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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Patientensicherheit im Praktischen Jahr: Eine qualitative Untersuchung zu möglichen Fehlerquellen und zum Potential von Entrustable Professional Activities

Artikel Praktisches Jahr

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  • author Anja Czeskleba - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Dieter Scheffner Fachzentrum für medizinische Hochschullehre und Ausbildungsforschung, Prodekanat für Studium und Lehre, Berlin, Deutschland
  • author Ylva Holzhausen - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Dieter Scheffner Fachzentrum für medizinische Hochschullehre und Ausbildungsforschung, Prodekanat für Studium und Lehre, Berlin, Deutschland
  • corresponding author Harm Peters - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Dieter Scheffner Fachzentrum für medizinische Hochschullehre und Ausbildungsforschung, Prodekanat für Studium und Lehre, Berlin, Deutschland

GMS J Med Educ 2019;36(2):Doc18

doi: 10.3205/zma001226, urn:nbn:de:0183-zma0012264

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2019-36/zma001226.shtml

Eingereicht: 7. Februar 2018
Überarbeitet: 17. August 2018
Angenommen: 23. November 2018
Veröffentlicht: 15. März 2019

© 2019 Czeskleba et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: In Final Year Clerkships, wie dem Praktischen Jahr (PJ), gilt es, eine Balance zwischen dem praxisbezogenen Lernen der PJ-Studierenden und der Gewährleistung der Patientensicherheit zu finden. In dieser qualitativen Studie wird aus Sicht von supervidierenden Ärzten exploriert, welche Probleme im PJ hinsichtlich der Patientensicherheit wahrgenommen werden und ob und inwiefern Entrustable Professional Activities (EPAs) zu einer Verbesserung der Patientensicherheit führen können.

Methodik: Die Datenerhebung erfolgte mittels Fokusgruppen. Teilnehmende waren in der PJ-Ausbildung erfahrene Fachärzte (n=11). Die Auswertung bzgl. vorhandener Probleme im PJ mit Einfluss auf die Patientensicherheit erfolgte deduktiv mit einem bereits vorliegenden Kategoriensystem (Fehlerfaktoren in der Klinik). Zur Analyse potentieller Verbesserungen durch EPAs wurde ein induktiv am Material entwickeltes Kategoriensystem zum Einfluss von EPAs auf das PJ genutzt.

Ergebnisse: Die supervidierenden Ärzte nehmen im PJ eine Reihe von Problemen mit Einfluss auf die Patientensicherheit wahr. Diese lassen sich den Kategorien Organisation & Management, individuelle Faktoren, Aufgabenfaktoren und Arbeitsumfeld zuordnen. Nach ihrer Einschätzung könnten EPAs zu einer Verbesserung der Ausbildung und damit verbunden der Patientensicherheit beitragen. Ihre Kommentare lassen sich den Kategorien Verbesserung der Ausbildung, Leistungsstand & Unterstützung von Lernprozessen, Transparenz und Minimierung von Unsicherheit zuordnen.

Schlussfolgerungen: Die Aussagen der Ärzte zeigen verschiedene Probleme in der Patientensicherheit bei der Ausbildung von PJ-Studierenden auf, bspw. durch eine mangelnde Strukturierung des PJ. Ihrer Einschätzung nach kann das Risiko durch den Einsatz von EPAs maßgeblich reduziert werden, da sie das PJ inhaltlich und organisatorisch besser strukturieren.

Schlüsselwörter: Praktisches Jahr, Patientensicherheit, Entrustable Professional Activities


1. Einleitung

Das Medizinstudium wird in vielen Ländern durch eine Praxisphase, dem Final Year Clerkship, abgeschlossen. In dieser Phase der Ausbildung sind die Studierenden aktiv in die Patientenversorgung integriert. Sie dient der praktischen Anwendung der zuvor überwiegend theoretisch erworbenen Kenntnisse sowie der Vorbereitung auf die kommende Tätigkeit als Arzt. (Es sind immer beide Geschlechter gemeint.) In dieser Ausbildungsphase gilt es, eine Balance zwischen dem Lernen der Studierenden und der Sicherheit für die Patienten zu finden [1]. Dies wird u. a. dadurch gewährleistet, dass die Studierenden unter der Supervision von Ärzten arbeiten und über den Verlauf der Praxisphase hinweg zunehmend mehr Verantwortung übernehmen. Die Literatur zum Thema Final Year Clerkship konzentriert sich vorwiegend auf das Lernen der Studierenden, z. B. auf die Verbesserung von Workplace-based Learning und Assessment [vgl. [2], [3], [4], [5]] oder auf die Umsetzung von kompetenzbasierter Ausbildung [vgl. [6], [7]]. Aspekte der Patientensicherheit werden hingegen kaum beleuchtet. In dieser Studie sollen bzgl. der Patientensicherheit zwei zentrale Aspekte des Final Year Clerkship aus Sicht von supervidierenden Ärzten exploriert werden: aktuelle Probleme auf Station und Möglichkeiten zur Verbesserung durch EPAs.

In Deutschland bildet das Praktische Jahr (PJ) das Äquivalent für das Final Year Clerkship. Es gliedert sich in die Tertiale Innere Medizin, Chirurgie und Wahlfach. Die Ärztliche Approbationsordnung (ÄApprO) regelt, dass Medizinstudierende in dieser Ausbildungsphase „entsprechend ihrem Ausbildungsstand unter Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des ausbildenden Arztes ihnen zugewiesene ärztliche Verrichtungen durchführen“ (§ 3, Abs. 4, ÄApprO [8]) sollen. Hinzu kommen in der Regel weitere Ausführungen in spezifischen PJ-Ordnungen und die Verankerung von Ausbildungsinhalten in sogenannten Log-Büchern. Zu der Frage, wie Anleitung und Aufsicht konkret in der Praxis umzusetzen sind, gibt es kaum weiteren Vorgaben. Dies gilt auch für den Aspekt der Patientensicherheit. Es stellt sich somit die Frage, inwiefern die Patientensicherheit durch das PJ gewährleistet und ggfs. beeinträchtigt wird. Ebenso gilt es zu überlegen, wie eventuelle Risiken für Patienten möglichst minimiert werden können.

Patientensicherheit wird vom Aktionsbündnis Patientensicherheit als Abwesenheit unerwünschter Ereignisse (UE) beschrieben [9]. UEs werden als jene negativen Behandlungsergebnisse definiert, die Folge der medizinischen Behandlung sind. Ein vermeidbares unerwünschtes Ereignis (VUE) bezeichnet darüber hinaus ein UE, welches auf einem Fehler beruht [10]. Um den Problemen durch UEs und VUEs entgegenwirken zu können, ist es notwendig, die zugrundeliegenden Fehler zu identifizieren. Darauf aufbauend können anschließend mögliche Lösungsstrategien erarbeitet werden. Reason [11] beschreibt in seiner Fehlertheorie zwei Arten von Versagen: Durch menschliches Versagen verursachte Fehler oder Verstöße (aktives Versagen) sowie durch Entscheidungen auf Leitungsebene verursachte Fehler, z.B. durch Einsparung von Ressourcen (latentes Versagen). Auch wenn die Auswirkungen latenten Versagens mitunter nicht direkt sichtbar werden, begünstigen sie das Vorkommen aktiver Fehler. Hierauf aufbauend entwickelten Woloshynowych et al. [12] ein adaptiertes Rahmenwerk zur Fehleranalyse im Bereich des Gesundheitswesens, in dem sie fehlerrelevante Faktoren des klinischen Alltags integrieren.

Eine neue Herangehensweise, mit der die Ausbildung von Ärzten und potentiell auch die Patientensicherheit verbessert werden können, ist die Operationalisierung von Ausbildungszielen (Outcomes) für das PJ durch Entrustable Professional Activities (EPA). EPAs bilden konkrete ärztliche Tätigkeiten ab, die im Verlauf von Aus- und Weiterbildung schrittweise an die Studierenden oder Ärzte in Weiterbildung übertragen werden [13]. Dies bedeutet im Gegenzug, dass die ärztlichen Tätigkeiten mit zunehmendem Umfang und Schwierigkeitsgrad von den Lernenden übernommen werden. Der Grad der Supervision nimmt dabei ab bzw. der Grad der Eigenständigkeit zu. EPAs werden für unterschiedliche Ausbildungsgrade mit ihren Spezifikationen und Limitationen beschrieben. Die Supervision wird in fünf Hauptstufen operationalisiert: 1. beobachten dürfen, 2. direkte Supervision, 3. indirekte Supervision, 4. entfernte Superversion, 5. andere supervidieren können [14].

Für das Medizinstudium sind weiter ausdifferenziertere Abstufungen dieser Skala entwickelt worden [15]. Bislang lag der Fokus bei den EPAs vor allem auf der Verbesserung des Lernens. Die potentielle Bedeutung dieses Konzeptes für die Patientensicherheit ist bislang nicht explizit untersucht.

In dieser qualitativen Studie wird das Thema Patientensicherheit aus Sicht supervidierender Ärzte exploriert. Im ersten Teil werden die wahrgenommenen Probleme im PJ und im zweiten Teil die Einschätzung der Supervidierenden zum Verbesserungspotential mittels EPAs analysiert. Die Studie basiert auf der Annahme, dass eine Verbesserung des PJs zu einer Verminderung latenter Fehlerquellen und folglich zu einer erhöhten Patientensicherheit führt.


2. Methoden

Setting: Die qualitative Datenerhebung mittels Fokusgruppen erfolgte an der Universitätsmedizin Berlin (Charité). Für das PJ bildet neben der ÄApprO [8] die lokale PJ-Ordnung die rechtlichen Rahmenbedingungen ab. Hier ist festgehalten, dass PJ-Studierende die „Anweisungen der Lehr- und Ausbildungspersonen zu befolgen“ haben (§8, PJ-Ordnung, Charité [16]). Den Ausbildenden kommt eine spezielle Instruktions- und Überwachungspflicht zu. Die durchzuführenden Tätigkeiten sind hinsichtlich Umfang und Grenzen sowie Supervisionsgraden jedoch nicht weiter spezifiziert.

Teilnehmer: Im Rahmen eines Workshops zur Habilitationsvorbereitung wurden 11 in der PJ-Ausbildung erfahrene Fach- und Oberärzte rekrutiert, die Studierende in den Tertialen Chirurgie (n=5) und Innere Medizin (n=6) betreuen. Alle haben sich zur Vorbereitung schriftlich mit dem EPA-Konzept und mit konkreten Ausarbeitungen für das Medizinstudium vertraut gemacht. Zu Beginn des Workshops gab es weiteren theoretischen Input zu EPAs und anschließend wurden verschiedene EPAs vertiefend bearbeitet, bewertet und ausführlich in der Gruppe diskutiert. Das Thema Patientensicherheit wurde vorab nicht besprochen. Die abschließenden, nach Fachbereichen aufgeilten, Fokusgruppen (angeleitet durch A.C. und H.P.) wurden durch einen Leitfaden strukturiert (siehe Anhang 1 [Anh. 1]) und aufgezeichnet. Die Diskussionen innerhalb der zwei Fokusgruppen dauerten jeweils ca. 1,5 Stunden. Die Teilnahme an dem Workshop war freiwillig. Es wurde ein schriftliches Einverständnis zur Auswertung gegeben, ein Datenschutzvotum war nicht notwendig.

Analysen: Die Audiomitschnitte wurden transkribiert und die anschließende Datenauswertung erfolgte mit der Software MAXQDA 18 (VERBI Software, 2017, Berlin, Germany) in zwei Schritten: In einer ersten Analyse wurden relevante Textpassagen bzgl. Art und Ursache von im PJ auftretenden Problemen in einem deduktiven Verfahren analysiert. Die Kategorien entsprechen den Einflussfaktoren des klinischen Alltags nach Woloshynowych et al. [12]: Aufgabenfaktoren, individuelle Faktoren, Arbeitsbedingungen, Organisation und Management, Teamfaktoren, Patientenfaktoren und Kontext der Institution (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Die Untersuchung, ob und inwiefern EPAs aus Sicht der Supervidierenden die Patientensicherheit beeinflussen könnten, erfolgte mit einem induktiven Verfahren [17]. In einem schrittweisen Vorgehen wurden aus dem Datenmaterial zunächst Kategorien abgeleitet, definiert und mit Ankerbeispielen beschrieben und für die anschließende Analyse genutzt. Beide Analysen erfolgten von zwei unabhängigen Ratern (A.C. und Y.H.). Im Falle unterschiedlicher Zuordnungen wurde sich in einem Konsensverfahren auf eine Zuordnung geeinigt [17]; insgesamt erfolgten zwei Durchläufe. Bei der Darstellung der Ergebnisse werden die gefundenen Kategorien inhaltlich und bzgl. der Häufigkeit ihres Auftretens abgebildet.


3. Ergebnisse

Im Folgenden wird die Anzahl der Codierungen (Nennungen) der jeweiligen Kategorien sowie eine zusammenfassende Beschreibung der diskutierten Inhalte berichtet. Als erstes werden die wahrgenommenen Probleme (Fehlerfaktoren) berichtet. Anschließend das geschätzte Verbesserungspotential durch EPAs. Die Diskussion der Fehlerfaktoren erfolgte in beiden Gruppen, deutlich stärker jedoch in der chirurgischen Fokusgruppe. Auch das Verbesserungspotential durch EPAs wurde in beiden Gruppen diskutiert. Die Fokusgruppe der Inneren Medizin fokussierte jedoch stärker auf diese Aspekte. Innerhalb der jeweiligen Gruppe verteilen sich die Redebeiträge der Teilnehmer zu den diskutierten Themen gleichmäßig.

Wahrgenommene Probleme im PJ mit Einfluss auf die Patientensicherheit

In den Fokusgruppen werden von den supervidierenden Ärzten verschiedene Probleme der derzeitigen PJ-Ausbildung wahrgenommen. Die beschriebenen Probleme nehmen teilweise einen direkten, zumeist aber einen indirekten Einfluss auf die Patientensicherheit, z.B. durch schlechte Rahmenbedingungen des PJs, die die Qualität von Ausbildung und Patientenversorgung durch Studierende verringern. Die genannten Faktoren finden sich auch in dem von Woloshynowych et al. [12] beschriebenen Rahmenwerk wieder und lassen sich dort einordnen.

Nicht genannt im Zusammenhang mit dem PJ werden Probleme auf Ebene des institutionellen Kontextes, des Teams oder der Patienten.

Organisation und Management (34 Nennungen): Die am intensivsten diskutierten Probleme betreffen eine mangelnde Strukturierung des PJs. Die Ursache hierfür wird überwiegend in der Organisation innerhalb der Klinikabläufe gesehen. Damit einher gehen auch die fehlende Berücksichtigung und Anerkennung der Betreuung und Ausbildung von Studierenden. Auffällig ist, dass die strukturellen Probleme meist in Kombination mit und als ursächlich für andere Probleme beschrieben werden. Aufgrund von Häufigkeit und Ausführlichkeit ihrer Nennungen, sowie ihres Einflusses auf die anderen Kategorien erscheinen Probleme dieses Faktors am schwerwiegendsten (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]).

Individuelle Faktoren (24 Nennungen): Hierunter fallen vorwiegend motivationale Probleme: Seitens der Supervidierenden steht dies häufig in Zusammenhang mit den strukturellen Problemen. Für die Studierenden wird als Ursache für ungenügende Motivation oft Überforderung genannt. Auch die falsche Selbsteinschätzung der eigenen Fähigkeiten wird als Ursache für VUEs diskutiert.

Aufgabenfaktoren (8 Nennungen): Ebenso können die übertragenden Aufgaben zu Problemen führen, wenn diese nicht angemessen sind oder nicht vollständig überprüft werden können. Ein Beispiel hierfür ist die Kommunikation mit Patienten, die als problematisch wahrgenommen wird. Unbedachte Äußerungen der Studierenden können einen erheblichen Einfluss nehmen, z. B. auf die Bereitschaft zu weiterführenden Behandlungen seitens des Patienten. Diskutiert wird in dieser Kategorie auch die von den Ärzten befürwortete gegenseitige Anleitung und Betreuung von PJ-Studierenden: der Peer-Supervision. Bei speziellen ärztlichen Prozeduren (z. B. Legen einer Braunüle) hat sich eine Arbeitskultur etabliert, in der sich die PJ-Studierenden die Prozeduren selbst bzw. gegenseitig in der Ausführung unterrichten und supervidieren – eine ärztliche Kontrolle entfällt.

Arbeitsbedingungen (7 Nennungen): Weitere genannte Probleme sind dem Faktor „Arbeitsumfeld“ zugeordnet. Diese beziehen sich v. a. auf eine hohe Arbeitsbelastung und daraus resultierendem Zeitmangel.

Einfluss von EPAs auf die Patientensicherheit im PJ

Die Diskussion über den Einfluss von EPAs auf die Patientensicherheit zeigt eine übereinstimmend positive Resonanz bei den supervidierenden Ärzten. Die in ihren Aussagen gefundenen Aspekte lassen sich zu einem Kategoriensystem mit insgesamt vier übergeordneten, distinkten Kategorien zusammenfassen (siehe Tabelle 3 [Tab. 3]). Die supervidierenden Ärzte sind sich darin einig, dass EPAs das PJ verbessern und damit einhergehend auch die Patientensicherheit erhöhen können.

Verbesserung der Ausbildung (49 Nennungen): Nach Einschätzung der supervidierenden Ärzte würde die Verwendung von EPAs insbesondere zu einer stärkeren Strukturierung des PJs und damit zu einer grundlegenden Verbesserung der humanmedizinischen Ausbildung führen. Dies trüge zu einer erhöhten Patientensicherheit bei. Durch einen verbindlichen Ausbildungskatalog – ähnlich einem Curriculum für das PJ – wären die vermittelten Inhalte weniger willkürlich und somit weniger von der Motivation der PJ-Studierenden und der Supervidierenden abhängig. Bereits dies würde unmittelbar zu einer besseren Ausbildung am Ende des Studiums und somit zu besser qualifizierten Ärzten führen, die anschließend kompetenter in den Beruf starten. Wenn bereits Berufseinsteiger auf dem Niveau eines Stationsarztes arbeiteten, führte dies zu einer unmittelbaren Steigerung der Patientensicherheit. Mit einer Kanonisierung der Lerninhalte würde auch eine Priorisierung und eine bessere Organisation der Ausbildung auf Station einhergehen. Wenn die Betreuung der Studierenden nicht nur nebenher zum Stationsalltag erfolgt, sondern gezielter und mit einem angemessenen zeitlichen Aufwand durchgeführt werden kann, trüge dies zu einer allgemeinen Verbesserung der Ausbildung bei. Auch dies käme Patienten im Sinne besser ausgebildeter Ärzte zugute.

Leistungsstand & Unterstützung von Lernprozessen (16 Nennungen): Nicht nur im Hinblick auf die zu erreichenden Ausbildungsziele (Outcomes), sondern auch während der gesamten PJ-Phase sehen die supervidierenden Ärzte Vorteile von EPAs. Durch sie wäre es für die PJ-Studierenden und die betreuenden Ärzte möglich, einen besseren Überblick über den jeweiligen Leistungsstand der PJ-Studierenden über den Verlauf des PJs hinweg zu erhalten. Für beide Seiten wird deutlich, welches die Anforderungen sind und unter welchem Supervisionslevel die PJ-Studierenden diese erfüllen sollen.

Transparenz (13 Nennungen): Das gesamte PJ würde dahingehend transparenter, als die Erwartungen an die PJ-Studierenden verbindlich formuliert werden. Weiterhin könnten Kliniken und Krankenhäuser, die PJ-Studierende ausbilden, anhand der erreichten Erwartungen evaluiert werden. Patienten würde verdeutlicht, dass sie sich in einem Universitäts- bzw. Lehrkrankenhaus befinden. Durch verbindliche EPAs könnten auch sie abschätzen, zu welchen Tätigkeiten PJ-Studierende befähigt und legitimiert sind. Transparente Anforderungen bzgl. der erwarteten Lernleistung wirkten sich wiederum positiv auf die Lernprozesse der Studierenden aus.

Minimierung von Unsicherheit (8 Nennungen): Weiterhin ließen sich wichtige Effekte auf formalrechtliche Aspekte und Handlungssicherheit ableiten. Eine konkrete Beschreibung der geforderten und damit erlaubten Tätigkeiten und Supervisionslevel gäbe supervidierenden Ärzten die Sicherheit, welche Tätigkeiten sie tatsächlich an PJ-Studierende übertragen dürfen. Überschreiten PJ-Studierende ihre Kompetenzen, bietet ein verbindlicher Rahmen sowohl für die betreuenden Ärzte als auch für die Patienten eine juristische Absicherung. Den PJ-Studierenden wiederum würde klar vorgegeben, welche Tätigkeiten von ihnen übernommen werden dürfen, was helfen würde, die Verunsicherung im Umgang mit den Patienten zu reduzieren.


4. Diskussion

Bei der Analyse der aktuellen Fehlerquellen im PJ zeigt sich, dass vor allem die mangelnde Operationalisierung der praktischen Ausbildung zu Problemen in der Patientensicherheit führt: Das Fehlen einer einheitlichen und inhaltlich verbindlichen Strukturierung des PJs bewirkt, dass von Medizinstudierenden am Ende ihres Studiums mitunter die eigenständige Durchführung bestimmter Tätigkeiten nicht einheitlich vorausgesetzt werden kann. Ohne verbindliche Vorgaben von Inhalten, bleibt es im Wesentlichen eine Frage der Motivation der Ärzte und der Studierenden, was und wieviel Studierende in ihrer praktischen Ausbildungsphase lernen. Damit bleiben die vermittelten Inhalte individuell und die starke Abhängigkeit von individuellen Faktoren beeinflusst die Qualität der Patientenversorgung. Hieraus resultieren verschiedene Probleme bzgl. der Patientensicherheit. Eine fehlerhafte Kommunikation kann zu einer Verunsicherung der Patienten führen und deren Entscheidungen für weiterführende Behandlungen negativ beeinflussen. Mögliche Fehler bei der Anleitung und Durchführung ärztlicher Prozeduren unter Peer-Supervision scheinen offensichtlich. Bemerkenswert wird dieser Aspekt insbesondere deswegen, da dieses Vorgehen von den supervidierenden Ärzten als normal und unproblematisch wahrgenommen wird (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Dabei kann es einen erheblichen Einfluss auf die Patientensicherheit nehmen. „Katheter- und Schlauch-Falschanschlüsse“ sind ein von der WHO [18] gelistetes allgemeines Problem der Patientensicherheit mit einem hohen Gefahrenpotential. Dass sich Studierende ausgerechnet solche Tätigkeiten selbst beibringen, erscheint bedenklich. Fraglich bleibt hier auch die Rechtssicherheit bei VUEs. Ebenso grundlegend scheint die Unsicherheit seitens der supervidierenden Ärzte zu sein. Denn im Stationsalltag bleibt oftmals unklar, ob und unter welchem Grad der Eigenständigkeit den Studierenden konkrete Tätigkeiten bereits durch Kollegen anvertraut wurden. Mitunter gehen so bestimmte Tätigkeiten in den Aufgabenbereich der Studierenden über, ohne dass überprüft wurde, inwieweit sie diese Tätigkeit bereits beherrschen.

Als wichtigstes Fazit der Untersuchung lässt sich zusammenfassen, dass die Gründe für die auftretenden Probleme vorwiegend in strukturellen Mängeln des PJs gesehen werden. Dies betrifft sowohl inhaltliche als auch organisatorische Mängel in der Strukturierung. Durch Personen verursachte Fehler sind seltene Einzelfälle, die aber nicht als grundlegendes Problem des PJs wahrgenommen werden. Bei den beschriebenen Problemen handelt es sich vielmehr um latente Fehlerquellen [12], die z.B. durch die Einführung von EPAs reduziert werden könnten.

Trotz der Bedeutung, die Patientensicherheit auch im PJ zu maximieren, sind an vielen deutschen Universitäten bislang keine eindeutigen und einheitlichen Anforderungen zur Umsetzung formuliert. Dabei ist anzunehmen, dass eine deutlichere Strukturierung dieser Ausbildungsphase eben nicht nur den Studierenden und supervidierenden Ärzten zugutekäme, sondern damit einhergehend auch einen positiven Einfluss auf die Patientensicherheit hätte. Durch besser ausgebildete und eigenständiger im Stationsalltag einsetzbare Berufseinsteiger ist anzunehmen, dass insgesamt weniger Fehler unterlaufen würden. Aber auch während der PJ-Phase könnten EPAs bereits die Sicherheit erhöhen. Denn wenn transparent ist, welche Tätigkeiten Studierende unter welchem Grad an Supervision durführen können, müssen und dürfen, sind klare Grenzen definiert. Dies führt zu einer erhöhten Sicherheit im Routineablauf auf Station.

Methodisch ist anzumerken, dass sich beide eingesetzten Kategoriensysteme für die Analyse der Daten eignen. Das induktiv entwickelte Kategoriensystem zur Analyse des Potentials von EPAs bei der Verbesserung der Patientensicherheit erweist sich als praktikabel. Durch vier der sieben Faktoren von Woloshynowych et al. [12] lassen sich alle von den Supervidierenden beschriebenen Probleme umfänglich abbilden. Wie erwartet, werden die Probleme der Patientenpersönlichkeit oder der Institution nicht mit dem Ausbildungsstand (Studierender im PJ) einer Person assoziiert, sodass in diesen Kategorien keine Nennungen erfolgen. Für Probleme innerhalb eines Teams könnte zwar u.a. der Ausbildungsstand als Ursache angenommen werden. Eine fehlende Nennung in dieser Studie kann durch die kleine Stichprobe (n=11) bedingt sein, sodass nicht von einer Sättigung aller Kategorien ausgegangen werden kann.

Aufgrund ihres explorativen Charakters und der selektiven Stichprobe ist als weitere Limitierung davon auszugehen, dass die Ergebnisse über die PJ-Ausbildung an der Charité hinweg nicht verallgemeinert werden können. Auch hier sind sie nicht ungeprüft auf alle Fachdisziplinen übertragbar. Insbesondere im Wahltertial könnten sich aufgrund höherer Motivation der betreuenden Ärzte und der Studierenden andere Wahrnehmungen und Einschätzungen ergeben. Von Interesse wäre zudem die Sicht der Studierenden, wie sie die Ausbildung im PJ im Hinblick auf Patientensicherheit erleben und das Verbesserungspotential mittels EPAs bewerten.


5. Schlussfolgerungen

In der Literatur werden EPAs bislang überwiegend aus curricularer Sicht im Sinne des besseren Lernens betrachtet. Diese Studie eröffnet eine weitere wichtige Perspektive, die für den Einsatz von EPAs im Rahmen von Workplace-based Learning spricht: EPAs können die Gewährleistung von Patientensicherheit verbessern, indem sie das PJ strukturieren, verbindliche Anforderungen festlegen und für Transparenz bei allen Beteiligten sorgen.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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