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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Digitales Praktikum der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde und Untersuchungstechnik „to go“

Kurzbeitrag HNO-Skills

  • author Stefan Kaulitz - Universitätsklinikum Würzburg, Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, plastische und ästhetische Operationen, Würzburg, Deutschland
  • author Jonas Engert - Universitätsklinikum Würzburg, Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, plastische und ästhetische Operationen, Würzburg, Deutschland
  • author Carolin Roos - Universitätsklinikum Würzburg, Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, plastische und ästhetische Operationen, Würzburg, Deutschland
  • author Maike Filsinger - Universitätsklinikum Würzburg, Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, plastische und ästhetische Operationen, Würzburg, Deutschland
  • author Sarah König - Universitätsklinikum Würzburg, Institut für Medizinische Lehre und Ausbildungsforschung, Würzburg, Deutschland
  • corresponding author Stephan Hackenberg - Universitätsklinikum Würzburg, Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, plastische und ästhetische Operationen, Würzburg, Deutschland

GMS J Med Educ 2020;37(7):Doc67

doi: 10.3205/zma001360, urn:nbn:de:0183-zma0013602

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2020-37/zma001360.shtml

Eingereicht: 30. Juli 2020
Überarbeitet: 21. September 2020
Angenommen: 28. September 2020
Veröffentlicht: 3. Dezember 2020

© 2020 Kaulitz et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Die Entwicklung präsenzfreier Lehrformate für praktische Übungen stellt eine besondere Herausforderung dar. Zielsetzung des vorgestellten Projekts war die Umsetzung des Praktikums der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde zum Erlernen von Untersuchungstechniken durch digitale Fernlehre.

Methodik: Es wurde kostengünstig fachspezifisches Einmal-Instrumentarium für eine umfassende hals-nasen-ohren-ärztliche Spiegeluntersuchung angeschafft, welches den Studierenden zur Verfügung gestellt wurde. Als erforderliche Lichtquellen dienten alltagsgebräuchliche Sportstirnlampen oder Taschenlampenkonstruktionen. Die theoretischen Grundlagen wurden mittels der Lernplattform CaseTrain unter Einbeziehung von Foto-, Audio- und Videomaterial vermittelt. Entsprechende Erfolgskontrollen im Sinne eines digitalen Kurztestates wurden hier integriert. Des Weiteren dienten Video-Tutorials der genauen Darstellung der nachzuahmenden Untersuchungen. Zur Steigerung der Motivation wurde zudem ein kreativer Fotowettbewerb ausgeschrieben, bei dem die abschließend eigenständig durchgeführten praktischen Aufgaben kontrolliert wurden.

Ergebnisse: Sämtliche Studierende des Semesters erhielten ein Instrumentenset zur eigenständigen Praktikumsdurchführung. Das Eingangstestat wurde von allen Studierenden bestanden, ebenso ging von allen Studierenden mindestens ein Foto ein, viele gestalteten dieses im Rahmen des Wettbewerbs besonders kreativ.

Schlussfolgerung: Das vorgestellte Konzept stellt eine Möglichkeit zur Umsetzung praktischer Lehrformate auf ein digitales präsenzfreies Konzept dar. Es beinhaltete eine Vermittlung und Überprüfung von Grundlagenwissen, Anleitungen zu praktischen Übungen, die eigenständige Durchführung fachspezifischer Untersuchungstechniken und eine Motivationssteigerung und gleichzeitige Kontrolle durch Gamification. Wir erachten dieses Lehrprinzip als attraktive Option für zukünftige „Flipped Classroom“ Konzepte bei schrittweiser Wiederaufnahme von Präsenzlehre.

Schlüsselwörter: HNO, digitale Lehre, Untersuchungspraktikum, Propädeutik, Tutorial


1. Einleitung

Die SARS-CoV-2-Pandemie hat die medizinische Lehre vor Herausforderungen, aber auch in eine hohe Bereitschaft für neue Entwicklungsmöglichkeiten gestellt [1], [2]. Insbesondere Lehrformate, die praktische Übungen beinhalten, waren schwer durch digitale Fernlehre und entsprechende Prüfungen zu ersetzen [3]. Im folgenden Beitrag möchten wir ein Konzept der Umstellung eines Praktikums zum Erlernen der Hals-Nasen-Ohren-Untersuchungstechniken mit vorgeschaltetem Eingangstestat vorstellen.


2. Projektbeschreibung

Aufgrund der strengen Kontaktbeschränkungen in Bayern war die Durchführung des in der curricularen Lehre vorgesehenen HNO-Praktikums als Präsenzveranstaltung ausgeschlossen. Die Untersuchungen im Fachgebiet der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde erfordern neben einer zu untersuchenden Person (z.B. Peer) ein spezielles Instrumentarium. Über den Onlinehandel wurden Einmalinstrumente beschafft und ein Untersuchungs-Kit für die Studierenden zusammengestellt. Es beinhaltete ein Nasenspekulum, einen Ohrtrichter, einen Mundspatel und einen Larynxspiegel (Kosten: 1 €/Studierender; siehe Abbildung 1 [Abb. 1], Punkt a). Als erforderliche Lichtquelle konnten die Studierenden vorhandene Stirnlampen oder Taschenlampenkonstruktionen verwenden (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]).

Die Lehreinheit startete mit einem einführenden Informationsvideo über die Struktur und die Abläufe des digitalen Praktikums.

Die eigentliche Propädeutik-Vorlesung und das sonst mündlich geprüfte Eingangstestat wurden durch E-Learning-Fälle mittels der Lernplattform „CaseTrain“ [4] ersetzt. Diese wurde ursprünglich für praxisnahen Patientenfälle mit integrierten Testaten entwickelt. Foto-, Audio- und Videomaterial sind integrierbar. Die von Lehrbeauftragten, Ärztinnen und Ärzten sowie fortgeschrittenen Studierenden (Praktisches Jahr) interdisziplinär entwickelten Propädeutik-Fälle beinhalteten zehn Testat-Fragen (Bestehensgrenze 60%) zu Grundlagenwissen der HNO und zu den Untersuchungstechniken. Speziell erstellte Untersuchungsvideos (Tutorials) dienten den Studierenden zur detaillierten Vorbereitung der selbstständig durchzuführenden HNO-Untersuchung. Um in der asynchronen Lehre die Motivation für das Lernen zu erhöhen, wurde ein Fotowettbewerb ausgeschrieben, der gleichzeitig als Kontrolle für die Durchführung der praktischen Aufgaben diente (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]). Hierzu wurden nur Bilder verwendet, für die eine schriftliche Einverständniserklärung vorlag (freiwillig). Eventuell nicht lösbare Probleme bei den Untersuchungsübungen wurden im Rahmen von nachgeschalteten Videokonferenzen aufgearbeitet.


3. Ergebnisse

Die Untersuchungs-Kits wurden von fast allen Studierenden persönlich im Lehrsekretariat der Klinik abgeholt. Wenige Studierende, die das Semester außerhalb von Würzburg verbrachten, kümmerten sich entweder selbstständig um entsprechendes Untersuchungsmaterial oder erhielten das Instrumentarium auf dem Postweg (siehe Abbildung 1 [Abb. 1], Punkt b).

Das Eingangstestat wurde von allen Studierenden bestanden. Ebenso ging von allen Studierenden ein Foto der Untersuchungsübungen ein. Der Abbildung 3 [Abb. 3] und Abbildung 4 [Abb. 4] sind einige Umsetzungen im eigenen Gestaltungsumfeld zu entnehmen.


4. Diskussion

Unterrichtskonzepte basierend auf E-Learning für HNO-Praktika sind rar, obwohl der Bedarf zur Etablierung digitaler Lehrformate an deutschen HNO-Universitätskliniken sowohl für die studentische Lehre [5] als auch für die Facharztausbildung [6] bereits adressiert wurden.

Erklärtes Projektziel war, ein Lehr- und Prüfungskonzept für die Zeit ohne Präsenzlehre zu entwickeln. Das Format der E-Learning-Fälle, welches von Studierenden als äußerst effektiv und nützlich mit Blick auf „Blended Learning“ bewertet wurde [7], [8], ermöglichte in Kombination mit der Bereitstellung von Einmalinstrumenten die simultane Umsetzung der vorgenannten Aspekte.

Das entwickelte Format sollte beinhalten:

  • Vermittlung und Prüfung von Grundlagenwissen,
  • Anleitung zu praktischen Übungen (Modelllernen über Videotutorials),
  • eigenständige Durchführung der Übungen durch Nachahmung,
  • Motivation und Durchführungskontrolle durch Gamification (Fotowettbewerb).

Darüber hinaus kann es die Grundlage für den zukünftigen Unterricht nach dem Prinzip des „Flipped Classrooms“ darstellen, wenn Präsenzlehre in einer Hybridversion während der Niedrigprävalenzphase von SARS-CoV-2 mit Augenmaß und Teilen wiederaufgenommen werden kann. Der „Flipped Classroom“ integriert didaktische Inhalte effektiver in den medizinischen Alltag von Lernenden und Lehrenden [9].

Videodemonstrationen sind effizient zum Erlernen praktisch-medizinischer Fähigkeiten einsetzbar [10], [11]. Studien, die das Erlernen eines HNO-Untersuchungsgangs durch Präsenzlehre mit digitaler Lehre vergleichen, sind in der Literatur bislang nicht beschrieben. Eine Studie mit kanadischen Medizinstudierenden zum Management der Epistaxis zeigte ein signifikant besseres Abschneiden eines computergestützten Lehrmoduls im Vergleich zu textbasierten Methoden [12]. Ein Vergleich zur Wissensvermittlung über HNO-Notfälle zwischen traditioneller Präsenzlehre und E-Learning-basierter Methoden zeigte keinen signifikanten Qualitätsunterschied [13]. Diese Daten zeigen, dass eine Lehre klinischer Skills auch sinnvoll digital erfolgen kann. Bei Wiederaufnahme der Präsenslehre könnte der hier vorgestellte Case-Train inklusive der Vorübungen der Untersuchungstechniken in Verbindung mit dem darauf aufbauenden Praktikum der HNO-Heilkunde als „Flipped Classroom“ neue Potentiale ausschöpfen [14].

Digitale Lehrinhalte stellen dabei die tragende Säule in der Vermittlung theoretischer Grundlagen dar, auf Basis derer anschließend problemorientierte und fallbasierte Präsensveranstaltungen aufbauen [15]. Die Effektivität dieser Lehre muss im Verlauf anhand der Prüfungsergebnisse und der praktischen Kompetenz (bspw. OSCE) der Studierenden evaluiert werden.

Die Wahl, durch Gamification (hier Fotowettbewerb) zu motivieren und die Durchführung der praktischen Übungen zu kontrollieren, bewährte sich und deckte sich mit den in der Literatur berichteten Erfahrungen [16].


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Ferrel MN, Ryan JJ. The Impact of COVID-19 on Medical Education. Cureus. 2020;12(3):e7492. DOI: 10.7759/cureus.7492 Externer Link
2.
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3.
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