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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Digitales Lehrformat zur Vermittlung der CanMEDS-Rollen mittels problemorientierten Lernens (POL) und Peer Teaching in der Allgemeinmedizin

Kurzbeitrag POL

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  • corresponding author Andrea Winzer - Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie, Mainz, Deutschland
  • author Michael Jansky - Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie, Mainz, Deutschland

GMS J Med Educ 2020;37(7):Doc64

doi: 10.3205/zma001357, urn:nbn:de:0183-zma0013572

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2020-37/zma001357.shtml

Eingereicht: 20. Juli 2020
Überarbeitet: 22. September 2020
Angenommen: 15. Oktober 2020
Veröffentlicht: 3. Dezember 2020

© 2020 Winzer et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Die Vermittlung der CanMEDS-Rollen erfolgt über ein digitales, Videokonferenz-gestütztes Lehrformat, in dem Studierende fallbasierte, interaktive Online-Lerneinheiten entwickeln. Als Lernformen kommen dabei problemorientiertes Lernen und Peer-Teaching zum Einsatz. Nach dozentenseitiger Qualitätsprüfung werden die digitalen Lerneinheiten weiteren allgemeinmedizinischen Unterrichten bereitgestellt.

Schlüsselwörter: Allgemeinmedizin, CanMEDS-Rollen, interaktive Online-Lerneinheiten, Online-Lehre, Peer Teaching, problemorientiertes Lernen (POL)


Einleitung

Die Allgemeinmedizin an der Universitätsmedizin Mainz stand aufgrund der durch Covid-19 eingeschränkten Präsenzlehre vor der Herausforderung, über virtuelle Lehr-und Lernumgebungen approbationsordnungskonform und unter Verwendung mediendidaktischer Konzepte zu unterrichten. Beim Wechsel zur Online-Lehre sollten nicht nur praxis- und patientenorientiert allgemeinmedizinische Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten vermittelt, sondern auch nutzerfreundliche, interaktive, multimediale und lernmotivierende Unterrichte konzipiert werden. Eine besondere Aufgabe stellte die zeitnahe Modifikation der beiden Wahlpflichtmodule „Allgemeinmedizinische Praxis“ und „Naturheilverfahren“ im einwöchigen Blockpraktikumsformat dar. Diese Module bestehen in der Präsenzlehre aus überwiegend praktischen Übungen an Patienten. Um allen bereits eingeschriebenen Studierenden die Teilnahme zu ermöglichen, wurden beide Lehrveranstaltungen zu einem Online-Wahlpflichtmodul für Studierende ab dem 3. Klinischen Semester zusammengefasst. Über eine problemorientierte Unterrichtsausrichtung sollte die Vermittlung der CanMEDS-Rollen über den Prozess der studentischen Entwicklung von interaktiven Online-Lerneinheiten erfolgen, deren Grundlage Fallvignetten zu typischen hausärztlichen Beratungsanlässen darstellten.


Projektbeschreibung

Übergeordnetes Lernziel des neu konzipierten und pragmatistisch-gestaltungsorientierten [1], [2] Online-Wahlpflichtmoduls ist die Aneignung und Anwendung der CanMEDS-Rollen „Medizinischer Experte“, „Kommunikator“, „Teamarbeiter“ und „Lehrender“ [3], [http://www.nklm.de]. Dazu sollen die Studierenden in verschiedenen Unterrichtssettings die Positionen sowohl der reflektierenden Beobachter [4] als auch der aktiv Ausübenden einnehmen [5]. Die untergeordneten Feinlernziele bestehen auf der Wissens- und der Verständnisebene im Erwerb von Kenntnissen zu „Allgemeinmedizinischer Praxis“, „Naturheilverfahren“ und „Ärztlicher Kommunikation“. Auf der Anwendungs- und der Analyseebene ist die Ausarbeitung eines Arzt-Patienten-Dialoges im hausärztlichen Kontext unter Betrachtung allgemeinmedizinischer und naturheilkundlicher Therapiemöglichkeiten verortet. Die Konzeption interaktiver Online-Lerneinheiten findet auf der Syntheseebene statt [6].

Entsprechend der universitären Vorgabe des ausschließlichen Fernstudiums wurde die Arbeitsform der Videokonferenz zur Bearbeitung der Lernaufgaben in Plenums- und Kleingruppenarbeiten gewählt [7], [8]. Dabei sollten problemorientiertes Lernen (POL) [9], [10], [11], kooperatives und kollaboratives Lernen [12], [13], Peer Teaching [14], [15], [16] sowie eigenständiges Lernen durch Selbststudium [17], [18] als didaktische Methoden miteinander kombiniert werden, um dem angestrebten Kompetenzzuwachs auf der übergeordneten Lernzielebene gerecht zu werden [19], [20]. Das Erreichen der untergeordneten Feinlernziele wurde über die prozessuale Aufgabenstellung an die Studierenden kontrolliert, interaktive Online-Lerneinheiten zu konzipieren [21], [22].

Alle interaktiven Online-Lerneinheiten sollen einen schlüssigen Arzt-Patienten-Dialog zu einem hausärztlichen Beratungsanlass vorweisen. Dazu werden Fallvignetten mit Patientenangaben (Geschlecht/Alter/Beruf) und Hintergrundinformationen (Ätiologie, Diagnostik, Therapie) vorgegeben. Für die Dialogkonzeption müssen sich die Studierenden sowohl in die Patientenrolle versetzen (inklusive Formulierung patientenseitiger Wünsche) als auch die Hausarzt-Rollen analysieren (inklusive Vergegenwärtigung hausärztlicher Aufgaben). Zum Ende der Praktikumswoche sollte jede studentische Kleingruppe eine interaktive Online-Lerneinheit erarbeitet haben, die prinzipiell in weiteren allgemeinmedizinischen Unterrichten einsetzbar ist.

Die Unterrichtsevaluation erfolgte über den von der Universitätsmedizin Mainz für die digitalen Lehrveranstaltungen des Sommersemester 2020 vorgehaltenen, in Moodle hinterlegten und standardisierten Online-Fragebogen.


Ergebnisse

Die Umsetzung der fallbasierten POL-Ausrichtung des Lehrprojektes, die Anwendung des Peer-Teaching-Formates und die CanMEDS-Rollenübernahme durch die Studierenden sind dem Unterrichtsablauf in Tabelle 1 [Tab. 1] zu entnehmen.

Nach Beendigung des Wahlpflichtmoduls wurden die interaktiven Online-Lerneinheiten hinsichtlich ihrer Weiterverwendung durch den Kursleiter auf Basis seiner Expertise als allgemeinmedizinischer Professor und niedergelassener Hausarzt bewertet sowie bei Bedarf überarbeitet. Alle interaktiven Online-Lerneinheiten kamen noch zum Sommersemesterende innerhalb des digitalen Praktikums Allgemeinmedizin (8. Semester) zum Einsatz.

Das neue Online-Lehrformat ließ sich organisatorisch und technisch problemlos umsetzen. Aus Sicht der Kursleitung erschien die studentische Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit ausgeprägter als bei regulären Präsenzveranstaltungen. Die Studierenden äußerten in der abschließenden Feedbackrunde eine hohe Nachvollziehbarkeit des Unterrichtskonzeptes und der Lernziele. Die Rücklaufquote der Online-Befragung lag bei 47% (9 von 19 Teilnehmenden). Die Lehrveranstaltung, das Betreuungsangebot und das Unterrichtsformat wurden als sehr lernförderlich eingestuft. Die Lehrstoffmenge wurde als angemessen empfunden.

In der Evaluation zum digitalen Praktikum Allgemeinmedizin betrug die Rücklaufquote 20,5% (36 von 175). In den dortigen Freitext-Kommentaren wurden die interaktiven Online-Lerneinheiten als lernförderlich benannt und Wünsche nach weiteren solcher Angebote geäußert [23], [24].


Diskussion

Endgültige Schlüsse lassen sich aufgrund der geringen Anzahl der Studierenden an der Lehrveranstaltung und der Rücklaufquote bei der Evaluation nicht ziehen. Dennoch weisen die studentischen Rückmeldungen und die Erfahrungen der Lehrverantwortlichen darauf hin, dass die geschilderte Online-Lehre den Prozess des Kompetenzerwerbs über Patientenkontakt wenn schon nicht ersetzen, so doch zweckmäßig ergänzen kann. Das digitale Lehrformat ist nach bisheriger Datenlage aufgrund seiner pragmatistisch-gestaltungsorientierten Ausrichtung sowie der damit verbundenen Möglichkeit des komplexen und nachhaltigen Kompetenzerwerbs mittels problemorientierten Lernens und Peer Teaching geeignet [25], [26], Studierenden verschiedene CanMEDS-Rollen mit Bezug auf die Hausarzttätigkeit zu vermitteln, bereits vorhandenes Wissen zu vertiefen und um neue Kompetenzen auf der Handlungsebene zu erweitern. Ein Lerntransfern in die Praxis ist somit realisierbar [27]. Darüber hinaus erlaubt es die Erprobung innovativer Lehr-Lern-Szenarien.


Schlussfolgerung

Die Erfahrungen mit dem dargestellten digitalen Lehrformat werden in die Ausgestaltung unserer allgemeinmedizinischen Online-Lehre einfließen und ermutigen uns zukünftig zu einer stärkeren Einbindung digitaler Lehrformate in Form eines Lehrmethoden-Mix. Dabei wird es übergeordnetes Ziel bleiben, im Präsenzunterricht der Vermittlung praktischer Fertigkeiten am Patienten mehr Raum zu gegeben. Zudem sollte das Potenzial der Übertragbarkeit des dargestellten digitalen Lehrformates interdisziplinär innerhalb der Fakultät überprüft werden, ebenso wie im Erfahrungsaustausch mit anderen Lehrstühlen für Allgemeinmedizin.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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