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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Heterogene Lernkulturen in der interprofessionellen Lehre: ein Schulungsangebot für Lehrende

Artikel Interprofessionelle Ausbildung

  • corresponding author Ronja Behrend - Charité - Universitätsmedizin Berlin, Dieter Scheffner Fachzentrum für medizinische Hochschullehre und Ausbildungsforschung, Prodekanat für Studium und Lehre, Berlin, Deutschland
  • author Mira Mette - Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, GB Studium und Lehrentwicklung, Mannheim, Deutschland
  • author Maud Partecke - Universitätsmedizin Greifswald, Klinik für Anästhesiologie, Anästhesie-, Intensiv-, Notfall- und Schmerzmedizin, Greifswald, Deutschland
  • author Kathrin Reichel - Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Fachbereich 3 Arbeit und Gesundheit, Berlin, Deutschland
  • author Birgit Wershofen - Klinikum der Universität München, LMU München, Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, München, Deutschland

GMS J Med Educ 2019;36(3):Doc24

doi: 10.3205/zma001232, urn:nbn:de:0183-zma0012325

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2019-36/zma001232.shtml

Eingereicht: 19. Juli 2018
Überarbeitet: 6. März 2019
Angenommen: 22. März 2019
Veröffentlicht: 16. Mai 2019

© 2019 Behrend et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Aufgrund der politischen Forderung nach Integration von interprofessionellem (IP) Lernen in die Ausbildungen der Gesundheitsberufe stehen Lehrende vor der Herausforderung, IP Lehrveranstaltungen zu konzipieren und durchzuführen. Die IP und damit heterogenen Lerngruppen stellen dabei eine Besonderheit dar. Ziel des vorgestellten Projekts war die Entwicklung eines Schulungskonzeptes in Form eines Workshops, in dem Lehrende über heterogene Lernkulturen reflektieren und auf die IP Lehre vorbereitet werden.

Methodik: Die Entwicklung des Workshopkonzeptes erfolgte entsprechend des „Plan-Do-Check-Act-Zyklus“ (PDCA-Zyklus) und umfasste die Planung, die mehrfache Erprobung sowie die Evaluation des Konzeptes. Alle Planungsschritte bei der Entwicklung des Workshopkonzeptes erfolgten nach den Prinzipien des Kooperativen Lernens. Das Konzept wurde iterativ auf Grundlage von Teilnehmerfeedback und Selbstreflexion der Referentinnen stetig weiterentwickelt.

Ergebnisse: Das entwickelte Workshopkonzept beinhaltet Theorieinput sowie Austausch, Zusammenarbeit und Reflexion der Teilnehmenden. Kernelement des Workshops ist der Arbeitsauftrag, eine IP Lehrveranstaltung zu entwickeln und dabei lernkulturelle Besonderheiten zu berücksichtigen. Arbeitsergebnisse und -erfahrungen werden im Plenum diskutiert und notwendige Fähigkeiten von IP Lehrenden identifiziert.

Schlussfolgerung: Die subjektiven Rückmeldungen der Teilnehmenden zur Zufriedenheit und zum Erkenntnisgewinn lassen auf eine Akzeptanz des Workshopkonzeptes schließen. Durch die gemeinsame Planung einer IP Lehrveranstaltung werden Besonderheiten verdeutlicht, die sich aus heterogenen Lernkulturen ergeben. Diese Besonderheiten gilt es beim IP Lehren zu nutzen, um die Lernenden besser auf die IP Zusammenarbeit in der Praxis vorbereiten zu können.

Schlüsselwörter: Interprofessionelles Lernen, interprofessionelles Lehren, Lehr- und Lernkulturen, Heterogenität, Gesundheitsberufe, Weiterbildung


1. Einleitung

Die Bedeutung kooperativer Arbeitsweisen nimmt im Hinblick auf komplexer werdende Versorgungsbedarfe in der Gesundheitsversorgung zu. Nationale und internationale Gesundheits- und Bildungsexpert*innen empfehlen, die Angehörigen der Gesundheitsberufe (z.B. Medizin, Pflege, Physio- und Ergotherapie) bereits in der Ausbildung auf die IP Zusammenarbeit vorzubereiten und gemeinsame Lernangebote in die bestehenden Curricula zu implementieren [1], [2], [3], [4], [5]. IP Lernen findet statt, wenn zwei oder mehr Berufsgruppen miteinander, voneinander und übereinander lernen, um die Zusammenarbeit und die Qualität der Gesundheitsversorgung zu verbessern [6]. Die dafür erforderlichen Kompetenzen sind in verschiedenen internationalen IP Kompetenzrahmenwerken zusammengefasst [z.B. [7], [8], [9]]. Zwar fehlt bislang ein deutschsprachiges Rahmenwerk für IP Kompetenzen, jedoch wird die Notwendigkeit der Vermittlung IP Kompetenzen auch für die Gesundheitsberufe in Deutschland formuliert [5], [10].

Im Jahr 2012 wurde mit dem Förderprogramm „Operation Team – Interprofessionelles Lernen in den Gesundheitsberufen“ der Robert Bosch Stiftung ein Programm initiiert, um IP Lernen gezielt an deutschen Medizinischen Fakultäten umzusetzen [11]. Die Umsetzung stellte sich jedoch als herausfordernd dar, weil die Gesundheitsausbildungen in Deutschland in unterschiedlichen Qualifizierungspfaden stattfinden was zu unterschiedlichem Lehr- und Lernverhalten führt [12], [13], [14]. Im Laufe des Programms wurde daher der zunehmende Bedarf identifiziert, interessierte Lehrende und Curriculumsentwickler*innen über Möglichkeiten der konzeptionellen Entwicklung und praktischen Umsetzung von IP Lehr- und Lernangeboten zu informieren.

Heterogene Lernkulturen

Heterogenität in Lerngruppen ist bei allen Bildungsangeboten eine Herausforderung. Im Kontext von IP Lehre erhält der Aspekt eine spezifische Bedeutung und bezieht sich auf die Zusammensetzung der Lernenden aus verschiedenen Ausbildungsgängen. Im vorliegenden Zusammenhang wird weniger auf die vertikale Heterogenität abgezielt (d.h. Unterschiede im Leistungsniveau), sondern vielmehr auf die so genannte horizontale Heterogenität in Bezug auf Vorgehensweisen und qualitative Merkmale [15]. Die verschiedenen Rahmenbedingungen für Ausbildung und Studium der Gesundheitsberufe bringen unterschiedliche bildungstheoretische Konzepte sowie Lernmethoden mit sich, die sich auf die Bildungserfahrung und die Sozialisationsprozesse der Lernenden auswirken und ihre Lernerwartungen und -gewohnheiten prägen. Durch die Ausbildung und Arbeit in einem Beruf werden berufsspezifische Einstellungen, Kenntnisse, Normen, Werte und Verhaltensweisen erlernt bzw. erworben [16], die zum Entstehen von Berufskulturen beitragen und sich in bestimmten Lernkulturen manifestieren [13], [17], [18], [19]. Lernkulturen werden von den Lernenden und Lehrenden selbst, von den Charakteristika der Lehrinstitution (Schule, Hochschule, Curricula, Lehrbedingungen usw.), pädagogischen Interventionen sowie der didaktischen Gestaltung, aber auch vom Selbstverständnis einzelner Disziplinen geprägt [17], [18]. Insbesondere die Lehrpersonen prägen die Lernenden, da sie eine Vorbildfunktion einnehmen und so die Lernerfahrung beeinflussen [17]. Die in den jeweiligen monoprofessionellen Ausbildungspfaden herausgebildeten Kulturen führen zu heterogenen Lern- und Berufskulturen. Gesundheitsberufe weisen spezifische Merkmale auf, die sich als Heterogenitätsfaktoren in IP Lerngruppen zeigen, wie z.B. unterschiedliche Wissensbestände, Bezugsdisziplinen, Lösungsansätze, Fachsprachen und Aufgaben in der Patientenversorgung.

Heterogene Lerngruppen werden von Lehrenden häufig als Erschwernis und Belastung angesehen [20]. Da beim IP Lernen Teilnehmende unterschiedlicher Lernkulturen in Gruppen mit-, von- und übereinander lernen sollen, ist es erforderlich, diese Aspekte gezielt in die didaktische Planung einzubeziehen und die Lehrenden für die Entwicklung und Durchführung dieser Lehrformate zu qualifizieren. Die Qualifizierung Lehrender in den Gesundheitsberufen im Allgemeinen ist erwiesenermaßen bedeutsam [21], [22], [23] und rückt somit auch im Bereich der IP Lehre zunehmend in den Fokus der Betrachtung [24]. Der Qualifikationsbedarf ergibt sich dabei auch aus dem Wissensdefizit der Gesundheitsberufe übereinander, weil eine Wissensvermittlung über die anderen Berufe nicht in allen Curricula verankert ist. Da IP Lehrende selbst monoprofessionell ausgebildet wurden, ist die Qualifikation für die IP Lehre besonders relevant.

Zum Zeitpunkt 2016 existierte unseres Wissens in Deutschland kein Fort- oder Weiterbildungsangebot, das heterogene Lernkulturen in der IP Lehre der Gesundheitsberufe adressierte.

In der folgenden Projektbeschreibung wird daher die Planung, Durchführung und Weiterentwicklung eines Workshopkonzeptes beschrieben, das Lehrende unterschiedlicher Gesundheitsberufe auf die Aufgabe der Gestaltung und Durchführung IP Lerneinheiten vorbereitet. Im Ergebnisteil wird das Workshopkonzept, dessen Schwerpunkt auf dem Umgang mit Heterogenität der Lernkulturen liegt, detailliert vorgestellt.


2. Projektbeschreibung

Entwicklung des Workshopkonzeptes

Die Entwicklung des Workshopkonzeptes wurde durch eine IP Arbeitsgruppe aus fünf wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen aus Physiotherapie, Ergotherapie, Pflegewissenschaft, Bildungs- und Geisteswissenschaften initiiert, die seit 2013 an unterschiedlichen universitären Standorten mit der Entwicklung und Umsetzung IP Lehr- und Lernprojekte betraut sind. Der Entwicklungsprozess folgte den Schritten des PDCA-Zyklus (Plan, Do, Check, Act) [25], der ein strukturiertes Vorgehen erlaubt. In der Planungsphase („Plan“) traf sich die IP Arbeitsgruppe und legte die Zielstellungen, Gliederung und Inhalte des ersten Workshops fest. Die einzelnen Inhalte, wie z. B. der theoretische Input oder der Arbeitsauftrag für die Workshopteilnehmenden, wurde in Zweiterteams ausgearbeitet und anschließend in der Gruppe diskutiert und festgelegt. Didaktisch orientierte sich die Gestaltung des Workshops maßgeblich an den Prinzipien des Kooperativen Lernens (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Das Kooperative Lernen wurde gewählt, da bei dieser Methode alle Gruppenmitglieder gleichberechtigt sind, sich gegenseitig unterstützen und jede Person zum Erreichen der Lernziele bzw. Ergebnisse beiträgt [26], [27].

Der Workshop wurde im Zeitraum April 2016 bis März 2017 im Rahmen von drei verschiedenen deutschsprachigen Kongressen jeweils einmal durchgeführt („Do“). Mindestens zwei Mitglieder der Arbeitsgruppe leiteten die Workshops als Referentinnen. Der Titel und der zeitliche Umfang wurden jedes Mal an die Rahmenbedingungen der Kongressveranstalter angepasst. Es nahmen jeweils zwischen elf und 25 Personen aus mindestens drei verschiedenen Professionen an den Workshops teil, hauptsächlich Lehrende in den Gesundheitsberufen, wie zum Beispiel der Humanmedizin, Pflege, Logopädie, Physio- und Ergotherapie. Nach den Workshops reflektierten die Teilnehmenden in einer offenen Feedbackrunde anhand von drei Leitfragen:

  • Was nehmen Sie aus dem Workshop mit?
  • Wurden Ihre Erwartungen erfüllt?
  • Was möchten Sie den Referentinnen noch mitgeben?

Zusätzlich reflektierten die an der Durchführung beteiligten Referentinnen im Nachgang zu jedem Workshop schriftlich in Hinblick auf Verbesserungsbedarf bei der Gliederung des Workshops, der methodischen und inhaltlichen Gestaltung („Check“) [28]. Das Feedback von insgesamt 79 Teilnehmenden und die Reflexion von fünf Referentinnen hatte explorativen Charakter und floss formativ in die methodische und inhaltliche Weiterentwicklung des Workshopkonzeptes ein [29]. Darauf aufbauende Maßnahmen wurden bei der nächsten Durchführung umgesetzt („Act“). Tabelle 1 [Tab. 1] gibt für jeden der drei durchgeführten Workshops Auskunft über die Evaluationsergebnisse.

Abgeleitet aus den Evaluationen, wurden die Teilnehmenden ab der zweiten Workshopdurchführung aktiver eingebunden. Der Arbeitsauftrag wurde konkreter ausgearbeitet und ein Arbeitsblatt als Hilfestellung entwickelt. Außerdem wurde zunehmend mehr Zeit für die Reflektion der verschiedenen Lehr- und Lernkulturen eingeplant, um einen intensiveren Austausch der Teilnehmenden zu ermöglichen.

Im Rahmen des mündlichen Teilnehmerfeedbacks wurden keinerlei persönliche Daten gespeichert oder verarbeitet. Den Workshopteilnehmenden entstand kein Nachteil durch eine Nicht-Teilnahme an der Feedbackrunde.


3. Ergebnisse

Workshopkonzept

Das Ergebnis des oben beschriebenen Planungs-, Durchführungs- und Evaluationsprozesses (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]) ist ein Workshop für IP Lehrende und Curriculumsplanende aus den Therapie- und Diagnostikberufen, der Pflege und Medizin. Es sind keine Vorkenntnisse der Teilnehmenden erforderlich, jedoch sind grundlegende Kenntnisse über die Gesundheitsberufe von Vorteil. Angestrebt ist eine IP Zusammensetzung der Teilnehmenden aus den o.g. Gesundheitsberufen. Die maximale Gruppengröße wurde auf 20-25 Teilnehmende festgelegt. Der entwickelte dreistündige Workshop wurde erstmalig bei der Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA) 2017 in Münster unter dem Titel „Heterogenität der Lernkulturen in den Gesundheitsberufen – eine Herausforderung für interprofessionelles Lehren und Lernen“ mit 20 Teilnehmenden durchgeführt (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]).

Lernziele

Die Lernziele für die Workshopteilnehmenden lauten: Die Workshopteilnehmenden...

  • reflektieren die eigene Lern- und Lehrkultur;
  • lernen Lern- und Lehrkulturen anderer Gesundheitsberufe kennen;
  • entwickeln ein didaktisches Konzept einer IP Unterrichtseinheit unter Berücksichtigung heterogener Lernkulturen;
  • identifizieren spezifische Anforderungen an die eigene Lehrtätigkeit im Kontext heterogener Lernkulturen in IP Lehrsettings.
Ablauf des Workshops
1. Einstieg

Über den üblichen Einstieg in Workshops (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]) hinaus wird die Heterogenität innerhalb der Workshopgruppe durch eine Abfrage der Berufe aufgezeigt. Als Hinleitung zum Schwerpunktthema „Lehr- und Lernkulturen“ werden Begriffe über bestimmte Eigenschaften und Vorlieben beim Lernen vorgestellt und von den Teilnehmenden bestimmten Gesundheitsberufen zugeordnet.

2. Input

Die Impulsreferate zu Beginn des Workshops hatten das Ziel, eine gemeinsame Wissensbasis der Teilnehmenden zu schaffen. Darin wird eine Definition von Berufskulturen vorgestellt: „...Kultur manifestiert sich immer in einem für eine Nation, Gesellschaft, Organisation oder Gruppe typischen Orientierungssystem. Dieses Orientierungssystem wird aus spezifischen Symbolen (z.B. Sprache, Gestik, Mimik, Kleidung, Begrüßungsritualen) gebildet“ [30].

Es folgen Beispiele aus dem beruflichen Kontext, die exemplarisch die Anpassung der Mitglieder einer Berufsgruppe an spezifische Symbole vorstellen, z.B. in Sprache oder Kleidung. Die Teilnehmenden werden gebeten, sich anhand der Frage „Wie erlebten Sie Ihr Lernen und sich als Lernenden in der eigenen Ausbildung?“ zu reflektieren. Dazu wird in Kleingruppen ein direkter Austausch zwischen den Gruppenmitgliedern initiiert. Ziel ist es aufzuzeigen, dass das Lernen individuell unterschiedlich ist und von den Teilnehmenden in ihren jeweiligen Ausbildungen unterschiedlich erlebt wurde (z.B. praktisches Lernen am Patienten im Gegensatz zum faktenbasierten Lernen aus Lehrbüchern).

Im nächsten Schritt sollen die Teilnehmenden durch die Reflexion des eigenen Lehrens erkennen, dass das eigene Lernen auch das Lehren beeinflusst. Es folgt eine Präsentation, in der IP Lernen definiert wird, einige IP Kompetenzrahmenwerke vorgestellt und Empfehlungen zur Umsetzung von IP Lernzielen gegeben werden. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die zentrale Rolle der Lehrenden gelegt.

3. Arbeitsauftrag

Dieser Abschnitt des Workshops erfordert die aktive Zusammenarbeit in IP Kleingruppen. Das Arbeitsziel, das jede Kleingruppe in gemeinsamer Arbeit erreichen soll, ist die Entwicklung einer IP Lehrveranstaltung. Hierbei soll das Lernen mit-, von- und übereinander nicht nur methodisch umgesetzt, sondern auch lernkulturelle Unterschiede explizit berücksichtigt werden. Um nach den Merkmalen des Kooperativen Lernens eine positive Interdependenz herzustellen, bestimmen die Teilnehmenden der Kleingruppe das Thema der Lehrveranstaltung. Jedes Gruppenmitglied ist in der Verantwortung, die eigene berufliche Sichtweise in die Planung einzubringen und sich mit den anderen auszutauschen. Die IP Gruppenzusammensetzung bietet dabei die Gelegenheit, sich beim Planungsprozess mit den unterschiedlichen Lehr- und Lernkulturen auseinanderzusetzen und die IP Zusammenarbeit selbst zu erleben. Ein Arbeitsblatt mit kennzeichnenden Merkmalen für IP Lehrformate dient als Unterstützung bei der Ausarbeitung (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]).

4. Austausch im Plenum und Reflexion

Die Arbeitsergebnisse werden im Plenum vorgestellt. In einem reflexiven Gruppenprozess, welcher ein Gestaltungsprinzip des Kooperativen Lernens ist, wird reflektiert, wie die Zusammenarbeit der IP Kleingruppe erlebt wurde, wie Herausforderungen in der Zusammenarbeit konstruktiv gelöst wurden und welchen Einfluss dabei die unterschiedlichen berufskulturellen Hintergründe hatten.

Auf Grundlage der in der Gruppenarbeit gesammelten Erfahrungen, werden Fähigkeiten Lehrender identifiziert, die IP Lehre gelingen lassen. Es folgt ein Austausch, in dem die Teilnehmenden mit den Referentinnen offene Fragen klären und Erfahrungen mitteilen können.


4. Diskussion

Die Teilnehmerrückmeldungen deuten darauf hin, dass der Workshop mit seinen gewählten inhaltlich-didaktischen Methoden geeignet ist, über die verschiedenen Lernkulturen zu reflektieren und diese Erkenntnisse bei der Konzeption von IP Lehre anzuwenden. Nach Einschätzung der Referentinnen erwies sich der Theorieinput am Anfang der Workshops als sinnvoll, um für die Teilnehmenden eine ähnliche Wissensbasis zu schaffen. Die Rückmeldungen der Teilnehmenden bestätigten dies. Die gewählten Methoden der interaktiven Workshopgestaltung ermöglichten einen intensiven Austausch zwischen den Teilnehmenden, was sich durch angeregte Diskussionen in den Workshops zeigte. Vor allem beim gemeinsamen Arbeitsauftrag wurde intensiv diskutiert. Die nachfolgende Reflexion der Zusammenarbeit im Plenum zeigte, dass hier ein Lernprozess angeregt wurde.

Das Teilnehmer-Feedback war von Anfang an positiv in Hinblick auf den Ablauf und die Inhalte des Workshops. Die Maßnahmen zur Optimierung bezogen sich auf die Auseinandersetzung mit den Lehr- und Lernkulturen, denen inhaltlich und diskursiv zunehmend mehr Zeit eingeräumt wurde. Während der erste Workshop von elf Teilnehmenden besucht wurde, waren alle folgenden Workshops ausgebucht, was als positives Indiz für das zunehmende Interesse an der Thematik zu deuten ist.

Wie einleitend beschrieben, wird Heterogenität häufig als Belastung angesehen, dabei kann sie beim IP Lernen eine Chance sein [20]. Die Chance besteht darin, dass das Zusammenarbeiten in den heterogenen Lerngruppen die Lernenden auf die IP Patientenversorgung im späteren Berufsalltag besser vorbereitet. Die Diskussion unter den Teilnehmenden und mit den Referentinnen zeigte spezifische Anforderungen an die IP Lehrenden auf. Neben allgemeinen Lehrkompetenzen wie z.B. Fachwissen, Methodenkompetenz oder kommunikativen Fähigkeiten, zählen dazu in der IP Lehre auch die persönliche Haltung, die Fähigkeit, im IP Dozententeam zu unterrichten und die wertfreie bzw. wertschätzende Darstellung verschiedener beruflicher Perspektiven.

Eine Herausforderung bei der Durchführung der Workshops waren die nicht vorhersehbaren Erwartungen, das Vorwissen, die Gruppengröße und die professionellen Hintergründe der Workshopteilnehmenden. Diese brachten jeweils unterschiedliche Dynamiken in die Veranstaltungen und beeinflussten die Schwerpunktsetzung der jeweiligen Workshops, was Flexibilität auf Seiten der Referentinnen erforderte.

Eine Stärke des Workshopkonzeptes ist, dass die Teilnahme mit unterschiedlichem Vorwissen und Perspektiven möglich und erwünscht ist. Durch das strukturelle Vorgehen in der Planung und die mehrfache Erprobung, flossen unterschiedliche IP Perspektiven in das vorgestellte Workshopkonzept mit ein. IP Dozententeams könnten hilfreich sein, um die unterschiedlichen Perspektiven aufgreifen zu können. Der Workshop bietet zudem den Freiraum, über IP Lehren und Lernen grundsätzlich zu diskutieren, ohne unter dem Druck einer direkten Umsetzung zu stehen. Die Durchführung im Rahmen von Konferenzen bietet die Möglichkeit, von den Erfahrungen aus unterschiedlichen Institutionen zu profitieren. Limitierend ist, dass die individuellen Rahmenbedingungen an den Hochschulen bei der Entwicklung und Durchführung von IP Lehre eine große Rolle spielen. Die Umsetzung an einem konkreten Standort und von konkreten Formaten muss immer an die Gegebenheiten vor Ort angepasst werden, sodass der Workshop das Training für Lehrende zwar ergänzen, die konkrete Vorbereitung auf IP Lehren an den einzelnen Standorten jedoch nicht ersetzen kann.


5. Schlussfolgerung

Unterschiedliche Lernkulturen sollten methodisch-didaktisch Berücksichtigung finden, um IP Lehre gelingen zu lassen. Diese manifestieren sich beispielsweise in unterschiedlichen Lerngewohnheiten oder bestimmten didaktischen Methoden, auf die Lehrende gezielt vorbereitet werden sollten. Das in diesem Artikel vorgestellte Workshopkonzept kann IP Lehrenden und Fakultäten als Vorlage dienen, Dozierende für heterogene Lernkulturen zu sensibilisieren. Dies kann als Ergänzung zu der hochschuldidaktischen Vorbereitung auf konkrete Formate sinnvoll sein, um die Bedürfnisse der Lernenden zu erkennen und in der Lehre adressieren zu können. In weiterführenden Evaluationen zukünftiger Workshops könnte untersucht werden, inwieweit die Teilnehmenden nach dem Workshop tatsächlich eine verbesserte Kompetenz für IP Lehren aufweisen.


Förderung

Die Durchführung der Workshops wurde durch die Robert Bosch Stiftung unterstützt.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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