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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Digitale Kompetenzen für Medizinstudierende – qualitative Evaluation des Curriculum 4.0 „Medizin im digitalen Zeitalter“

Artikel Digitale Kompetenzen

  • corresponding author Sebastian Kuhn - Universität Bielefeld, Medizinische Fakultät OWL, AG 4 - Digitale Medizin, Bielefeld, Deutschland; Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Mainz, Deutschland
  • author Natalie Müller - Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Mainz, Deutschland
  • author Elisa Kirchgässner - Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Mainz, Deutschland
  • author Lisa Ulzheimer - Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Mainz, Deutschland
  • author Kim Lucia Deutsch - Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Mainz, Deutschland

GMS J Med Educ 2020;37(6):Doc60

doi: 10.3205/zma001353, urn:nbn:de:0183-zma0013535

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2020-37/zma001353.shtml

Eingereicht: 26. November 2019
Überarbeitet: 4. Mai 2020
Angenommen: 30. Juni 2020
Veröffentlicht: 16. November 2020

© 2020 Kuhn et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Einleitung: Die digitale Transformation hat weitreichende Implikationen für das Qualifizierungsprofil von Medizinstudierenden, welche bisher im Medizinstudium nicht adressiert wurden.

Lehrkonzept: Das kompetenzorientierte Blended-Learning-Curriculum „Medizin im digitalen Zeitalter“ wurde seit 2017 als curriculares Reformprojekt im Rahmen des Förderprogramms „Curriculum 4.0“ des Stifterverbandes an der Universitätsmedizin Mainz implementiert. In sechs Modulen soll der Qualifizierungsbedarf an digitalen Kompetenzen adressiert werden.

Evaluationsmethodik: Die qualitative Evaluation des Kurskonzepts erfolgte in Form semi-strukturierter Interviews. Hierbei konnten alle 58 Teilnehmenden aus fünf Kursen befragt werden.

Ergebnisse: Anhand der „Qualitativen Inhaltsanalyse“ nach Philipp Mayring wurden die Aussagen in deduktiv gebildete Hauptkategorien (Ablauf, Inhalt, Methodik, Lernerfolg, Lernerlebnis und Fazit) unterteilt. Die Ergebnisse spiegeln die studentische Sichtweise auf das Curriculum und des aktuell noch zu spezifizierenden Qualifizierungsbedarfs wider.

Diskussion: Die didaktische Vermittlung digitaler Kompetenzen ist ein relevanter und hochaktueller Bestandteil der Weiterentwicklung des Medizinstudiums. Bei dieser Entwicklung stehen nicht nur die technologischen Kompetenzen, sondern insbesondere auch die Reflexion der fachlichen, rechtlichen und ethischen Zusammenhänge sowie der Umgang mit Veränderungsprozessen im Fokus.

Schlüsselwörter: Digitale Transformation, Curriculum 4.0, digitale Kompetenzen, Medizinstudium, Digitale-Versorgung-Gesetz


Einleitung

Die digitale Transformation bezeichnet einen fortlaufenden, in digitalen Technologien begründeten Veränderungsprozess, der das Gesundheitssystem, die Kliniken, Praxen, Universitäten und die Professionen sowie Patienten verändert. Hierbei wird eine zunehmende „Superkonvergenz“ der klassischen Medizin mit Informationstechnologien beschrieben, die das bisherige Gesundheitssystem in ein neues, digitales Gesundheitssystem verwandelt [1], [2].

Ärztliches Handeln durch die Einführung digitaler Gesundheitstechnologien weiterzuentwickeln, ist ein komplexer Veränderungsprozess. Dieser erfordert neben Investitionen in Technologien einen tiefgreifenden Wandel von Mentalitäten der Menschen. Die ärztliche Patientenversorgung umfasst viele Facetten und wird durch Menschen mit tief verwurzelten persönlichen, sozialen und institutionellen Überzeugungen und Praktiken ausgeübt. Um speziell ärztliches Handeln erfolgreich weiterzuentwickeln, muss die digitale Transformation von der Ärzteschaft als ein langanhaltender, disruptiver Veränderungs- und Innovationsprozess verstanden werden, der die Rollen sowie die dafür notwendigen Kompetenzen und Kooperationen massiv verändern wird [3], [4], [5].

Die Zukunft ist jetzt! Im Jahr 2020 werden Ärzte Patienten nicht nur zur Medikation und Operation, sondern auch zu digitalen Behandlungsformen beraten und diese differenziert einsetzen müssen. Das Digitale-Versorgung-Gesetz hat hierzu im November 2019 die Weichen gestellt [6]. Sowohl digitale Gesundheitsanwendungen in Form von Smartphone Apps, als auch die telemedizinischen Angebote werden in diesem Jahr zunehmend praxisrelevant. Der beschlossene und verpflichtende Aufbau der Telematik-Infrastruktur führt zu einer intensiveren Datenbereitstellung und geht mit hohen Anforderungskompetenzen für Ärzte einher.

Die häufig als Generation der „Digital Natives“ bezeichnete derzeitige Generation an Medizinstudierenden hat diesbezüglich einen enormen Bildungsbedarf. Mit digitalen Medien aufzuwachsen und diese in der Rolle eines „Consumers“ zu nutzen, ist nicht ausreichend, um sich arztspezifische digitale Handlungskompetenzen anzueignen. Dies zeigte sich auch u.a. in einer Studie des Hochschulforums Digitalisierung, in der nur 21% der Studierende als „Digitale Allrounder“ abschnitten. Der Großteil der Studierenden sammelte Erfahrungen primär aus einer passiven, konsumierenden Rolle heraus und nahm auf die digitale Umwelt nicht aktiv Einfluss [7], [8].

Bei einem Blick in bisherige Curricula des Humanmedizinstudiums, aber auch bei der Erstellung des Masterplans Medizinstudium 2020 und des Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM) fanden digitale Kompetenzen keine wesentliche Beachtung [9], [http://www.nklm.de]. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, adäquate curriculare Konzepte zu konzipieren, zu implementieren und zu evaluieren, welche sich zukunftsgewandt diesen Herausforderungen stellen. „Medizin im digitalen Zeitalter“ wurde als curriculares Reformprojekt der Universitätsmedizin Mainz ab Dezember 2016 vom Stifterverband als ein „Curriculum 4.0“ Projekt gefördert. Ziel dieses Förderprogramms ist es, die Neuausrichtung und Weiterentwicklung von Studiengängen voranzutreiben und durch curriculare Reformprojekte neue Lösungsansätze aufzuzeigen. Die erstmalige Implementierung erfolgte im Sommersemester 2017 und ist seither Teil des Wahlpflichtprogramms der Universitätsmedizin Mainz. Da die Anmeldungen die verfügbaren Kapazitäten – im Sommersemester 2019 standen 184 Anmeldungen zwölf verfügbaren Plätzen gegenüber – wird die Teilnahme zufällig verteilt.

Die aktuelle Publikation stellt die qualitative Evaluation des Kurskonzepts basierend auf 58 semi-strukturierter Interviews aller Teilnehmenden aus fünf Kursen dar. Hierbei war das Ziel die studentische Perspektive zu erheben, um die Ergebnisse in die iterative und agile Weiterentwicklung des Unterrichtskonzepts, aber auch in die aktuell stattfindenden nationalen Reformprozesse einfließen zu lassen. Forschungsleitend waren dabei die Fragen nach dem subjektiven Lernerfolg der Studierenden und der Akzeptanz des Kurskonzepts.


Lehrkonzept

Das Blended-Learning-Curriculum „Medizin im digitalen Zeitalter“ setzt sich aus verpflichteten sechs Lernmodulen zusammen, die jeweils aus einer ca. 2-stündigen E-Learning-Einheit und einer 4-stündigen Präsenzunterrichtseinheit bestehen. Das Lehrkonzept lässt sich auf drei Ebenen beschreiben: der Format-Ebene, der Methoden-Ebene und der Modul-Ebene.

Auf der Format-Ebene ist das Konzept in die Lehrformen E-Learning, Präsenzunterricht und Koproduktion gegliedert. Die verschiedenen Formate wechseln im Verlauf und bauen aufeinander auf. Die Projektplanung orientiert sich hierbei an den Empfehlungen und Framework der Arbeitsgruppe Curriculum 4.0 des Hochschulforum Digitalisierung [10], [11]. Im E-Learning setzen sich die Teilnehmenden mithilfe eines E-Books bereits im Vorfeld der Veranstaltung mit Themen der digitalen Transformation auseinander und erarbeiten vor Unterrichtsbeginn eigenverantwortlich und unabhängig wissensbasierte Anteile zur digitalen Medizin. Dieses umfassen von den Dozierenden verfasste Übersichtsartikel, Experteninterviews und kuratierte Fremdinhalte zu den sechs Modulen. Im Präsenzunterricht werden Situationen des digitalen Gesundheitssystems praxisnah aufgegriffen. Wechselnde Dozierende bearbeiten diverse Themenbereiche in problemlösungsorientierten Lehrkonzepten. Hier wird explizit der Ansatz, die digitale Transformation der Medizin interdisziplinär und interaktiv abzubilden, verfolgt. Demzufolge wird der Präsenzunterricht in Kleingruppen mit Unterstützung verschiedener medizinischer Fachdisziplinen (Anästhesie, Chirurgie, Medizinische Informatik Medizinethik, Psychologie, Pädiatrie, Psychosomatik, Radiologie, Unfallchirurgie und Orthopädie) durchgeführt. Darüber hinaus wird das Dozierendenteam im Sinne eines transdisziplinären Ansatzes durch App-Entwickler, Vertreter des Landesdatenschutzes und Patienten ergänzt.

Die Koproduktionen erfolgen in Form diverser Projektarbeiten und ermöglichen eine intensive Personalisierung des Lernens, die in analoger wie digitaler Form dazu beitragen, den Lernenden zu aktivieren und den Unterricht besser an die Zielgruppe anzupassen. Der entstandene „User Generated Content“ stärkt die Identifikation mit dem Lehrkonzept und das positive Lernerlebnis. Hinzu kommt, dass die erarbeiteten Inhalte den Lernerfolg sichtbar machen. Durch die unterschiedlichen Sichtweisen der heterogenen Teilnehmergruppe – Studierende wie auch Lehrende – werden diverse Erfahrungen und Meinungen sichtbar [7], [12]. Die Beiträge werden nach Abschluss des Wahlpflichtfachs in eine EDU-Version des E-Books eingefügt. Einzelne Beiträge werden für das E-Learning der folgenden Semester zur Verfügung gestellt (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

Auf der Methoden-Ebene wird in sechs Methoden unterschieden, die in verschiedenen Zusammenhängen und Kontexten zum Einsatz kommen:

  • Lernziele erarbeiten
  • Impulsvorträge
  • Workshops
  • Experten- und Patientengespräche
  • Diskussionsrunden
  • Projektarbeiten

Zu Beginn eines jeden Unterrichtstags sammeln die Studierenden eigenverantwortlich ihre persönlichen Lernziele zu den jeweiligen Modulen und stellen diese den Dozentierenden vor. Dies erlaubt einen Abgleich mit den vom Dozierendenteam formulierten Ziele und ermöglicht eine Zielgruppen-spezifische Anpassungen, insbesondere während der Workshops und Diskussionsrunden. Es schließen sich Workshops zum Modulthema an, die mit diversen Methodiken arbeiten. U.a. App-basierte Behandlungskonzepte, Videosprechstunden und Diskussionsrunden ermöglichen, dass die Studierenden mit neuen Behandlungskonzepten aktiv und praktisch interagieren können. Dabei werden nicht nur die Chancen und Möglichkeiten der digitalen Medizin betrachtet, sondern es werden in kritischen Diskussionen der Teilnehmenden mit Experten und Dozierenden auch die Risiken und Limitationen der digitalen Medizin erörtert. Zum Abschluss werden die Lernziele auf ihre Umsetzung überprüft und gemeinsam reflektiert.

Die Modul-Ebene beschreibt die Struktur der Inhalte, die im Verlauf der Unterrichtsveranstaltung behandelt werden. Insgesamt besteht das Konzept aus sechs Modulen:

Modul 1 – Digitale Arzt-Patienten-Kommunikation

Übergeordnete Lernziele: Der/Die Teilnehmende ist in der Lage, die spezifischen Anforderungen persönlicher und elektronischer Kommunikation zu reflektieren sowie Kriterien für angemessenes Verhalten virtueller Arzt-Patienten-Kommunikation bis zum Abschluss des Moduls auf praktische Beispiele anzuwenden.

Das Modul fokussiert insbesondere die Veränderungen der Arzt-Patienten-Kommunikation durch digitale Einflüsse. Das interdisziplinäre Dozierendenteam besteht aus einem Arzt und zwei Psychologen. Die Teilnehmenden sollen in Hinsicht auf das professionelle Auftreten in sozialen Netzwerken und den Besonderheiten digitaler Kommunikation auf den drei Ebenen Arzt – Patient, Arzt – Arzt und Patient – Patient sensibilisiert werden. Dafür erhalten die Teilnehmenden Einblicke in ein etabliertes Online Reha-Nachsorge-Programm, bewerten reale Fälle ärztlichen Verhaltens in sozialen Netzwerken und diskutieren die Vor- und Nachteile digitaler Kommunikation für das ärztliche Handeln. Darüber hinaus werden auch digitale Fehlentwicklungen, wie die unkritische Nutzung von Messengern (z.B. WhatsApp®) im klinischen Alltag, adressiert.

Modul 2 – Smart Devices und Medizinische Apps

Übergeordnete Lernziele: Der/Die Teilnehmende ist in der Lage, den Nutzen und die Risiken von medizinischen Apps und Smart Devices bis zum Abschluss des Moduls kritisch zu bewerten und patientenorientiert anzuwenden. Sie beherrschen den Umgang mit Smart Devices und Apps im gesundheitsspezifischen Kontext und können die Einsatzmöglichkeiten, Chancen und Risiken auf Patienten-, Arzt- und Forschungsebene reflektieren.

Das zweite Modul, „Smart Devices und Medizinische Apps“, zeigt die digitalen Einflüsse auf dem medizinischen Verbrauchermarkt auf. Hierbei werden die Teilnehmenden mit der Vielzahl existierender Gesundheits-Apps und Smart Devices konfrontiert. Eine umfassende Auseinandersetzung mit der qualitativen Beurteilung einer App auf den Ebenen Konsument, Patient und Experte findet in Form eines eigenständig erstellten App-Reviews statt. Im Expertengespräch mit den Gründern eines in Deutschland nach Medizinproduktegesetz zertifizierten App-basierten Behandlungskonzepts treten die Studierenden in Austausch über medizinische, ökonomische und politische Rahmenbedingungen. In einem weiteren Expertengespräch sprechen die Studierenden mit einem Arzt, der die Technik in seiner Praxis etabliert hat, über Erfahrungswerte, Chancen und Limitationen. Smart-Device-basiertes Monitoring sowie die Überwachung der individuellen Vitalparameter (Quantified-self) werden in Selbstversuchen erlebbar gemacht.

Modul 3 – Telemedizin

Übergeordnete Lernziele: Der/Die Teilnehmende ist in der Lage, telemedizinische Verfahren zu benennen und die Chancen und Risiken der Behandlung nach Abschluss des Moduls zu reflektieren. Der Teilnehmende kann Lösungen der Telemedizin patientenorientiert einsetzen und die notwendigen Rahmenbedingungen der Gesundheitsthematik erläutern.

Das Modul „Telemedizin“ stellt anhand eines Fallbeispiels interaktiv die Telemedizin mit den Teilaspekten Tele-Notfallmedizin, Teleradiologie und Telekonsultation praxisnah dar [13]. In einer Videokonferenz treten die Teilnehmenden in direkten Kontakt mit einer Patientin, die aufgrund einer mehrjährigen telemedizinischen Betreuung ein selbstbestimmteres Leben führen kann.

Modul 4 – Virtual Reality, Augmented Reality und Computer-assistierte Chirurgie

Übergeordnete Lernziele: Der/Die Teilnehmende ist in der Lage, die neuartigen Techniken von Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR) und computer-assistierter Chirurgie bis zum Abschluss des Moduls reflektiert anzuwenden und zu bewerten.

„Virtual Reality, Augmented Reality und Computer-assistierte Chirurgie“, zielt auf der Ebene der Praxiserfahrung darauf ab, den Teilnehmenden den aktuellen Entwicklungsstand und die Einsatzmöglichkeiten von VR/AR und computer-assistierter Chirurgie zu vermitteln. Angeleitet von Experten der computer-assistierten Chirurgie arbeiten die Teilnehmenden an dem OP-Roboter-Simulator „Da Vinci“, nutzen Augmented Reality für eine OP-Planung und führen eine Virtual Reality-Laparoskopie durch. Auch hier wird die Methode des Expertengesprächs eingesetzt, um niedrigschwellig und konstruktiv die Reflexion der zukünftigen Rolle zu fördern und nachhaltiges Interesse zu wecken.

Modul 5 – Individualisierte Medizin und Big Data

Übergeordnete Lernziele: Der/Die Teilnehmende ist in der Lage, die Sammlung und Nutzung von Patientendaten im Spannungsfeld von technischen und ethischen Grundsätzen sowie unter gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen zu bewerten und in medizinischen Kontext zu setzen.

„Individualisierte Medizin und Big Data“, adressiert die Ebene der kritischen Reflexion der Teilnehmenden. In diesem Modul werden Chancen und Herausforderungen digitalisierter Medizin vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Rahmenbedingungen des Datenschutzes, der Medizinethik und der Medizininformatik, unter Einbezug der Inhalte der gesamten Kurswoche (Zugriff auf und Verfügbarkeit von Big Data, Limitationen und Prädiktionen, Recht auf Nichtwissen) aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und diskutiert. Dabei werden Spannungsfelder sichtbar, in denen sich klinisch tätige Ärzte aktuell befinden. „Was ist technisch möglich?“, „Was ist rechtlich erlaubt?“, „Was ist ethisch vertretbar?“ sind hierbei Leitfragen. Die Auseinandersetzung geschieht insbesondere durch offene Diskussionen im Plenum mit Experten aus dem Bereich Medizininformatik, Datenschutz und Medizinethik [14].

Modul 6 – Künstliche Intelligenz

Übergeordnetes Lernziel: Der/Die Teilnehmende ist in der Lage, Einsatz und Nutzen von Künstlicher Intelligenz im ärztlichen Handeln im Spannungsfeld von technischen und ethischen Grundsätzen sowie unter gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen zu bewerten und in medizinischen Kontext zu setzen. Der/Die Teilnehmende kann diverse Anwendungsgebiete und konkrete Programme, die mit künstlicher Intelligenz arbeiten, erläutern.

Das 6. Modul beschäftigt sich mit dem zunehmenden Einsatz klinischer Entscheidungsunterstützungssysteme im ärztlichen Alltag. Die Studierenden führen zunächst eine klassische Anamnese und im Anschluss eine Chatbot-assistierte Anamnese (Ada Health) durch. Auf Arbeitsblättern werden die individuellen Beobachtungen der ärztlichen und KI-unterstützen Vorgehensweisen aufgezeichnet. In der folgenden Diskussionsrunde werden Vor- und Nachteile sowie Chancen und Risiken des Einsatzes kritisch reflektiert. In einem Gruppenprojekt recherchieren die Studierenden im Verlauf der Woche ein KI-basiertes klinisches Unterstützungssystem und reflektieren den Einsatz kritisch. Die Ergebnisse werden abschließend präsentiert, im Plenum diskutiert und erhalten in schriftlicher Form Einzug in das E-Book.


Evaluationsmethodik

„Medizin im digitalen Zeitalter“ wurde bisher fünfmalig im Rahmen der Wahlpflichtwoche (5 Tage) der Fachsemester 7-9 (Sommersemester 2017 bis Sommersemester 2019) durchgeführt. Da die Teilnehmendenzahl begrenzt ist und die Anmeldungen die Kapazitäten überstiegen, wurden die Studierende dem Kurs von der Abteilung Studium und Lehre nach dem Zufallsprinzip zugeordnet. Das Dozierendenteam hatte keinen Einfluss auf die Auswahl der Teilnehmenden. Die qualitativen Evaluationen erfolgten in Form semi-strukturierter Interviews mit einer durchschnittlichen Dauer von circa 45 Minuten. Forschungsleitend waren im Rahmen der Interviewdurchführung die Fragen nach dem subjektiven Lernerfolg der Studierenden und der Akzeptanz des Kurskonzepts. Des Weiteren hat sich die Interviewpraxis als passendes Instrument erwiesen, um Anregungen zur Überarbeitung und Anpassung des Kurskonzepts einzuholen. Die Auswertung des Interviews findet somit Einzug in den iterativen Prozess der Weiterentwicklung. Der Interviewleitfaden besteht sowohl aus offenen als auch aus zielgerichteten Fragen zur drei Fragenkomplexen – themenspezifische, veranstaltungsbezogene und reflexive Fragen (siehe Anhang 1 [Anh. 1]). Hieraus wurden deduktiv sechs Hauptkategorien (Ablauf, Inhalt, Methodik, Lernerfolg, Lernerlebnis, Fazit) gebildet. Im Auswertungsprozess ergeben sich zudem induktive Unterkategorien. Es konnten alle 58 Teilnehmenden (36 männlich, 22 weiblich) innerhalb von 2 Wochen nach Abschluss der Wahlpflichtwoche befragt werden. Insgesamt wurden 25 Interviews geführt, davon 12 Einzel- und 13 Kleingruppeninterviews. Die Audioaufnahmen wurden transkribiert und die 1259 Aussagen kategorisiert und ausgewertet. Der Auswertungsprozess erfolgte durch zwei in der Inhaltsanalyse geschulten wissenschaftlichen Mitarbeitern. Unklarheiten bei der Datenauswertung wurden im Projektteam (zwei weitere wissenschaftliche Mitarbeiter) diskutiert und konsolidiert. Die Evaluationsmethodik erfolgte anhand der „Qualitativen Inhaltsanalyse“ nach Philipp Mayring [15].


Ergebnisse

Die Evaluation der Unterrichtsveranstaltungen „Medizin im digitalen Zeitalter“ umfasst die deduktiv gebildeten Hauptkategorien Ablauf, Inhalt, Methodik, Lernerfolg, Lernerlebnis und Fazit (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). Den deduktiven Hauptkategorien wurden im Auswertungsprozess induktiv entwickelte Unterkategorien zugeordnet. Anhand dieser können nun die einzelnen Hauptkategorien aufgeschlossen und näher definiert werden.

Hauptkategorie Ablauf

Die Hauptkategorie Ablauf umfasst alle Aussagen, die sich auf organisatorischer Ebene auf die Veranstaltungsdurchführung beziehen. Im Auswertungsprozess wurden die Unterkategorien „Dozierende“, „Struktur“ und „Zeitmanagement“ gebildet (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]). Insbesondere die vielfältigen, motivierten Dozierende wurden sehr positiv bewertet. Vor allem „fachfremde“ Experten, wie App-Entwickler und Datenschutzexperten, lieferten einen großen Beitrag zur Veranstaltung. Betont wurde die offene Gesprächssituation, die nach Aussage der Studierenden im Rahmen der Wahlpflichtwoche durchweg aufrechterhalten werden konnte. Dazu kommen durchweg positive Rückmeldungen zur strukturellen Organisation der Veranstaltung. Diese beziehen sich auf die Aufteilung der passiven und aktiven Lernphasen sowie der Einsatz der verschiedenen Lehrformate von E-Learning und Präsenzlehre. Die Studierenden sprechen hier von einem reibungslosen Verlauf und guter Organisation. Die zeitliche Struktur wird positiv gesehen, die zeitliche Rahmung dagegen kritisch. Die Studierenden äußern Interesse an längeren Unterrichtseinheiten.

Hauptkategorie Inhalt

Die Aussagen zur Hauptkategorie „Inhalt“ beziehen sich zu 31% auf die Themenvielfalt. Die Befragten nennen hier einen generellen Überblick über die Bandbreite der Themen und den Einblick in die einzelnen praktischen Umsetzungen als besonders relevant (siehe Abbildung 4 [Abb. 4]). Die inhaltliche Vielfalt trägt so zu einem besseren Verständnis über die Tragweite der Thematik bei. Dazu gehört ein differenziertes Bewusstsein für die aktuell stattfindende Veränderung des ärztlichen Berufsbilds. Die restlichen 69% der Aussagen können den Inhalten der einzelnen Module zugeordnet werden. In den Interviews wird deutlich, dass sich die Studierenden auf inhaltlicher Ebene noch tiefere Auseinandersetzungen auf medizinethischer und medizinrechtlicher Ebene gewünscht hätten. Zu einzelnen Modulen wurden einige Arbeiten bereits publiziert; weitere befinden sich in Veröffentlichungsprozess [3], [12], [13], [14].

Hauptkategorie Methodik

Die mit 30% aller zugeordneten Aussagen größte Kategorie bildet die Hauptkategorie Methodik. Diese Kategorie umfasst alle Aussagen zum Methodeneinsatz der Veranstaltung. Im Auswertungsprozess wurden die Unterkategorien „Methodenauswahl“, „Medien- und Technikeinsatz“ und „Theorie/Praxisverknüpfung“ gebildet (siehe Abbildung 5 [Abb. 5]). Die Auswahl der eingesetzten Methoden bewerten die Studierenden als abwechslungsreich und vielfältig. Insbesondere die Methoden Diskussionsrunde und Expertengespräch werden als besonders interessant und lehrreich empfunden. Zudem erzählen die Teilnehmenden, dass sie die Gelegenheit schätzten, in Gruppenarbeiten, die in Form von Workshops stattfanden, in Austausch mit ihren Kommilitonen zu treten und gemeinsam Aufgaben zu bearbeiten. Die Methode der Fishbowl-Diskussion wurde von den Teilnehmenden unterschiedlich bewertet. Einzelne Teilnehmende äußerten, dass sie vor allem zu Beginn der Diskussion Hemmungen hatten offen zu diskutieren, oder im Gegenteil, dass sie sich noch stärker beteiligen und häufiger äußern wollten, als die Methode es zuließ. Uneingeschränkt positiv bewerteten die Studierenden im Gegensatz zur Methodenauswahl jedoch die Theorie/Praxisverknüpfung. Alle Befragten äußern sich positiv dazu, dass in der Veranstaltung nicht nur Theoretisches gelernt, sondern auch praktische Erfahrungen gesammelt werden konnten. Mit großer Begeisterung berichten die Studierenden von ihren Erfahrungen mit der VR-Brille oder dem DaVinci-Roboter-Simulator. Den praktischen Übungen sollte allerdings ein noch größeres Zeitfenster eingeräumt werden, empfehlen die Studierenden. In den Aussagen zum Medien- und Technikeinsatz der Veranstaltung wird vor allem der Einsatz neuartiger Technologien positiv hervorgehoben. Das Bedienen von Smartwatches, Tablets und anderen Smart Devices war für die meisten Studierenden eine wertvolle Erfahrung. Darüber hinaus wird das veranstaltungsbezogene E-Book als hilfreich zur thematischen Orientierung vor der Veranstaltung bewertet und der mit dem Lesen des E-Books verbundene Zeitaufwand als angemessen beurteilt. Der Einsatz des digitalen Kommunikationstools SLACK wird teilweise gelobt und teilweise kritisiert, da die App nicht von allen Teilnehmenden in gleicher Intensität genutzt wurde und von manchen Studierenden als unübersichtlich empfunden wurde. Gelobt wird jedoch die Möglichkeit zur Vernetzung und zum Informationsaustausch, welcher mithilfe der App auch nach der Veranstaltung noch möglich war.

Hauptkategorie Lernerfolg

Der Lernerfolg wird von den Teilnehmenden als langfristig eingeschätzt (siehe Abbildung 6 [Abb. 6]). Im Vergleich mit anderen Lehrveranstaltungen des Medizinstudiums sei der Lernerfolg hier größer und nachhaltiger. Außerdem sei der Lernerfolg besonders hoch im Vergleich zur aufgewandten Zeit. Demnach sei die Zeit sehr gut genutzt worden. Die Veranstaltung habe darüber hinaus dazu beigetragen, dass das Interesse an der Thematik gestiegen sei und sich die Studierenden auch nach Abschluss der Lehrveranstaltung weiter mit Themen der digitalen Medizin auseinandersetzen wollen. Dass die Studierenden davon erzählen, nach der Veranstaltung weiterlernen und sich in ihrer Freizeit weiter informieren zu wollen, stellt einen Lernerfolg dar. Lernen habe in diesem Unterricht weniger über die Faktenvermittlung, sondern mehr über gesammelte Erfahrungen und Erlebnisse stattgefunden. Es sei eine andere Art des Lernens im Vergleich zum sonstigen Medizinstudium. In der Wahlpflichtwoche sei das kritische Reflektieren gefördert worden. In den Aussagen der Teilnehmenden wird deutlich, dass die Studierenden ihren Lernerfolg mit Aktivitäten verknüpfen. So habe das praktische Erfahren verschiedener Medien, Techniken und Geräte und das anschließende Diskutieren darüber dazu beigetragen, dass der Lernerfolg als besonders hoch eingeschätzt wird. Nach ihrem persönlichen Lernerfolg gefragt, erwähnen viele Teilnehmende den Begriff der Horizonterweiterung. Ihnen sei nun die Tragweite des Themas deutlich geworden, ihr Blick habe sich um verschiedene Perspektiven erweitert und sie fühlen sich über das Thema Digitale Transformation der Medizin „aufgeklärt“. Die zahlreichen Impulse des Unterrichts regten zum Mitdenken an und sensibilisierten die Studierenden für die behandelte Thematik.

Hauptkategorie Lernerlebnis

Die Teilnehmenden beschreiben ihre Lernerlebnisse in der Veranstaltung, indem sie auf ihre Lernerfahrungen mit verschiedenen Methoden eingehen. Besonders häufig beziehen sich Aussagen zum Thema „Lernerlebnis“ auf die Methoden „Zusammenarbeit“, „Diskussion“ und „Expertengespräch“ (siehe Abbildung 7 [Abb. 7]). Dabei wird erläutert, dass die Perspektivenvielfalt in Diskussionen ebenso zu einem Lernprozess führe, wie die Möglichkeit, Technik und Medien in Kleingruppen selbst ausprobieren zu können. „Hands on“ am DaVinci Roboter arbeiten zu können, wird von vielen Teilnehmenden als eindrückliches Lernerlebnis bezeichnet. Außerdem bewerten die Studierenden die Themenvielfalt des Unterrichts positiv. Dass sie ihre Lernziele selbst festlegen durften, wird ebenso hervorgehoben. Insgesamt beschreiben die Befragten ihre Lernerlebnisse im Rahmen der Veranstaltung als außergewöhnlich abwechslungsreich im Vergleich zu ihrem sonstigen Studium und empfinden sie als nachhaltig. Nicht nur die Vielfalt der Themen, auch das Thema an sich wird als Vorteil der Veranstaltung hervorgehoben. Die Studierenden erklären, die Veranstaltung aufgrund der für sie interessanten Thematik gewählt zu haben. Außerdem wird der Lerninhalt der Veranstaltung als spannend beschrieben. Darüber hinaus heben die Studierenden die Bedeutung der Dozierende hervor, wenn sie von ihren Lernerlebnissen berichten. Dass täglich unterschiedliche Co-Dozierende beteiligt waren, wird als positiv herausgestellt. Hierbei wird betont, dass die Dozierenden den Studierenden „auf Augenhöhe“ begegneten und für jegliche Fragen offen waren.

Hauptkategorie Fazit

Nach einer abschließenden Bewertung der Veranstaltung gefragt, äußern sich nahezu alle Befragten positiv zu der Wahlpflichtwoche (siehe Abbildung 8 [Abb. 8]). Die Teilnehmenden erzählen, dass sie viel Neues gelernt und eindrückliche Erfahrungen gesammelt haben. Daher möchten sie diese Wahlpflichtwoche weiterempfehlen und wünschen sich, dass „Medizin im digitalen Zeitalter“ Einzug in das Pflichtcurriculum des Medizinstudiums findet. Zwar wird insgesamt die Organisation der Veranstaltung gelobt, dennoch wird auch Kritik am Zeitmanagement geäußert. Die Teilnehmenden wünschen sich mehr Zeit für Diskussionen, Expertengespräche und Praxisübungen und würden dafür auch längere Unterrichtseinheiten in Kauf nehmen. Außerdem sollten mehr Pausen eingeplant werden. Einige Teilnehmende wünschen sich darüber hinaus, dass der Anteil praktischer Übungen noch weiter erhöht wird und sie noch mehr „hands on“ ausprobieren dürfen. Beispielsweise wünschen sie sich, die Software in der Radiologie selbst austesten zu können, oder in das Thema der App-Konzeption eintauchen zu können.

Im Vergleich mit ihrem sonstigen Medizinstudium gehe es bei „Medizin im digitalen Zeitalter“ laut den Befragten nicht um die Ansammlung von möglichst großem Faktenwissen, sondern um ein tiefergehendes Verständnis für die Thematiken und das Herausbilden einer eigenen Meinung. Außerdem sei die Motivation der Dozierenden spürbar hoch, was zu einer spannenden Veranstaltung beitrage.


Diskussion

Die Evaluationsmethode eignet sich insbesondere für Kurskonzepte, die problemzentriertes Lernen in den Vordergrund stellen, da die Interviews nicht nur klassische Evaluationsfragen ermöglichen, sondern auch den (kritischen) Austausch, die Positionierung und das Einordnen der Lehreinheiten in den individuellen Erfahrungskontext. Des Weiteren wird das Zusammenarbeiten, das im Rahmen von Medizin im digitalen Zeitalter als zentrales didaktisches Element dient, mit in die Evaluationsphase übertragen, da die Rückmeldungen der Studierenden in die Weiterentwicklung des Kurses einfließen. Ihre Grenzen findet die Methode in der intersubjektiven Vergleichbarkeit, bzw. der objektiven Messung von Lernfortschritten. Des Weiteren ist zu beachten, dass die Studierenden sich im Rahmen der Wahlpflichtwoche bewusst für die Teilnahme am Kurskonzept entscheiden, und so davon ausgegangen werden kann, dass zumindest ein gewisses Interesse an der Thematik schon vorab vorhanden ist.

Die Ergebnisse der Evaluation zeigen, dass das Kurskonzept „Medizin im digitalen Zeitalter“ auf große Akzeptanz stößt. Die Studierenden bedauern, dass sich das Konzept nur im Rahmen des Wahlpflichtfachs belegen lässt und äußern den dringenden Bedarf der longitudinalen Implementierung Die Teilnehmenden wünschen sich mehr Zeit für Diskussionen, Expertengespräche und Praxisübungen und würden dafür auch längere Unterrichtseinheiten in Kauf nehmen. Geäußert wurde der Wunsch, dass der Anteil praktischer Übungen noch weiter erhöht wird. Diese Rückmeldungen wurden im Rahmen der iterativen Weiterentwicklung aufgenommen. Diese umfassen sowohl inhaltliche Modifikationen (z.B. Intensivierung der KI-Thematik), methodische (zusätzliche Hans-on Workshops) und Zusammensetzung der Dozierenden (z.B. stärkere Inkludierung von Patienten als Co-Dozierende). Die eingesetzten Methoden werden von den Studierenden als passend und lernfördernd empfunden. Die Ergebnisse geben wichtige Anknüpfungspunkte für die Curriculumentwicklung für das digitale Zeitalter, die nicht nur technologische Anwendungskompetenzen im Bereich der digitalen Medizin fördern muss, sondern auch spezifische digitale Gesundheitsanwendungen, Behandlungskonzepte und Entscheidungsunterstützungssysteme miteinbeziehen muss, deren Grundprinzipien anhand fassbarer Beispiele vermittelt werden sollten [3], [11], [16]. Über diese technologischen Aspekte hinausgehend sollten insbesondere digitale Grundkompetenzen (Digital Literacy) vermittelt werden, die die Reflexion der gesellschaftlichen, ethischen und rechtlichen Zusammenhänge adressieren. Diese Haltungsreflexion ist nicht an spezifische technische Lösungen gebunden, sondern kann auf den Gesamtkontext der digitalen Transformation übertragen werden. Zusätzlich bedarf es der Förderung von klassischen Schlüsselkompetenzen, da Fähigkeiten wie Kreativität, Selbstreflexion, Problemlösestrategien und kritisches Denken insbesondere im Kontext einer zunehmend interdisziplinären, sich fortwährend wandelnden medizinischen Landschaft an Bedeutung gewinnen werden [17].

Die aktuell stattfindenden Prozesse im Rahmen der Fakultäten und IMPP-assoziierten Reformbestrebungen haben diesen Bedarf erkannt. Anteile des Konzepts und die Ergebnisse aus der Evaluation konnten einigen medizinischen Fakultäten (u.a. UKE Hamburg, Charité Berlin) bei der Gestaltung ähnlicher Unterrichtsangebote Impulse geben. Darüber hinaus sind digitale Kompetenzen ein zentrales Querschnittsthema bei den gemeinsamen Reformbestrebungen „Weiterentwicklung von NKLM und des Gegenstandkatalogs“ des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen und des Medizinischen Fakultätentags. Hierzu konnte der Hauptautor sowohl die Lernziele als auch Ergebnisse aus der Evaluation einbringen. Des Weiteren flossen umfassende Anteile der Evaluation in die Entwicklungsprozesse des Ärztlichen Fortbildungscurriculums „Digitale Gesundheitsanwendungen in Klinik und Praxis“ der Bundesärztekammer sowie mehreren zentralen nationalen Strategieprozesse des Hochschulforums Digitalisierung. Diese umfassen die Schwerpunktthemen und Publikationen zur „Curriculumentwicklung im digitalen Zeitalter“ sowie „Digital Literacy“ und „Data Literacy“ [10], [11], [16], [17].

Die Entwicklung einer Digitalisierungsstrategie und deren didaktische Vermittlung ist somit ein relevanter Bestandteil der Zukunftsplanung der curricularen Weiterentwicklung des Medizinstudiums für alle Standorte aber auch für die Fort- und Weiterbildung der Ärzteschaft. Dies wird zukünftig nicht mehr mit einem Wahlpflichfach-Angebot abbildbar sein, sondern erfordert eine flächendeckende Implementierung in das Curriculum. Hierbei muss kritisch reflektiert werde, ob und wie das hier dargestellte Unterrichtsangebot skalierbar ist. Wir sind der Überzeugung, dass die praktischen und reflektierenden Anteile, auch bei der Skalierung auf Semesterstärke, in Form von Praktika bis max. 15 Studierenden abzubilden sind. Bei der Entwicklung dieser Curricula sollte zusätzlich die hohe Geschwindigkeit des Veränderungsprozesses beachtet und eine curriculare Anpassung im Sinne eines „Agility by Design“ bereits bei der Konzeption ermöglicht werden [10].


Förderung

Das Projekt "Medizin im digitalen Zeitalter" wurde im Rahmen des Förderprogramms Curriculum 4.0 vom Stifterverband und im Rahmen von „Medizinstudium digital - Künstliche Intelligenz und Diagnosefindung sowie „Ärztin/Arzt 2022“ von der Reinhard Frank-Stiftung gefördert.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Topol EJ. The Patient will see you now - The Futut of Medicine is in Your Hands. New York: Basic Books; 2015.
2.
Topol EJ, Hill D. The creative destruction of medicine: How the digital revolution will create better health care. New York: Basic Books; 2012.
3.
Kuhn S. Medizin im digitalen Zeitalter: Transformation durch Bildung. Dtsch Arztebl. 2018;115(14):A-633/B-552/C-552. Zugänglich unter/available from: https://www.aerzteblatt.de/archiv/197293/Medizin-im-digitalen-Zeitalter-Transformation-durch-Bildung Externer Link
4.
Kuhn S, Heusel-Weiss M, Kadioglu D, Michl S. Digitale Transformation der Medizin - Die Zukunft aktiv gestalten. Dtsch Arztebl. 2019;116(17):A-830/B-684/C-672. Zugänglich unter/available from: https://www.aerzteblatt.de/archiv/206927/Digitale-Transformation-der-Medizin-Die-Zukunft-aktiv-gestalten Externer Link
5.
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