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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Der Aachener Modellstudiengang Medizin – Entwicklung und Implementierung. 15 Jahre reformiertes Medizinstudium an der RWTH Aachen

Artikel Gesamtdarstellung Studiengang

  • corresponding author Melanie Simon - RWTH Aachen Universität, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Aachen, Deutschland
  • author Annika Martens - RWTH Aachen Universität, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Aachen, Deutschland
  • author Sonja Finsterer - RWTH Aachen Universität, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Aachen, Deutschland
  • author Sandra Sudmann - RWTH Aachen Universität, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Aachen, Deutschland
  • author Johann Arias - RWTH Aachen Universität, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Aachen, Deutschland

GMS J Med Educ 2019;36(5):Doc60

doi: 10.3205/zma001268, urn:nbn:de:0183-zma0012681

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2019-36/zma001268.shtml

Eingereicht: 1. November 2018
Überarbeitet: 30. Juli 2019
Angenommen: 6. August 2019
Veröffentlicht: 15. Oktober 2019

© 2019 Simon et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Der Aachener Modellstudiengang Medizin wurde als Reaktion der Medizinischen Fakultät der RWTH Aachen auf eine negative Beurteilung durch den Wissenschaftsrat im Jahr 2000 entwickelt. Ziel sind weiterbildungsfähige Absolventen und Absolventinnen, die in der Lage sind, evidenzbasierte und patientenzentrierte Krankenversorgung zu betreiben und dabei wissenschaftliche Erkenntnisse einbeziehen.

Methodik: Das Studium der Humanmedizin wurde im Jahr 2003 insgesamt auf den Modellstudiengang umgestellt. Dies bedeutet eine jährliche Kohortengröße von ca. 280 Studierenden. Diese durchlaufen ein modularisiertes und integriertes Curriculum, welches sich im Sinne einer Lernspirale gestaltet. Dies erfordert eine besondere interdisziplinäre Zusammenarbeit von Lehrenden und Curriculumsplanern. Neben den Modulen sind longitudinale Elemente wie das arbeitsplatzbasierte Prüfen, die Kommunikation oder praktische Fertigkeiten in das Curriculum eingebettet.

Ergebnisse: Die Staatsexamensergebnisse der Aachener Absolventen und Absolventinnen haben sich schon ab dem ersten Jahrgang deutlich verbessert und konnten ein hohes Niveau von 2008 bis 2018 fast ununterbrochen halten. Die Studierenden drücken ihre Zufriedenheit mit dem Modellstudiengang nicht nur in der studentischen Lehrveranstaltungsbewertung und in qualitativen Gruppengesprächen, sondern auch in diversen nationalen Rankings aus.

Schlussfolgerung: Die völlige Neukonzeptionierung des Studiengangs ab dem ersten Semester aufbauend stellte alle Beteiligten an der Fakultät vor große Herausforderungen. Die Umsetzung eines komplett reformierten Curriculums, wie sie die Einführung des MSG darstellte, gelingt nur durch eine konstruktive Zusammenarbeit verschiedener Akteure einer Fakultät. Die neue Ausrichtung konnte die Hauptmängel des WR Berichtes aus dem Jahre 2002, die Unzufriedenheit der Studierenden und das schlechte Abschneiden im Examen im bundesweiten Vergleich, beheben.

Schlüsselwörter: Modellstudiengang, Curriculumsentwicklung, Problemorientiertes Lernen


1. Anlass, Bedarf

Die Medizinische Fakultät der RWTH Aachen wurde im Jahr 1999 umfangreich auf der Basis eines durch die Fakultät verfassten Berichtes sowie einer Begehung durch den Wissenschaftsrat (WR) evaluiert. Diese Evaluation mündete im Dezember 2000 in eine Stellungnahme des WR zur weiteren Entwicklung der Medizinischen Fakultät. Neben der Beurteilung und Bewertung der Forschungsorientierung der Fakultät wurde in diesem Rahmen auch die medizinische Ausbildung von Studierenden begutachtet. Insgesamt stellte der WR den akademischen Anspruch der Fakultät in Frage und urteilte, dass die Wettbewerbsfähigkeit als universitätsmedizinischer Standort nicht gegeben wäre. Dies war für die Fakultät der Beginn einer umfassenden Neuausrichtung. Im Bereich Studium und Lehre bemängelte der WR insbesondere die unterdurchschnittlichen Prüfungsergebnisse der Absolventen in Physikum und Staatsexamen, und zum anderen die ungünstige Organisation der Lehrveranstaltungen durch die Fakultät [1].

Dieser Bericht des WR legte gemeinsam mit der Modellstudiengangsklausel der Ärztlichen Approbationsordnung von 2002 den Grundstein für die Entscheidung der Fakultät, das Studium der Humanmedizin in Aachen konsequent auf einen Modellstudiengang umzustellen [https://www.gesetze-im-internet.de/_appro_2002/BJNR240500002.html]. Der Aachener Modellstudiengang Medizin (MSG) startete zum Wintersemester 2003/2004 mit 280 Studierenden. Der Regelstudiengang wurde sukzessiv eingestellt [2].

Entwickelt wurde das intergierte Curriculum des MSG unter der Leitung des damaligen Studiendekans Prof. Rolf Rossaint in Zusammenarbeit mit der Fachschaft Medizin. Eine tragende konzeptionelle Rolle spielte dabei Prof. Peter Kaufmann aus dem damaligen anatomischen Institut 2, der den MSG bis zu seinem Tod im Jahr 2010 begleitete. Die anatomischen Institute sind nach wie vor maßgeblich in die Durchführung und Weiterentwicklung des MSG involviert. Deren Lehrende fungieren in mehreren interdisziplinären Systemblöcken als Leitung.


2. Ziele

Erstes Ausbildungsziel im MSG sind akademisch ausgebildete, zur Weiterbildung befähigte Ärzte und Ärztinnen, die kognitives Wissen, praktische Fertigkeiten, wissenschaftliche und kommunikative Fähigkeiten und eine Haltung zum Beruf erlangt haben, die ein lebenslanges Lernen in allen genannten Bereichen ermöglichen. Die Studierenden des MSG werden wissenschaftlich geschult und mit dem Prozess des biologischen und medizinischen Problemlösens vertraut gemacht. Die Ausbildung ist so gestaltet, dass die Studierenden nicht fachspezifisches Faktenwissen erwerben, sondern Organsysteme in ihrem Bau, ihrer Funktion und ihren pathogenetischen Prinzipien verstehen [3].

Zweites Ausbildungsziel ist der Erwerb der Fähigkeit, fachübergreifend integrativ zu lernen und zu denken und den eigenen Wissens- und Erfahrungsstand selbstkritisch zu reflektieren. Durch die interdisziplinäre Stoffvermittlung lernen die Studierenden frühzeitig, biologische Systeme und deren Sachverhalte von verschiedenen Standpunkten aus zu betrachten. Dies soll ihnen helfen, in ihrer späteren Tätigkeit differentialdiagnostische und therapeutische Überlegungen in ihr ärztliches Handeln einfließen zu lassen. Diese Ziele sind auch im Profil des MSG verankert, in dem die übergeordneten Lernziele formuliert worden sind [4], [5], [6]. Klicken oder tippen Sie hier, um Text einzugeben.

Die Entwicklung des MSG spezifischen Lernzielkatalogs konnte außerdem die Transparenz der Lernziele erhöhen und eine fundierte Grundlage für Diskussionen zu Lehre und Studium schaffen. Der Lernzielkatalog wurde auf einer Klausurtagung des Modellstudiengangs im Jahr 2009 beschlossen und in den folgenden beiden Jahren durch das Institut für medizinische Informatik in Form eines Wikis entwickelt und durch die Fachvertreter der Kliniken und Institute mit Inhalten gefüllt. Moderiert wurde der Prozess durch eine Arbeitsgruppe, die sowohl mit klinischen als auch vorklinischen Vertretern besetzt war. Das Wiki-Format ermöglicht es der Fakultät, den Katalog bis heute kontinuierlich weiterzuentwickeln [7].


3. Lehrmethoden, Lehrformate

3.1. Studienabschnitte

Das Studium im MSG ist in vier Studienabschnitte unterteilt (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

3.1.1. 1. Studienabschnitt – Homogenisierung

Das Studium beginnt mit einem dreiwöchigen Einführungsblock. Dieser bietet einen ersten Einblick in das Berufsfeld und vermittelt medizinischen Hygiene- und Notfallmaßnahmen. In weiteren Kursen werden die heterogenen naturwissenschaftlichen Vorkenntnisse der Studierenden auf ein vergleichbares Niveau gebracht. Dabei ist der Kurs der Zellbiologie grundlegender Bestandteil des ersten Studienjahres. In einem interdisziplinären Propädeutikkurs der Organsysteme (IPO) wird Grundwissen über den Bau und die Funktionen des menschlichen Körpers vermittelt.

3.1.2. 2. Studienabschnitt - Interdisziplinäre Systemblöcke

Der zweite Studienabschnitt besteht aus interdisziplinären theoretisch-klinischen Systemblöcken. Hier werden ab dem dritten Semester erstmals klinische Inhalte im Studium unterrichtet. Systemblöcke behandeln modularisiert einzelne Organsysteme des Körpers in Vorlesungen, Seminaren, Seminaren zum problemorientierten Lernen (POL) und Praktika (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]).

Die Lernspirale wird hier ausgehend vom Organ zum zweiten Mal durchlaufen. Neben den Systemblöcken gibt es Querschnittsfächer, die organübergreifende Inhalte in Vorlesungen, Übungen und Praktika behandeln. Im zweiten Studienabschnitt wird parallel zu den Systemblöcken ab dem dritten Semester der Untersuchungskurs (UK) angeboten. Verschiedene Untersuchungstechniken werden zunächst von Studierenden untereinander oder an Simulationspatienten und Simulationspatientinnen geübt. Im zweiten Schritt werden Patienten und Patientinnen von Studierenden in 3-er Gruppen unter ärztlicher Anleitung untersucht, Kommunikationstechniken trainiert und spezielle Untersuchungstechniken vermittelt. Die gelernten Fertigkeiten werden im Rahmen des UK mittels eines arbeitsplatzbasierten Prüfungsformates, der MINI Clinical Evaluation Exercise (Mini-CEX) formativ geprüft [6].

Das Bestehen der Ärztlichen Basisprüfung (ÄBP), dem M1-Äquivalent des MSG, ist Zulassungsvoraussetzung für den Übergang in den dritten Studienabschnitt.

3.1.3. 3. Studienabschnitt - Klinische Semester

In diesem Studienabschnitt werden Patienten und Patientinnen und ihre Erkrankungen ins Zentrum der Lehre gerückt. Krankheitsentitäten werden nicht mehr ausgehend vom Organ, sondern von Patienten und Patientinnen und deren Symptomen betrachtet. Ein wichtiger Teil dieses Studienabschnittes sind die klinischen Blockpraktika, die jeweils für den halben Jahrgang im achten und neunten Semester stattfinden. Der jeweils andere Teil der Kohorte durchläuft das sogenannte „Wahlfreisemester“, in dem Zeit ist für Famulaturen, die Anfertigung einer Doktorarbeit oder Auslandsaufenthalte. Das zehnte Semester ist unter anderem ökonomischen, gesundheitspolitischen, sozialen und ethischen Aspekten der Medizin gewidmet und schließt mit dem Kurs der klinischen Kompetenz (KKK). Am Ende dieses Studienabschnittes folgt für die Studierenden der Zweite Abschnitt der Ärztlichen Prüfung (M2).

3.1.4. 4. Studienabschnitt - Praktisches Jahr

Das Praktische Jahr (PJ) ist auch im MSG in drei Tertiale aufgeteilt, die in der Inneren Medizin, der Chirurgie und einem Wahlfach abgeleistet werden. Eingeleitet wird das PJ von einem PJ-Vorbereitungskurs, in dem die praktischen Fertigkeiten der PJler und PJlerinnen zu Beginn des Praktischen Jahres aufgefrischt werden. Das PJ kann nicht nur am Aachener Universitätsklinikum, sondern auch an Akademischen Lehrkrankenhäusern durchgeführt werden. Im Wahlfach Allgemeinmedizin wird das Tertial in Akademischen Lehrpraxen abgeleistet [8].

3.2. Wissenschaftlichkeit im Medizinstudium

Der MSG verfolgt von Beginn des Studiums an das übergeordnete Ziel, die Studierenden zu wissenschaftlichem Denken und Handeln zu befähigen. Inhalte wie z.B. die Literaturrecherche, Hypothesengenerierung, Ambiguitätsbewusstsein oder das Erstellen von wissenschaftlichen Manuskripten werden fächerübergreifend gelehrt. Vom ersten bis zum zehnten Semester gibt es für die Studierenden obligatorische und fakultative Veranstaltungen, die sich mit den verschiedensten Aspekten des wissenschaftlichen Arbeitens auseinandersetzen. Durch die Wahl individueller Qualifikationsprofile wird im MSG der Grundstein für eine zukünftige wissenschaftliche Tätigkeit oder spätere Spezialisierung in der Weiterbildung gelegt. Zehn Prozent des Stundenplans sind für diese Wahlpflichtveranstaltungen reserviert. Durch eine Schwerpunktbildung beim Besuch dieser Wahlpflichtveranstaltungen ist der Erwerb eines individuellen Qualifikationsprofils möglich. Weitere Elemente dieses longitudinalen Curriculums sind das POL, How to Read und How to Write a paper sowie das Science Skillslab (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]).

3.3. Problemorientiertes Lernen (POL)

Das Problemorientierte Lernen (POL) ist im Curriculum des MSG als longitudinales Lehrformat vom 1. bis 7. Semester implementiert. Die problembasierte und interdisziplinäre Herangehensweise an Probleme unterstützt das Lehrprofil des MSG und seinen modularisierten Aufbau. Die Studierenden trainieren an krankheitstypischen Patientenfällen in einer strukturierten Vorgehensweise die Herangehensweise an ungelöste Probleme im Team. Zusätzlich werden hier Skills trainiert, die auch für das wissenschaftliche Arbeiten essentiell sind (z.B. Hypothesengenerierung, Literaturrecherche, etc.) [9]. Die Studierenden des MSG durchlaufen im Laufe ihres Studiums insgesamt 14 POL-Fälle mit jeweils zwei Terminen in Gruppen mit zehn Studierenden.

3.4. Skillslab AIXTRA

Das Trainingszentrum AIXTRA hat ein umfangreiches Programm etabliert, in welchem unter Einsatz von Simulationspatienten und Simulationspatientinnen und digitalen Simulatoren Anamnese- und Untersuchungstechniken vermittelt werden und praktische und kommunikative Fertigkeiten mit Video-Feedback trainiert werden. Hier werden sowohl verpflichtende Kurse im Rahmen der Systemblöcke oder anderer Veranstaltungen aus dem Curriculum als auch fakultative Kurse und Zeiten zum freien Üben angeboten.

3.5. Lehr- und Lernkultur

Die Modifikation des Curriculums hin zu einem Z-Curriculum, in welchem vorklinische und klinische Inhalte integriert vermittelt werden, bringt eine besondere Veränderung der Lehr- und Lernkultur auf unterrichtlicher, kollegialer und organisatorischer Ebene mit sich [10], [11]. Planung und Durchführung der Lehre bedürfen einer intensiven Kommunikation aller Beteiligten einschließlich der Studierenden. Unterrichtsformen wie das POL fördern die Eigenverantwortlichkeit der Studierenden für den eigenen Lernprozess [1], [12], [13]. Durch neue Blended Learning Konzepte haben die Studierenden mehr Wahlmöglichkeiten zu Ort und Zeit des Lernens, was sich positiv auf die Motivation auswirkt [14]. Der Wunsch nach Innovationen und kontinuierlicher Weiterentwicklung hat zudem den Professionalisierungsgrad auf Seiten der Lehrenden durch medizindidaktische Qualifizierungen vorangetrieben.

Eine weitere Betonung des eigenverantwortlichen Lernens stellen die Dokumentations- und Feedbackelemente Studierendenportfolio und HIP-Tool (How I Perform) dar.


4. Prüfungswesen

Das Prüfungskonzept des MSG baut auf summativen und formativen Prüfungsformaten auf. Der frühe Praxisbezug erfordert eine frühe Überprüfung der praktischen und kommunikativen Fertigkeiten im Curriculum neben Prüfungsformaten, die eher kognitive Inhalte prüfen [15], [12]. In den drei Studienabschnitten werden folgende Prüfungsformate durchgeführt:

  • kognitiv: Multiple Choice Klausuren, strukturiert mündliche Prüfungen (summativ), sowie der Progress Test Medizin (PTM) (formativ)
  • psychomotorisch: Objective structured practical examination (OSPE) (summativ), sowie arbeitsplatzbasierte MiniCEX (formativ)

Benotete Referate und Fallvorstellungen ergänzen das Prüfungsspektrum und fördern selbstorganisatorische, rhetorische und präsentationstechnische Fähigkeiten.

4.1. Die Ärztliche Basisprüfung (ÄBP)

Die Ärztliche Basisprüfung (ÄBP) stellt das Physikumsäquivalent (M1) des MSG dar. Hier werden entsprechend des §41 der ÄAppO die im Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung nachzuweisenden Kenntnisse und Fertigkeiten geprüft. Darüber hinaus sind aufgrund des interdisziplinären Ansatzes des MSG bereits klinische Inhalte und praktische Fertigkeiten prüfungsrelevant. Die ÄBP besteht aus einer kombinierten mündlich-praktischen Prüfung in Form einer OSPE und einer Multiple-Choice-Klausur.

Um eine angemessene Qualität dieser universitären Prüfung sicherzustellen, wurden Leitlinien entwickelt, welche die Qualitätsanforderungen an Objektivität, Reliabilität und Validität unter Berücksichtigung internationaler Standards berücksichtigen.

Die Erstellung der Prüfungsaufgaben durchläuft einen dreifachen Review Prozess, in dem die Prüfungsinhalte mit dem Lernzielkatalog abgeglichen werden, die Formulierung der Fragen und des Erwartungshorizontes präzisiert und die naturwissenschaftliche und klinische Relevanz reflektiert wird. Abschließend werden die ca. 100 Prüfungsaufgaben des mündlich-praktischen Teils und die 120 MC-Fragen vom Review Board des Prüfungsausschusses verabschiedet. Zur Qualitätssicherung findet eine schriftlich dokumentierte Nachbewertung (Itemanalyse) statt. Anhand inhaltlicher Kriterien und teststatistischer Auswertungsergebnisse werden in dieser Nachbewertung Ergebniskorrekturen und Verbesserungsvorschläge für künftige Prüfungsaufgaben erarbeitet (siehe Abbildung 4 [Abb. 4]).

4.2. Implementierung eines longitudinalen Konzeptes „MiniCEX“

Die Studierenden der Fachschaft Medizin haben 2013 gefordert, dass mehr praktische Prüfungen in das Curriculum integriert werden und die Studierenden mehr Feedback über die eigenen Fertigkeiten erhalten. Der MSG hat deshalb ein Projekt zur Implementierung eines longitudinalen Prüfungsformates aus dem arbeitsplatzbasierten Prüfen, die Mini-Clinical-Evaluation-Exercise (MiniCEX) initiiert. Hierbei werden Studierende vom dritten bis zum zehnten Semester im Rahmen des Untersuchungskurses und der Blockpraktika wiederholt in ihrem Ausbildungsstand entsprechenden klinischen Situationen mit Patienten und Patientinnen beobachtet und erhalten im direkten Anschluss ein mündliches Feedback. Dieses wird in Form eines standardisierten Fragebogens dokumentiert. Es handelt sich hierbei um ein Prüfungsformat, welches rein formativ angelegt ist [6].

4.3. Progress Test Medizin

Der Progress Test Medizin (PTM) ist als formative Wissensüberprüfung konzipiert und basiert pro Test auf 200 MC-Fragen auf Absolventenniveau. Hauptanwendung des PTM ist ein longitudinales Feedback für die Studierenden und der Vergleich mit anderen Fakultäten. Das Feedback wird durch ein Online-Feedback-Tool namens HIP („How I Perform“) ermöglicht. Den Studierenden ermöglicht der Ergebnisbericht die Überprüfung des eigenen Wissenszuwachses. Der PTM wird laut Prüfungsordnung verpflichtend für alle Studierenden angeboten. Die Teilnahme am Test ist Voraussetzung für die Zulassung zum jeweils nächsten Studienabschnitt [16].


5. Evaluation, Ergebnisse

Am Ende jedes Semesters führen die Jahrgangskoordinatoren Gruppen- und Einzelgespräche mit den Studierenden. In den Gesprächen erhalten sie ein Feedback zum allgemeinen Studienverlauf und zu Prüfungen. Die Koordinatoren und Koordinatorinnen übernehmen die Aufgabe, Ergebnisse aus den Gesprächen konstruktiv an die Dozierenden weiterzuleiten und unterbreiten den Studierenden Angebote zur Förderung und ähnliche Hilfestellungen. Diese Gespräche tragen daher zu einer kontinuierlichen Verbesserung der Organisation des Studienablaufs und der Qualität der Lehre bei und ergänzen die obligatorische studentische Lehrveranstaltungsbewertung.

5.2. Evaluierung durch die Studierenden

Die Studentische Lehrveranstaltungsbewertung wird seit dem WS 2004/05 durchgeführt. Die Ergebnisse der Lehrveranstaltungsbewertung werden der Studienkommission und dem Fakultätsrat vorgelegt und von der Fachschaft diskutiert.

5.3. Gesamtergebnisse

Seit Beginn des MSG verfolgt die Medizinische Fakultät kontinuierlich die evidenzbasierte Weiterentwicklung und Verbesserung des Curriculums. Kritikpunkte aus dem WR-Bericht von 2000 konnten erfolgreich angegangen werden. Das Abschneiden der Absolventen und Absolventinnen des MSG liegt heute i.d.R. weit über dem bundeweiten Durchschnitt [22].Die Zufriedenheit der Studierenden mit dem MSG und seines organisatorischen Konzeptes spiegelt sich in verschiedenen Rankings und der Lehrveranstaltung wieder. Auch eine Querschnittsstudie machte deutlich, dass erfüllte Erwartungen mit einer höheren Identifikation mit dem Modellstudiengang zusammenhängen [18].

Nächste Meilensteine stellen für die Fakultät ein Mapping des eigenen Lernzielkatalogs mit dem Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog (NKLM) [http://www.nklm.de], [19] sowie die Umsetzung des Masterplans 2020 dar [20].

Im Oktober 2018 wurde die Medizinische Fakultät erneut durch den WR begutachtet. Der noch ausstehende Bericht wird zeigen, inwiefern sich die Fakultät durch die Einführung des Modellstudiengangs verbessern konnte. Kritikpunkte des WR werden dann in die Weiterentwicklung der kommenden Jahre einfließen (siehe Abbildung 5 [Abb. 5]).


6. Sonstiges

6.1. Beteiligte Akteure
6.1.1. Dekanat und Studiendekanat

Das Dekanat leitet die Medizinische Fakultät. Aufgaben des Dekanats und des Studiendekanats sind unter anderem die Sicherstellung der Vollständigkeit des Lehrangebotes, die Einhaltung von Lehrverpflichtungen sowie der Studien- und Prüfungsorganisation, die Erstellung der Entwürfe zu Studien- und Prüfungsordnungen und die Durchführung der Evaluierung. Im MSG spielt das Dekanat als übergeordnetes Organisationsorgan eine wichtige Rolle bei der Umsetzung des Curriculums, bei Innovationen und bei der Motivation von Lehrenden und Studierenden.

6.1.2. Koordinierungsgruppe Lehre

Um die Qualitätskontrolle und Weiterentwicklung des MSG zu gewährleisten, wurde eine wöchentlich tagende professorale Koordinierungsgruppe MSG initiiert. Die sogenannte KO-Gruppe behandelt gemeinsam mit den Beschäftigten des Studiendekanats und Fachschaftsvertretern alle akuten Probleme des Studien- und Lehralltags. Diskussionspunkte sind beispielsweise curriculare Fragestellungen und Weiterentwicklungen, Evaluierungen von Veranstaltungen, Durchfallquoten bei Prüfungen, Sonderfälle sowie Detailfragen, die bei der Organisation von Studium und Lehre auftreten.

6.1.3. Jahrgangskoordinatoren und Jahrgangskoordinatorinnen

Jedes Studienjahr wird von einem Jahrgangskoordinator bzw. einer Jahrgangskoordinatorin betreut. Zu den Aufgaben der Jahrgangskoordinatoren und Jahrgangskoordinatorinnen gehört die Beratung und Betreuung der Studierenden, die Stundenplangestaltung und die Organisation des Studienjahres in Zusammenarbeit mit den Lehrenden und Systemblockleitungen. Mit der Einführung der Jahrgangskoordinatoren und Jahrgangskoordinatorinnen ist ein neues Berufsbild im Studiendekanat entstanden. Darüber hinaus gibt es Prüfungs-, Wahlfach- und Auslandskoordinatoren und Prüfungs-, Wahlfach- und Auslandskoordinatorinnen, die in den jeweiligen Schwerpunkten die Beratung unterstützen [21], [22], [23].

6.1.4. Systemblockleiter und Systemblockleiterinnen

An den theoretisch-klinischen Systemblöcken sind verschiedene Institute und Kliniken beteiligt. Aufgrund des daraus resultierenden hohen Abstimmungsbedarfs der einzelnen Lehrveranstaltungen innerhalb eines Blockes kommt der Systemblockleitung eine wichtige Rolle zu. Sie sind Mitglieder des Lehrkörpers der/des am entsprechenden Kurs maßgeblich beteiligten Klinik/Institutes. Gemeinsam mit den Dozierenden des Systemblocks und den Jahrgangskoordinatoren und Jahrgangkoordinatorinnen gestalten sie die Inhalte der Veranstaltung, auch im Hinblick auf Redundanzen und Verknüpfungen mit anderen Veranstaltungen und stellen die Prüfungsfragen zusammen.

6.1.5. Lehrende

Die Einführung des Aachener Modellstudiengangs Medizin verlangte von den Dozierenden eine hohe Bereitschaft zur Interdisziplinarität und zur Zusammenarbeit untereinander sowie mit dem Studiendekanat. Um Redundanzen und Defizite bei der Konzeption von Lehrveranstaltungen zu vermeiden, ist eine intensive und kontinuierliche Kommunikation zwischen den Beteiligten notwendig. Der hohe Strukturierungsgrad des Studiums und der damit verbundene Abstimmungsbedarf der Lehrinhalte führten und führen nach wie vor zu Diskussionen bei der Weiterentwicklung des Curriculums. Die Systemblockleitung und die Studiengangsleitung moderieren in solchen Fällen.


7. Diskussion

Der Aachener Modellstudiengang Medizin wurde von der Medizinischen Fakultät der RWTH Aachen unter starkem Innovations- und Verbesserungsdruck entwickelt [2]. Die völlige Neukonzeptionierung des Studiengangs ab dem ersten Semester aufbauend stellte alle Beteiligten an der Fakultät vor große Herausforderungen. Die Umsetzung eines komplett reformierten Curriculums, wie sie die Einführung des MSG darstellte, gelingt nur durch eine konstruktive Zusammenarbeit verschiedener Akteure einer Fakultät. Die neue Ausrichtung konnte die Hauptmängel des WR Berichtes aus dem Jahre 2002, die Unzufriedenheit der Studierenden und das schlechte Abschneiden im Examen im bundesweiten Vergleich, beheben [17].


8. Schlussfolgerung

Die Medizinische Fakultät der RWTH Aachen wird den Modellstudiengang Medizin fortführen, solange die formalen Vorgaben der Approbationsordnung dies ermöglichen. Am Ende der Modellstudiengangsklausel können Elemente und Erfahrungen des MSG für die Entwicklung neuer Curricula dienen.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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