen Beteiligten, über Untersuchungskurse mit Untersuchung der Dozierenden untereinander bis zu einem Covid-19-Wahlmodul.


Schlussfolgerung

In der Neurologie zeigen sich eine hohe Flexibilität und rasche Umsetzung bei der Anpassung der Lehrformate.

An den meisten Standorten existierten bereits E-Learning-Formate in Ergänzung zur Präsenzlehre, die stellenweise unkompliziert erweitert werden konnten. Dennoch bedeuteten die Veränderungen im Lehrbetrieb für die lehrbeauftragten Ärzte*Innen einen erheblichen Mehraufwand – beispielsweise beim Erstellen digitaler Vorlesungen oder der Verwaltung von Online-Materialien. Vor allem die Digitalisierung des neurologischen Untersuchungskurses wurde als Herausforderung erlebt.

In persönlichen Gesprächen mit Lehrenden und Lehrbeauftragten ergab sich insgesamt ein positives Bild: Viele berichten von höheren Teilnehmerzahlen an Wahlveranstaltungen und gezielteren Nachfragen in Chats oder via Email und damit letztlich einem individuelleren Austausch. Dies zeigen auch Befragungen der Uni Lübeck [1] sowie Studien zur Lerner-zentrierten Ausbildung [2], [3]. Auch die ortsunabhängige Verfügbarkeit und die unkomplizierte Nutzbarkeit von Lehrmaterialien sprechen für die Digitalisierung der neurologischen Lehre und treffen auf Zuspruch in der ohnehin Technik-affinen Studierendengeneration. Die positiven Auswirkungen multimedialer Lehre konnte auch in der Neurologie bereits vielfach gezeigt werden [4] und die Digitalisierung bietet ein erhebliches Potential für das Medizinstudium, möglicherweise kann sie die medizinische Ausbildung insgesamt grundlegend verändern [5]

Letztlich hat Corona an allen Standorten zu tiefgreifenden Veränderungen der Lehre geführt. Wäre es unangemessen zu behaupten, die Pandemie habe uns damit einen gewissen Dienst erwiesen? Die letztlich erzwungene Digitalisierung hat einen Schritt in Richtung einer modernen Lehre ermöglicht, der zuvor – aufgrund rigider Strukturen, Träger, Verwaltungsapparate und einer „das-war-schon-immer-so“-Mentalität – vielerorts nicht möglich schien.

Selbstredend wird man, insbesondere in der klinischen Neurologie, nicht auf die Lehre am Patientenbett verzichten können. Hierbei können zukünftig jedoch deutlich mehr digitale Formate genutzt werden. Denkbar sind Hybridveranstaltungen mit Blended-Learning-Einheiten bspw. im Untersuchungskurs: Nach einer digitalen Lehr- und Lernphase zuhause oder im Rahmen von Peer-Teaching kann die Untersuchung effektiver und mit besser vorbereiteten Studierenden am Krankenbett stattfinden. Derartige Lehrplanveränderungen würden langfristig weniger personelle Ressourcen binden und dabei helfen, einen einheitlichen Standard zu vermitteln. Insofern ebnet die Corona-Pandemie den Weg zu flexiblen, zukunftsweisenden neurologischen Lehrformaten und kann die Lehre bereichern und zu weiteren Innovationen anregen.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Studierende bewerten digitale Lehre als positive, aber auch mental belastend. Ärzteblatt. 2020. Zugänglich unter/available from: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/114058/Studierende-bewerten-digitale-Lehre-als-positiv-aber-auch-mental-belastend Externer Link
2.
Ellaway R, Masters K. AMEE Guide32: E-Learning in medical education part 1: learning, teaching and assessment. Med Teach. 2008;30:455-473. DOI: 10.1080/01421590802108331 Externer Link
3.
Choules AP. The use of elearning in medical education: a review of the current situation. Postgrad Med J. 2007;83:212-216. DOI: 10.1136/pgmj.2006.054189 Externer Link
4.
Chhetri SK. E-learning in neurology education: Principles opportunities and challenges in combating neurophobia. J Clin Neuroscience. 2017;(44):80-83. DOI: 10.1016/j.jocn.2017.06.049 Externer Link
5.
Rose S. Medical Student Education in the Time of Covid-19. JAMA. 2020;323(21)2131-2132. DOI: 10.1001/jama.2020.5227 Externer Link