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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Diversity in der medizinischen Aus- und Weiterbildung

Leitartikel Diversität

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  • corresponding author Sabine Ludwig - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland; Hochschule für Gesundheit Bochum, Department für Angewandte Gesundheitswissenschaften, Bochum, Deutschland
  • Christian Gruber - Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland
  • Jan P. Ehlers - Universität Witten/Herdecke, Didaktik und Bildungsforschung im Gesundheitswesen Fakultät für Gesundheit, Witten, Deutschland
  • Sabine Ramspott - Trillium GmbH Medizinischer Fachverlag, Grafrath, Deutschland

GMS J Med Educ 2020;37(2):Doc27

doi: 10.3205/zma001320, urn:nbn:de:0183-zma0013206

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2020-37/zma001320.shtml

Eingereicht: 17. Februar 2020
Überarbeitet: 17. Februar 2020
Angenommen: 17. Februar 2020
Veröffentlicht: 16. März 2020

© 2020 Ludwig et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Leitartikel

Die bestehende und zunehmende Diversität in unserer Bevölkerung und somit auch bei Patient*innen sowie unter Studierenden machen es notwendig, dass Diversitätsaspekte ausreichend in der Aus- und Weiterbildung in der Medizin und in den Gesundheitsprofessionen berücksichtigt werden. Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) umfasst Diversität sechs Kategorien: Alter, Geschlecht, Ethnie, körperliche Beeinträchtigung, sexuelle Orientierung und Religion. Darüber hinaus spielen aber auch viele weitere Aspekte eine Rolle, wenn es um Inklusion oder Diskriminierung geht (z. B. sozioökonomischer Status, Bildung, Haarfarbe oder Körperform, um einige wenige zu nennen).

Für die Qualität der medizinischen Versorgung ist es wichtig, dass diese Aspekte berücksichtigt werden und Eingang in die Curricula finden. Neben der curricularen Integration sollten Diversitätsaspekte auch in den Studiengangsstrukturen und im Studienumfeld Beachtung finden, dazu gehören familiengerechte Stundenpläne, ein barrierefreier Zugang zu den Unterrichtsräumen und Lehrveranstaltungen sowie diversitätssensible Zulassungsverfahren. Es ist daher notwendig, „to fix the content, the institution and the numbers“ [1].

Sowohl in Europa als auch weltweit gibt es mehrere Bemühungen, Diversitätsaspekte zu integrieren. An medizinischen Fakultäten in Amerika [2] und Kanada [3] sowie unter anderem in Österreich, Schweden, Deutschland und den Niederlanden wurden geschlechtersensible Curricula entwickelt [4], [5], [6], [7]. Dies erfolgte beispielsweise mittels geeigneter Qualitätsmanagementinstrumenten oder Vorgehensweisen wie dem Einsatz eines/r „Gender und Diversity Change Agents“ [8].

Es gibt auch vermehrt Bemühungen, kulturelle Kompetenzen zu integrieren: So wurden zum Beispiel von Dogra et al. zwölf Tipps für eine kultursensible medizinische Ausbildung entwickelt [9]. Die Lancet Commission on Culture and Health hat 2014 die Bedeutung der Integration von kulturellen Kompetenzen in die medizinische Ausbildung betont [10]. Der Ausschuss „Kulturelle Kompetenzen und Global Health“ der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA) hat zudem ein Positionspapier zur Integration von kulturellen Kompetenzen in die medizinische Ausbildung veröffentlicht [11].

In Europa wurde der Prozess der Integration durch ein Positionspapier des Ständigen Ausschusses der europäischen Ärztinnen und Ärzte (CPME) unterstützt, in dem die Bedeutung der Integration von Geschlechteraspekten in die medizinische Ausbildung und die Auswirkungen auf die Qualität der medizinischen Versorgung hervorgehoben werden [http://www.cpme.eu/cpme-policy-on-sex-and-gender-in-medicine/].

Des Weiteren unterstützt der Ausschuss „Gender, Diversity und Karriereentwicklung in der medizinischen Aus- und Weiterbildung“ der GMA die Integration von geschlechter- und diversitätsbezogenen Lernzielen in den nationalen kompetenzbasierten Lernzielkatalog in der Medizin [http://www.nklm.de]. Im Rahmen der „International Association for Medical Education“ (AMEE) gibt es ebenfalls eine Interessengruppe („International Community of Practice“) zu “Diversity in der medizinischen Ausbildung”, die die weitere Integration dieser Themen fördert und unterstützt [https://amee.org/home].

Aspekte der Vielfalt werden vermehrt auch in die Hochschuldidaktik integriert, indem unter anderem geschlechter- und diversitätssensible Lehr- und Lernmaterialien und geschlechter- und diversitätssensible Sprache verwendet werden [12].

Trotz dieser Maßnahmen ergab eine Befragung der medizinischen Fakultäten in Deutschland, dass deren Berücksichtigung „noch in den Kinderschuhen steckt“. „Die Integration von geschlechtsspezifischer Medizin in die medizinischen Curricula ist deutschlandweit sehr heterogen geregelt. Übergreifende Konzepte zur besseren inhaltlichen und strukturellen Verankerung sind künftig notwendig“. So liegt die Verantwortung für geschlechtersensible Lehre zumeist bei den Lehrenden, und es wird nicht zentral sichergestellt, dass Geschlechteraspekte gelehrt und geprüft werden. Lediglich eine Fakultät erfüllt diesbezügliche aktuelle internationale Bewertungsmaßstäbe [13].

Eine Studie in den Niederlanden zur Integration von Diversitätsaspekten in ein medizinisches Curriculum hat gezeigt, dass trotz unterstützender Rahmenbedingungen das Lehrmaterial noch nicht ausreichend diversitätssensibel ist [14]. Des Weiteren gibt es bisher noch keine Bestandsaufnahme der Integration von Diversitätsaspekten in die Curricula weiterer Gesundheitsberufe. Insgesamt kann man sagen, dass sich das Forschungsfeld zu diversitätsbezogenen Kompetenzen noch in der Entwicklung befindet.

Wir haben dieses Themenheft gestaltet, um eine Übersicht bereitzustellen, welche Methoden und Maßnahmen angewandt wurden, was erfolgreich war, was bereits erreicht wurde, welche Erfahrungen gemacht wurden und was Best Practice Beispiele und Handlungsempfehlungen sind, von denen andere Einrichtungen ebenfalls lernen könnten. Das Themenheft umfasst Originalarbeiten, Projekte, Übersichtsarbeiten, Praxis- und Erfahrungsberichte, innovative Lehrkonzepte, spezifische Angebote sowie konkrete bereits durchgeführte Initiativen.

Dabei werden Themen abgedeckt wie Ansätze und Methoden zur curricularen Integration von Diversitätsaspekten im deutschsprachigen Raum, aber auch in den Niederlanden und Australien, Beschreibung eines Workshops zur Integration von Vielfalt in die Hochschuldidaktik und Weiterbildung der Fakultätsmitglieder in Kanada, die Sichtweise von Studierenden zu diesem Thema, Umsetzung des Mutterschutzgesetzes im Rahmen der anatomischen Lehre, Geschlechterunterschiede bei der Beurteilung interprofessioneller Lehrformate, Geschlechterunterschiede bei der Wahrnehmung von Problemen und Belastungen des Studienalltags, eine Auswertung von CIRS-Daten hinsichtlich der Herausforderungen, die sich durch Interkulturalität in Teams und in Versorgungskontexten ergeben sowie die Förderung von Geschlechtersensibilität von männlichen, weißen Studierenden in Amerika.

Der Großteil der Beiträge kommt aus dem deutschsprachigen Raum, wir freuen uns aber auch über internationale Beiträge aus Amerika, Australien, Kanada und den Niederlanden.

Wir hoffen, dass dieses Themenheft zur aktuellen Diskussion und zur Identifikation bestehender Forschungslücken und Hindernisse beiträgt sowie zur gemeinsamen Erarbeitung von Maßnahmen und Lösungen im Sinne einer diversitätssensiblen und chancengerechten medizinischen Versorgung.


Danksagung

Die Herausgeber*innen möchten sich bei der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung für die Ermöglichung dieses Themenhefts im Rahmen des GMS Journal for Medical Education und insbesondere Beate Hespelein für ihr großartiges Engagement bei der Verwaltung der eingereichten Beiträge und der Koordinierung des Peer Review-Verfahrens bedanken. Unser Dank gilt auch den Autor*innen sowie den Gutachter*innen für die sehr gute Zusammenarbeit, ohne die das vorliegende Themenheft nicht zustande gekommen wäre.


Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenskonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Verdonk P, Janczukowicz J. Editorial: diversity in Medical education. MedEdPublish. 2018;7(1):1. DOI: 10.15694/mep.2018.000001.1 Externer Link
2.
Miller VM, Kararigas G, Seeland, Regitz-Zagrosek V, Kublickiene K, Einstein G, Casanova R, Legato MJ. Integrating topics of sex and gender into medical curricula-lessons from the international community. Biol Sex Diff. 2016;7(Suppl 1):44. DOI: 10.1186/s13293-016-0093-7 Externer Link
3.
Phillips SP. Measuring the health effects of gender. J Epidemiol Community Health. 2008;62(4):368-371. DOI: 10.1136/jech.2007.062158 Externer Link
4.
Hochleitner M, Nachtschatt, U, Siller H. How do we get gender medicine into medical education? Health Care Women Int. 2013;34(1):3-13. DOI: 10.1080/07399332.2012.721419 Externer Link
5.
Hamberg K. Gender bias in medicine. Womens Health. 2008;4(3):237-243. DOI: 10.2217/17455057.4.3.237 Externer Link
6.
Ludwig S, Oertelt-Prigione S, Kurmeyer C, Gross M, Grüters-Kieslich A, Regitz-Zagrosek V, Peters H. A Successful Strategy to Integrate Sex and Gender Medicine into a Newly Developed Medical Curriculum. J Womens Health. 2015;24(12):996-1005. DOI: 10.1089/jwh.2015.5249 Externer Link
7.
Verdonk P, Abma T. Intersectionality and reflexivity in medical education research. Commentary. Med Educ. 2013;47(8):754-756. DOI: 10.1111/medu.12258 Externer Link
8.
Ludwig S, Roa Romer Y, Balz J, Petzold M. The use of quality assurance instruments and methods to integrate diversity aspects into health professions study programmes. MedEdPublish. 2018;7(1):53. DOI: 10.15694/mep.2018.0000053.1 Externer Link
9.
Dogra N, Reitmanova S, Carter-Pokras O. Twelve tips for teaching diversity and embedding it in the medical curriculum. Med Teach. 2009;31(11):990-993. DOI: 10.3109/01421590902960326 Externer Link
10.
Napier AD, Ancarno C, Butler B, Calabrese J, Chater A, Chatterjee H, Guesnet F, Horne R, Jacyna S, Jadhav S, Macdonald A, Neuendorf U, Parkhurst A, Reynolds R, Scambler G, Shamdasani S, Smith SZ, Stougaard-Nielsen J, Thomson L, Tyler N, Volkmann AM, Walker T, Watson J, Williams AC, Willott C, Wilson J, Woolf K. Culture and health. Lancet. 2014;384(9954):1607-1039. DOI: 10.1016/S0140-6736(14)61603-2 Externer Link
11.
Mews C, Schuster S, Vajda C, Lindtner-Rudolph H, Schmidt LE, Bösner S, Güzelsoy L, Kressing F, Hallal H, Peters T, Gestmann M, Hempel L, Grützmann T, Sievers E, Knipper M. Cultural Competence and Global Health: Perspectives for Medical Education - Position paper of the GMA Committee on Cultural Competence and Global Health. GMS J Med Educ. 2018;35(3):Doc28. DOI:10.3205/zma001174 Externer Link
12.
Ebenfeld M. Checkliste zur gender- und diversitätsbewussten Didaktik. In: Freie Universität Berlin, editor. Toolbox Gender und Diversity in der Lehre 2017. Berlin: Universität Berlin; 2017. Zugänglich unter/available from: http://www.genderdiversitylehre.fu­berlin.de/toolbox/_content/pdf/methodenblatt_checkliste.pdf Externer Link
13.
Ludwig S, Dettmer S, Peters H, Kaczmarczyk G. Geschlechtsspezifische Medizin in der Lehre - noch in den Kinderschuhen. Dtsch Ärztebl. 2016;113(51):A2364-2366.
14.
Muntinga ME, Krajenbrink VQ, Peerdeman SM, Croiset G, Verdonk P. Toward diversity-responsive medical education: taking an intersectionality-based approach to a curriculum evaluation. Adv Health Sci Educ Theory Pract. 2016;21(3):541-559. DOI: 10.1007/s10459-015-9650-9 Externer Link