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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Die Integration im Lichte der Curriculumgestaltung

Leitartikel Curriculumsgestaltung

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  • corresponding author Marjo Wijnen-Meijer - Technische Universität München, Fakultät für Medizin, TUM Medical Education Center, München, Deutschland

GMS J Med Educ 2019;36(6):Doc79

doi: 10.3205/zma001287, urn:nbn:de:0183-zma0012872

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2019-36/zma001287.shtml

Eingereicht: 7. Oktober 2019
Überarbeitet: 7. Oktober 2019
Angenommen: 7. Oktober 2019
Veröffentlicht: 15. November 2019

© 2019 Wijnen-Meijer.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Leitartikel

Bei der Frage der Gestaltung des medizinischen Curriculums, stehen meistens die zu vermittelnden Inhalte im Mittelpunkt der Diskussion.

  • Welche Themen sollten behandelt werden?
  • Welche Fähigkeiten sollten erlernt werden?
  • Welche Konzepte sollten die Studierenden lernen?

Natürlich sind die Ausbildungsinhalte wichtig, aber auch die Struktur ist relevant. Da neues Wissen auf vorhandenem Wissen aufbaut, beeinflusst die Reihenfolge, in der etwas gelernt wird, wie sich die Studierenden letztendlich an das Gelernte erinnern.

Ein wichtiges Konzept für die Struktur eines Curriculums ist die Integration.

Die erste Form der Integration ist die horizontale Integration, bei der verschiedene Disziplinen, die traditionell in der gleichen Phase des Lehrplans unterrichtet werden, thematisch gebündelt werden. Ein Beispiel dafür ist ein systembasierter Lehrplan. In einem solchen Curriculum werden im gleichen Zeitraum alle relevanten Kenntnisse, z.B. über den Herz-Kreislauf- oder Bewegungsapparat, vermittelt [1].

Obwohl diese Form der Integration es den Studierenden erleichtert, die Verbindungen zwischen verschiedenen Fächern herzustellen, bleibt die Unterscheidung zwischen präklinischer (theoretischer) und klinischer (praktischer) Phase bestehen. Dies führt oft zu Schwierigkeiten für die Studierenden, das – in der präklinischen Phase erworbene Wissen – in der Praxis anzuwenden [2].

Um den Übergang von der präklinischen Phase in die klinische Phase zu erleichtern, sind viele Lehrpläne an medizinischen Fakultäten nach dem Prinzip der vertikalen Integration aufgebaut. Dieses Prinzip wird auch im Masterplan Medizinstudium 2020 beschrieben, mit dem Ziel, die klinischen und theoretischen Inhalte zu verbinden.

Diese Form der Integration beinhaltet die Integration von Grundkenntnisse und klinischer Praxis, wobei beide Aspekte im gesamten Lehrplan enthalten sind [3]. Ein weiteres wichtiges Merkmal der vertikalen Integration ist, dass die Studierenden von Anfang an klinische Erfahrungen in Praktika oder anderen Formen des Patientenkontaktes sammeln [4], [5]. Untersuchungen zeigen, dass frühe klinische Erfahrungen zu einer erhöhten Motivation und Verbesserung der klinischen Fähigkeiten führen [5], [6]. Darüber hinaus haben die Studierenden ein besseres Verständnis für die Relevanz der Theorie und lernen frühzeitig, was es bedeutet, sich professionell zu verhalten und im Team zu arbeiten [5], [6].

Ein zentraler Bestandteil der vertikalen Integration ist die Kombination aus theoretischem und praktischem Teil des Programms. Beide Komponenten sind für die Entwicklung der medizinischen Expertise notwendig, und der Lerneffekt ist größer, wenn der Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis für die Studierenden klar ist [7], [8]. Durch die Anwendung der Theorie in der Praxis erhält die Theorie mehr Bedeutung, was deren Verständnis erleichtert und sie beim nächsten Mal in der Praxis besser anwendbar macht.

Darüber hinaus bauen die Studierenden, wenn sie frühzeitig mit bestimmten Patientenfällen in Berührung kommen, mentale Strukturen auf, mit denen klinische Informationen und Pathologien verknüpft werden können. Diese sogenannten Krankheitsskripte erleichtern den Studierenden die Diagnose und die Arbeit in der klinischen Praxis [9].

Ein weiterer wichtiger Teil der vertikalen Integration ist die zunehmende Bedeutung des Lernens am Arbeitsplatz. Dies gibt den Studierenden die Möglichkeit, authentische Aktivitäten in einem realen Kontext durchzuführen [10], [11]. Durch den schrittweisen Abbau der Aufsicht und die Übertragung von mehr Verantwortung werden sie nach und nach auf ihre zukünftige Tätigkeit als Ärztinnen und Ärzte vorbereitet. Bereits 1978 beschrieb Vygotsky in seiner Theorie zur „Zone der proximalen Entwicklung“, dass die Kompetenzentwicklung Schritt für Schritt mit Hilfe einer erfahreneren Person erfolgen sollte. Wenn Studierende eine Aufgabe zum ersten Mal ausführen, haben die Vorgesetzten die volle Kontrolle und Verantwortung. Diese externe Kontrolle nimmt allmählich ab, bis die Studierenden sie überhaupt nicht mehr benötigen und die Aufgabe völlig selbstständig ausführen können [12].

Überdies lernen sie am Arbeitsplatz, im Team zu arbeiten und werden frühzeitig in die medizinische Gemeinschaft einbezogen [13]. 1991 führten Lave und Wenger den Begriff „Community of Practice“ ein. Dies zeigt, dass es für die Lernenden wichtig ist Teil einer professionellen Gemeinschaft zu sein. Die Zusammenarbeit zwischen unerfahrenen und erfahrenen Mitgliedern regt den Wissensaustausch an. Zu Beginn nehmen die neuen Mitglieder die Rolle der „peripheren“ Teilnehmer wahr und verlagern sich zunehmend zu „Kernteilnehmern“, wodurch sie wiederum neue Mitglieder führen können [14].

Obwohl die vertikale Integration die Struktur der medizinischen Ausbildung betrifft, sollte sich die Diskussion nicht auf die Verteilung der Stunden für bestimmte Teile des Lehrplans konzentrieren. Der Kern der vertikalen Integration ist, dass die Studierenden einen ausreichenden und frühen Kontakt zur klinischen Praxis haben, kombiniert mit einer guten theoretischen Basis. All dies soll dazu beitragen, dass die Studierenden sowohl in Bezug auf ihre Kenntnisse und Fähigkeiten als Ärztinnen und Ärzte als auch als Mitglied der Gemeinschaft gut auf ihre Arbeit vorbereitet sind. Diese Ausgabe beschreibt eine Reihe von Themen und Beispielen, die gut zu diesem Modell passen.

In Trauschkes Artikel [15] wird deutlich, dass es nicht selbstverständlich ist, dass das, was die Studierenden in der präklinischen Phase lernen, tatsächlich in der klinischen Phase angewendet werden kann. Der Artikel zeigt auf wie Fehlvorstellungen, die bezüglich des physiologischen Elektrokardiogramms bestehen, durch lernförderliche Interventionen überwunden werden können.

Kühl et al. [16] beschreiben ein sehr praktisches Beispiel für vertikale Integration durch die Verbesserung eines Biochemiekurses. Engel et al. [17] beschreiben auch, wie der Zusammenhang zwischen exemplarischen Fällen und realen Patientenfällen während eines Kurses in der Allgemeinmedizin hergestellt werden kann. Die Artikel von Kadmon et al. [18] und Rotthoff et al. [19] beschreiben, wie das Lernen am Arbeitsplatz im praktischen Jahr besser gestaltet werden kann. Durch die Einführung von „Anvertraubaren Professionellen Tätigkeiten (APT)“ und strukturellen Feedbackgesprächen werden die Studierenden schrittweise auf ihre zukünftige Arbeit vorbereitet. Gebhard et al. [20] berichten in ihrem Artikel, wie die klinische Erfahrung und der frühe Kontakt mit den verschiedenen Disziplinen einen Einfluss auf die endgültige Wahl der Spezialisierung der Studierenden haben. Bei der Vorbereitung auf die Arbeit als Arzt ist auch die Lehre relevant. Und Fröhlich et al. [21] beschreiben, wie studentische Tutoren darauf vorbereitet werden können, eine Ultraschallausbildung für jüngere Studierende durchzuführen. Dies ermöglicht es ihnen, ihre Rolle als Kernteilnehmer in der Praxisgemeinschaft besser zu erfüllen.

Wir hoffen, dass diese Artikel die Lehrplanentwickler bei der weiteren Gestaltung der medizinischen Ausbildung inspirieren werden.


Interessenkonflikt

Die Autorin erklärt, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

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