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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Vorbereitung von Studierenden auf Lebenslanges Lernen mit Hilfe von Metakognition

Leitartikel Lebenslanges Lernen

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  • corresponding author Marjo Wijnen-Meijer - Technische Universität München, Fakultät für Medizin, Klinikum Rechts der Isar, Lehrstuhl für Medizindidaktik, medizinische Lehrentwicklung und Bildungsforschung, München, Deutschland

GMS J Med Educ 2020;37(5):Doc54

doi: 10.3205/zma001347, urn:nbn:de:0183-zma0013478

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2020-37/zma001347.shtml

Eingereicht: 30. Juni 2020
Überarbeitet: 29. Juli 2020
Angenommen: 29. Juli 2020
Veröffentlicht: 15. September 2020

© 2020 Wijnen-Meijer.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Leitartikel

Die Diskussionen über den Inhalt und die Kompetenzen, welche in einem (medizinischen) Studiengang erworben werden sollten, konzentrieren sich in erster Linie auf deren Relevanz für den Berufseinstieg bzw. für die Facharztausbildung (direkt) nach dem Studium. Stattdessen sollte jedoch auch berücksichtigt werden, wozu Absolvent*innen auch langfristig, nach ihrem Studium fähig sein sollten. Denn wie es schon Hippokrates formulierte: „Das Leben so kurz, das Metier so lange zu erlernen“ [1]. Da das klinische Arbeitsumfeld einem ständigen Wandel unterworfen ist, müssen Medizinstudierende sich zu stets anpassungsfähigen Experten entwickeln. Als anpassungsfähige Experten sind sie nämlich in der Lage, Routineaufgaben effizient auszuführen und gleichzeitig neue Lösungen zu entwickeln und ihre Arbeitsweise an immer neue Umstände anzupassen [2], [3].

Das bedeutet, dass Lernen nicht einfach nach dem Medizinstudium aufhört und es daher wichtig ist Studierende zu lebenslangem Lernen zu befähigen. Ich glaube, David Sackett erklärte die Bedeutung/Relevanz von selbstgesteuertem Lernen sehr gut in einem Artikel mit dem Titel „Thoughts for new medical students at a new medical school“: „Die Hälfte dessen, was Du während dem Medizinstudium lernst, wird sich (am Ende) entweder als falsch oder innerhalb von 5 Jahren nach dem Studium als veraltet herausstellen; das Problem dabei ist, dass niemand Dir vorhersagen kann welche Hälfte davon betroffen ist. Aus diesem Grund ist es wichtig, sich Lernstrategien zum Selbstlernen anzueignen“ [4].

„Selbstlernen“ wird häufig als Selbstgesteuertes Lernen oder Selbstreguliertes Lernen bezeichnet. In der wissenschaftlichen Literatur existieren viele Definitionen und Beschreibungen dieses Begriffs, wie bspw. „..die Bereitschaft von Studierenden Lernaktivitäten nachzugehen, die von ihnen selbst, statt von den Lehrenden vorgegeben wurden“, „Lehren und Lernen ist so organisiert, dass das Lernen der Kontrolle der Lerner unterliegt“ oder „eine selbstständige Beschäftigung, die die Philosophie der persönlichen Autonomie und des Selbstmanagements beinhaltet“ [5]. Eine Reihe von Autoren beschreibt Selbstgesteuertes Lernen als einen Prozess, in dem verschiedene Phasen zyklisch aufeinander folgen. Ein bekanntes Modell ist das von Zimmermann, der 3 Phasen unterscheidet: die Durchführungsphase, die Selbstreflexionsphase und die Phase des Vorausdenkens [6]. Sanders & Cleary [7] bieten eine etwas umfassendere Beschreibung der Selbstregulierung: „die periodische Kontrolle akademischer und klinischer Leistungsfähigkeit mittels verschiedener Kernprozesse, welche zielgerichtetes Verhalten, den Einsatz spezifischer Strategien zur Zielerreichung sowie die Anpassung und Modifikation von Verhaltensweisen oder Strategien zur Optimierung von Lernen und Leistungsfähigkeit beinhalten“.

Womit jedoch alle übereinstimmen: Selbstgesteuertes Lernen bedarf der Metakognition, welche, vereinfacht dargestellt, „Nachdenken über das eigene Denken“ bedeutet [8]. Das heißt, Menschen sind in der Lage ihre eigenen Fähigkeiten einzuschätzen sowie die richtigen Strategien zu bestimmen, um das zutreffende Wissen zu erwerben oder ein spezifisches Problem zu lösen.

In der Literatur werden drei verschiedene Arten von Metakognition unterschieden [8], [9], [10]. Die erste Komponente ist metakognitives bzw. systemisches Wissen. Dieses wird auch metakognitives Bewusstsein genannt und beschreibt alles Wissen, das man über sein eigenes Denken und Gedächtnis besitzt, also die Fähigkeit, korrekte Einschätzungen darüber abzugeben, ob man etwas weiß oder nicht weiß. Es bezieht auch Wissen über problemlösende Strategien ein. Die zweite Komponente von Metakognition betrifft metakognitive Fähigkeiten. Diese sind Fähigkeiten wie bspw. die Zielsetzung, die korrekte Strategieauswahl, die Aufteilung von Ressourcen sowie die Evaluation der Ergebnisse, die man bei der Aufgabenausführung erreicht hat (oder evtl. besser: die Lernprozess- und Lernergebnisbeurteilung). Die dritte Komponente, die metakognitiven Erfahrungen bzw. das metakognitive Verständnis, sind bewusste kognitive Empfindungen oder affektive Zustände während der Aufgabenbearbeitung, wie bspw. einem Gefühl der Verwirrtheit, weil man etwas (noch) nicht versteht, oder einem Aha-Erlebnis.

In den letzten Jahren wurde verstärkt die Entwicklung und Entstehung von Metakognition erforscht und es stellte sich heraus, dass diese nicht „von selbst“ entsteht [11]. Bedauerlicherweise legt die medizinische Ausbildung zu wenig explizite Aufmerksamkeit auf Metakognition und Selbstgesteuertes Lernen [7], obwohl metakognitive Fähigkeiten erlernt und unterrichtet werden können [12]. Wie auch andere Fertigkeiten, kann man sich diese bewusst, durch regelmäßiges Üben aneignen.

In verschiedenen Artikeln dieser vorliegenden Ausgabe, werden didaktische Herangehensweisen beschrieben, welche (indirekt) zur Entwicklung von Metakognition bei Studierenden beitragen.

Ein wichtiger Faktor für metakognitives Wissen ist die Erkenntnis über das persönliche Wissensniveau sowie den Verlauf kognitiver Prozesse, die das Wissen beeinflussen. Ein Progresstest, wie er im Artikel von Zupanic et al. [13] beschrieben wird, kann hierfür sehr nützlich sein. Darüber hinaus kann regelmäßiges und konkretes Feedback über das persönliche Wissen und die eigenen Fähigkeiten zur Entwicklung von Metakognition bei Studierenden beitragen. Der Artikel von Thrien et al. [14] beschreibt in diesem Zusammenhang Beispiele für Feedback in der Praxis.

Prüfungsangst kann sich wesentlich auf die Prüfungsergebnisse auswirken sowie auf die Art und Weise, wie sich Studierende auf Prüfungen vorbereiten. Es besteht das Risiko, dass Studierende wiederholt schlechte Erfahrungen mit Prüfungen sammeln, wodurch ihre Prüfungsangst weiter verschlimmert wird. Wenn Studierende die Hintergründe ihrer Angst verstehen, ist es ihnen möglich, ihre Lernstrategien entsprechend anzupassen. Die Entwicklung eines Instrumentariums zur Messung von Prüfungsangst, wie es im Artikel von Stefan et al. [15] vorgestellt wird, kann hier einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung metakognitiver Fähigkeiten bei Studierenden leisten. Ein wichtiger Aspekt der Metakognition ist die Fähigkeit zur (Selbst-)Reflektion. Scheide et al. [16] zeigen in ihrem Artikel, wie ein spezielles Seminar hierzu (ebenfalls) beitragen kann.

Wenn Studierende sich als „peer teacher“ engagieren, kann dies ebenso eine positive Auswirkung auf deren metakognitives Wissen und metakognitiven Fähigkeiten haben. Indem sie (nämlich) ihr Wissen an andere Studierende weitergeben und Sachverhalte erklären, erlangen die Studierenden eine größere Erkenntnis über das persönliche Wissensniveau. Nachdem sie im Rahmen des Peer Teaching die grundlegenden Prinzipien der Didaktik erlernt haben, sind sie zudem in der Lage, effektivere Lernstrategien auszuwählen [17]. Aus diesem Grund hat sich auch das im Artikel von Koenenmann et al. [18] beschriebene Format als didaktisch wertvolles Konzept erwiesen. Hier leiten studentische Moderatoren, also „peer-teacher“, so genannte „clinical case discussions“ an, indem sie inhaltlich und didaktisch aufbereitete, klinische Patientenfälle mit ihren Kommilitonen diskutieren, um gemeinsam in der Gruppe eine zutreffende Differentialdiagnose zu erarbeiten. Abschließend ist es auch wichtig, dass Dozierende und Betreuer verstehen, wie sie sicherstellen können, dass die Studierende wertvolle Lernerfahrungen sammeln. In diesem Zusammenhang können didaktische Qualifikationen, wie sie im Artikel von Böhme et al. [19] vorgestellt werden, einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung von Metakognition bei Studierenden wie auch bei den Lehrenden selbst leisten.

Last uns, als Didaktiker und Dozierende, die Verantwortung übernehmen, um Studierende auf Lebenslanges Lernen vorzubereiten, indem wir regelmäßig der Metakognition unsere Aufmerksamkeit widmen.


Interessenkonflikt

Die Autorin erklärt, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

1.
Hippocrates. Aphorisms. In: Sissing H, editor. 4000 years of thinkers on education. Amsterdam, the Netherlands: Boom; 2020.
2.
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3.
Mylopoulos M, Regehr G. How student models of expertise and innovation impact the development of adaptive expertise in medicine. Med Educ .2009;43(2):127-132. DOI: 10.1111/j.1365-2923.2008.03254.x Externer Link
4.
Smith R. Thoughts for new medical students at a new medical school. BMJ. 2003;327(7429):1430-1433. DOI: 10.1136/bmj.327.7429.1430 Externer Link
5.
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7.
Sandars J, Cleary TJ. Self-regulation theory: applications to medical education: AMEE Guide No. 58. Med Teach. 2011;33(11):875-886. DOI: 10.3109/0142159X.2011.595434 Externer Link
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14.
Thrien C, Fabry G, Härtl A, Kiessling C, Graupe T, Preuse I, Pruskil S, Schnabel K, Sennekamp M, Rüttermann S, Wünsch A. Feedback in medical education - a workshop report with practical examples and recommendations. GMS J Med Educ. 2020;37(5):Doc46. DOI: 10.3205/zma001339 Externer Link
15.
Stefan A, Berchtold C, Angstwurm M. Translation of a scale measuring cognitive test anxiety (G-CTAS) and its psychometric examination among medical students in Germany. GMS J Med Educ. 2020;37(5):Doc50. DOI: 10.3205/zma001343 Externer Link
16.
Scheide L, Teufel D, Wijnen-Meijer, M, Berberat PO. (Self-) Reflexion and training of professional skills in the context of "being a doctor" in the future – a qualitative analysis of medical students' experience in LET ME…keep you real!! GMS J Med Educ. 2020;37(5):Doc47. DOI: 10.3205/zma001340 Externer Link
17.
Dandavino M, Snell L, Wiseman J. Why medical students should learn how to teach. Med Teach. 2007;29(6):558-565. DOI: 10.1080/01421590701477449 Externer Link
18.
Koenemann N, Lenzer B, Zottmann JM, Fischer MR, Weidenbusch M. Clinical case discussions: A novel, supervised peer-teaching format to promote clinical reasoning in medical students. GMS J Med Educ. 2020;37(5):Doc48. DOI: 10.3205/zma001341 Externer Link
19.
Böhme K. Didactic qualification of teaching staff in primary care medicine - a position paper of the primary care committee of the society for medical education. GMS J Med Educ. 2020;37(5):Doc53. DOI: 10.3205/zma001341 Externer Link