gms | German Medical Science

GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Die Digitalisierungsaliens

Kommentar Medizinstudierende

  • corresponding author Lisa Schmitz - bvmd Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V., Berlin, Deutschland
  • author Jana Aulenkamp - bvmd Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V., Berlin, Deutschland
  • author Daniel Bechler - bvmd Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V., Berlin, Deutschland
  • author Jonah Grütters - bvmd Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V., Berlin, Deutschland

GMS J Med Educ 2020;37(6):Doc55

doi: 10.3205/zma001348, urn:nbn:de:0183-zma0013487

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2020-37/zma001348.shtml

Eingereicht: 18. September 2019
Überarbeitet: 30. Juni 2020
Angenommen: 22. Oktober 2020
Veröffentlicht: 16. November 2020

© 2020 Schmitz et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Digitalisierung in der medizinischen Ausbildung eröffnet zahlreiche spannende, neue Möglichkeiten. Dabei ist es Aufgabe der Lehrverantwortlichen diese Chance zu nutzen und die Digitalisierung als Lehrinhalt, aber auch als Gestaltungsmöglichkeit für bestehende Lehrstrukturen zu nutzen. Nur durch eine aktuelle, longitudinale Wissensvermittlung kann man einen Wandel einläuten und mithilfe von innovativen Lehr- und Lernkonzepten Dozierende und Studierende dafür befähigen. Ziel ist das Bewerten, kritische Hinterfragen und Einordnen von der Digitalisierung in den Gesamtkontext Gesundheitswesen.

Schlüsselwörter: Digitalisierung, Medizinstudierende, interdisziplinär, digitale Lehre


Prolog

Wir alle träumen von einer Zukunft, in der wir friedlich zusammenleben: Wir träumen von dem Happy End aus dem Film, den wir gestern Abend noch auf Netflix gesehen haben, über Aliens, die auf unserem Planeten landen und uns nicht angreifen sondern sich anfreunden wollen. Und insgeheim stellen wir uns die Frage, ob ein solches Happy End nur der utopischen Filmwelt vorbehalten ist.

In der Welt der Medizin wird die Ankunft der Digitalisierungs-Aliens auch heutzutage noch sehr skeptisch beobachtet. Der Besuch aus scheinbar fernen Galaxien wirkt bedrohlich und fremd. Allzu oft führt dies dazu, dass man als tatenlose Statist das Treiben nur beobachtet, statt als mutiger Astrophysiker der Geschichte selber die Hand auszustrecken. Es könnte eine Welt verborgen bleiben, die Zukunft und Zusammenleben maßgeblich bereichert [1].


Erster Akt

Die Ankunft einer fremden Digitalisierungs-Spezies wurde schon vor langer Zeit in den Fachkreisen der Astrophysiker vorausgesehen. Als diese unbekannten Wesen eines Tages dann tatsächlich in der Welt der Astrophysiker landeten, sahen sie dies als selbstverständliche Entwicklung eines sich stetig verändernden Universums und erforschten gespannt deren Integration in Bereiche wie Versorgung, Forschung, Kommunikation und Politik.

Mit der Zeit eröffnete die fremde Spezies ihnen immer neue, ungewohnte, herausfordernde aber vielversprechende Möglichkeiten. In Situationen, die früher als aussichts- und perspektivlos erschienen, konnten sie neue vernetzte, technisch weiterentwickelte Lösungen aufzeigen.

Es ist nun die Aufgabe der Astrophysiker, sich auf diese Veränderungen einzulassen. Kritisch reflektierend erkennen sie die großen Chancen dieser Entwicklung und sind sich gleichzeitig ihrer Verantwortung und der Risiken für ihre Welt bewusst. Sie wollen nicht länger stille Beobachter sein, sondern ihre Welt aktiv mitgestalten. Es müssen Brücken zwischen den Galaxien gebaut und Räume der Begegnung und des Austauschs geschaffen werden.


Zweiter Akt

Doch auch wenn der Mehrwert der Aliens vielen Fachleuten klar war, so gelang es den Astrophysikern nicht sofort, die beiden Galaxien einander anzunähern und zu verbinden. Ganz im Gegenteil: Weite Teile der Digitalisierungsgalaxie blieben der hiesigen unbekannt, schienen Lichtjahre entfernt. Das enorme Potential, die neuen Perspektiven und Möglichkeiten und die Hilfsbereitschaft der neuen Spezies wurden oftmals nicht gesehen [2].

Doch mit der Zeit keimte in immer mehr Menschen der Wunsch, mit dieser neuen Welt in Kontakt zu treten. Leider mussten die Astrophysiker feststellen, dass den Bewohnern ihrer Welt vielerorts die Fähigkeiten fehlten, um die neue Spezies verstehen zu können [3]. Sie begannen daraufhin, digitale Kompetenzen zu vermitteln, die das gegenseitige Kennenlernen und einen intensiven Dialog ermöglichten [4].

Sie überzeugten ihre Mitmenschen, dass das Erlernen dieser neuen Sprache unerlässlich sei, um ein gleichberechtigtes und unabhängiges Zusammenleben zu gewährleisten. Nur, wer das Gegenüber mühelos versteht, kann dessen Aussagen interpretieren und eigenständig eine Entscheidung treffen, welche Konsequenzen daraus gezogen werden [5].

Die Astrophysiker stellten darüber hinaus fest, dass es wichtig ist, jeder Generation diese Kommunikationsfähigkeit ganz individuell angepasst auf deren Hintergründe zu vermitteln. Sie legten insbesondere Wert darauf, der jungen Generation ein sicheres Verständnis der neuen Spezies und ihrer Sprache zu ermöglichen, damit diese ihre Zukunft selbständig in die Hand nehmen konnten [6], [7].


Dritter Akt

Bereits in Schulen und Universitäten lehrten sie die Sprache der Digitalisierung und konnte so Ausgrenzung und Feindlichkeit durch breit angelegtes Grundwissen schon bei den Kleinsten verhindern. Durch longitudinale Integration schafften sie aufeinander aufbauende Wissensvermittlung und eine kontinuierliche Auseinandersetzung [8]. Auch anderen Dozierenden ermöglichten sie den Raum, sich mit der neuen Spezies auseinander zu setzen und den ganz persönlichen Mehrwert herauszufinden. Denn die Galaxie der Digitalisierung war groß und bunt und bot in ganz unterschiedlichen Bereichen der Welt unterschiedlichen Nutzen, aber auch Gefahren. Dies sollten auch die Dozierenden lernen und an ihre Studierenden weitergeben können. Wichtig war allerdings jedem Dozierenden mitzugeben, dass Digitalisierung neben ihrer Vielfältigkeit sich in stetigem Wandel befindet. Sie existiert nicht nur im Lehrbuch, sondern auch in der Realität des Alltags. Ein großer Teil der vermittelten Kompetenzen bestand deshalb stets aus kritischem Denken und einer offenen Haltung.

Um das Streben nach einer optimalen digitalen Lehre weiter voranzutreiben, kürten die Astrophysiker herausragende Projekte an Standorten besonders gelungener Integration. Sie förderten diese Initiativen einerseits lokal und sorgten andererseits dafür, dass alle anderen Standorte ebenfalls solche Projekte in der Digitalisierung errichten konnten [9]. Es wurden Kataloge veröffentlicht, die Methoden aufzeigten, um den Wandel und die Integration in der gesamten Galaxie zu fördern [10][. Hier führten sie unter anderem folgende Elemente auf:

1.
Multiplikatoren-Workshops für Dozierende [11]
2.
Peer- und Co-Teaching für Studierende [12]
3.
Innovative Lehrformate für alle [13]
4.
Flexible Curricula, um den raschen Veränderungen folgen zu können [14]
5.
Interdisziplinäre Lehrkonzepte [15]

Es entstanden ein fundiertes Grundverständnis und digitale Basiskompetenzen bei den Studierenden, die nicht nur in der Theorie halfen, sondern auch ganz praktisch in ihrem Alltag und späteren Beruf von großer Bedeutung waren [16], [17]. Neuartige Entwicklungen wie Informationsverarbeitungssysteme, oder versorgungsrelevante Apps [18] wurden besser verstanden und fanden somit effizientere Anwendung in der Praxis. Erstmals aufgetretene rechtliche und ethische Fragestellungen in digitalen Zusammenhängen konnten besser begriffen und ganzheitlicher beantwortet werden. Sie verstanden, dass Veränderungen auch Risiken bergen, die das Erlernen von Bewertung, kritischem Hinterfragen sowie Einordnung in den Gesamtkontext unerlässlich machten. Nicht zuletzt half Ihnen auch das Verständnis neuartiger Technologien, die erlernten Kompetenzen noch besser in der echten Welt anzuwenden [19], [20], [21]. Die junge Generation wurde so dazu befähigt, in der Zukunft eigenständig lösungsorientiert zu handeln und eine verantwortungsvolle Integration der Alien-Spezies Digitalisierung voranzutreiben [22].


Vierter Akt

Die mutigen Astrophysiker, die sich wagten, das Gute in der neuen Spezies zu sehen, wurde für ihre jahrelange Mühe belohnt und konnte zu einen entscheidenden Teil zu ihrem erträumten Happy End beitragen. Nicht zuletzt war die Lehre digitaler Basiskompetenzen in allen Generationen, insbesondere aber der Jüngsten, ein entscheidender Schlüssel für den Erfolg der Astrophysiker.


Epilog

Nicht überraschend kommt jetzt wohl der Punkt, an dem voller Tatendrang gesagt werden kann, dass dieses Happy End nicht nur im Netflix-Film von gestern Abend möglich ist. Jeder hat immer wieder aufs Neue die Wahl zwischen der Rolle des Astrophysikers und der des stillen Beobachters. Digitalisierung bestimmt unseren Alltag und unser berufliches Leben. Sie ist immanenter und essentieller Bestandteil unserer Gegenwart und Zukunft und diese Tatsache gilt es bereits im Studium zu vermitteln und angehende MedizinerInnen so früh wie möglich zu einer eigenständigen Wahl ihrer Rolle zu befähigen.


Anmerkung

In diesem Artikel wird aus Gründen der Kapazität die männliche Form benutzt, gemeint sind stets alle Geschlechter (m/w/d).


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Mesko B, Gyorffy Z. The rise of the empowered physician in the digital health era. J Med Internet Res. 2019;21(3):e12490. DOI: 10.2196/12490 Externer Link
2.
Graham-Jones P, Jain SH, Friedman CP, Marcotte L, Blumenthal D. The need to incorporate health information technology into physicians' education and professional development. Health Affairs. 2012;31(3):481-487. DOI: 10.1377/hlthaff.2011.0423 Externer Link
3.
Machleid F, Kaczmarczyk R, Johann D, Balciunas J, Atienza-Carbonell B, von Maltzahn F, Mosch L. Perceptions of Digital Health Education Among European Medical Students: Mixed Methods Survey. J Med Internet Res. 2020;22(8):e19827. DOI: 10.2196/19827 Externer Link
4.
McGowan JJ, Passiment M, Hoffman HM. Educating medical students as competent users of health information technologies: The MSOP Data. Stud Health Technol Inform. 2007;129(Pt 2):1414-1418.
5.
Waseh S, Dicker AP. Telemedicine training in undergraduate medical education: Mixed-methods review. JMIR Med Educ. 2019;5(1):e12515. DOI: 10.2196/12515 Externer Link
6.
Edirippulige S, Brooks P, Carati C. It's important, but not important enough: eHealth as a curriculum priority in medical education in Australia. J Telemed Telecare. 2018;24(10):697-702. DOI: 10.1177/1357633X18793282 Externer Link
7.
Machleid F, Kaczmarczyk R, Johann D, Balciunas J, Atienza-Carbonell B, von Maltzahn F, Mosch L. Perceptions of Digital Health Education Among European Medical Students: Mixed Methods Survey. J Med Internet Res. 2020;22(8):e19827. DOI: 10.2196/19827 Externer Link
8.
Chen M, Safdar N, Nagy P. Should medical schools incorporate formal training in informatics? J Digit Imaging. 2011;24(1):1-5. DOI: 10.1007/s10278-009-9249-x Externer Link
9.
Haag M, Igel C, Fischer MR; German Medical Education Society (GMA), Committee "Digitization - Technology-Assisted Learning and Teaching"; Joint working group "Technology-enhanced Teaching and Learning in Medicine (TeLL)" of the German Association for Medical Informatics, Biometry and Epidemiology (gmds) and the German Informatics Society (GI). Digital teaching and digital medicine: A national initiative is needed. GMS J Med Educ. 2018;35(3):Doc43. DOI: 10.3205/zma001189 Externer Link
10.
Schünemann I, Budde J. Hochschulstrategien für die Lehre im digitalen Zeitalter: Keine Strategie wie jede andere! Arbeitspapier Nr. 38. Berlin: Hochschulforum Digitalisierung beim Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V.; 2018.
11.
Tolks D, Pelczar I, Bauer D, Brendel T, Görlitz A, Küfner J, et al. Implementation of a blended-learning course as part of faculty development. Creat Educ. 2014;05(11):948-953. DOI: 10.4236/ce.2014.511108 Externer Link
12.
Benè KL, Bergus G. When learners become teachers: a review of peer teaching in medical student education. Fam Med. 2014;46(10):783-787.
13.
Kuhn S. Transformation durch Bildung. Dtsch Ärztebl. 2018;115:A633-A638.
14.
Kuhn S, Kadioglu D, Deutsch K. Data Literacy in der Medizin. Onkologe. 2018;24:368-377. DOI: 10.1007/s00761-018-0344-9 Externer Link
15.
Fox BI, Umphress DA, Hollingsworth JC. Development and delivery of an interdisciplinary course in mobile health (mHealth). Curr Pharm Teach Learn. 2017;9(4):585-594. DOI: 10.1016/j.cptl.2017.03.005 Externer Link
16.
Konttila J, Siira H, Kyngäs H. Healthcare professionals' competence in digitalisation: A systematic review. J Clin Nurs. 2019;28(5-6):745-761. DOI: 10.1111/jocn.14710 Externer Link
17.
Vialle V, Tiphine T, Poirier Y, Raingeard E, Feldman D, Freville JC. To know, understand and combating medication errors related to computerized physician order entry. Ann Pharm Fr. 2011;69(3):165-176. DOI: 10.1016/j.pharma.2011.01.005 Externer Link
18.
Long S, Hasenfuß G, Raupach T. Apps in der Inneren Medizin: Ein Thema für das Medizinstudium? Internist. 2019;60(4):324-330. DOI: 10.1007/s00108-019-0568-9 Externer Link
19.
Shaw N. Medical education & health informatics: time to join the 21st century? Stud Health Technol Inform. 2010;160(Pt 1):567-571.
20.
Matusiewicz D, Aulenkamp J, Werner JA. Effekte der digitalen Transformation des Krankenhauses auf den Wandel des Berufsbildes Arzt. In: Klauber J, Geraedts M, Friedrich J, Wasem J, editors. Krankenhaus-Report 2019: Das digitale Krankenhaus. Heidelberg, Berlin: Springer; 2019. p.101-114. DOI: 10.1007/978-3-662-58225-1_8 Externer Link
21.
Dugas M, Röhrig R, Stausberg J; GMDS-Projektgruppe "MI-Lehre in der Medizin". Welche Kompetenzen in Medizinischer Informatik benötigen Ärztinnen und Ärzte? Vorstellung des Lernzielkatalogs Medizinische Informatik für Studierende der Humanmedizin. GMS Med Inform Biom Epidemiol. 2012;8(1):Doc04. DOI: 10.3205/mibe000128 Externer Link
22.
Frenk J, Chen L, Bhutta ZA. Health professionals for a new century: transforming education to strengthen health systems in an interdependent world. Lancet. 2010;376(9756):1923-1958. DOI: 10.1016/S0140-6736(10)61854-5 Externer Link