gms | German Medical Science

GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Implementierung eines online Peer-Feedbacks zur studentischen Selbstreflexion – Beitrag zur Entwicklung einer Feedbackkultur an einer medizinischen Fakultät

Artikel Feedback

  • corresponding author Bianca Raski - Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Düsseldorf, Deutschland
  • author Alexander Eissner - Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Düsseldorf, Deutschland
  • author Elisabeth Gummersbach - Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Institut für Allgemeinmedizin, Düsseldorf, Deutschland
  • author Stefan Wilm - Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Institut für Allgemeinmedizin, Düsseldorf, Deutschland
  • author Linn Hempel - Heinrich Heine Universität Düsseldorf, Düsseldorf, Deutschland
  • author Melina Dederichs - Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Düsseldorf, Deutschland
  • author Thomas Rotthoff - Universität Augsburg, Medizinische Fakultät, Lehrstuhl für Medizindidaktik und Ausbildungsforschung, Augsburg, Deutschland

GMS J Med Educ 2019;36(4):Doc42

doi: 10.3205/zma001250, urn:nbn:de:0183-zma0012505

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2019-36/zma001250.shtml

Eingereicht: 22. Oktober 2018
Überarbeitet: 29. März 2019
Angenommen: 28. Mai 2019
Veröffentlicht: 15. August 2019

© 2019 Raski et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Das Erlernen und Anwenden von fachlichen, aber auch persönlichen Kompetenzen geht mit der Formung und Festigung von Einstellungen und Werten einher und wird durch die, in der spezifischen Lernumgebung gelebten, Normen und Stimmungen (Vertrauens- und Feedbackkultur) beeinflusst [1]. Insbesondere Feedback und auch Peer-Feedback können hier einen positiven Einfluss auf den Lernfortschritt und die persönliche Entwicklung von Studierenden haben [2], [3], [4]. Der Förderung einer Lehr- und letztlich Vertrauens- bzw. Feedbackkultur kommt dabei eine besondere Rolle zu [5]. Ziel war es deshalb, Feedback strukturiert in das Curriculum eines Modellstudiengangs zu integrieren, um darüber eine Feedbackkultur zu entwickeln, in der Studierende sich mit Hilfe von regelmäßigem und konstruktivem Feedback persönlich wie auch fachlich weiterentwickeln können.

Methodik: Nach einer initialen Pilotphase 2009 wurde (Peer-) Feedback zunächst anhand von Checklisten, später durch einen Online-Fragebogen und direkte Gesprächssituationen sukzessive in das Curriculum an der Medizinischen Fakultät integriert und die Aktivitäten regelmäßig auf Basis studentischer Evaluationen mittels der Evaluationssoftware EvaSys sowie halbstandardisierter, leitfragengestützter Interviews mit sechs Studierenden in 2009 und jeweils 13 Studierenden in 2012 und 2013 analysiert.

Ergebnisse: Studierende nahmen die Vertrauens- bzw. Feedbackkultur am Standort zunächst noch verbesserungswürdig wahr. Es zeigten sich Unsicherheiten mit Blick auf die Verwendung von konstruktivem Feedback und dem Geben von Kritik, aber auch Misstrauen mit Bezug zur Äußerung persönlicher Wahrnehmungen gegenüber Fakultätsmitarbeitern. Die Steigerung der Akzeptanz der Angebote im Verlauf ihrer Etablierung konnte u.a. über eine Verbesserung der studentischen Evaluation und eine Erhöhung der Teilnehmerzahlen an den freiwilligen Angeboten dokumentiert werden. In qualitativen Daten zeigte sich unter den Studierenden eine positivere Wahrnehmung bzw. Bewertung des standorteigenen Feedbackkonzepts sowie Hinweise auf Verbesserungen der Vertrauenskultur am Standort. Der Anteil konstruktiver Freitextkommentare stieg signifikant um 11% auf 99,4% im Vergleich zum Vorjahr (t(3)=-3,79, p=0,04). So konnte im Sinne der Zielsetzung schon eine Steigerung von Feedbackaktivitäten sowie deren Qualität an der Fakultät erreicht werden.

Schlussfolgerung: Feedback, dessen Akzeptanz sowie die Qualität können in einer Fakultät positiv beeinflusst werden. Dabei sollen Veränderungsmaßnahmen immer wieder im Diskurs mit den Anwendern auf Praktikabilität geprüft werden, um Umsetzungsschwierigkeiten und Hemmnisse direkt wahrzunehmen und im Sinne der Anwender zu beeinflussen. Dies kann die Entwicklung einer Vertrauens- bzw. Feedbackkultur beeinflussen und sollte langfristig die persönliche und fachliche Entwicklung Studierender fördern.

Schlüsselwörter: Feedback, Feedbackkultur, Vertrauenskultur, Kompetenzentwicklung, Peer-Feedback, Curriculumsentwicklung, Veränderungsmaßnahmen


1. Einleitung

Kompetenzerwerb geht einher mit Formung und Festigung von Einstellungen und Werten [1]. Im Leitbild Lehre der Medizinischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf [6] wird unter Berücksichtigung des Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalogs Medizin (NKLM 2015, [http://www.nklm.de) als Ziel der Ausbildung die Förderung der Studierenden nicht nur auf fachlicher, sondern auch auf persönlicher Ebene formuliert [7]. Informationen im Rahmen eines Feedbacks zum eigenen Auftreten, der Wirkung auf andere und den eigenen Fertigkeiten können helfen, eigene personale und soziale Kompetenzen Studierender, wie z.B. Selbstreflexion, Empathie, Ambiguitätstoleranz und Kritikfähigkeit, weiterzuentwickeln, die einen wichtigen Bestandteil der professionellen Identität von Medizinern ausmachen [8]. Informationen bzw. Kritik in konstruktiver Form, wie z.B. ein Feedback, sind hierbei wesentlich für die Verbesserung von Kompetenzen [9], weshalb Feedback als formatives Prüfungselement international wichtiger Bestandteil in den kompetenzorientierten Rahmenkonzepten für die Ärztliche Aus-, Weiter- und Fortbildung ist [10]. Feedback wird dabei als zentrales Element bei der Entwicklung von Höchstleistungen betrachtet [11]. Basis dieses Berichts ist hierbei eine Definition von Feedback in Anlehnung an Hattie und Timperley, welche Feedback als Information eines Vermittlers (z. B. Peer) in Bezug auf Aspekte der Leistung oder des Verständnisses eines Feedbacknehmers zu einem konkret gezeigten Verhalten benennen [5]. Die Aufnahme von direktem Feedback in Rahmenkonzepte, Curricula und Verordnungen bedeutet aber noch nicht automatisch dessen Durchführung und gelingende Umsetzung in dem Sinne, dass Feedback konstruktiv gegeben oder angenommen wird und zu einer Verhaltensänderung führt. Archer weist darauf hin, dass effektives Feedback im Rahmen der medizinischen Ausbildung nicht allein über eine vorgeschriebene Anzahl von durchlaufenen Feedbacksituationen gelingt, sondern von den beteiligten Personen verinnerlicht und im Sinne einer Feedbackkultur gelebt werden muss [12]. Einer „offenen und konstruktiven Feedbackkultur“ kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu und um wirkungsvoll zu sein, muss Feedback in einen Lehr- und Lernkontext gesetzt werden [11], [13]. Den größten Nutzen für Studierende kann direktes, persönliches Feedback nach Meinung der Experten dabei erst im Rahmen einer etablierten Feedbackkultur entwickeln [13]. Im Idealfall geht eine hohe Feedbackqualität sowohl mit der Unterstützung in der Feedbacknutzung (z.B. durch Schulungen und Hospitationen) als auch mit der Notwendigkeit einher, dass Feedback in der Organisation spürbar sein muss [14]. Es bedarf hierfür einer wechselseitig wertschätzenden gemeinsamen Basis, welche die Annahme und das Geben von Rückmeldungen gewinnbringend für jedes Individuum mit all seinen verschiedenen Voraussetzungen in dieser Kultur trägt.

Entsprechend der Literatur sind hierfür neben einem vertrauenswürdigen Verhältnis zwischen Feedbackgeber und -nehmer [15], eben auch die Lernumgebung (d.h. das Lehr-/Lernklima) entscheidend, in der das Feedback stattfindet [16]. Lernen findet immer in einer spezifischen Umgebung statt und wird durch die dort gelebten Werte, Stimmungen und Umgangsformen beeinflusst [1], [11]. Diese gelebten Werte und Umgangsformen erscheinen besonders für formative, prozessorientierte Prüfungen von Bedeutung, über die der individuelle Lernprozess und Kompetenzerwerb der Studierenden konstruktiv gefördert werden soll.

Eine stabile Feedbackkultur impliziert eine konsensfähige Wertehaltung gegenüber Kritik, Dissonanz, Lernen und Veränderung [17], die jedem Mitglied der Fakultät erst erlebbar gemacht werden muss, um weitergeführt zu werden.

Die akademische Gemeinschaft kennt die Probleme in Bezug auf Bewertung und Feedback in der Hochschulbildung nur zu gut [18]. Metaanalysen zeigen, dass die Studierenden die Anforderungskriterien von Feedback häufig nicht verstehen, sich nicht auf Feedback einlassen und mit Feedbacksystemen und -prozessen oft unzufrieden sind. Zudem gibt es wenig Forschung darüber, wie postulierte Modelle zum Umgang mit Feedback praktisch umgesetzt werden können [18]. So soll am Standort die Entwicklung hin zu einer verbesserten Vertrauenskultur als lebenslanger Prozess unter kontinuierlicher Veränderung betrachtet werden. Eine Untersuchung von Schaufeli et al. legt nahe, dass eine ganzheitlichere, sozial eingebettete Konzeptualisierung von Feedback und Engagement erforderlich ist. Diese Konzeptualisierung soll darin ermutigen, Studierende auf produktivere Weise zu unterstützen. Dies meint eine Möglichkeit zu bieten, Feedback zu nutzen, um Lernen zu entwickeln, anstatt mechanistisch auf Unterweisungen zu reagieren [19].

Feedback in Form einer für die Studierenden befriedigenden und kontinuierlichen Rückmeldung zu eigenen Stärken und Schwächen fand in der Wahrnehmung der Studierenden vor Implementierung des Düsseldorfer Modellstudiengangs im Jahr 2013 jedoch noch zu wenig statt [20], [21]. Auch die teils fehlende, teils unkonkrete Formulierung von Verbesserungsvorschlägen wurde bemängelt [20], [21]. Studierende wie auch Lehrende bewerteten in entsprechenden Untersuchungen zum Lernklima die am Standort existente Vertrauenskultur als verbesserungsbedürftig [20], [21]. Ziel einer initiativen Projektgruppe „Feedback“ war es deshalb, Feedback strukturiert und gewinnbringend in das kompetenzorientierte Düsseldorfer Curriculum Medizin (Modellstudiengang, siehe Abbildung 1 [Abb. 1]) zu integrieren. Dabei kann Feedback bei der Vermittlung folgender übergeordneter Lernziele des Düsseldorfer Curriculums unterstützen:

Die Studierenden:

  • … bringen sich konstruktiv in Teams ein, nehmen unterschiedliche Standpunkte der Teammitglieder wahr und reflektieren die eigene Rolle (Kommunikative Kompetenz)
  • … erfassen Störungen in der Kommunikation und gehen konstruktiv damit um (Kommunikative Kompetenz)
  • … erfassen Divergenzen zwischen eigenen Werten und Interessen und denen der Patienten und ihrer Angehörigen und berücksichtigen diese angemessen (Kommunikative Kompetenz)
  • … benennen und schätzen eigenes Potential im Hinblick auf das Team ein und berücksichtigen die Wirkung der eigenen Person auf andere (Selbstkompetenz)

Dieser Bericht befasst sich mit der Implementierung eines anonymen Peer-Feedbacks mit dessen Hilfe Studierende zur Reflexion angeregt und in ihrer persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung unterstützt werden sollen. Die Effektivität von Feedback zwischen Studierenden (Peer-Feedback) ist wissenschaftlich gut belegt [12]. Da wie bereits erwähnt am Standort Feedbackkultur bisher als gering ausgeprägt galt [20], [21] wird eine gemeinsame, durch Wertschätzung gekennzeichnete Basis als erstrebenswert betrachtet, um Selbst- und Fremdeinschätzungen implizit und explizit eingebettet im Sinne einer Förderung studentischer Fertigkeiten nutzen zu können. Das Peer-Feedback wird als Instrument für die Entwicklung übergeordneter Kompetenzen der Studierenden genutzt und interessierte Studierende nehmen an diesem Projekt freiwillig teil. Grundidee des fragebogengestützten Peer-Feedbacks ist, dass Studierende sich untereinander zu spezifischen beobachtbaren Verhaltensweisen oder Themen wechselseitig eine anonyme Rückmeldung geben.Das anonyme Peer-Verfahren wurde gewählt, um die Akzeptanz Studierender zu erhöhen und den Zugang zum Thema Feedback zu erleichtern.


2. Durchführung und Methoden

2.1. Pilotphase

Zur Unterstützung der Entwicklung einer Feedbackkultur an der Medizinischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf wurde bereits im Jahr 2009 ein Pilotprojekt gestartet, bei dem Lehrende den Studierenden im Praktischen Jahr Feedback zu Handlungen im klinischen Alltag anhand von Checklisten in Kombination mit Freitextkommentaren geben sollten.

Um die Hemmnisse bei Lehrenden sowie Studierenden im multidimensionalen Kommunikationsprozess beim Feedbackgeben und -nehmen zu verstehen, wurde von externen Bildungsforschern eine wissenschaftliche Begleitevaluation mit halbstandardisierten, leitfadengestützten Interviews (Dauer von 50 Minuten bis 2,5 Stunden) mit offenen Fragen zu erlebten Durchführungshemmnissen mit fünf Ärzten und sechs PJ-Studierenden im praktischen Jahr durchgeführt [22]. Die Interviews wurden nach Audioaufzeichnung verbatim transkribiert und gemäß qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring [23] mit Hilfe der Software MaxQDA Version 10 analysiert. Da sich in der Begleitforschung Hemmnisse in der Gabe von direktem und konstruktiven Feedback andeuteten (s.u.) [22], sollte mit einem zunächst anonymen, onlinebasierten Peer-Feedback die Möglichkeit geboten werden, Feedback in einem geschützteren Rahmen und ohne den Druck der zügigen Verbalisierung zu formulieren und den erlebten Überwachungs- bzw. Prüfungscharakter zu mildern. Somit sollte die Feedbackkultur zunächst wesentlich über die Zielgruppe der Studierenden entwickelt werden. Ab dem Sommersemester 2012 wurde für Studierende ein „Peer to Peer“ Feedback implementiert, welches den Studierenden einen niederschwelligeren Zugang zum Thema ermöglichen sollte. Ein anonymes Peer-Feedback wurde gewählt, um eine möglichst ehrliche Einschätzung der Kommilitoninnen und Kommilitonen zu ermöglichen und darüber eine Selbstreflexion anzuregen. In direkten Feedbackgesprächen wollen die Studierenden ihre Beziehungen untereinander durch Negativbeurteilungen häufig nicht belasten und geben teilweise kein ehrliches Feedback [2]. Feedbackgebern, die mit einem Feedback möglicherweise verbundene Konflikte vermeiden möchten, wird ein Bedürfnis nach Anonymität beim Feedbackgeben zugeschrieben, da sie im Zweifel ihr Feedback eher zurückhalten würden [24]. Die Akzeptanz für das Feedback beim Feedbackempfänger ist ein zweites wichtiges Ziel, damit relevantes Feedback nicht am emotionalen Widerstand des Empfängers scheitert. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Peer-Feedback anonym und direkt einen positiven Einfluss auf den Lernfortschritt von Studierenden haben kann, da es eher angenommen wird [2], [3], [4]. Gerade in einer noch nicht stabilen Vertrauenskultur erschien anonymes Feedback daher zunächst besser geeignet. Dieses Vorgehen wurde gewählt damit die Studierenden Erfahrungen mit Rückmeldungen machen, die Verbesserungsmöglichkeiten aufzeigen und nicht aus Angst vor der Äußerung negativer Kritik geschönt werden. Die Entwicklung einer Vertrauens- und Feedbackkultur bedarf der Förderung von Lern- und Veränderungsfähigkeiten einer Organisation. Mit dem Peer-Feedback sollten die Studierenden zu einer offenen und konstruktiven Auseinandersetzung befähigt werden [25]. Um durch vermehrte Übung im Feedbackgeben und -nehmen eine entsprechende wertschätzende Kultur zu etablieren und Hemmschwellen zu reduzieren, wurde das Peer-Feedback projektbezogen in den vergangenen Semestern sukzessive im Curriculum eingesetzt. Mit den Teilnehmern des Peer-Feedbacks aber auch Personen, die das Angebot bewusst abgelehnt haben, wurden im Sommersemester 2014 auf Basis eines positiven Ethikvotums in halbstandardisierten, leitfragengestützten Interviews mit offenen Fragen konkrete Überlegungen zur Verbesserung des Angebots erarbeitet. Als Ergebnis der aufgezeichneten Gespräche konnten nach Transkription und qualitativer Inhaltsanalyse mittels der Software MaxQDA Version 10 [2] neue Ansatzpunkte zur besseren Information und Verankerung des Projekts gesammelt werden.

2.2. Durchführung des Peer-Feedback

Im Peer-Feedback wird ein eigens entwickelter Fragenbogen basierend auf dem Toolkit for a Lifelong Learning der Indiana University, USA [26] verwendet. Dieser Fragebogen beinhaltet Items zu beobachtbaren Verhaltensweisen der Peers hinsichtlich ihres Handelns im studentischen und auch ärztlichen Arbeitsumfeld (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). Seit Beginn des Modellstudiengangs (Wintersemester 2013/2014) wurden die Studierenden mit Hilfe von curricular verankerten Lehreinheiten auf das Feedbackgeben vorbereitet. In der Medizinischen Psychologie führen Studierende zu Studienbeginn z.B. simulierte Arzt-Patienten-Gespräche mit Schauspielpatienten durch und werden dadurch im Geben und Annehmen von Feedback mit Feedbackregeln und deren konkreten Auswirkungen trainiert. Zunächst wurde Feedback noch anhand der Sandwich-Methode vermittelt. Eine mögliche Verwässerung der eigentlichen Botschaft, aber auch die Tatsache, dass ein Verpacken negativer Kritik zwischen von Studierenden oft künstlich empfundenem Lob, auf Widerstand stieß, ließen das Projektteam Abstand von der Sandwich-Methode nehmen. Mittlerweile werden in einer eigens ins Leben gerufenen Arbeitsgemeinschaft entwickelte standorteigene Feedbackregeln verwendet, die einen erfahrungsbezogenen Konsens der Mitglieder im Umgang mit Feedback darstellen und auf der einschlägigen Literatur in diesem Bereich basieren [9], [10], [5], [12]:

  • Stellen Sie die Rahmenbedingungen für die Feedbacksituation her.
  • Benennen Sie Beobachtungen konkret, ohne diese zu bewerten.
  • Schildern Sie Ihre subjektive Wahrnehmung der Beobachtung.
  • Zeigen Sie potentielle Konsequenzen der beobachteten Performanz auf.
  • Geben Sie auf die konkrete Beobachtung bezogene Verbesserungsvorschläge.
  • Zeigen Sie den Benefit Ihrer Verbesserungsvorschläge auf.

Das Peer-Feedback wurde erstmalig im Sommersemester 2011 auf freiwilliger Basis angeboten und nachfolgend ausgebaut. Die individuellen Einschätzungen zu jedem einzelnen Kommilitonen werden von den Studierenden, die in 15er-Kleingruppen ein Semester lang miteinander arbeiten, auf einer fünfstufigen Likertskala („trifft völlig zu“ (5) bis „trifft gar nicht zu“ (1)) mit Hilfe der online Evaluationssoftware EvaSys® dokumentiert. So schätzt jeder Studierende seine Gruppenmitglieder individuell anhand des Fragebogens ein und erhält im Idealfall auch von jedem Gruppenmitglied eine solche Einschätzung. Zusätzlich können und sollen zu jedem Item konstruktive Freitextkommentare gegeben werden. Durch zwei unabhängige Rater werden die zu ihren Kommilitonen abgegebenen Freitextkommentare der Studierenden nach zuvor abgestimmten Beurteilungskriterien (Konstruktivität, Ernsthaftigkeit, Diskreditierung) analysiert. Der Fremdeinschätzung geht eine Selbsteinschätzung jedes Teilnehmers unter Verwendung derselben Items voraus, welche dann der Fremdeinschätzung gegenübergestellt werden kann (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]). Der zeitliche Aufwand für die individuelle Bewertung der Peers innerhalb der jeweiligen Gruppe beträgt für jeden Studierenden etwa zwei bis drei Stunden im Semester. Die Studierenden erhalten abschließend kumuliert und gemittelt die Bewertungen der Mitstudierenden. Neben dem Geschlecht des Feedbackgebers und die durch die Feedbackgeber eingeschätzte Beziehungsintensität zum Feedbacknehmer werden die Ergebnisse für jedes Item graphisch als Histogramm und deskriptiv aufgeführt. Darüber hinaus wird zum direkten Vergleich von Selbst- und Fremdeinschätzung eine Ergebnisprofillinie über die Items beider Fragebögen erstellt (siehe Abbildung 4 [Abb. 4]). Zuletzt werden die Freitextkommentare aufgelistet. Die Studierenden haben bei Bedarf außerdem die Möglichkeit, die Ergebnisse in einem persönlichen Beratungsgespräch mit der Projektleitung zu besprechen und über ihre Erfahrungen in einem Reflexionsbericht (E-Learning-Einheit) zu referieren.

Im weiteren Verlauf wurde das Peer-Feedback ab dem Wintersemester 13/14 auch für Studierende des 1. Semesters im Modellstudiengang (321 von 400 nahmen teil) und zusätzlich für Studierende des 3. Semesters im Modellstudiengang (216 von 400 Studierende nahmen teil) angeboten. Seit dem Sommersemester 2016 ist es zusätzlich Studierenden im 5., 9. und 10. Fachsemester (jeweils 180 Studierende) möglich am Peer-Feedback teilzunehmen.


3. Ergebnisse

3.1. Pilotphase
Allgemeine Rückmeldungen

Es konnten u.a. Hemmungen bei der Äußerung negativer Kritik aufgedeckt werden. Als Grund hierfür wuren Unsicherheiten bei der Beurteilung angegeben, da kein allgemeiner Bewertungsmaßstab für die einzelnen Kategorien zur Verfügung stand [22]. Bei gleichzeitigem Wunsch nach vermehrter Eigenverantwortung im Lernprozess wurde die Übernahme von Verantwortung im Alltag, z.B. im Umgang mit Patientin oder beim Geben von Feedback von Studierenden oft auch als Überforderung angesehen:

„Ich hab mich sehr drüber geärgert, dass uns damit [gemeint ist das Einholen von Feedback] wieder die Verantwortung in die Hand gelegt wird. Wir müssen uns drum kümmern.“ (Interview 1)

Oft wurden auch Unsicherheiten bei der Formulierung von konstruktiven Rückmeldungen im persönlichen Kontakt und auch Zeitmangel der Lehrenden von den Studierenden benannt:

„Was sich jetzt bei diesen Feedback-Geschichten gezeigt hat: Die meisten von den Beurteilenden wollen einem selber nicht zu nahetreten. […] Das ist generell so eine Tendenz bei den meisten, dass sie sagen ‚Wir wollen Sie ja jetzt nicht fertigmachen.’ Also, dass die das fast zu gut ausfüllen.“ (Interview 1)
Profitieren konnte ich „auf jeden Fall von denen, die auch was dazu gesagt haben. Indem sie z.B. sagen ‚Das war schon gut, hier geb’ ich dir sieben Punkte. Du kannst dich aber auch nach oben hin noch verbessern, indem du nächstes Mal darauf achtest [,dass du…]. ’ Das ist ja dann eine konstruktive Kritik, mit der man auch was anfangen kann. Und nicht zu sagen: ‚Ja das war gut, hier geb’ ich dir neun Punkte. ’ Und sonst nichts dazu.“ (Interview 5)

Als eher problematisch wurde von Seiten der Studierenden die Wahrnehmung der Feedbacksituation als Prüfungssituation bewertet:

„Es ist halt nur […], dass [das Feedback] schon von Seiten der Studierenden […] eine Anspannungssituation bedeutet. Weil es schon offensichtlich als Prüfungs- und Benotungsverfahren empfunden wird.“ (Interview 1)
„Für den Studenten hat das ein bisschen einen Charakter wie eine Prüfungssituation.“ (Interview 2)
3.2. Peer-Feedback
Allgemeine Rückmeldungen

Auch die Durchführung des anonymen Peer-Feedbacks wurde von den Studierenden zunächst mit Skepsis und Zurückhaltung aufgenommen. Die bereits beschriebenen Unsicherheiten der PJ Studierenden (u.a. Hemmungen negative Kritik zu äußern, Unsicherheiten über Bewertungsmaßstäbe, Unklarheit über erlernte Feedbackregeln) wurden auch in leitfadengestützten Fokusgruppeninterviews zum Einsatz von Peer-Feedback von den Studierenden genannt. Die Teilnehmer führten demnach auch die Unsicherheiten im Umgang mit Peer-Feedback u.a. auf eine bis dahin nicht existente Vertrauenskultur am Standort zurück. Einzelne Studierende äußerten in der Evaluation zum Feedback (Sommersemester 2013) die Befürchtung vor versteckten Bewertungssituationen oder Aushorchversuchen seitens des Studiendekanats:

„Ich hatte das Gefühl, dass manche diese Gelegenheit dazu nutzen, Meinungen loszuwerden, die sie sonst nicht äußern. Ich finde es unprofessionell das Privatleben anderer in die Einschätzung der Mitarbeit im Unterricht miteinzubeziehen und das dann auch noch dem Dekanat offen zu legen. Man sollte sicherheitshalber nur das eintragen was man von einer Person mitbekommen hat, überraschenderweise liest man aber Sachen, von denen man nicht glauben kann, dass sie erwähnt werden!“ (Rückmeldung 12)
Freitextkommentare

Die im Peer-Feedback nutzbaren Freitextkommentare zeigten sich zu Anfang noch wenig konstruktiv und zum Teil als Ventil, um weniger konstruktive und teilweise auch verletzende Rückmeldungen im Schutz der Anonymität zu geben. Dies führte zu weiteren Hemmnissen bei Studierenden und minimierte die Teilnehmerzahlen, woraufhin in Rücksprache mit den Studierendenvertretern deren Wunsch nach Durchsicht der Kommentare vor dem Versand umgesetzt wurde. Daraufhin wurden die Freitextkommentare von der Projektleitung gesichtet und bei Bedarf von der Projektkoordination konstruktiv überarbeitet bzw. gelöscht. Hier ein Beispiel für eine Überarbeitung:

Vorher: „Des Weiteren ist deine Art Patienten zu untersuchen echt grenzwertig […] gegenüber echten Patienten bist du eher ungeschickt, was ja auch beim jetzigen Kompetenzstand nicht schlimm ist. Aber das du dies durch Härte und Coolness im Umgang mit deinen Kommilitonen überspielen willst, geht gar nicht. Wenn du aufhörst dich damit zu beschäftigen, deinem Profilierungswahn nachzukommen und dich einfach auf die Dinge konzentrierst, die gerade gefordert werden, dann kannst du alle Kritikpunkte abstellen, weil du eigentlich alle Kompetenzen hast, um ein anständiger Arzt zu werden.“
Nachher: „Manchmal habe ich den Eindruck, dass du bei der Untersuchung echter Patienten eher ungeschickt vorgehst, was bei unserem aktuellen Kompetenzstand aber auch nicht schlimm ist. Trotzdem ist es in meinen Augen nicht nötig, dies durch Härte und Coolness im Umgang mit deinen Kommilitonen zu überspielen. Ich glaube du hast eigentlich alle Kompetenzen, um ein anständiger Arzt zu werden, deshalb versuch doch einfach zukünftig mal Fehler anzunehmen und dich auf Dinge zu konzentrieren, die gerade gefordert werden.“ (Rückmeldung 18)

Beispiele für studentische Rückmeldungen, die von der Projektkoordination entfernt wurden: „Du stinkst!“, „Du bist inkompetent!“, „Du bist ein fesher boy, Lord!“

Interviews

Als Ergebnis von halbstandardisierten Interviews mit Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern der ersten Durchläufe des Peer-Feedbacks konnten neue Ansatzpunkte zur besseren Information und Verankerung des Projekts gesammelt werden, die letztlich zu einer verbesserten Vertrauensbildung beitragen sollten:

  • Verknüpfung des Projekts mit konkreten, sichtbaren Personen
  • Persönliche Projektvorstellung durch das Projektteam in Lehrveranstaltungen
  • Erstellen einer Projekthomepage
  • Erstellen eines Informationsvideos zur Erläuterung des Ablaufes des Peer-Feedbacks
  • Vereinfachung und übersichtlichere Gestaltung der Fragebögen des Peer-Feedbacks
  • Einführung eines Cooperativen Designs
  • Integration des Themas Feedback zum Studienbeginn

Wann welche Maßnahmen umgesetzt wurden ist Abbildung 5 [Abb. 5] zu entnehmen.

3.3. Weiterentwicklungsmaßnahmen

Die Ziele des Leitbildes Lehre und die übergeordneten Lernziele für das Düsseldorfer Absolventenprofil gehen über die Vermittlung des ärztlichen Wissens und der praktischen Fertigkeiten hinaus und sehen die Kompetenzentwicklung der Studierenden in allen Bereichen des ärztlichen Handelns und ihrer persönlichen Entwicklung vor. Darauf basierend wurden den Studierenden zugleich Wahlmöglichkeiten eröffnet, um für einen fakultätsinternen Leistungsnachweis „Ärztliche Kompetenzen“ Engagements für einzelne Kompetenzbereiche nachzuweisen. So werden z.B. die Teilnahme am universitären Mentoring-Programm oder die Betreuung ausländischer Studierender sowie das Engagement in externen Hilfsorganisationen als Tätigkeiten anerkannt. Das Peer-Feedback wurde ebenfalls als ein mögliches Engagement für den Leistungsnachweis „Ärztliche Kompetenzen“ im Sommersemester 2014 aufgenommen. Den Nachweis können Studierende longitudinal vom Studienbeginn bis zum 10. Semester erwerben.

Die Maßnahmen zur Implementierung einer Feedbackkultur und die Rückmeldungen der am Peer-Feedback beteiligten Personengruppen zeigten auch, dass zur Entwicklung einer Feedbackkultur zunächst der Aufbau eines innerfakultären Netzwerks erforderlich ist, um Wissen und Methoden in Bezug auf Feedback immer wieder an der dynamischen Realität zu messen und dabei wechselseitig neue Impulse auszutauschen. Die Projektgruppe setzte sich auf Basis dieser Erfahrungen zum Ziel, Feedback noch stärker in das Curriculum einzubinden. Die Projektgruppe führte ein curriculares Mapping des Düsseldorfer Curriculums Medizin zum Thema „Feedback“ durch, um bestmögliche Verankerungsmöglichkeiten für ein longitudinal abgestimmtes Feedback-Curriculum zu erfassen. Zur Übersicht der bisher erarbeiteten Angebote dient hierbei Abbildung 6 [Abb. 6].

3.3.1. Wirksamkeit der Weiterentwicklungsmaßnahmen

Einbindung von Peer-Feedback in das Curriculum: Akzeptanzevaluation

Das Peer-Feedback wurde von den Studierenden regelmäßig evaluiert. Auf Basis der Rückmeldungen aus den leitfragengestützten Interviews wurde das Konzept modifiziert, indem alle von den Studierenden vorgeschlagenen Verbesserungsvorschläge (siehe 3.2) umgesetzt wurden. Schon im darauffolgenden Semester zeigte sich eine Veränderung in der Wahrnehmung und Akzeptanz des Peer-Feedbacks, Veränderungen in Qualität (z.B. Konstruktivität der Rückmeldungen) und Teilnahmefrequenz der Angebote (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).

Verbesserung der Qualität und Aktivität des Peer-Feedbacks

Nach Analyse der zu ihren Kommilitonen abgegebenen Freitextkommentare im Rahmen des Peer-Feedbacks durch zwei unabhängige Rater stieg der Anteil konstruktiver Freitextkommentare bei einer Kohorte des 2. Studienjahres (Beginn im Wintersemester 13/14) signifikant um 11% auf 99,4% im Vergleich zum Vorjahr (t(3)=-3,79, p=0,04). Die Wichtigkeit des Feedbacks für die persönliche Weiterentwicklung wurde in der Projektevaluation auf einer sechsstufigen Skala („trifft völlig zu“ (1) bis „trifft gar nicht zu“ (6)) von Studierenden dieses 2. Studienjahres (n=109) im Mittel mit 2,53 (SD=,97) bewertet, von Studierenden des 4. Studienjahres (n=24) im Sommersemester 2015 mit 3,95 (SD=1,12). Dieser Unterschied erwies sich als signifikant (t(405)=-3,78, p<,05). Auf einer fünfstufigen Skala (Ich finde das Peer-Feedback „sehr sinnvoll“ (1) bis „überhaupt nicht sinnvoll“ (5)) zeigte sich im Wintersemester 16/17 von den am Peer-Feedback teilnehmenden Studierenden im Mittel eine Beurteilung von 1,9 (SD=1,0), in früheren Rückmeldungen (Sommersemester 2012) 2,9 (SD=1,3). Die signifikant größere Teilnahmequote am Peer-Feedback und die signifikant positivere Evaluation werden schematisch in Abbildung 7 [Abb. 7] und 8 [Abb. 8] dargestellt. Zusätzlich geben Rückmeldungen der Studierenden Aufschluss über möglicherweise angestoßene Veränderungen (siehe Abbildung 9 [Abb. 9]). Besonders bei der Beurteilung der Feedbackkultur am Standort zeigt sich eine stetig positivere Beurteilung von Semester zu Semester.

Beurteilung der Vertrauens- und Feedbackkultur

Seit dem Wintersemester 14/15 zeichnet sich eine veränderte Wahrnehmung der Feedbackkultur in unterschiedlichen Jahrgangskohorten ab. Die Vertrauens- und Feedbackkultur in der Fakultät wurde auf einer sechsstufigen Likertskala („trifft völlig zu“ (1) bis „trifft gar nicht zu“ (6) von 109 Studierenden des 2. Studienjahres im Wintersemester 15/16 im Mittel mit 2,6 (SD=1,1), von 66 Studierenden des 4. Studienjahres im Sommersemester 2014 mit 4,7 (SD=1,5) beurteilt. Dieser Unterschied erwies sich als signifikant (t(4)=1,82, p=0,020). Im Vergleich aller Evaluationen von Sommersemester 2013 bis Wintersemester 17/18 zeigte sich zudem ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Studienjahr und der Teilnahme am Peer-Feedback (χ²=116,7, p<0,05). Studierende mit steigendem Studienfortschritt in höheren Semestern, die das Feedbackcurriculum nicht von Anfang an durchlaufen haben, nahmen die Feedbackkultur am Standort als schlechter wahr. Aussagen der studentischen Projektevaluation im 4. Studienjahr (66 Studierende im Sommersemester 2014) zeigten ebenfalls auf, dass freiwillige Angebote von Seiten des Dekanats in höheren Semestern kritischer betrachtet wurden [27].


4. Diskussion und Ausblick

4.1. Diskussion

Die im Verlauf signifikant größere Teilnahme am Peer-Feedback und dessen signifikant positivere Evaluation lassen eine offenere Einstellung der Studierenden gegenüber Feedback in der angebotenen Form vermuten. Ein Zusammenhang mit den vorbeschriebenen Verbesserungsmaßnahmen zur Kommunikation und Präsentation des Projekts und seiner Veränderungsmaßnahmen sind auch auf Basis der Interviewergebnisse wahrscheinlich. Der wechselseitig konstruktive und wertschätzende Austausch zwischen den Teilnehmern und dem Projektteam kann einen Beitrag zur Akzeptanzsteigerung von Feedback und zu einer Reduktion emotionaler Widerstände geleistet haben [16]. Hervorzuheben ist, dass Studierende, die das Feedbackcurriculum zeitlich bedingt nicht von Anfang an durchlaufen konnten oder aus persönlichen Gründen nicht an jeder Erhebung teilnehmen konnten, die Feedbackkultur am Standort mit steigendem Studienfortschritt als schlechter wahrnahmen. Insgesamt verbesserte sich die Einstellung zum Feedback aber mit Beginn der beschrieben Maßnahmen im Modellstudiengang bis heute. Bei den Studierenden mit Studienbeginn im Modellstudiengang (Wintersemester 2013/2014) könnte eine Verbesserung der Einstellung zur Feedbackkultur u.a. mit curricular verankerten Lehreinheiten zum Feedback (z.B. Rollenspiele mit Schauspielpatienten in Lehreinheiten der Medizinischen Psychologie) bereits im ersten Fachsemester erklärt werden, die dem Peer-Feedback vorgelagert waren. Mit dem Peer-Feedback zu Semesterende bot sich diesen Studierenden im Vergleich zu den Kohorten zuvor (SoSe 2012 – SoSe 2013) also die Möglichkeit der direkten Anwendung des zuvor im Unterricht praktisch Geübten. Das Thema Feedback könnte schon zu Beginn des Studiums als selbstverständlicher und notwendiger im Rahmen eines Medizinstudiums angesehen worden sein und so den gemeinsamen Umgang an der Fakultät verbessert haben. Meinungsschwankungen Studierender im Wunsch nach regelmäßigem Feedback sowie schwankende Teilnehmeranzahlen (siehe Abbildung 7 [Abb. 7] und 8 [Abb. 8]) können mit Überlastung im Studium erklärt werden. Es zeigten sich aber stärkere Schwankungen bei Studierenden in höheren Semestern, die nicht zu Studienbeginn in ein strukturiertes Feedbackcurriculum integriert worden waren und so noch nicht die wünschenswerte Vertrauenskultur verinnerlicht hatten [13]. Natürlich besteht auch die Möglichkeit, dass Studierende im ersten Fachsemester schon mit einer positiveren Einstellung gegenüber Feedback ins Studium gestartet sind, da sie eventuell bereits in der Schule Erfahrungen mit Feedback gemacht haben. Dies sollte in zukünftigen Untersuchungen überprüft werden. Inwieweit die über die Projektlaufzeit dokumentierte zunehmende Qualitätsverbesserung der studentischen Freitextkommentare in Richtung konstruktiver Formulierungen eine Folge der Projektverbesserungsmaßnahmen war, lässt sich anhand der Daten nicht sicher belegen. Die Filterung abwertender Kommentare und die vereinzelt behutsame sprachliche Modifikation der Freitextkommentare ging nachweislich allerdings mit einer Abnahme der Beschwerden und der Kritik am Projekt insgesamt einher. Die Möglichkeit der Anrechenbarkeit des Peer-Feedbacks als Teil eines fakultätsinternen Leistungsnachweises hat im Sinne eines assessment drives learning sicherlich zur Steigerung der Teilnehmerzahlen beigetragen [28]. Die Anrechnung der Teilnahme am Peer-Feedback für einen Leistungsnachweis hat im Zusammenhang mit einem assessment drives learning in den Augen der Studierenden anscheinend einen positiven Effekt auf die Wahrnehmung des Gesamtprojekts. Die dadurch angestoßene verstärkte Beschäftigung mit dem Thema Feedback kann einem Abbau von Hemmnissen nur zugutekommen. Hierfür spricht auch die zunehmend positivere Evaluation des Peer-Feedbacks insgesamt.

Mit dem beschriebenen Konzept wurde ein strukturiertes Umsetzungsmodell [19] für eine ganzheitlichere und sozial eingebettetere Konzeptualisierung von Feedback vorgestellt [20], welches für die fachliche und auch persönliche Förderung von Studierenden stetig weiter ausgebaut werden soll [8]. Die vorgestellten Maßnahmen können als Meilenstein auf dem Weg zu einer Feedbackkultur angesehen werden.

4.2. Empfehlungen – Lessons learned

Effektive Kollaborationen und auch persönlicher Einsatz sowie Durchhaltevermögen der Projektgruppe erwiesen sich als wichtigste Punkte bei der Implementierung und Weiterentwicklung von Feedback. Bei der Etablierung neuer Formate sollte proaktiv nach Veränderungswünschen und Interessen von Lehrenden und Studierenden, gefragt und diese in den Mittelpunkt gestellt werden. Hierbei erwies sich gerade der persönliche Austausch der Projektgruppe mit den Anwendern des Feedbacks, also Studierenden und Lehrenden, als besonders zielführend. Hemmnisse waren unpersönliche Kommunikation über E-Mail oder ohne Rücksprache umgesetzte Maßnahmen, die im Praxisalltag untergingen. Besonders hilfreich zeigte sich hierbei die Erwähnung eigener Erfahrungen in dem Bereich. Notwendig zeigte sich auch eine regelmäßige Kontrolle der Umsetzbarkeit geplanter Maßnahmen sowie die Identifizierung von Widerständen (z.B. Hemmungen negative Kritik zu äußern) und Stolpersteinen (z.B. zu hoher Zeitaufwand, zu komplexe Fragebögen) und deren unmittelbare Beseitigung (z.B. Anbieten von Trainings im Umgang mit Feedback, Verkürzung und Vereinfachung der Fragebögen). Dabei können einschneidende negative Erfahrungen der Studierenden mit Feedback, Ablehnung der Maßnahmen von Seiten der Fakultätsleitung sowie Lehrenden und zeitliche Überforderung durch das Geben von Feedback im Universitätsalltag als natürliche Umsetzungsgrenzen betrachtet werden.

Insgesamt ist eine Qualitätsverbesserung des Feedbacks zu verzeichnen, welche die zuvor formulierten Projektziele, wie die Verbesserung der Feedbackkompetenz [10] und damit die Konkretisierung von Feedback [12] sowie die Verbesserung sozialer Fertigkeiten [9], andeutet. So kann Feedback im Kontext einer etablierten Vertrauenskultur mit einer gemeinschaftlich erarbeiteten Wertehaltung [18] in einer fördernden Lernumgebung [17] großen Nutzen bringen [5], [14].

4.3. Ausblick

Der Begriff Feedbackkultur scheint, wie die beschriebenen Interventionsergebnisse zeigen, ein Teilaspekt der Vertrauenskultur oder auch der lernenden Organisation zu sein. Bei gestiegener Transparenz und Verknüpfung des Projekts mit konkreten, sichtbaren Personen und Mitbestimmungsmöglichkeiten der Studierenden scheint auch die Akzeptanz und das Vertrauen in die Instrumente zu steigen. Die Projektgruppe Feedback hat hieraus weitere Schritte bei der Entwicklung eines Feedbackcurriculums formuliert und initiiert:

4.3.1. Implementierung eines direkten Feedbacks

Seit dem Wintersemester 15/16 wird auf Wunsch der Studierenden ein direktes Feedback durchgeführt. Ausgewählt wurde dafür ein dreiwöchiger Studienblock im 3. Studienjahr des Pflichtcurriculums bei dem die professionelle Zusammenarbeit im interdisziplinär zusammengesetzten Team im Fokus steht. Studierende bearbeiten dabei eigenständig von Schauspielpatienten gespielte, realitätsnahe, komplexe Patientenfälle. Die zunächst noch verhaltenen Rückmeldungen (z.B. Unsicherheiten bei der Äußerung von negativer Kritik und im Umgang mit Teamarbeit) legen den Verdacht nahe, dass auch hier Hemmnisse in der Umsetzung erst überwunden werden müssen und das Konzept weiter an den Bedarf der Anwender anzupassen ist. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass das Peer-Feedback wegen seines freiwilligen Charakters nicht von allen Studierenden genutzt wurde, die das direkte Feedback durchlaufen. Im Weiteren soll untersucht werden, ob die Studierenden mit Beteiligung am Peer-Feedback weniger Schwierigkeiten im Umgang mit direktem Feedback haben und ob die Erfahrung mit anonymen Peer-Feedback, wie in der Literatur beschrieben, positive Einflüsse auf die Annahme von Feedback gehabt hat [2], [3], [4].

4.3.2. Feedbacktrainings

Ein gewinnbringendes, konstruktives Feedback macht neben der Auseinandersetzung mit den Themen auch die Reflexion der eigenen Haltung gegenüber Feedback und Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit im Umgang mit Feedback notwendig [29]. Daraus kann abgeleitet werden, dass letztlich die Haltung der Feedback-Geber und -nehmer entscheidend für die Effektivität von Feedback ist [30]. Somit setzt die Projektgruppe Feedback mit einem neu entwickelten Trainingskonzept, welches nicht nur Feedbackregeln vermittelt, sondern wesentlich die Reflexion der Teilnehmer im eigenen Umgang mit Feedback aufgreift, zunächst bei den Lehrenden an. Die Selbstreflexion im Umgang mit Feedback wird mit der Zielsetzung nähergebracht, dass sich dies qualitativ auf das später weiterzugebende Feedback auswirkt.


Anmerkung

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für beiderlei Geschlecht.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Stacy R. Learning as an activity of interdependent people. Lear Organiz. 2003;10(6):325-331. DOI: 10.1108/09696470310497159 Externer Link
2.
Arnold L. Content and Context of Peer Assessment. In: Stern D, editor. Measuring Medical Professionalism. Oxford: Oxford University Press; 2006. p.75-194
3.
Schönrock-Adema J, Heijne-Penninga M, Van Duijn MA, Geertsma J, Cohen-Schotanus J. Assessment of professional behaviour in undergraduate medical education: peer assessment enhances performance. Med Educ. 2007;41(9):836-842. DOI: 10.1111/j.1365-2923.2007.02817.x Externer Link
4.
Van Gennip NA, Segers MS, Tillema HH. Peer assessment for learning from a social perspective: The influence of interpersonal variables and structural features. Educ Res Rev. 2009;4(1):41-54. DOI: 10.1016/j.edurev.2008.11.002 Externer Link
5.
Hattie J, Timperley H. The Power of Feedback. Rev Educ Res. 2007;77(1):81. DOI: 10.3102/003465430298487 Externer Link
6.
Studiendekanat der Medizinischen Fakultät der HHU. Leitbild Lehre der Medizinischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Düsseldorf: Heinrich-Heine-Universität. Zugänglich unter/available from: http://www.medizin.hhu.de/sicherung-studiendekanat/studium-und-lehre-alt-2/leitbild-lehre.html Externer Link
7.
Van der Vleuten CP, Dannefer EF. Towards a systems approach to assessment. Med Teach. 2012;34(3):185-186. DOI: 10.3109/0142159X.2012.652240 Externer Link
8.
Rottenfußer R. Viele Kassenärzte fühlen sich ausgebrannt. Dtsch Ärztebl. 1999;96:434-436.
9.
Semmer NK, Jacobshagen N. Feedback im Arbeitsleben – eine Selbstwert-Perspektive. Gruppendyn Organisationsberat. 2010;41:39-55. DOI: 10.1007/s11612-010-0104-9 Externer Link
10.
Issenberg SB, McGaghie WC, Petrusa ER, Lee Gordon D, Scalese RJ. Features and uses of high-fidelity medical simulations that lead to effective learning: a BEME systematic review. Med Teach. 2005;27(1):10-28. DOI: 10.1080/01421590500046924 Externer Link
11.
Jenewein W, Heidbrink M. High-Performance-Teams. Die fünf Erfolgsprinzipien für Führung und Zusammenarbeit. Stuttgart: Schäffer-Poeschel; 2008.
12.
Archer JC. State of the science in health professional education: effective feedback. Med Educ. 2010;44(1):101-108. DOI: 10.1111/j.1365-2923.2009.03546.x Externer Link
13.
Ackermann KF. Der lange Weg zu einer Feedback-Kultur. Personalwirtsch. 2007;34:36-38.
14.
London M, Smither JW. Feedback orientation, feedback culture, and the longitudinal performance management process. Human Res Manag Rev. 2002;12(1):81-100. DOI: 10.1016/S1053-4822(01)00043-2 Externer Link
15.
Crommelinck M, Anseel F. Understanding and encouraging feedback-seeking behaviour: a literature review. Med Educ. 2013;47(3):232-241. DOI: 10.1111/medu.12075 Externer Link
16.
Kinicki AJ, Prussia GE, Wu B, McKee-Ryan FM. A Covariance Structure Analysis of Employees' Response to Performance Feedback. J Appl Psychol. 2004;89(6):1057-1069. DOI: 10.1037/0021-9010.89.6.1057 Externer Link
17.
Bungard W, Müller K, Niethammer C. Mitarbeiterbefragung-was dann...? MAB und Folgeprozesse erfolgreich gestalten. Berlin: Springer-Verlag; 2007. DOI: 10.1007/978-3-540-47841-6 Externer Link
18.
Withey C. Feedback engagement: forcing feed-forward amongst law students. Law Teach. 2013;47(3):319-344. DOI: 10.1080/03069400.2013.851336 Externer Link
19.
Schaufeli W, Salanova M. Work engagement. Manag Soc Ethic Iss Organiz. 2007;135(2):177. DOI: 10.1080/10615800701217878 Externer Link
20.
Rotthoff T, Ostapczuk MS, De Bruin J, Decking U, Schneider M, Ritz-Timme S. Assessing the learning environment of a faculty: psychometric validation of the German version of the Dundee Ready Education Environment Measure with students and teachers. Med Teach. 2011;33(11):624-636. DOI: 10.3109/0142159X.2011.610841 Externer Link
21.
Rotthoff, T, Ostapczuk MS, de Bruin J, Kröncke KD, Decking U, Schneider M, Ritz-Timme S. Development and evaluation of a questionnaire to measure the perceived implementation of the mission statement of a competency based curriculum. BMC Med Educ. 2012;12:1. DOI: 10.1186/1472-6920-12-109 Externer Link
22.
Kosubek T, Barz H. Formative Prüfungen im Praktischen Jahr zur Entwicklung und Förderung von Klinischer Expertise. Interner Forschungsbericht. Düsseldorf: Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Abteilung für Bildungsforschung und Bildungsmanagement; 2010.
23.
Mayring P. Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 12. Auflage. Weinheim/Basel: Beltz; 2015.
24.
Töpfer M. Feedbackloops – Wirkung von Feedback auf die Motivation und das Verhalten von Mitarbeitern. Bachelorarbeit. Köln: Hochschule Fresenius; 2013.
25.
Maccoby M. Narcissistic Leaders – The Incredible Pros, the Inevitable Cons. Harv Bus Rev. 2004;10:92-101.
26.
Brahmi F. Toolkit for a Lifelong Learning at Indiana University School of Medicine. Fac Retreat. 2004.
27.
Raski B, Eissner A, Böhm M, Schneider M, Rotthoff T. 360° Peer-Feedback zur Kompetenzentwicklung bei Medizinstudierenden – Akzeptanz bei Studierenden im 1. und 4. Studienjahr des Düsseldorfer Modellstudiengangs Humanmedizin. In: Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA). Hamburg, 25.-27.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. DocP241. DOI: 10.3205/14gma071 Externer Link
28.
Van Der Vleuten CP. The assessment of professional competence: developments, research and practical implications. Adv Health Sci Educ. 1996;1(1):41-67. DOI: 10.1007/BF00596229 Externer Link
29.
Maurer TJ, Mitchell DR, Barbeite FG. Predictors of attitudes toward a 360-degree feedback system and involvement in post-feedback management development activity. J Occup Organiz Psychol. 2002;75(1):87-107. DOI: 10.1348/096317902167667 Externer Link
30.
Greif R, Breckwoldt J. Warum lebenslanges Lernen ohne effektives Feedback nicht wirkungsvoll ist. Why lifelong learning without consistent feedback is not effective. Notfall Rettungsmed. 2012;15(3):193-197. DOI: 10.1007/s10049-011-1518-9 Externer Link