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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Akademisierung des Hebammenberufes: Das Hebammenreformgesetz führt zu einer unterschiedlichen Umsetzung auf Landesebene und befördert eine heterogene Ausbildung von Hebammen

Kommentar Ausbildung in den Gesundheitsberufen

  • corresponding author Joachim Graf - Universitätsklinikum Tübingen, Institut für Gesundheitswissenschaften, Abteilung für Hebammenwissenschaft, Tübingen, Deutschland
  • Stephan Zipfel - Universitätsklinikum Tübingen, Abteilung für Psychosomatische Medizin & Psychotherapie, Tübingen, Deutschland
  • S. Schönhardt - Universitätsklinikum Tübingen, Institut für Gesundheitswissenschaften, Abteilung für Hebammenwissenschaft, Tübingen, Deutschland
  • D. Wallwiener - Universitätsklinikum Tübingen, Department für Frauengesundheit, Tübingen, Deutschland
  • H. Abele - Universitätsklinikum Tübingen, Institut für Gesundheitswissenschaften, Abteilung für Hebammenwissenschaft, Tübingen, Deutschland; Universitätsklinikum Tübingen, Department für Frauengesundheit, Tübingen, Deutschland

GMS J Med Educ 2020;37(4):Doc37

doi: 10.3205/zma001330, urn:nbn:de:0183-zma0013305

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2020-37/zma001330.shtml

Eingereicht: 1. Oktober 2019
Überarbeitet: 22. Januar 2020
Angenommen: 15. April 2020
Veröffentlicht: 15. Juni 2020

© 2020 Graf et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Einleitung

Die Neufassung des Hebammengesetzes setzt in Deutschland die Richtlinie 2013/55/EU um. Diese legt als Voraussetzung für die Aufnahme einer Ausbildung zur Hebamme eine mindestens 12-jährige Schulbildung fest [1]. Die Akademisierung des Hebammenberufes geschieht vor dem Hintergrund, dass in Deutschland derzeit noch mehr als 70% aller Ausbildungsplätze für Hebammen fachschulisch verortet sind [2]. Anders als vom Wissenschaftsrat empfohlen, lässt das Hebammenreformgesetz zukünftig Studiengänge für Hebammen an Universitäten und Fachhochschulen gleichermaßen zu [3]. Es ist zu befürchten, dass die kleine Gruppe von Hebammen in Deutschland zukünftig äußerst heterogen ausgebildet wird.


Akademisierung: Status quo

Auch in Deutschland wird eine vollständige Überführung des Hebammenberufes an die Hochschulen stattfinden, womit die Bundesrepublik das Ausbildungsniveau und die Zugangsbedingungen den internationalen Entwicklungen [4] im Kontext gestiegener Anforderungen der Geburtsmedizin [5] folgerichtig anpasst. Dies bedeutet, dass die noch bestehenden ca. 60 Hebammenschulen (bis 12/2022) und ca. 10 ausbildungsintegrierenden Studiengänge (bis 12/2022) in Bälde keine weiteren Ausbildungskurse mehr durchführen dürfen [2]. Die Ende Dezember 2019 verabschiedete Ausbildungs- und Prüfungsverordnung legt in aller Deutlichkeit fest, Hebammen zukünftig evidenzbasiert auszubilden [6]. Während Universitäten die für das Medizinstudium etablierten Praxisstrukturen selbstverständlich nutzen können, werden Fachhochschulen diese über Kooperationen mit mehreren Kliniken sicherstellen müssen [3]. Es bleibt unklar, wie diese ohne für die Universitätsmedizin selbstverständliche Strukturen (beispielsweise Lehr- und Forschungsinstitute in allen für den Beruf notwendigen Grundlagenfächern, klinische Strukturen mit enger Verzahnung an die Hochschule, Perinatalzentren, Simulationszentren zur Förderung von praktischen und kommunikativen Kompetenzen) die Vermittlung evidenzbasierter Kenntnisse auf dem gleichen Niveau wie Medizinische Fakultäten bewerkstelligen werden [7]. Zudem sind das Netzwerk heterogener Kooperationspartner und deren Versorgungsschwerpunkte für eine suffiziente Hebammenausbildung nicht im Gesetz definiert, sondern können beliebig zusammengestellt werden. Aufgrund dieser Konstellation, ist damit zu rechnen, dass essentielle Ausbildungsinhalte aufgrund der Versorgungsstrukturen nicht Teil der praktischen Studienphase sind. Das Gesetz folgt damit nicht den Forderungen des Wissenschaftsrates, der empfahl, die Ausbildung von Hebammen ausschließlich an Medizinischen Fakultäten zu verorten [8].


Aktuelle Entwicklungen

Wie heterogen die Entwicklung zwischen den Bundesländern verläuft, zeigt sich an folgenden Beispielen: Bayern hat angekündigt, drei Studiengänge für Hebammen an Fachhochschulen zu verorten [9]. In Leipzig soll wiederum die bisherige fachschulische Ausbildung in einen primärqualifizierenden Studiengang an der dortigen Medizinischen Fakultät überführt werden [10]. In Niedersachsen sollen zeitnah 185 Studienplätze an 4 Standorten geschaffen werden, von denen drei an Medizinischen Fakultäten sein werden (Medizinische Hochschule Hannover, Universität Göttingen und Universität Oldenburg) [11]. In vielen anderen Bundesländern ist noch keine Entscheidung kommuniziert. Baden-Württemberg verfügt in Tübingen über den bundesweit ersten primärqualifizierenden Studiengang im Bereich Hebammenwissenschaft an einer Medizinischen Fakultät, bei dem sowohl die curriculare Lehre als auch die praktische Ausbildung interprofessionell auf hohem akademischen Niveau durchgeführt wird [12], [13]. Die Studierenden werden vom ersten Semester an zur evidenzbasierten Reflektion ihres Handelns angeregt [14]. Das Land Baden-Württemberg plant eine deutliche Erhöhung der vorhandenen Studienplätze, um den durch den Akademisierungsprozess befürchteten Hebammenmangel abzufedern. Die ersten Erfahrungen in der akademischen Ausbildung von Hebammen zeigen, dass das etablierte Netzwerk der Lehrkrankenhäuser einer Universität durchaus in der Lage ist, strukturiert – analog dem Studium der Humanmedizin – größere Kohorten von Hebammen an einem Studienort in guter Qualität in der Praxis auszubilden. Studiengänge mit großen Kohorten an Medizinischen Fakultäten stellen eine effiziente Möglichkeit dar, eine Heterogenität der Hebammenausbildung zu verhindern. Die unter der Ägide der Länder stattfindende Verteilung der Studienstandorte, nach Ende der Ausbildung von Hebammen an Schulen und ausbildungsintegrierenden Studiengängen [2], [3], muss vor diesem Hintergrund kritisch überdacht werden.


Aufruf an Medizinische Fakultäten

Vor dem Hintergrund der positiven Erfahrungen in Tübingen sind die Medizinischen Fakultäten aller Bundesländer dazu aufgerufen zeitnah hebammenwissenschaftliche Studiengänge zu konzipieren. Eine interprofessionelle Ausbildung von Studierenden der Hebammenwissenschaft und der Humanmedizin bahnt eine enge Arbeitsbeziehung im späteren Berufsleben an und erfüllt die Empfehlungen des Wissenschaftsrates [8]. Eben weil sich aus der Akademisierung neue Kooperations- und Zuständigkeitskonflikte ergeben können, ist bedeutsam, Hebammen und Mediziner möglichst schon im Studium füreinander zu sensibilisieren, um einem konstruktiven Konfliktaustrag Vorschub zu leisten. Insbesondere da Hebammen in ihrem definierten Arbeitsbereich ohne ärztliche Weisung medizinisch tätig werden können, müssen sie in ihrem Studium die Grundlage für eine weitreichende Handlungskompetenz auf der Grundlage evidenzbasierter Fertigkeiten vermittelt bekommen. Im Hinblick auf die geplante Gesetzesänderung stellt sich die Frage, warum in der akademischen Ausbildung von Hebammen von dem in der Humanmedizin langjährig bewährten Konzept abgewichen werden soll. Beide Berufe arbeiten sehr eng im klinischen Alltag zusammen. Sie müssen in der Lage sein, die Grenzen der Physiologie und Pathologie evidenzbasiert zu erkennen und individuelle interprofessionelle Lösungen herbeizuführen. Eben, weil auch viele Bereiche des perinatologischen Wissens und der ärztlich geleitenden Geburtshilfe bisher nur partiell den strengen Evidenzkriterien genügen, kann die explizite Forderung nach einer evidenzbasierten Ausbildung zum Nutzen sowohl von Hebammen- als auch von Medizinstudierenden sein, sofern die Studiengänge an Medizinischen Fakultäten verortet werden.

Die Notwendigkeit der Etablierung von hebammenwissenschaftlichen Studiengängen an Medizinischen Fakultäten ergibt sich schließlich auch daraus, dass mit der Akademisierung ein bisher schulisch verortetes Fach als wissenschaftliche Disziplin neu definiert werden muss. Um Hebammen zukünftig evidenzbasiert ausbilden zu können, müssen Forschungsstrukturen im Querschnittsbereich zwischen klinischer Geburtshilfe, Perinatologie, Frauengesundheitsforschung und Public Health entwickelt und etabliert werden, die der Anknüpfung an bestehende Strukturen bedürfen.

In Baden-Württemberg wäre Tübingen im Verbund mit ihren Akademischen Lehrkrankenhäusern dazu bereit, die anderen Medizinischen Fakultäten beim Aufbau entsprechender Studienangebote zu unterstützen, um landesweit (im Netzwerk mit den akademischen Lehrkrankenhäusern) ein hohes Qualitätsniveau zu implementieren.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Europäisches Parlament. Richtlinie 2013/55/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2013 zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen und der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems ("IMI-Verordnung"). Amtsbl Eur Union. 2013;L353:132-170. Zugänglich unter/avaliable from: https://www.kmk.org/fileadmin/pdf/ZAB/Richtlinien_der_EU/Aenderung_RL_2005_36EG_2013_11_20_RL_2013_55EU.pdf Externer Link
2.
Plappert CF, Graf J, Simoes E, Schönhardt S, Abele H. The Academization of Midwifery in the Context of the Amendment of the German Midwifery Law: Current Developments and Challenges. Geburtsh Frauenheilk. 2019;79:854-862.
3.
Bundesministerium für Gesundheit. Gesetz zur Reform der Hebammenausbildung und zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Hebammenreformgesetz - HebRefG). Bundesgesetzbl. 2019;I(42):1759-1777.
4.
Fleming V, Holmes A. Basic nursing and midwifery education programmes in Europe. A report to the World Health Organization Regional Office for Europe. Copenhagen: WHO; 2005.
5.
Graf J, Brucker SY, Wallwiener D, Wosnik A, Zipfel S, Simoes E. Akademisierung der Hebammenausbildung: Erweiterung der Kompetenzen als Beitrag zur interdisziplinären Versorgung bei Brustkrebs in der Schwangerschaft. Geburtsh Frauenheilk. 2018;78:108.
6.
Bundesministerium für Gesundheit. Referentenentwurf der Studien- und Prüfungsverordnung für Hebammen (HebStPrV). Bearbeitungsstand: 23.08.2019. Berlin: Bundesministerium für Gesundheit; 2019.
7.
Plappert CF, Graf J, Schönhardt S, Abele H. Wohin führt der Weg? Die Akademisierung des Hebammenberufs im Kontext der Reformierung des Hebammenausbildungsgesetzes. Frauenarzt. 2019;60(9):691-694.
8.
Wissenschaftsrat. Empfehlungen zu hochschulischen Qualifikationen für das Gesundheitswesen. Berlin: Wissenschaftsrat; 2012. Zugänglich unter/available from: https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/2411-12.pdf Externer Link
9.
Deutsches Ärzteblatt. Hebammenstudiengang an drei Hochschulen in Bayern. Dtsch Ärztebl. 2018. Zugänglich unter/available from: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/99392/Hebammenstudiengang-an-drei-Hochschulen-in-Bayern Externer Link
10.
Meine B. Leipziger Uniklinik bereitet Studiengang für Hebammen vor. Leipz Volkszeitung. 2019. Zugänglich unter/available from: https://www.lvz.de/Region/Mitteldeutschland/Leipziger-Uniklinik-bereitet-Studiengang-fuer-Hebammen-vor Externer Link
11.
Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur. Hebammen sollen künftig studieren. Thümler: "185 Anfängerplätze zur bestmöglichen Vorbereitung auf den Beruf". Hannover: Niedersächsisches Ministerium für Wiossenschaft und Kultur; 2019. Zugänglich unter/available from: https://www.mwk.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/hebammen-sollen-kunftig-studieren-180105.html Externer Link
12.
Abele H, Graf J, Simoes E, Schönhardt S, Plappert CF. Der Interprofessionalität verpflichtet: primärqualifizierender Bachelor-Studiengang Hebammenwissenschaft an der Medizinischen Fakultät Tübingen - ein Modell. Gynäkologe. 2919;52(10):762-767. DOI: 10.1007/s00129-019-04495-0 Externer Link
13.
Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg. Bundesweit einzigartig: Neuer Studiengang Hebammenwissenschaft eröffnet. Stuttgart: Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg; 2018. Zugänglich unter/available from : https://mwk.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/bundesweit-einzigartig-neuer-studiengang-hebammenwissenschafteroeffnet/ Externer Link
14.
Plappert C, Schönhardt S, Weinmann S, Abele H, Graf J. Längsschnitt-orientierte Vermittlung von wissenschafts-basierten Kompetenzen im primärqualifizierenden Studiengang Hebammenwissenschaft. In: Gemeinsame Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA), des Arbeitskreises zur Weiterentwicklung der Lehre in der Zahnmedizin (AKWLZ) und der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft Lehre (CAL). Frankfurt am Main, 25.-28.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocP-02-12. DOI: 10.3205/19gma255 Externer Link