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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Die Entwicklung des internistischen Curriculums an der Medizinischen Hochschule Hannover von 2001 bis 2018

Artikel Internistisches Curriculum

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  • author Philip Bintaro - Medizinische Hochschule Hannover, Klinik für Nieren- und Hochdruckerkrankungen, Hannover, Deutschland
  • author Sabine Schneidewind - Medizinische Hochschule Hannover, Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie, Hannover, Deutschland
  • corresponding author Volkhard Fischer - Medizinische Hochschule Hannover, Studiendekanat, Bereich Evaluation und Kapazität, OE 9135, Hannover, Deutschland

GMS J Med Educ 2019;36(5):Doc56

doi: 10.3205/zma001264, urn:nbn:de:0183-zma0012646

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2019-36/zma001264.shtml

Eingereicht: 26. September 2018
Überarbeitet: 2. Februar 2019
Angenommen: 15. April 2019
Veröffentlicht: 15. Oktober 2019

© 2019 Bintaro et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Ein wesentlicher Bestandteil des fachbezogenen Modellstudiengangs an der Medizinischen Hochschule Hannover sind die klinisch-praktischen Module, die sich an zwei Kriterien orientieren: Früher und kontinuierlicher Kontakt mit Patienten; wiederholte Verknüpfung von Theorie und Praxis. Deren Entwicklung in den letzten 17 Jahren wird einschließlich der Vorgeschichte dargestellt.

Methode: Im Rückblick auf die Erfahrungen mit dem Modellstudiengang und die Gründe für seine Etablierung werden die Herausforderungen und dadurch ausgelösten Veränderungen des longitudinalen Curriculums skizziert. Einige der Herausforderungen sind auch an anderen Standorten erwartbar und deshalb von allgemeinem Interesse.

Ergebnisse: Weil die Integration vorklinischer und klinischer Inhalte ressourcenintensiv, aber politisch gewünscht ist, waren die kapazitätsrechtlichen Probleme unerwartet. Insbesondere die Auffassung, dass mehr Dozierende automatisch mehr Ausbildungskapazität bedeuten, war nur schwer mit dem didaktischen Anspruch vereinbar. Um diesen aufrecht zu erhalten, wurden externe Krankenhäuser und niedergelassene Praxen vermehrt einbezogen. Die wichtigsten Veränderungen in den Jahren betrafen die Verteilung klinischer Lehrinhalte im ersten Studienjahr, eine rigorose Standardisierung der Ausbildung in Diagnostischen Methoden, eine verstärkte Berücksichtigung schon erworbener Fähigkeiten im Studienverlauf und die Fokussierung auf klinische Entscheidungsfindung im 5. Studienjahr. Die Restrukturierung des akademischen Jahres in drei zehnwöchige Tertiale (zwei im WS und eins im SS) garantierte die Beibehaltung kleiner Gruppen.

Schlussfolgerung: Die genannten Maßnahmen setzen eine gründliche Berücksichtigung von Lehrstrukturen und didaktischen Fähigkeiten voraus, um Rotationspläne, Curriculumsentwicklung und das Dozentenengagement nachhaltig aufeinander abzustimmen. Weil den Dozierenden die Unterschiede zwischen den Lehrformaten nicht hinreichend bekannt sind, orientieren sie ihre Lehrinhalte am Studienjahr, in dem sich die Studierenden befinden. Die aktuell verfügbare Nomenklatur ist deshalb weiterzuentwickeln.

Schlüsselwörter: Innere Medizin, Curriculumsentwicklung, Modellstudiengang, Studienerfolg, Medizin


1. Einleitung

Mit der 8. Novelle der Approbationsordnung für Ärzte (ÄAppO) [1] wurde die bis dahin eher strikte Vorgabe, wie das Medizinstudium in Deutschland durchzuführen ist, um eine Modellklausel erweitert. Die Modellklausel erlaubte den Fakultäten nun vier grundlegende Abweichungen

1.
die Ärztliche Vorprüfung und der Erste Abschnitt der Ärztlichen Prüfung mussten nicht mehr abgelegt werden,
2.
das Krankenpflegepraktikum und die Famulaturen konnten zu einem anderen Zeitpunkt als im Regelstudiengang vorgeschrieben abgeleistet werden,
3.
das Praktische Jahr konnte anders gestaltet werden,
4.
und externe Krankenhäuser und ärztliche Praxen konnten in allen Ausbildungsabschnitten in den Unterricht eingebunden werden.

Mit der 9. Novelle der ÄAppO [2] wurden ab dem Wintersemester (WS) 2003/04 die Freiräume für die medizinischen Fakultäten nochmals erweitert. Neben einer ganzen Reihe von Veränderungen sind hier drei von Belang: Erstens entfielen sowohl der bisherige Erste Abschnitt als auch der Zweite Abschnitt der Ärztlichen Prüfung. Gleichzeitig erhielten die Fakultäten nun die Aufgabe hochschuleigene, benotete Prüfungen abzunehmen. Zweitens wurden zusätzliche Blockpraktika für fünf Fächer eingeführt, die zwischen einer und sechs Wochen dauern durften. Die damit verbundenen didaktischen Möglichkeiten sowie die kapazitätsrechtlichen Probleme wurden bereits anderenorts beschrieben [3]. Drittens wurde die implizite Verpflichtung bei Einrichtung eines Modellstudiengangs parallel einen Regelstudiengang fortzuführen, nicht mehr als zwingend angesehen.

Parallel zu dieser bundesweiten Entwicklung führte die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) zum WS 2001/02 erstmals eine Teilstudienordnung für den klinischen Studienabschnitt ein [4]. Ziel war es, den Studierenden mehr Rechte zu geben, aber auch einige Pflichten explizit zu nennen. Insofern kann man die Verabschiedung dieser Ordnung als den Beginn einer Professionalisierung der Lehre an der MHH ansehen. Zugleich war es aber auch die Dokumentation der Einsicht, dass es nicht mehr ausreichte, engagierte Dozierende mit wissbegierigen Studierenden auf einem Campus zusammen zu bringen.

Insbesondere die bis zum Inkrafttreten der 9. Novelle der ÄAppO geltende Regelung, dass alle Scheine in den beiden klinischen Studienabschnitten nur eine regelmäßige, aber keine erfolgreiche Teilnahme erforderten, hatte den Studierenden einerseits weitreichende Freiheiten gegeben, die an der MHH dazu führten, dass für viele Studierende das fünfte Studienjahr scheinfrei war und damit selbst gesetzte Schwerpunkte wie Promotion, Auslandsaufenthalte, der Besuch aller möglichen Electives oder freie Famulaturen möglich waren. Andererseits hatten diese Regelung aber auch zur Folge, dass viele klinische Vorlesungen vor fast leerem Auditorium stattfanden. Und der Unterricht am Krankenbett (UaK) machte wöchentliche Testate, wie sie die MHH-Studierenden aus der Vorklinik gewöhnt waren, unmöglich, was wiederum die durchschnittliche Studienzeit deutlich über die Regelstudienzeit hinausgehen ließ, weil eine externe Kontrollinstanz fehlte.

Die an der MHH in einer langen Tradition stehende Verzahnung medizinischer Grundlagen und klinisch-praktischer Ausbildung [5], [6] drohte zwischen 2002 und 2005 an kapazitätsrechtlichen Restriktionen zu scheitern [7]. Da lag es nahe, den als unzureichend erlebten, gesetzlich vorgegebenen Umfang der Ausbildung am Patienten im Regelstudiengang mittels eines Modellstudiengangs auszuweiten und ein über fünf Studienjahre verzahntes Curriculum zu entwickeln [8], [9].


2. Vom Regel- zum Modellstudiengang

Die neue Teilstudienordnung wurde insbesondere vom Zentrum Innere Medizin genutzt, um den Unterricht neu aufzustellen. So wurde die im vierten Studienjahr statt findende Hauptvorlesung mit dem Unterricht am Krankenbett zeitlich eng verzahnt und auch inhaltlich koordiniert. Für diesen zeitlichen Block aus Vorlesung, Seminar und UaK, der ganztags über mehrere Wochen unterrichtet wurde, bürgerte sich sehr schnell die Bezeichnung „Blockpraktikum" ein.

Die mit der 8. Novelle der ÄAppO verbundenen Zäsuren durch Ärztliche Vorprüfung zwischen Vorklinik und Klinik und Erstem Abschnitt der Ärztlichen Prüfung zwischen 3. und 4. Studienjahr verhinderten aber, dass man die Seminare „Anatomie am Lebenden" im ersten Studienjahr, den „Klopfkurs" im dritten Studienjahr und das „Blockpraktikum Innere Medizin" im vierten Studienjahr als didaktische Einheit wahrnahm.

Mit der 9. Novelle der ÄAppO gab der Verordnungsgeber den medizinischen Fakultäten vor, neue Unterrichtsformate wie die Seminare mit klinischem Bezug und integrierte Seminare im vorklinischen Abschnitt unter Beteiligung der klinischen Fächer durchzuführen. Für die Dozierenden der MHH klang dies wie die Aufforderung, sich an die Reformbestrebungen der Gründungsgeneration zu erinnern und diese erneut umzusetzen [6]. Dass diese Reformbemühungen in der einst für 160 Studierende pro Jahrgangskohorte geplanten MHH schon einmal am aufkommenden Kapazitätsrecht gescheitert waren, wurde verdrängt.

Im Unterschied zu den meisten anderen medizinischen Ausbildungsstätten in Deutschland folgt die MHH mit ihrer Organisationstruktur dem Integrationsmodell, also einer engen institutionellen Verzahnung von Fakultät und Klinik. Gleichzeitig ist die MHH eine der forschungsintensivsten medizinischen Einrichtungen.

Vor diesem Hintergrund hatte sich die MHH bewusst für ein modulares Programm entschieden, in dem die Fächerverantwortung weiterhin sichtbar blieb und das Besonderheiten des bisherigen Hannoverschen Curriculums unter den neuen Bedingungen erhalten sollte: Frühestmögliche, behutsame Einbindung klinischer Inhalte; zügige Vorbereitung großer Teile eines Jahrgangs auf die staatlichen Examina; weitgehende Scheinfreiheit im letzten Semester. Heraus kam dann im Jahre 2003 „HannibaL”, der Hannoversche integrierte, berufsorientierte und adaptive Lehrplan, in den ersten zwei Jahren als Regelstudiengang [10].

Die langjährige Tradition an der MHH, die vorklinischen Vorlesungen durch Vorlesungen von Klinikern mit Patientenvorstellungen zu ergänzen, wurde um die Einbindung von klinisch tätigen Ärztinnen und Ärzten in die Seminare erweitert. Dieser Aufbau der Seminare wurde sowohl den Studierenden als auch den Verwaltungsgerichten offen kommuniziert, weil er ein abgerundetes didaktisches Konzept darstellte. Die eigentlichen Veränderungen wurden aber in den Studienjahren 3 bis 5 vorgenommen. Das von den Studierenden sehr positiv aufgenommene Konzept eines geblockten klinischen Unterrichts wurde von der Inneren Medizin im 4. Studienjahr auf alle Fächer der Studienjahre 3 bis 5 übertragen. Der daraus resultierende Rotationsplan sah drei Blöcke von zehn Wochen Unterricht vor, von denen zwei Blöcke ins Wintersemester und einer ins Sommersemester fielen. Jeweils ein Drittel einer Studierendenkohorte startete dem entsprechend mit einem dieser drei Tertiale seines Studienjahres [7]. Der daraus resultierende Studienplan ab dem WS 2003/04 ist beispielhaft in Abbildung 1 [Abb. 1] wiedergegeben. Die vom Zentrum Innere Medizin verantworteten oder maßgeblich mitgestalteten Module sind dabei orange unterlegt, um die Verteilung internistischer Lehrinhalte zu visualisieren.

Obwohl damit das Curriculum Innere Medizin deutlich stringenter über die Studienjahre verteilt werden konnte und so dem wachsenden Kenntnisstand der Studierenden im Studienverlauf besser gerecht wurde, blieb mit der Zäsur durch die Ärztliche Vorprüfung ein wesentlicher Nachteil des klassischen Curriculums erhalten. Hinzu kam aber noch eine von der MHH unerwartete Entwicklung. Anders als vom Verordnungsgeber versprochen, akzeptierten die Verwaltungsgerichte nicht, dass mit den neuen Lehrveranstaltungsformen in Vorklinik und Klinik ein erhöhter Lehraufwand verbunden war, sondern sahen vielmehr in der Einbindung von Klinikern in den vorklinischen Unterricht eine Kapazitätserweiterung. Deshalb wurde die MHH verpflichtet, zusätzliche Teilstudienplätze in den ersten beiden Studienjahren einzurichten. Weil die MHH aber, wie vom Wissenschaftsrat gefordert, begonnen hatte, Betten abzubauen und damit die patientenbezogene Ausbildungskapazität drastisch sank, war schnell klar, dass die theoretische Gefahr real wurde, dass erfolgreiche Absolventinnen und Absolventen der Ärztlichen Vorprüfung mit einem Teilstudienplatz zwangsexmatrikuliert werden. Im Studienjahr 2004/05 kam dann auf drei Vollstudienplätze ein Teilstudienplatz. Bei den üblichen Bestehensquoten war damit vorhersehbar, dass mindestens für die Hälfte dieser Teilstudienplätze an der MHH kein Studienabschluss mehr garantieren konnte. Abbildung 2 [Abb. 2] stellt diese, die Ausbildungssituation an der MHH stark belastende, Entwicklung dar.

Weil die MHH die mit der Studienordnung von 2003 erreichten didaktischen Verbesserungen auf keinen Fall zurücknehmen wollte, bzw. als immer noch unzureichend ansah, wurden in Gesprächen mit dem Niedersächsischen Wissenschaftsministerium und den Niedersächsischen Sozialministerium im Winter 2004/05 die Möglichkeiten zur Einrichtung eines Modellstudiengangs Medizin ausgelotet. Der dann zum WS 2005/06 startende Modellstudiengang wies aus Sicht der Inneren Medizin eine Reihe von Veränderungen gegenüber dem Regelstudiengang auf, die die praxisorientierte Ausbildung grundlegend verbesserten [11]. Wie die in Abbildung 3 wieder orange markierten Module unter maßgeblicher Beteiligung der Inneren Medizin zeigen, begann jetzt die klinische Ausbildung in der zweiten Semesterwoche des ersten Studienjahres und setzte sich bis in das sechste Studienjahr fort. Der Wegfall eines als Zäsur angelegten Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung zugunsten einer über zwei Studienjahre statt findenden studienbegleitenden Äquivalenzprüfung trug dazu bei, dass jene Studierende, die sich mit dem akademischen Lernen anfangs schwerer taten, dies nicht zwingend mit einer Studienzeitverlängerung bezahlen mussten [12]. Vor allem konnte durch diese beiden Punkte der klinische Unterricht im vierten Studienjahr aber eine neue Qualität gewinnen. Viel mehr als der absolute Zuwachs an Unterricht mit Patientenkontakt, den es natürlich auch im Rahmen der Reform gegeben hatte, stand für das Zentrum Innere Medizin der veränderte Charakter dieses Unterrichts im Vordergrund [13]:

  • Im ersten Semester sollte den Studierenden in „Klinische Lehrvisiten" im Rahmen des Propädeutikums der patientenseitige Alltag zu den in der jeweiligen Woche vermittelten vorklinischen und klinisch-theoretischen Aspekten eines größeren Themas (Bluthochdruck, Rückenschmerz, (Brust-)Krebs, Lungenkrankheiten) vermittelt werden.
  • In der zweiten Hälfte des zweiten Jahres fand der klassische Klopfkurs als multidisziplinäre Veranstaltung, aber mit klarem internistischen Schwerpunkt statt, um die Studierenden auf die Famulaturreife vorzubereiten. Insbesondere durch eine intensive Abstimmung mit dem Modul Physiologie sollte eine klinisch-praktische Haltung gefördert werden, die die Bedeutung der medizinischen Grundlagen für die Klinik über die Prüfung am Modulende hinaus unterstreicht.
  • Im dritten Studienjahr wurde durch eine orientierende Einführung in ausgewählte häufige Krankheitsbilder im Rahmen einer interdisziplinären Vorlesungsreihe (Klinische Medizin I) das Wissen aus vorklinischer, klinisch-praktischer und klinisch-theoretischer Sicht vertieft, um so eine authentische Abbildung der späteren Arbeitsrealität für Wissensvermittlung nutzen zu können.
  • Ebenfalls im dritten Studienjahr wendeten die Studierenden in einem ersten Einsatz am Patientenbett auf den Stationen nahe gelegener akademischer Lehrkrankenhäuser die im Modul Diagnostische Methoden erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten an. Drei Wochen lang sollten sie die Anamnese und körperliche Untersuchung von realen Patientinnen und Patienten auf den Stationen der teilnehmenden Lehrkrankenhäuser unter Supervision durch die dortigen Stations- und Oberärztinnen und -ärzte üben. Wie schon im Modul Diagnostische Methoden galt dabei für alle Studierende ein einheitlicher Untersuchungsbogen, um sicherzustellen, dass alle Studierenden unabhängig davon, auf was für einer Station der Inneren Medizin sie sich befanden, das gleiche Grundgerüst an Kenntnissen und Fertigkeiten anzuwenden lernten.
  • Das Blockpraktikum Innere Medizin wurde im vierten Studienjahr mit dem zweiten Teil im Zentrum Innere Medizin der MHH fortgesetzt. Dieses bestand neben einer Vorlesungsreihe vor allem aus UaK. Der Kerngedanke war dabei, die Studierenden in 8er-Gruppen drei Dozierenden aus drei internistischen Kliniken zuzuordnen, damit sie ein möglichst breites Spektrum an Krankheitsbildern unter Anleitung diagnostizieren und zu behandeln lernten.
  • Den Abschluss bildete in diesem Studienabschnitt das Modul Differentialdiagnose und -therapie im fünften Studienjahr. Das Konzept mit zehn in sich geschlossenen leitsymptomorientierten Themenwochen in Form von Gegenstandsbezogenen Studiengruppen umzusetzen wurde schon vor der ersten Realisierung zugunsten eines verschachtelten Vorlesungsblocks verworfen, der thematisch die Module „Klinisch-pathologische Konferenz" und „Klinische Pharmakologie" einband.

Abbildung 3 [Abb. 3] gibt die Verteilung der Module über die ersten fünf Studienjahre wieder. Dabei ist zu beachten, dass die drei Tertiale in den Studienjahren 1 und 2 in der gezeigten Reihenfolge unterrichtet werden, während die Tertiale der Studienjahre 3 bis 5 jeweils umeinander rotieren [7].

Insgesamt schloss das Curriculum Innere Medizin natürlich mit dem Pflichttertial Innere Medizin im Praktischen Jahr ab. Darauf soll hier aber nicht weiter eingegangen werden, zumal die Entwicklung von Logbüchern, in denen die Ausbildungsinhalte explizit gemacht werden, für die MHH einen späteren, bundesweiten Ansatz darstellte.


3. Weiterentwicklung der Reform

Der Modellstudiengang „HannibaL" hatte sich vorgenommen, erkannte Schwachstellen so schnell wie möglich, auch unter Berücksichtigung der kontinuierlich eingeholten studentischen Evaluation, durch Modifikationen des Studienplans insgesamt oder auch einzelner Module zu beheben [9], [14]. Es war also nur folgerichtig, wenn die Studienordnungen nach der Startphase des Modellstudiengangs seit 2009 jährlich kleine Modifikationen erfahren haben. Die folgenden Absätze beschreiben den aktuellen Stand der Entwicklung:

  • Der ursprünglich vierwöchige Block des Propädeutikums wurde in einen zweiwöchigen und zwei einwöchige Blöcke jeweils zu Beginn eines Tertials des ersten Studienjahres umgewandelt. Am Prinzip, dass jede Woche mit einer Teilprüfung abgeschlossen wird, hat sich nichts geändert. Durch die stärkere Verteilung über das Studienjahr konnten die jeweiligen Inhalte besser an den Fortschritt der Studierenden bei der Präparation der Leiche im Modul Anatomische Grundlagen angepasst werden. Die klinischen Lehrvisiten wurden weitgehend unverändert beibehalten.
  • Im Modul Diagnostische Methoden konzentrierte sich die Weiterentwicklung darauf, alle 55 Unterrichtsgruppen vergleichbar auszubilden und auf die Prüfung vorzubereiten. Hierzu zählte die Erstellung von Leitfäden inkl. Lernzielen für die Kurstage, Dozentenschulungen, die Erstellung interdisziplinär konzertierter Lehrvideos [15]. In seiner Funktion als Kurs zum Erreichen der Famulaturreife wurden radiologische Basisfertigkeiten im Sinne der Interpretation von Röntgen-Thoraces integriert. Der das Modul abschließende OSCE, zu dessen übergeordneten Lernzielen die technisch korrekte körperliche Untersuchung sowie die empathische ärztliche Gesprächsführung im klinischen Kontext zählen, wurde umfassend weiterentwickelt
  • Im Modul Klinische Medizin I musste einerseits die inhaltliche Abstimmung der einzelnen Vorlesungsstunden erneuert werden, weil sich im Laufe der Jahre deutliche Abweichungen vom ursprünglichen Konzept einschlichen [16]. Außerdem wurde hier besonderer Wert auf die Adaptivität des Modulinhalts mit dem im Studienverlauf erworbenen Vorwissen gelegt [17].
  • Der erste Teil des Blockpraktikums Innere Medizin konnte initial an allen akademischen Lehrkrankenhäusern der MHH durchgeführt werden. Aufgrund der mittelmäßigen Evaluationsergebnisse wurde es mittlerweile auf eine geringe Anzahl räumlich nahe gelegener Häuser verringert. Die seinerzeit curricular verankerte Studienleistung, die die Abgabe von 15 ausgefüllten Anamnese- und Untersuchungsbögen vorsah, wurde durch eine strukturierte mündliche Patientenvorstellung mit anschließendem Feedback ersetzt.
  • Im zweiten Teil des Moduls im vierten Studienjahr wurde der UaK durch Blockpraktika ersetzt. Ziel war es, jedem Studierenden die Möglichkeit zu bieten, selbstständig zu untersuchen sowie die Betreuung der Blockpraktikanten besser in den klinischen Alltag der Dozierenden zu integrieren. Um die hierfür erforderliche Anzahl an Patienten bereitzustellen, wurden auch deutlich mehr Ambulanzen für den Unterricht herangezogen. In diesem Rahmen erfolgten Dozentenschulungen. Zur praxisorientierten Vertiefung von Schwerpunktthemen (z. B. Notfallsonografie) wurde Raum für ein Seminar geschaffen. Eine nicht standardisierte mündliche Prüfung wurde mittlerweile abgeschafft. Die einhellig gewünschte Einführung eines praktischen Prüfungsformates scheiterte an der dafür notwendigen Bereitstellung der Personalressourcen. Ein alternatives Format wird erarbeitet.
  • Im Modul Klinische Medizin II erfolgte analog zum Modul Klinische Medizin I eine Rückbesinnung auf die ursprüngliche Zielsetzung. Dazu wurden alle Dozierenden darauf eingeschworen, stärker die differentialdiagnostische Annäherung an die vorgegebenen Leitsymptome zu beachten und vermehrt fallbasiert und interaktiv statt frontal im Vorlesungsformat zu unterrichten.

Die in Abbildung 4 [Abb. 4] dargestellte aktuelle Verteilung der Module über die fünf Studienjahre skizziert diese Änderungen im Studienverlauf. Insgesamt konnte so im Laufe der Jahre die Lehre in den verschiedenen Studienjahren besser über das Kalenderjahr verteilt werden.

Das Logbuch Innere Medizin der MHH orientiert sich sehr stark am Musterlogbuch Innere Medizin des MFT. Eine explizite Verzahnung mit den Curricula der internistischen Module in den ersten fünf Studienjahren steht für dieses Logbuch aber noch aus.


4. Diskussion

HannibaL wurde pragmatisch aus dem bestehenden Lehrkonzepten heraus entwickelt. Die Entwicklung folgte keinem theoretischen Überbau und bekannte sich bewusst zu widerstreitenden Prinzipien [8], [9]. Auch in den Modulen der Inneren Medizin wurden neue Unterrichtsformate, sich verändernde inhaltliche Gewichtungen und die Ausbildung der Lehrenden parallel vorangetrieben. Die damit verbundenen Probleme waren zwar prinzipiell bekannt, aber im Einzelfall nur teilweise vorhersehbar. So fällt in Diskussionen mit den vielen Lehrenden auf, dass die existierenden Definitionen für die verschiedenen Unterrichtsformate [18] praktisch unbekannt sind. Offensichtlich bestimmt primär das Studienjahr und nicht das offizielle Unterrichtsformat den von den (ärztlichen) Dozierenden vermittelten Inhalt: Im ersten Jahr geht es viel um professionelle Haltung und den Umgang mit Patientinnen und Patienten, in zweiten Jahr um die Basisfertigkeiten Anamnese und körperliche Untersuchung, im vierten Jahr dann um Differenzialdiagnose und klinische Entscheidungsfindung. Vor diesem Alltag muss man die umfassende Gegenüberstellung von Stärken, Schwächen und Entwicklungsmöglichkeiten des Studiengangs sehen, die von Paulmann, Fischer & Just [7] vorgenommen wurde. Deshalb sollen hier abschließend Einzelaspekte hervorgehoben werden, die vielleicht in späteren Arbeiten vertieft behandelt werden können. Denn aus der Sicht von Lehrenden [19] und Studierenden [20] hat sich dieser Ansatz bewährt, auch wenn es nach wie vor Bedarf für Modifikationen gibt.

So bedeutet die fächerorientierte Modularisierung der Lehre nicht nur eine Konzentration der Studierenden während dieser Zeit auf ein Fach und die intensive Beschäftigung damit, sondern sie behindert gleichzeitig sowohl bei den Lehrenden als auch bei den Studierenden die Wahrnehmung der wechselseitigen Verzahnung der medizinischen Disziplinen und anderer Fächer, weil die Optimierung des jeweils aktuellen Moduls prioritär bleibt. Die in den Studiengang integrierten interdisziplinären Module entstanden meist auf Anregung aus dem Zentrum Innere Medizin. Entgegen der Erwartungen beim Start des Ausbildungskonzeptes haben weder die interdisziplinären Angebote innerhalb einzelner Module deutlich zugenommen, noch konnte die Verzahnung zwischen den Modulen im Sinne einer Lernspirale so vorangetrieben werden, wie es intendiert war. Nicht einmal für die hier dargestellten Module, für die das Zentrum Innere Medizin die Federführung inne hat, oder zumindest wesentlich an der Gestaltung beteiligt ist, kann man diesen Prozess als abgeschlossen ansehen. Immerhin werden die beschriebenen Module inzwischen nicht nur von den Lehrenden als aufeinander aufbauend wahrgenommen, sondern auch von den Studierenden, die über viele Jahre hinweg die Innere Medizin nur mit dem Modul im 4. Studienjahr gleichsetzten.

Auf Seite der Lehrenden liegt ein Grund dafür in der immer noch nicht vollständig gelungenen Vereinbarkeit von Lehre, Forschung und Klinik in den Karrierewegen der einzelnen Lehrenden. Dies verwundert zwar nicht, wenn es selbst in rein theoretischen Fächern schwierig ist, die Erfordernisse von guter Lehre und Forschung in einer Berufstätigkeit im Gleichgewicht zu halten. Das Streben nach Exzellenz und die Forderung nach Wirtschaftlichkeit erhöhen den Komplexitätsgrad zusätzlich. Auf Seite der Studierenden hat sich hier vielleicht mit der über die Module der ersten beiden Studienjahre verteilten Äquivalenzprüfung, die jeweils separat bestanden sein müssen, ein zu wenig auf das Ganze gerichteter Blickwinkel ergeben. Ähnlich wie die Aufgabenfülle bei den Lehrenden behindert aber definitiv die Stofffülle bei den Studierenden eine bewusste strategische Planung und individuelle Schwerpunktbildung zu Beginn des Studiums.

Aber einerseits handelt es sich bei diesen wünschenswerten Modifikationen um ein „Jammern auf hohem Niveau". Der Übergang vom Regel- zum Modellstudiengang verlief, nicht zuletzt aufgrund des großen Engagements der Lehrenden, ohne revolutionäre Brüche, sondern als „Wandel durch Annäherung“, was es im Nachhinein nicht nur den aktuellen Studierenden erschwert zu erkennen, was modellstudiengangsinhärente Änderungen, was standortspezifische Aspekte und was gesetzliche Vorgaben für alle medizinischen Studiengänge sind. Andererseits ist es weder für die Lehrenden noch für die Studierenden im Alltag erkennbar, dass sich die durchschnittliche Studienzeit, die in Hannover traditionell sehr gut war [21], nach wie vor auf einen überdurchschnittlichen Niveau bewegt und durch die fehlende Zäsur durch den Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung im Modellstudiengang HannibaL zumindest für Studierende der Wartezeitgruppe ein definitiver Zeitgewinn gegenüber Regelstudiengängen, aber auch Modellstudiengängen mit dieser Zäsur beobachtbar ist [12]. Deshalb kann man für die Umsetzung des Masterplans 2020 nur hoffen, dass dessen Umsetzung auch modellhafte Erprobungen alternativer Konzepte erlauben wird.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

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