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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Digitales Lehren und Lernen chirurgischer Fertigkeiten (nicht nur) in Zeiten der Pandemie: Ein Bericht über ein Blended-Learning-Projekt

Kurzbeitrag Chirurgie-Skills

  • Carina Bachmann - Universitätsklinikum Jena, Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Experimentelle Transplantationschirurgie, Jena, Deutschland
  • Ana Lucia Paz Hernandez - Universitätsklinikum Jena, Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Experimentelle Transplantationschirurgie, Jena, Deutschland
  • Stefan Müller - Universitätsklinikum Jena, Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Experimentelle Transplantationschirurgie, Jena, Deutschland
  • Sadaf Khalatbarizamanpoor - Universitätsklinikum Jena, Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Experimentelle Transplantationschirurgie, Jena, Deutschland
  • Tino Tschiesche - Universität Jena, Universitätsrechenzentrum/Multimediazentrum, Jena, Deutschland
  • Frank Reißmann - Universität Jena, Universitätsrechenzentrum/Multimediazentrum, Jena, Deutschland
  • Lars Kiesow - ELAN e.V., Osnabrück, Deutschland
  • Daniel Ebbert - ELAN e.V., Osnabrück, Deutschland
  • Waldemar Smirnow - ELAN e.V., Osnabrück, Deutschland
  • Arne Wilken - ELAN e.V., Osnabrück, Deutschland
  • corresponding author Uta Dahmen - Universitätsklinikum Jena, Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Experimentelle Transplantationschirurgie, Jena, Deutschland

GMS J Med Educ 2020;37(7):Doc68

doi: 10.3205/zma001361, urn:nbn:de:0183-zma0013611

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2020-37/zma001361.shtml

Eingereicht: 31. Juli 2020
Überarbeitet: 9. Oktober 2020
Angenommen: 29. Oktober 2020
Veröffentlicht: 3. Dezember 2020

© 2020 Bachmann et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie sollen Lehrveranstaltungen nach Möglichkeit digital stattfinden. In diesem Beitrag berichten wir über unser Lehrprojekt zum digitalen Lehren und Lernen chirurgischer Fertigkeiten.

Die Wahlpflichtveranstaltung „Intensivkurs Chirurgische Techniken“ für Medizinstudierende ab dem 5. Semester wurde in einem Blended-Learning-Format konzipiert. Eine Woche vor Beginn der Präsenzphase werden den Studierenden die Lernmaterialien für die Veranstaltung in einem Moodle Kurs zur Verfügung gestellt. In der Präsenzphase werden Übungen zu Haut- und Darmnähten in Live-Demos durch die Dozierenden präsentiert. Anschließend führen die Lernenden die praktischen Übungen durch und zeichnen sich dabei mit der Kamera eines iPad auf. Mithilfe eines Opencast-Plugins veröffentlichen sie ihre Videos im Moodle Kurs. Die Einbindung eines Annotation Tool ermöglicht allen Teilnehmenden im Moodle Kurs einzelne Stellen der Videos mit Freitext zu kommentieren (videogestütztes Feedback und Coaching).

In Folge der Pandemie soll nun auch die Präsenzphase digital durchgeführt werden. Dafür wird das vorhandene System um eine Webkonferenzlösung (BigBlueButton) erweitert.

Schlüsselwörter: COVID-19, medizinische Ausbildung, praktische Fertigkeiten, Technologie


1. Einleitung

Angesichts der COVID-19-Pandemie stehen Lehrende in der medizinischen Ausbildung vor großen Herausforderungen. Die Einhaltung von Social Distancing und anderen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie macht den üblichen Lehrbetrieb in Form von Präsenzunterricht nur schwer möglich [1].

Einen Ausweg stellt die Umstellung auf digitale Lehre dar. Durch die Nutzung der gegenwärtig verfügbaren Technologien lässt sich diese Transformation in vielen Fällen relativ einfach bewerkstelligen. So werden beispielsweise Vorlesungen online gestreamt oder im Screencast-Format (Folienpräsentation mit Audiokommentaren) zur Verfügung gestellt; und Seminare als interaktive Webinare unter Verwendung von Videokonferenz-Tools angeboten. Weitaus herausfordernder für die Lehrenden sind dagegen Kurse zum Trainieren klinisch-praktischer Fertigkeiten [2]. Wenn solche Lehrveranstaltungen erfolgreich im Online-Format durchgeführt werden sollen, spielen technische Weiterentwicklungen eine entscheidende Rolle.

Im Folgenden berichten wir über unser Lehrprojekt zum digitalen Lehren und Lernen chirurgischer Fertigkeiten. Ziel des Projektes ist eine rein virtuelle Kompetenzvermittlung im Hinblick auf chirurgische Naht- und Knotentechniken.


2. Projektbeschreibung

Bei dem Projekt handelt es sich um eine Wahlpflichtveranstaltung für Medizinstudierende im zweiten Studienabschnitt („Intensivkurs Chirurgische Techniken“). Die Blockveranstaltung (28 UE) wird zweimal im Jahr jeweils in der vorlesungsfreien Zeit vor bzw. nach dem Wintersemester für 2 mal 25 Studierende angeboten.

2.1. Didaktisches Konzept

Das didaktische Konzept beruht auf der „Videobasierten Selbst- und Fremdreflexion beim Erlernen chirurgischer Fertigkeiten“ [3], [4]. Die Lernenden zeichnen sich bei der Durchführung der praktischen Übungen per Video selbst auf. Mithilfe der Videos und Feedback können sie sich nachfolgend vertieft mit ihrer eigenen Performance auseinandersetzen.

2.2. Übergeordnetes Lernziel

Das übergeordnete Lernziel der Veranstaltung ist der Erwerb chirurgischer Basisfertigkeiten auf der NKLC (Nationaler Kompetenzbasierter Lernzielkatalog Chirurgie) Kompetenzebene 3 [5]. Dazu gehört das Stellen der Indikation zu einer entsprechenden Nahttechnik, das selbstständige Durchführen der Prozedur unter Aufsicht und die systematische Analyse des eigenen Handelns einschließlich der Ableitung von Korrekturmaßnahmen. Der Lernerfolg bei den Studierenden wird mit einem Mini-OSCE (1 Station) überprüft.

2.3. Bisherige Struktur der Lehrveranstaltung

Die Lehrveranstaltung wurde im Sinne von Blended Learning konzipiert. Eine Woche vor Beginn der Präsenzphase bekommen die Studierenden die Lern- und Unterrichtsinhalte in Form von textlichen Dokumenten und Lehrvideos in einem Moodle Kurs bereitgestellt. Während der Präsenzphase werden die praktischen Übungen, wie z. B. Hautnähte am Schweinefuß oder Anastomosen am Schweinedarm zunächst in Live-Demos durch die Dozierenden präsentiert. Danach führen die Lernenden die Übungen selbst durch und videodokumentieren den Prozess mit der Kamera eines iPad. Über ein Opencast-Plugin in Moodle laden sie ihre Videos hoch. Die Videos werden in Opencast (Open-Source Software zur Planung, Aufzeichnung und Veröffentlichung audiovisueller Lerninhalte) abgelegt. Durch eine Schnittstelle zwischen Moodle und Opencast sind die Videos für alle Beteiligten (Lehrende und Studierende) im Moodle Kurs abrufbar. Zum Analysieren der Videos steht dann in Opencast ein Annotation Tool bereit. Dieses bietet den Teilnehmenden die Möglichkeit, Zeitmarker in den Videos zu setzen und mit Freitextkommentaren zur Durchführung zu versehen (videogestütztes Feedback und Coaching). Die Kommentare sind für alle Teilnehmenden im Annotationsmodus von Opencast sichtbar und können von den Studierenden wiederum beantwortet werden.

Nachdem in der derzeitigen Situation Präsenzunterricht vor Ort nicht oder nur eingeschränkt möglich ist, wird der Ablauf der Lehrveranstaltung modifiziert.

2.4. Erweiterung des genutzten Systems

Wir erweitern das genutzte System, um einen webbasierten, virtuellen Naht- und Knüpfkurs anbieten zu können. Dazu wird die Open-Source Webkonferenzlösung BigBlueButton (BBB) angepasst und in das System integriert. Durch die Implementierung wird die online Live-Übertragung der Demos und der praktischen Übungen der Studierenden per Webkonferenz ermöglicht. Die einzelnen Videospuren werden aufgezeichnet und wie bisher über Opencast veröffentlicht. Gleichzeitig bietet die Integration von BBB den Teilnehmenden der Lehrveranstaltung (Webkonferenz) vielfältige Möglichkeiten der Interaktion. Die Studierenden können beispielsweise auftretende Fragen über Mikrofon (und Kamera) oder Chat einfach und direkt an die Dozierenden stellen [6]. Die Lehrenden hingegen können die Studierenden direkt bei den Übungen beobachten und über die gleichen Kommunikationswege Hilfestellung geben oder korrigierend in den Handlungsablauf eingreifen.

Allerdings erfordert die Durchführung der Lehrveranstaltung im vorgestellten Szenario einen erhöhten logistischen Aufwand, da die benötigten Arbeitsmaterialien den Studierenden im Vorfeld zur Verfügung gestellt werden müssen.


3. Fazit

Die Gesundheit und das Wohlbefinden der am Lernprozess Beteiligten hat oberste Priorität [7]. Dennoch sollten Lehrveranstaltungen zur Vermittlung klinisch-praktischer Fertigkeiten während der Pandemie nicht ausgesetzt werden; um mögliche negative Auswirkungen, z. B. auf die Patientensicherheit zu vermeiden.

Mit den bisherigen Entwicklungsarbeiten haben wir den Aufbau einer Blended-Learning-Veranstaltung zum Erlernen chirurgischer Fertigkeiten realisiert. Durch die Erweiterung des Systems werden die technischen Voraussetzungen geschaffen, sodass die Lehrveranstaltung vollständig digital stattfinden kann.

Es bleibt zu evaluieren, wie das neue Format von den Studierenden angenommen wird und inwieweit es sich auch über die Dauer der Pandemie hinaus als Alternative zum klassischen Präsenzunterricht durchsetzt.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Eva KW, Anderson MB. Medical Education Adaptations: Really Good Stuff for educational transition during a pandemic. Med Educ. 2020;54(6):494. DOI: 10.1111/medu.14172 Externer Link
2.
Goh PS, Sandars J. A vision of the use of technology in medical education after the COVID-19 pandemic. MedEdPublish. 2020;9(1):49. DOI: 10.15694/mep.2020.000049.1 Externer Link
3.
Dahmen U, Schindler C, Felgendreff P, Settmacher U. Fehler vermeiden statt Fehler korrigieren: Eine videobasierte Prozessanalyse chirurgischer Fertigkeiten. Chir Praxis. 2020;87(1):54-61.
4.
Dahmen U, Sänger C, Wurst C, Arlt J, Wei W, Dondorf F, Richter B, Settmacher U, Dirsch O. Videounterstützte Selbstkontrolle in der chirurgischen Lehre. Ein neues Tool in einem neuen Konzept. Chirurg. 2013;84(10):851-858. DOI: 10.1007/s00104-013-2528-6 Externer Link
5.
Chirurgische Arbeitsgemeinschaft Lehre (CAL) der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Nationaler Kompetenzbasierter Lernzielkatalog Chirurgie. Berlin: Deutsche Gesellschaft für Chirurgie; 2019. Zugänglich unter/available from: https://www.dgch.de/fileadmin/media/cal/NKLC-Pra%CC%88ambelAllgemeinerTeil-11-2019.pdf Externer Link
6.
Kaufmann L, Welz T, Thor A. DIAL - Ein BigBlueButton-basiertes System für interaktive Live-Übertragungen von Vorlesungen. In: Igel C, Ullrich C, Wessner M, editors. Bildungsräume, DeLFI 2017 - Die 15. e-Learning Fachtagung Informatik, Lecture Notes in Informatics (LNI). Bonn: Gesellschaft für Informatik; 2017. p.369-374. Zugänglich unter/available from: https://dl.gi.de/handle/20.500.12116/4862 Externer Link
7.
Daodu O, Panda N, Lopushinsky S, Varghese TK Jr, Brindle M. COVID-19 - Considerations and implications for surgical learners. Ann Surg. 2020;272(1):e22-e23. DOI: 10.1097/SLA.0000000000003927 Externer Link