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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Implementierung der Mannheimer Interprofessionellen Ausbildungsstation (MIA): Erste Evaluationsergebnisse

Artikel Interprofessionelle Ausbildung

  • corresponding author Mira Mette - Universität Heidelberg, Medizinische Fakultät Mannheim, Geschäftsbereich Studium und Lehrentwicklung, Mannheim, Deutschland
  • author Christina Baur - Universitätsmedizin Mannheim, II. Medizinische Klinik, Mannheim, Deutschland
  • author Jutta Hinrichs - Universitätsmedizin Mannheim, UMM-Akademie Schule für Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, Mannheim, Deutschland
  • author Elke Oestreicher-Krebs - Universitätsmedizin Mannheim, UMM-Akademie Schule für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege, Mannheim, Deutschland
  • author Elisabeth Narciß - Universität Heidelberg, Medizinische Fakultät Mannheim, Geschäftsbereich Studium und Lehrentwicklung, Mannheim, Deutschland

GMS J Med Educ 2019;36(4):Doc35

doi: 10.3205/zma001243, urn:nbn:de:0183-zma0012436

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2019-36/zma001243.shtml

Eingereicht: 29. Oktober 2018
Überarbeitet: 24. März 2019
Angenommen: 28. Mai 2019
Veröffentlicht: 15. August 2019

© 2019 Mette et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Projektbeschreibung: In Deutschland ist das Interesse groß, Lernende in den Gesundheitsberufen auf interprofessionellen (IP) Ausbildungsstationen besser auf die IP Zusammenarbeit vorzubereiten. Auf der Mannheimer IP Ausbildungsstation MIA lernen und üben Medizinstudierende, Pflegeauszubildende (Pflegeazubis) und PhysiotherapieschülerInnen (PT-SchülerInnen) die reale Patientenversorgung im Team unter Supervision. Das MIA-Konzept, die Umsetzung und erste Evaluationsergebnisse werden berichtet. Im Studienjahr 2017/18 absolvierten 201 Medizinstudierende, 72 Pflegeazubis und 33 PT-SchülerInnen ihren Pflicht-Einsatz auf der MIA, den sie am Ende online bewerteten (Fragen zu Organisation des MIA-Einsatzes, Lernzuwachs, Supervision, Teilnehmerzufriedenheit, Erkenntnisse). Die Auswertung erfolgte berufsgruppenspezifisch nach Häufigkeiten und im Vergleich per Kruskal-Wallis-Test.

Ergebnisse: Die Rücklaufquote lag bei 45% (104 Medizinstudierende, 16 Pflegeazubis, 19 PT-SchülerInnen. 64% der Medizinstudierenden fanden den Einsatz zu kurz. Für 70% der Pflegeazubis war die Zahl der zu versorgenden PatientInnen zu hoch. Die Betreuung durch SupervisorInnen war angemessen. Es gab häufig IP Kontakte. Fachlicher und IP Lernzuwachs wurden hoch eingeschätzt. IP Lernen fand vor allem in persönlichen Gesprächen und IP Visiten statt. Am häufigsten wurde IP Kommunikation/Zusammenarbeit als wichtige Erkenntnis des Einsatzes genannt.

Diskussion: Die Umsetzung des MIA-Konzepts wird als gelungen beurteilt. Die Lernziele konnten erreicht werden. Der strukturierte Stationsalltag mit seinen IP Elementen fördert die IP Zusammenarbeit und hilft, Schwierigkeiten im teils ersten eigenverantwortlichen Klinikeinsatz zu minimieren.

Schlussfolgerung: IP Ausbildungsstationen können in den Ausbildungen der Gesundheitsberufe eine gute Vorbereitung für eine spätere optimale Patientenversorgung bieten.

Schlüsselwörter: Interprofessionelles Lernen, interprofessionelles Lehren, Ausbildungsstation, Gesundheitsberufe, Ausbildung


Einleitung

Im internationalen Vergleich gesehen begann Deutschland seit 2013 unterstützt durch das Förderprogramm „Operation Team“ der Robert Bosch Stiftung den Rückstand in Bezug auf die interprofessionelle (IP) Ausbildung der Gesundheitsberufe aufzuholen [1], [2]. Zunächst wurden einzelne, sehr unterschiedliche Lernszenarien entwickelt, die von Vorlesungen, Seminaren, Praxiseinheiten, Workshops bis hin zu Simulationen reichten [2], [3]. An der Universitätsmedizin Mannheim (UMM) wurden seit 2014 unterschiedliche Lerneinheiten entwickelt und zu einem longitudinalen IP Lernstrang verknüpft [4]. Nach Hospitationen auf verschiedenen IP Ausbildungsstationen in Stockholm wurde als letzter Baustein des IP Lernstrangs der Aufbau der Mannheimer IP Ausbildungsstation MIA nach schwedischem Vorbild beschlossen. Schweden ist neben Dänemark Vorreiter für die Etablierung IP Ausbildungsstationen als festen Bestandteil der Ausbildung der Gesundheitsberufe. Sie verfügen über mehr als 20 Jahre Erfahrung, wie Studierende der Medizin, Pflege, Physiotherapie (PT) und Ergotherapie unter Supervision die Versorgung echter PatientInnen im Team weitgehend eigenständig planen, durchführen und reflektieren können [5], [6], [7], [8], [9]. Unter Supervision wird dabei die „Lernbegleitung“ auf der IP Ausbildungsstation verstanden, bei der es sowohl um die professionsspezifische Aufsicht über die Lernenden der eigenen Berufsgruppe geht, als auch die Lernenden aller beteiligten Berufsgruppen als Team betrachtet und zur Zusammenarbeit und Reflexion angeleitet werden [5], [8]. Neben der Zusammenarbeit in der Patientenversorgung lernen die angehenden Fachkräfte theoretisches Wissen und praktische Fertigkeiten im realen Kontext anzuwenden, Verantwortung zu übernehmen, ihre eigene berufliche Rolle und die der anderen Berufsgruppen zu verstehen und im Team zum Wohl der PatientInnen zusammen zu arbeiten [5], [8], [10], [11], [12].

Dieser Projektbericht soll die Frage beantworten, ob es möglich ist, auch in Deutschland eine IP Ausbildungsstation mit Pflichteinsätzen für die drei Berufsgruppen Medizin, Pflege und PT aufzubauen, die allen Beteiligten positive Impulse für die Entwicklung der eigenen beruflichen Rolle im Team und das Verständnis für die Kompetenzen der anderen Berufsgruppen gibt.


Projektbeschreibung

An der UMM wurde 2017 für das 5. Studienjahr des Medizinstudiums das bisherige internistische Blockpraktikum in einen klinischen Einsatz auf einer IP Ausbildungsstation transformiert (vgl. [5], [8], [13], [14]). Das Konzept sieht vor, dass Medizinstudierende, Auszubildende der Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpflege (Pflegeazubis) und PT-SchülerInnen für einen ein- bis dreiwöchigen Zeitraum berufsgruppenübergreifend ausgebildet werden und so die Zusammenarbeit im IP Team in der Alltagspraxis lernen und üben. An der Konzeption der MIA waren verschiedene Einrichtungen maßgeblich beteiligt (vgl. Tabelle 1 [Tab. 1]).

Rahmenbedingungen der MIA

Als MIA wurde die Hälfte einer gastroenterologisch-infektiologischen Station (12 Betten) definiert. Eine Vorauswahl der PatientInnen findet nicht statt; diese werden jedoch bei Aufnahme über das besondere Konzept der MIA informiert. Auf der MIA arbeiten Medizinstudierende (5. Studienjahr) mit Pflegeazubis (vorwiegend 3. Ausbildungsjahr) und PT-SchülerInnen (vorwiegend 2. Ausbildungsjahr) zusammen, um die PatientInnen im Team unter Supervision zu versorgen. Für alle Lernenden sind die MIA-Einsätze Pflicht. Die Vorgabe eines ganzjährigen MIA-Betriebs und die Rahmenbedingungen der drei Ausbildungswege erfordern, dass die Einsatzdauer variiert: Medizinstudierende absolvieren eine, PT-SchülerInnen zwei und Pflegeazubis drei Wochen. In der vorlesungsfreien Zeit übernehmen Medizinstudierende im Praktischen Jahr (PJ), die mit den ganzjährig eingesetzten Pflegeazubis und PT-SchülerInnen auf der MIA zusammenarbeiten. PT-ausbildungsbedingt findet die MIA an zehn Wochen verteilt übers Jahr nur mit Pflegeazubis und PJ-Studierenden statt.

Die fachliche Vorbereitung der Lernenden auf ihre MIA-Einsätze erfolgt monoprofessionell z.B. durch Seminare oder Einweisungen vor Ort. Alle Lernenden erhalten konkrete Informationen über den MIA-Einsatz, z.B. Organisatorisches, Lernziele, Bewertungskriterien usw. über ihre Lehreinrichtung bzw. über Moodle. Die Medizinstudierenden des 5. Jahres absolvieren den Einsatz inkl. benoteter praktischer Prüfungen als Teil des Gesamtscheins „Blockpraktikum Innere Medizin“. Die PT-SchülerInnen und Pflegeazubis leisten einen Teil ihrer praktischen Ausbildung am Patienten in der Inneren Medizin auf der MIA ab und werden durch die zuständigen SupervisorInnen bewertet. Während die ca. 200 Medizinstudierenden im 5. Studienjahr aufgrund der hohen Teilnehmerzahl in verkürzten Wechselschichten à sechs Stunden arbeiten, übernehmen die Pflegeazubis die regulären Früh- und Spätschichten. PT-SchülerInnen sind aufgrund der Schulorganisation nur vormittags im Einsatz. So sind vormittags drei Berufsgruppen auf der MIA vertreten, nachmittags zwei. Nachdienste werden vom regulären Personal übernommen. An Feiertagen und Wochenenden findet keine MIA statt, da nur Pflegeazubis auf der MIA tätig sind. Pro Schicht versorgen 4-6 Medizinstudierende, 2-3 Pflegeazubis und 1-2 PT-SchülerInnen 12 PatientInnen unter der Supervision von erfahrenen, speziell ausgebildeten Fachkräften jeder Berufsgruppe. Dem IP Team steht ein eigenes Besprechungs- und Arbeitszimmer mit ausreichend PC-Arbeitsplätzen zur Verfügung. Für die MIA gelten neben fachlichen, ausbildungsspezifischen auch globale IP Lernziele (vgl. Tabelle 2 [Tab. 2]).

IP Patientenversorgung auf der MIA

Der MIA-Tagesablauf sieht folgende feste Zeiten für den IP Austausch vor (vgl. Abbildung 1 [Abb. 1]):

1.
Frühbesprechung aller PatientInnen und Identifizierung bzw. Priorisierung von physiotherapeutischem Bedarf
2.
Visite mit den für die jeweiligen PatientInnen verantwortlichen Lernenden aller drei Berufsgruppen inkl. SupervisorInnen
3.
MIA am Mittag: Reflexion zum Kennenlernen, Austausch von Erwartungen, Befürchtungen, Erfahrungen (Wochenabschluss); Fortbildung zum gegenseitigen Vermitteln relevanter Fertigkeiten
4.
Pflegerische Übergabe mit anschließender Kurvenvisite
Supervision auf der MIA

Die SuperviorInnen sind erfahrene Ober- und AssistenzärztInnen, PraxisanleiterInnen der Pflege und PT-Lehrkräfte. Zentraler Punkt des MIA-Konzeptes ist, dass die SupervisorInnen nicht nach dem klassischen Prinzip anleiten. Sie treten vielmehr in den Hintergrund und beobachten die (Inter-)Aktionen des IP Lernendenteams bei der Versorgung der PatientInnen und in den Besprechungen. Die Lernenden werden durch Fragen gelenkt, die Patientenversorgung im IP Austausch miteinander zu planen und umzusetzen. Dieser lernerzentrierte und aktivierende Ansatz soll dazu beitragen, die Verantwortung des Einzelnen in der Patientenversorgung zu fördern. Auch die PatientInnen sollen die angehenden Fachkräfte und nicht die SupervisorInnen als erste AnsprechpartnerInnen wahrnehmen. Dennoch müssen die SupervisorInnen zur Gewährleistung der Patientensicherheit jederzeit eingreifen können. Außerdem ist es ihre Aufgabe, die Leistungen „ihrer“ Lernenden zu bewerten. In einem Tages-Workshop wurden die SupervisorInnen von einem ehemaligen Pflegesupervisor und Supervisorenteamleiter mit langjähriger Erfahrung auf schwedischen IP Ausbildungsstationen für diese spezielle Lehrtätigkeit qualifiziert.

Evaluation der MIA-Einsätze

Die MIA-Einsätze werden von den Teilnehmenden freiwillig und anonym im Rahmen der regulären Lehrevaluation bewertet. Deutschsprachige validierte Fragebögen wie RIPLS [15], UWE-IP [16], IEPS [17], die auf die Haltung bzw. Änderungen in der Haltung gegenüber IP Lernen abzielen, sind nicht geeignet, die Umsetzung des neuen Lehr-Lernformats zu bewerten. So wird ein selbstentwickelter Online-Fragebogen mit 27 offenen und geschlossenen Fragen (3- bzw. 5-stufige Likert-Items) eingesetzt, zu dem die MIA-Teilnehmenden am letzten Einsatztag Zugang über eine TAN erhalten. Nach allgemeinen Fragen z.B. zur Berufsgruppe, zum Ausbildungsstand und Vorinteresse an IP Lernen beurteilen die Teilnehmenden die Organisation und Vorbereitung auf die MIA, den Lernzuwachs und die Betreuung/Supervision. Sie geben eine Gesamtbewertung ihres Einsatzes ab und benennen wichtige Erkenntnisse aus dem Einsatz (vgl. Tabelle 3 [Tab. 3]).

In 35 Wochen des Studienjahres 2017/2018 absolvierten 210 Medizinstudierende (davon 9 im PJ, die jedoch als nicht-originäre Zielgruppe der Medizinstudierenden nicht weiter berücksichtigt werden), 72 Pflegeazubis und 33 PT-SchülerInnen ihren MIA-Einsatz. Die Auswertung der Umfragedaten erfolgte nach Häufigkeiten, der Gruppenvergleich per Kruskal-Wallis-Test bei unabhängigen Stichproben und die offenen Fragen mittels quantitativer Inhaltsanalyse mit induktiver Kategorienbildung.

Ziel der formativen Evaluation war, über die Einschätzungen der MIA-Teilnehmenden zu erfassen, wie gut das MIA-Konzept umgesetzt wurde und wie zufrieden die Teilnehmenden mit dem neuen Lehr-Lernformat sind. Außerdem sollten optimierbare Bereiche identifiziert werden, um die Qualität der IP Ausbildung auf der MIA zu verbessern.


Ergebnisse

Die MIA startete mit Beginn des Wintersemesters 2017/18 im 5. Studienjahr Medizin. An der Befragung nahmen 139 MIA-Teilnehmende teil. Die Rücklaufquote (45%) variierte je nach Berufsgruppe (vgl. Tabelle 4 [Tab. 4]).

Das Interesse an IP Lernen vor dem Einsatz auf der MIA war retrospektiv betrachtet hoch (Medizin: 87%, Pflege: 81%, PT: 79%. Während die meisten Pflegeazubis und PT-SchülerInnen den zeitlichen Umfang ihrer MIA-Einsätze als angemessen ansahen (Pflege: 57%, PT: 79%), fand die Mehrheit der Medizinstudierenden (64%) ihren einwöchigen Einsatz zu kurz. Medizinstudierende (99%) versorgten pro Tag durchschnittlich 2-3, Pflegeazubis (94%) mehr als 4 und PT-SchülerInnen (90%) 2-3 PatientInnen. Als angemessen wurde die Zahl der zu versorgenden PatientInnen von den Medizinstudierenden (86%) und PT-SchülerInnen (95%) beurteilt. Viele Pflegeazubis (70%) fanden die Zahl der ihnen zugewiesenen PatientInnen zu hoch.

Die Evaluationsergebnisse zum selbsteingeschätzten Lernzuwachs der Teilnehmenden sind in Tabelle 5 [Tab. 5] dargestellt. Es wurden bei allen Items keine signifikanten Unterschiede zwischen den Berufsgruppen festgestellt.

Der Anteil an persönlicher Betreuung durch die SupervisorInnen wurde mehrheitlich als angemessen bewertet (Medizin: 82%, Pflege: 60%, PT: 95%). Gleiches galt für das Niveau der selbstständig und eigenverantwortlich durchgeführten Tätigkeiten auf der MIA (Medizin: 86%, Pflege: 70%, PT: 95%).

Fast alle Teilnehmenden stimmten zu, dass es häufig Berührungspunkte mit den anderen Berufsgruppen gab (Medizin: 83%, Pflege: 94%, PT: 90%) und die IP Zusammenarbeit während des Einsatzes sehr gut war (Medizin: 98%, Pflege: 100%, PT: 100%). Die Gesamtbewertung des MIA-Einsatzes, orientiert am deutschen Schulnotensystem (1=sehr gut, 5=mangelhaft), fiel überwiegend sehr positiv aus (vgl. Abbildung 2 [Abb. 2]).

Die Freitextantworten (Mehrfachnennungen möglich) zeigten, dass am häufigsten persönliche Gespräche und Visiten als Gelegenheiten genannt wurden, über die anderen Berufsgruppen zu lernen. Zu den drei wichtigsten Erkenntnissen aus den MIA-Einsätzen zählten IP Kommunikation und Zusammenarbeit, Selbstorganisation und Prioriätensetzung sowie Kenntnis über die Organisation und Abläufe der Station (vgl. Tabelle 6 [Tab. 6]).


Diskussion

Die Ergebnisse der online-Umfrage zeigen, dass die Umsetzung des neuen IP Lehrformats im klinischen Kontext mit selbstständig und eigenverantwortlich durchzuführenden Tätigkeiten und persönlicher Unterstützung durch die SupervisorInnen von den Teilnehmenden als gut befunden wird. Sie sehen einen Mehrwert vor allem im Erleben der IP Kommunikation und Zusammenarbeit bei der gemeinsamen Patientenversorgung und reproduzieren damit die Ergebnisse internationaler Studien [5], [10], [12]. Dies bestätigt, dass die Umsetzung des neuen Lehrformats gelungen ist. Das hohe Interesse der Teilnehmenden vor ihrem MIA-Einsatz, mit anderen Berufsgruppen im realen klinischen Kontext zusammen zu lernen, wird dabei als eine gute Voraussetzung für erfolgreiche MIA-Einsätze angesehen.

Das IP Lernen im Stationskontext stellt jedoch an alle Berufsgruppen hohe Anforderungen. Auf der MIA haben Medizinstudierende meist die erste Gelegenheit, ärztliche Verantwortung zu übernehmen und die reale Versorgung der PatientInnen zu gewährleisten. Die intensive Betreuung durch die SupervisorInnen wird sehr geschätzt – eventuelle Ängste, Fehler zu machen oder Erwartungen nicht gerecht zu werden, können so kompensiert werden. Dass die Medizinstudierenden ihren einwöchigen MIA-Einsatz als zu kurz einschätzen, mag daran liegen, dass die meisten es vor diesem Einsatz nicht gewohnt sind, eigene PatientInnen umfassend zu versorgen und dabei den Stationsalltag mit allen dazugehörigen Tätigkeiten in einer aktiven Rolle zu meistern. Der Einsatz ist dann schon beendet, wenn sie sich gerade in die IP Stationsarbeit eingefunden haben. Eine Verlängerung des Einsatzes wäre wünschenswert, um die klinische Zusammenarbeit im Team zu vertiefen und eine nachhaltigere Wirkung erzielen zu können [8].

Für die Pflegeazubis steht im Gegensatz zu den normalerweise eher assistierenden Tätigkeiten in den praktischen Einsätzen auf der MIA die Übernahme der pflegerischen Gesamtverantwortung für die Patientenversorgung und die Organisation einer Station im Vordergrund. Auch in die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen des therapeutischen Teams sind Pflegeazubis oft nicht einbezogen, obwohl gerade sie am häufigsten mit den PatientInnen in Kontakt stehen und dadurch deren Situation und Bedürfnisse kennen. Auf der MIA wirken sie mit den ihnen zugeordneten PatientInnen im Bezugspflegesystem mehr als ausgelastet, zumal sie durch krankheitsbedingte Ausfälle oft mehr als die vorgesehenen vier PatientInnen betreuen müssen. Entsprechend schätzten die Pflegeazubis die Zahl der PatientInnen, für die sie verantwortlich sind, oft als zu hoch ein.

PT-SchülerInnen stehen während ihrer praktischen Ausbildung auf den Stationen vermehrt vor der Situation, dass sie vor ihrem Patientenkontakt kaum Austauschmöglichkeiten über den (aktuellen) Zustand der PatientInnen haben. Aus der schriftlichen Verordnung und den in der elektronischen Dokumentation niedergelegten Arztberichten ist meist schwer herauszufiltern, welches Patientenproblem im Vordergrund steht, auf das sie in ihrer Behandlung eingehen sollten. Beim Einsatz auf der MIA scheint die Informationsgewinnung durch den direkten Kontakt gut zu gelingen. Die Tatsache, dass der MIA-Einsatz der PT-SchülerInnen früh im Curriculum erfolgt und es ihnen deshalb häufig an Erfahrung im Umgang mit multimorbiden PatientInnen und/oder an Fachkompetenz fehlt, kann durch die individuelle PT-Supervision aufgefangen werden, die von den PT-SchülerInnen sehr positiv bewertet wird. Zusätzlich können IP Besprechungen bei allen Berufsgruppen dazu beitragen, physiotherapeutische Behandlungsschwerpunkte besser zu erkennen und die Aktivitätsebene der behandelnden Patienten mehr zu fokussieren, so dass die weitere Versorgung im Team darauf aufbauen kann.

Der strukturierte MIA-Tagesablauf mit festgelegten Zeiten für den IP Austausch scheint, wie erhofft, die IP Zusammenarbeit zu fördern. Auch wenn der Tagesablauf zunächst ungewohnt ist, da er deutlich vom üblichen Ablauf der einzelnen Berufsgruppen – vor allem dem der Pflege – abweicht, schätzen alle die formalen Austauschzeiten mit den anderen Berufsgruppen und nehmen diese als wertvoll wahr. Die von den Teilnehmenden bestätigten häufigen Berührungspunkte mit den anderen Berufsgruppen tragen zu einer intensiven Kommunikation und Interaktion zwischen den Lernenden bei. So können sie auf der MIA lernen, wie wichtig es ist, die relevanten Informationen aller Berufsgruppen einzubringen und einzuholen [5], [10], [12]. IP Lernsituationen ergeben sich z.B. beim Vorstellen der PatientInnen in der Frühbesprechung durch die Pflegeazubis, durch Nachfragen vonseiten der Medizinstudierenden und PT-SchülerInnen oder beim gemeinsamen Besprechen und ggf. Priorisieren der nächsten Behandlungsschritte. Das Gelingen der IP Interaktionen wird, sofern erforderlich, durch die SupervisorInnen im Hintergrund gelenkt. Die Teilnehmenden schätzen darüber hinaus besonders die informellen IP 1:1-Gespräche, in denen sie viel über die anderen Berufsgruppen lernen. Hierzu trägt das gemeinsame MIA-Arbeits- und Besprechungszimmer wesentlich bei.

Die gemeinsame Visite wird als das zentrale IP Element von den Teilnehmenden angesehen, in denen sie über die anderen Berufsgruppen lernen. Gleichzeitig gibt sie den jeweils zuständigen Lernenden der verschiedenen Berufsgruppen die Gelegenheit, sich intensiv über die PatientInnen fachlich auszutauschen und ihnen gegenüber als Behandlungsteam aufzutreten. Begleitet durch die SupervisorInnen im Hintergrund, können Problemstellungen, die bei der Vorbesprechung der Visite oder währenddessen auftauchen, aufgefangen werden, was eine sichere Lernumgebung schafft.

MIA am Mittag, die IP Reflexions- und Fortbildungszeit für alle Teilnehmenden, soll ein kurzes Innehalten von der eigenen Arbeit und das Reflektieren der eigenen Rolle im Team und die der anderen Berufsgruppen ermöglichen. Diese Reflexionszeiten wurden kaum als Lerngelegenheiten genannt, um über andere Berufsgruppen zu lernen [18]. Trotzdem wird die Reflexion als grundlegendes IP Lernelement für die Entwicklung einer guten IP Zusammenarbeit zum Wohle der PatientInnen gesehen [19].

Der hohe IP Lernzuwachs über die Berufsfelder und die unterschiedlichen Anforderungen an die jeweilige Berufsgruppe im Stationsalltag – vor allem über die der Ärzte – zeigt, dass in allen drei Ausbildungswegen dieser Thematik zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird. Jedoch ist das Wissen über die anderen Berufsgruppen die Grundlage für eine gute IP Kommunikation und Zusammenarbeit [20], [21].

Die Verknüpfung von IP und fachlichem Lernen scheint auf der MIA zu gelingen – beides ist wichtig für die zukünftige Berufsausübung und sollte nicht getrennt voneinander gesehen werden [9], [22]. Das bewusste Erleben der IP Kommunikation und Zusammenarbeit während des MIA-Einsatzes kann dazu beitragen zu erkennen, dass die Qualität der Patientenversorgung durch ein IP Team optimiert werden kann [23], was sich im Idealfall in einer entsprechenden IP Zusammenarbeit im späteren Berufsleben äußert [5], [10], [12].

Limitationen

Bei den Evaluationsergebnissen ist u.a. zu berücksichtigen, dass es sich um selbstberichtete Daten handelt. Die variierende Einsatzdauer und -zeiten der beteiligten Berufsgruppen führen dazu, dass die Bewertung des neuen Lehrformats MIA vor unterschiedlichen Hintergründen bezüglich Ausbildungsstand, klinischen sowie IP Erfahrungen erfolgt. Zudem ist die Rücklaufquote der Pflegeazubis im Vergleich zu den anderen Berufsgruppen zu niedrig. Dies kann an dem, den Pflegeazubis vorher unbekannten TAN-Zugangsverfahren zur online-Umfrage gelegen haben.


Schlussfolgerung

Das Lehr-Lernkonzept der MIA konnte gut umgesetzt werden. Durch das Lernsetting in einer realen Klinikstation können die Organisation und die einzelnen Abläufe der eigenen und der anderen Berufsgruppen gelernt und geübt werden. Die oft schwerkranken PatientInnen verlangen allen Lernenden ab, im Team zu kommunizieren, zusammenzuarbeiten und dabei gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Auch wenn aufgrund der ausbildungsspezifischen Rahmenbedingungen zurzeit die Einsatz- und Schichtzeiten der Berufsgruppen variieren, zeigt sich, dass auf der MIA Studierende, Azubis und SchülerInnen dreier Berufsgruppen in einem verpflichtenden Einsatz unter Supervision gemeinsam PatientInnen versorgen und dabei die IP Kommunikation und Zusammenarbeit im realen Stationskontext üben und davon profitieren können.

Angestrebt wird eine Verlängerung des MIA-Einsatzes für die Medizinstudierenden auf zwei Wochen. Dadurch wäre es möglich, die Einsätze der Studierenden mit denen der PT-SchülerInnen zu synchronisieren. Dies könnte zu einem noch stärkeren Zusammenwachsen im Team beitragen.

Unabdingbar für die MIA ist das Sicherstellen der täglichen Supervision durch geschulte SupervisorInnen, die mit einer gewissen Kontinuität für die Patientensicherheit und die adäquate Umsetzung des Lehr-Lernkonzeptes sorgen. Um die Qualität der Supervision konstant zu halten und die MIA weiterzuentwickeln, sind regelmäßige weitere Workshops und Treffen vorgesehen, in denen neben organisatorischen Punkten auch neue Ideen ausgearbeitet und deren Umsetzungsmöglichkeiten besprochen werden.


Danksagung

Wir bedanken uns bei den zahlreichen, an der Konzeption und Umsetzung der MIA Beteiligten für ihr engagiertes Mitwirken. Besonderer Dank gilt Prof. Dr. Ebert und Priv.-Doz. Dr. Vogelmann der II. Medizinischen Klinik und dem Studiendekan Prof. Dr. Wieland sowie Dr. Fritz-Joas, Leiter des Geschäftsbereichs Studium und Lehrentwicklung. Auch der wegweisende, unterstützende Input von René Ballnus und seinen KollegInnen des Karolinska Instituts hat uns bei der Realisierung der MIA sehr geholfen. Die Förderung des IP Lernstrangs durch die Robert Bosch Stiftung ermöglichte uns, IP Lernen weiter zu denken und auf den realen klinischen Kontext zu erweitern.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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