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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Motivation als wichtiges Kriterium für den Studienerfolg bei Wartezeitstudierenden

Artikel Motivation

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  • Carolin Verena Herbst - Universitätsmedizin Rostock, Institut für Immunologie, Rostock, Deutschland
  • corresponding author Brigitte Müller-Hilke - Universitätsmedizin Rostock, Institut für Immunologie, Rostock, Deutschland

GMS J Med Educ 2019;36(1):Doc6

doi: 10.3205/zma001214, urn:nbn:de:0183-zma0012147

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2019-36/zma001214.shtml

Eingereicht: 28. Mai 2018
Überarbeitet: 21. August 2018
Angenommen: 23. November 2018
Veröffentlicht: 15. Februar 2019

© 2019 Herbst et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Die Erfolgsquoten von Medizinstudierenden mit Zulassung über die Wartezeitquote sind deutlich geringer als die derjenigen Medizinstudierenden, welche über die Abiturbestenquote oder das AdH (Auswahlverfahren der Hochschulen) zugelassen werden. Ziel dieser Studie war es, sowohl Risikofaktoren, die eine Verzögerung der Studiendauer oder einen Studienabbruch frühzeitig anzeigen können, als auch mögliche Resilienzfaktoren, welche prädiktiv für einen zeitnahen, erfolgreichen Studienabschluss stehen, zu identifizieren.

Methodik: Zunächst wurden Wartezeitstudierende zu Beginn ihres Studiums in qualitativen Einzelinterviews nach Risikofaktoren zum Studienabbruch befragt und dann bis zum Abschluss des ersten Staatsexamens – oder aber mindestens bis zum Ende ihres vierten Semesters begleitet.

Parallel wurden Merkmale zum Persönlichkeitsinventar mithilfe des NEO-Fünf-Faktoren-Inventars nach Costa und McCrae (NEO-FFI) erhoben. Als Kategorie für erfolgreiche Studierende galt eine Studiendauer von vier Semestern bis zum Physikum (Regelstudienzeit), für Risikostudierende galt sowohl eine verlängerte Studiendauer, als auch der Studienabbruch vor Erreichen des ersten Staatsexamens. Abschließend wurde erfasst, welche Faktoren mit einem erfolgreichen Studienverlauf in Zusammenhang stehen.

Ergebnisse: Wartezeitstudierende, die sich durch ein überdurchschnittlich gewissenhaftes Persönlichkeitsprofil auszeichnen und als Motivation zum Medizinstudium Unterforderung im vorherigen (medizinnahen) Ausbildungsberuf angeben, waren signifikant häufiger erfolgreich als Wartezeitstudierende, die sich durch ein weniger gewissenhaftes Persönlichkeitsprofil auszeichnen und als Motivationsgrund Unzufriedenheit im vorherigen Ausbildungsberuf benannten. Zudem bezeichneten sich erfolgreiche Studierende gehäuft als ehrgeizig und gaben einen hohen persönlichen Leistungsanspruch an. Frühe Prüfungsmisserfolge erwiesen sich im Rahmen der lokalen Prüfungsanforderungen der Universitätsmedizin Rostock zudem als prädiktiv für einen unsicheren Studienverlauf.

Schlussfolgerungen: Motivation zum Medizinstudium und ein ehrgeiziges Persönlichkeitsprofil scheinen wesentliche Erfolgsprädiktoren für den Studienverlauf zu sein und können daher sowohl als Auswahlkriterium in Betracht, als auch während des Studiums als prädiktiver Marker für eine Verzögerung der Studiendauer oder einen Studienabbruch herangezogen werden. Unabhängig von der Vorauswahl der Studierendenschaft sollten sich die jeweiligen Fakultäten jedoch auch verstärkt mit lokalen Leistungsnachweisen auseinandersetzen, um hier Risikostudierende mit frühen Prüfungsmisserfolgen zu identifizieren und bezüglich Studienplanung, Motivation und Prüfungsvorbereitung adäquat zu beraten.

Schlüsselwörter: Wartezeitstudierende, NEO-Fünf-Faktoren-Inventar, Studienabbruch, Motivation


Einleitung

Wartezeit als besondere Zulassungsmöglichkeit in Deutschland

Die Zulassung zum Medizinstudium in Deutschland ist über ein komplexes, mehrstufiges Verfahren geregelt, welches die absolute Anzahl an verfügbaren Studienplätzen in verschiedene Quoten unterteilt [https://zv.hochschulstart.de/index.php?id=281 zuletzt geprüft am 19.08.2018]. Nach einer Vorabquote werden jeweils 20% der Studienplätze zentral an diejenigen Bewerber*innen mit den besten Abiturnoten (Abiturbestenquote) und 20% an diejenigen Bewerber*innen mit der längsten Wartezeit (Wartezeitquote) vergeben. Die restlichen 60% werden im Auswahlverfahren der Hochschulen nach bundesweit uneinheitlichen Kriterien vergeben, in der Regel ist hier die Abiturnote das entscheidende Zulassungskriterium [https://zv.hochschulstart.de/index.php?id=281 zuletzt geprüft am 19.08.2018]. Nachdem dieses Verfahren, insbesondere die Wartezeitquote seit vielen Jahren stark kritisiert wird, erklärte das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2017 die aktuellen Zulassungsbestimmungen für teilweise nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und beauftragte den Gesetzgeber mit einer Neuregelung des Verfahrens bis zum Ende des Jahres 2019 [1], [https://www.bundesverfassungsgericht.de/e/ls20171219_1bvl000314.html zuletzt geprüft am 19.08.2018]. Auf Basis dieses Urteils hat sich die Kultusministerkonferenz dazu entschlossen, die Wartezeitquote abzuschaffen, wobei zunächst eine Übergangsregelung für die bisherigen Wartezeitbewerber*innen eine Berücksichtigung der bisher verbrachten Wartezeit vorsehen soll. Gleichzeitig sollen zukünftig neben der Abiturnote zwei weitere Kriterien im Auswahlverfahren der Hochschulen berücksichtigt werden [2], wobei hier eine einschlägige, abgeschlossene Berufsausbildung regelmäßig diskutiert wird..

Zum Zeitpunkt Wintersemester 2015/16 lag die Wartezeit in Deutschland bereits bei 14 Semestern und damit über der vorgesehenen Regelstudiendauer im Humanmedizinstudium, die mit sechs Jahren und drei Monaten berechnet wird [https://zv.hochschulstart.de/fileadmin/media/zv/nc/wise2015_16/nc_zv_ws15.pdf zuletzt geprüft am 19.08.2018]. Wenn die Bewerber*innen dieser Quote also nach sieben Jahren Wartezeit zum Studium zugelassen werden, erhöhen sie nicht nur die Diversität der Studierendenschaft, sondern sie bringen möglicherweise eine Reihe von „Resilienzfaktoren“ mit, die potentiell prädiktiv für einen raschen Studienerfolg stehen. Zu diesen Resilienzfaktoren gehören neben dem Wunsch nach Weiterbildung, einer realistischen Vorstellung vom späteren Berufsalltag und einer gefestigten Persönlichkeitsstruktur auch eine starke Motivation zum Studium [3], [4].

Wartezeitstudierende brechen häufiger das Studium ab

Dennoch schaffen es die wenigsten Wartezeitstudierenden, ihr Studium in Regelstudienzeit abzuschließen und etwa 25% der Studierenden dieser Zulassungsquote brechen ihr Studium sogar ab [5], [6]. Das ist – gemessen an einer Abbrecherquote von etwa 5% für die Gesamtheit der Medizinstudierenden – ein hoher Anteil und bedeutet nicht nur einen persönlichen Misserfolg für die Betroffenen [7], sondern auch ökonomische Einbußen für die jeweiligen Fakultäten. Als bedeutende Beweggründe für einen Abbruch des Medizinstudiums werden Leistungsprobleme und Prüfungsversagen diskutiert [6]. Weitere relevante Gründe für einen Studienabbruch sind vorrangig Motivationsschwierigkeiten, sowie Probleme bei der Finanzierung des Studiums [7].

Diese Beweggründe könnten gleichwohl auf die Studienabbrecher*innen innerhalb der Wartezeitquote zutreffen: Neben ihrer schlechteren Abiturnote haben sie zwischen dem Abitur und dem Beginn des Medizinstudiums eine lange Pause, welche den Einstieg sowie die Umstellung auf die Leistungsansprüche an der Universität erschwert [6], [7]. Zudem sind sie durchschnittlich sieben Jahre älter als ihre Kommiliton*innen, die direkt nach dem Abitur das Studium aufgenommen haben, und ihre Familienplanung und -gründung ist häufig bereits weiter fortgeschritten [8]. Gibt es bereits eigene Kinder, so fehlt wertvolle Zeit zur Prüfungsvorbereitung und dem Besuch der Lehrveranstaltungen, was sich gerade im vorklinischen Studienabschnitt negativ auswirken kann [9]. Darüber hinaus erfahren Wartezeitstudent*innen durch die Finanzierung des Studiums bei gleichzeitigem Wegfall der Berufstätigkeit einen Rückschritt von finanzieller Unabhängigkeit im Beruf zu deutlichen Einbußen im Lebensstandard und finanzieller Abhängigkeit von staatlicher oder privater Förderung. Letztendlich können auch Krankheit, problematische Studienbedingungen und berufliche Neuorientierung Gründe für einen Studienabbruch sein [7].

Gründe für einen erfolgreichen Studienverlauf

Wenig untersucht ist jedoch nach unserem Kenntnisstand, ob und welche erfolgsprädiktiven Faktoren diejenigen Wartezeitstudierenden mitbringen, denen der Studieneinstieg erfolgreich gelingt [6], [10]. Mit der vorliegenden Studie sind wir dieser Frage nachgegangen. Unser Ziel war es, Faktoren zu definieren, mit denen erfolgreiche Wartezeitstudierende, die ihr Studium in Regelstudienzeit abschließen werden, von Risikostudierenden, bei denen es zu einer Verzögerung der Studiendauer kommen wird oder die ihr Studium sogar ohne Erreichen eines Abschlusses abbrechen, differenziert werden können [3], [10].

Studienabbruchquote und Schwundquote

In der einschlägigen Literatur ist hierbei zu unterscheiden zwischen einerseits einer Abbruchquote von Studierenden, die ohne Abschluss das Hochschulstudium verlassen und kein weiteres Studium mehr aufnehmen und andererseits einer Schwundquote, die jegliche Form der Fluktuation erfasst, also auch Studiengangs- oder Studienortswechsler*innen [11]. Da diese persönlichen Lebensentscheidungen in unserem Fall nicht immer eindeutig nachvollziehbar sind, sprechen wir im Rahmen der vorliegenden Untersuchung von „Abbruch“, wenn das Studium an der Universitätsmedizin Rostock beendet wurde, ohne dass der*die Student*in konkrete Pläne äußerte, das Medizinstudium an einer anderen Hochschule fortzuführen.

Bisherige Untersuchungen haben gezeigt, dass ein Abbruch des Medizinstudiums vor allem in den vorklinischen Semestern stattfindet [6], [7]. Die Erforschung der jeweiligen Gründe für diesen Studienabbruch wird jedoch durch die Tatsache erschwert, dass sich Studienabbrecher oftmals ohne Angabe von Gründen bei der jeweiligen Fakultät exmatrikulieren. Deswegen haben wir uns für eine prospektive Studie entschieden, bei der Studierende der Wartezeitquote frühzeitig im Studium in strukturierten Interviews zu ihren persönlichen Risikofaktoren für einen Studienabbruch sowie zu ihren Resilienzfaktoren befragt und dann bis zum ersten Staatsexamen kontinuierlich begleitet wurden. So wollten wir einerseits die Gründe für einen Studienabbruch zeitnah von den Studierenden erfahren, und andererseits anhand der benötigten Studiendauer bis zum ersten Staatexamen diejenigen Studierenden mit einem erfolgreichen Studienverlauf von denjenigen mit einem unsicheren Studienverlauf unterscheiden. Im idealen Fall ermöglichen uns diese Unterscheidungsmerkmale zukünftig eine frühzeitige Identifizierung von Studierenden mit einem unsicheren Studienverlauf, sodass ihnen zeitnah Unterstützungs- und Beratungsangebote zu Teil werden und damit Studienverzögerung und Studienabbruch abgewendet werden können.


Methodik

Stichprobe

An der vorliegenden Studie haben n= 38 Studierende mit Zulassung über die Wartezeitquote teilgenommen. Die Rekrutierung erfolgte im WS 15/16 und 16/17 in Präsenzveranstaltungen, die regulär für das dritte Studiensemester angeboten werden. Da diese Veranstaltungen jedoch nicht nur von Studierenden der Regelstudienzeit, sondern auch von Repetent*innen der vorhergehenden Studienjahre besucht wurden, setzte sich unsere Kohorte aus Vertreter*innen von insgesamt vier Studienjahren zusammen. Insgesamt haben 2% (1/38) der Studierenden des Zulassungsjahres 2012/13 teilgenommen, 26% (10/38) des Zulassungsjahres 2013/14, 46% (16/35) des Zulassungsjahres 2014/15 und 36% (11/31) des Zulassungsjahrganges 2015/16.

Tabelle 1 [Tab. 1] fasst die demographischen Daten der Proband*innen zusammen: 53% waren weiblich, der Altersmedian lag bei 28 Jahren und (13%) hatten zum Zeitpunkt der Befragung bereits Kinder.

Ethik

Alle Teilnehmer*innen wurden über Inhalt und Ziele der Studie informiert und erklärten in schriftlicher Form ihr Einverständnis zur Teilnahme an der Datenerhebung. Die vorliegende Studie wurde von der lokalen Ethikkommission begutachtet und für unbedenklich erklärt (AZ: A 2015-0132).

Fragebogen

Anhand der von Heublein et al. [7] beschriebenen Risikofaktoren zum Studienabbruch in Deutschland wurde ein Interviewleitfaden entwickelt, um die Proband*innen zu ihren persönlichen Risikofaktoren zum Studienabbruch und möglichen Resilienzfaktoren für einen erfolgreichen Studienverlauf zu befragen. Der Fragebogen unterteilte sich in acht thematische Abschnitte:

1.
Studienmotivation,
2.
Überforderung mit dem Leistungsniveau bzw. der fachlichen Stoffmenge,
3.
Nichtbestehen von Prüfungen,
4.
Schwierigkeiten bei der Finanzierung des Studiums,
5.
unzulängliche Studienbedingungen wie eine unzureichende Integration ins eigene Semester oder mangelnde Flexibilität in der persönlichen Studienplanung aufgrund der strengen Vorgaben vonseiten der Fakultät,
6.
Krankheit,
7.
persönliche/familiäre Gründe sowie
8.
Studienabbruch aufgrund von beruflicher Umorientierung.

Zudem wurde bei den Proband*innen das Persönlichkeitsinventar (NEO-FFI) erhoben und die altersnormierten T-Werte bestimmt [12].

Vorgehen

Es handelt sich bei der vorliegenden Studie um eine prospektive Verlaufsstudie. Der Interviewleitfaden wurde zunächst an zwei Studierenden im klinischen Studienabschnitt auf Verständlichkeit der Fragen, sowie einen logischen, schlüssigen Gesprächsverlauf getestet, dann erfolgte die Rekrutierung auf freiwilliger Basis. Es wurden mit allen Teilnehmer*innen persönliche Einzelinterviews vereinbart, die Befragung der Proband*innen anhand des Interviewleitfadens dauerte durchschnittlich 25min. Sämtliche Interviews wurden von der gleichen Person (CH) durchgeführt und aufgezeichnet und anschließend verbatim transkribiert. Bis zum erfolgreichen Absolvieren des ersten Staatsexamens (Physikum) wurden die Proband*innen regelmäßig mindestens einmal pro Semester kontaktiert, um auf diesem Wege zeitnah über etwaige Änderungen in der Studienplanung, den Fortschritt des Studiums oder einen möglichen Studienabbruch informiert zu bleiben. Die Datenerfassung wurde abgeschlossen, wenn der*die Proband*in das erste Staatsexamen erfolgreich absolviert hatte oder wenn auf mehrfache Rückfrage keine Rückmeldung erfolgte, wobei in diesem Fall mit dem Studiendekanat eine Rücksprache erfolgte, ob der- oder diejenige im Beobachtungszeitraum das erste Staatexamen erfolgreich absolviert hatte. Im Falle eines Studienabbruches wurden die Proband*innen freiwillig zu einem abschließenden Gespräch eingeladen, welches zwei der vier Proband*innen annahmen.

Auswertung

Die primäre Kodierung der Aufzeichnungen erfolgte mithilfe der Software MAXQDA (Version 12.3.5) und von beiden Autorinnen unabhängig, bevor die Interviews qualitativ, mit quantitativen Elementen ausgewertet wurden [13]. Es wurden hierbei anhand von genannten Argumenten übergeordnete Kategorien gebildet, um die Aussagen der Proband*innen zusammenzufassen. Anschließend verglichen wir die erfolgreich Studierenden, welche den vorklinischen Studienabschnitt in Regelstudienzeit absolvierten, mit den Risikostudierenden, die ihr erstes Staatsexamen mit zeitlicher Verzögerung ablegten oder aber ihr Studium vor Erreichen des ersten Staatsexamens abbrachen, bezüglich ihrer Aussagen und Persönlichkeitsmerkmale. Zur Berechnung der Signifikanzniveaus von Unterschieden zwischen erfolgreichen und Risikostudierenden bei der Nennung von Argumenten wurde der Fisher’s exact Test angewendet. Für den Vergleich der Persönlichkeitsprofile wurde der ungepaarte t-Test genutzt.


Ergebnisse

13 von 38 der über die Wartezeitquote zugelassenen Studierenden hatten ihr erstes Staatsexamen in Regelstudienzeit abgelegt

Bei Abschluss der Studie hatten 34% der Studierenden innerhalb der Regelstudienzeit von vier Semestern das erste Staatsexamen erfolgreich abgelegt. 50% hatten mehr als vier Semester für den vorklinischen Studienabschnitt benötigt, 11% hatten ihr Studium vor dem Ablegen des ersten Staatsexamens abgebrochen und 5% hatten den Studienort zu einem Zeitpunkt gewechselt, als die Regelstudienzeit bereits überschritten war.

Die überwiegende Mehrheit der Studierenden, die über die Wartezeitquote zugelassen wurden, hatte vorher eine medizinnahe Ausbildung absolviert

Insgesamt 95% hatten vor Aufnahme des Studiums eine Ausbildung in einem medizinnahen Bereich abgeschlossen und bereits Berufserfahrung gesammelt. 42% waren ausgebildete (Kinder)krankenpfleger*in, 18% Physiotherapeuten, 11% Operationstechnische*r Assistent*in (OTA), 8% Rettungsassistent*in, jeweils 5% Logopäd*in und Medizinisch-Technische-Röntgenassistent*in (MTRA), und 5% hatten eine andere medizinnahe Ausbildung absolviert. Lediglich 5% der Proband*innen hatten vor Aufnahme des Medizinstudiums im nicht-medizinischen Sektor gearbeitet (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).

Unterforderung im vorherigen Ausbildungsberuf scheint ein größerer Erfolgsprädiktor für das Studium als Unzufriedenheit

Der Studienerfolg wurde anhand der benötigten Semesteranzahl für den vorklinischen Studienabschnitt gemessen. Da zum Abschluss der Studie alle Teilnehmer*innen die Möglichkeit gehabt hätten, das erste Staatsexamen in Regelstudienzeit abzulegen, kategorisierten wir die Proband*innen in zwei Gruppen: Einerseits die 13 erfolgreichen Studierenden, die ihr erstes Staatsexamen innerhalb der Regelstudienzeit von vier Semestern abgelegt hatten, sowie andererseits die 25 Kandidat*innen mit risiobehaftetem Studienverlauf, die länger als vier Semester bis zum ersten Staatsexamen benötigten und damit außerhalb der Regelstudienzeit studierten bzw. die ihr Studium abbrachen. Die transkribierten Einzelinterviews wurden anschließend auf Unterschiede in den getroffenen Aussagen dieser beiden Gruppen untersucht.

Im Rahmen des Einzelinterviews wurden die Teilnehmer*innen zunächst befragt, was ihre persönliche Motivation war, ein Studium der Humanmedizin aufzunehmen. Bei einer Wartezeit von sieben Jahren bis zum Studienbeginn war grundsätzlich von einer sehr hohen Motivation zum Medizinstudium auszugehen, die von einer realistischen und konkreten Vorstellung vom Berufsbild und -alltag eines Arztes weiter untermauert werden könnte. Die einzelnen Aussagen wurden kodiert und thematisch in übergeordnete Kategorien zusammengefasst, wobei die Nennung verschiedener Kategorien durch die Probanden möglich war. Bei der Studienmotivation ergeben sich die folgenden sieben Antwortkategorien:

1.
Begeisterung für die Medizin kam durch eigene Erfahrungen im Ausbildungsberuf auf,
2.
verspätete Entscheidung zum Medizinstudium aufgrund einer benötigten „Reifungszeit“ für den Berufswunsch,
3.
positiver Anstoß von extern,
4.
Unzufriedenheit im vorherigen Ausbildungsberuf,
5.
Unterforderung im vorherigen Ausbildungsberuf,
6.
früher Studienwunsch aufgrund der eigenen Hochschulzulassungsnote und des bestehenden Numerus Clausus nicht direkt umsetzbar sowie
7.
im eigenen Verwandten- und Bekanntenkreis medizinnah tätige Personen.

Abbildung 1 [Abb. 1] zeigt, dass sämtliche Kategorien sowohl von den erfolgreichen, als auch von Risikostudierenden genannt wurden. Dennoch ergaben sich bei der Begründung zur Aufnahme des Medizinstudiums signifikante Unterschiede zwischen beiden Gruppen: So geben die Risikostudierenden signifikant häufiger an, sich aus Unzufriedenheit im Ausbildungsberuf heraus für ein Studium entschieden zu haben. Unter der Kategorie „Unzufriedenheit im Ausbildungsberuf“ subsummierten wir negative Formulierungen, die den Wunsch nach einer beruflichen Veränderung äußern, oftmals einhergehend mit dem Gefühl, den Arztberuf besser als die bisherigen ärztlichen Kollegen ausüben zu können. So gab zum Beispiel Proband S28 an: „Ich wollte kein Assistent mehr sein. Also, medizinischer Assistent, das war (.) der Hauptgrund eigentlich. Immer im Hintergrund zu stehen, und zu gucken, was die da für spannende Sachen machen“ oder S19: „Und da hat sich dann noch mal meine Entscheidung bestärkt sozusagen, (.), weil ich einfach Ärzte kennenlernte wo ich mir gedacht habe das kann ja nicht sein, das kannst du auf jeden Fall mindestens genauso gut machen, weil die einfach nicht blickig waren oder teilweise auch zwischenmenschlich agiert haben, dass man sich einfach nur an den Kopf fassen konnte.“

Demgegenüber stand die Kategorie „Unterforderung im Ausbildungsberuf“, die von den erfolgreich Studierenden häufiger genannt wurde als von den Risikostudierenden. Diese Kategorie beinhaltete positiv formulierte Wünsche nach mehr Wissen und der Möglichkeit mehr zu lernen, um ein tieferes Verständnis der medizinischen Sachverhalte zu erlangen. So formulierte zum Beispiel ein Proband: S05: „Ich war bevor ich angefangen habe zu studieren Kinderkrankenpfleger und ich hatte einfach Lust mehr zu lernen - mir war die Ausbildung teilweise einfach nicht tief genug und ich wollte gerne weitermachen.“

Oder S31: „(.) das ist ja so ein bisschen so ein Puzzle, find ich, Medizin irgendwie. Man weiß ja vorher nicht so viel über den Körper und dann wird dann irgendwie, man lernt immer mehr und kann dann auch immer mehr Sachen zusammenfügen. Und in der Pflege ist halt so, man hat halt, ich sag mal jetzt Puzzleteil A und C kennengelernt, so man arbeitet aber oberflächlich, man hat aber nie den Weg beschrieben bekommen. Und, ja, das wollte ich einfach wissen. Und naja, dazu muss halt das Medizinstudium, also dazu ist ja nur das Medizinstudium fähig.“

Erfolgreiche Studierende bezeichneten sich eher als sehr ehrgeizig, Risikostudierende distanzierten sich vom Leistungsgedanken

Um herauszufinden, ob sich das erfolgreiche Absolvieren des vorklinischen Abschnitts bzw. ein risikobehafteter Studienverlauf durch ein frühes Gefühl der Überforderung vorhersagen lässt, haben wir die Studienteilnehmer*innen zu ihrem persönlichen Leistungsanspruch und ihrem eigenen Ehrgeiz befragt. Auch hier ließen sich übergeordnete Kategorien bilden, in denen wir die häufig genannten Antworten zusammenfassen konnten (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). Diese waren:

1.
eine Reduktion des eigenen Anspruchs seit Aufnahme des Studiums,
2.
gute Noten als Ziel,
3.
die Bestehensgrenze als Ziel,
4.
Distanzierung vom Leistungsgedanken,
5.
geringer eigener Ehrgeiz,
6.
hoher eigener Ehrgeiz,
7.
Regelstudienzeit (RSZ) als Ziel,
8.
Wahrnehmung der eigenen Insuffizienz.

Sowohl die Erfolgreichen, als auch die Risikostudierenden gaben an, im Verlauf des Studiums aufgrund der Fülle des Stoffes den eigenen Leistungsanspruch reduziert zu haben und eigene Unzulänglichkeiten zu erleben. Darüber hinaus bezeichneten sich die erfolgreich Studierenden häufiger als sehr ehrgeizig, geben „gute Noten“ und das Einhalten der Regelstudienzeit auch häufiger als Ziel an. Demgegenüber bezeichneten sich die Risikostudierenden, deren Studium sich verzögerte oder abgebrochen wurde, häufiger als „nicht ehrgeizig“ und gaben an, dass ihnen das bloße Bestehen sämtlicher Zwischenprüfungen völlig ausreiche. S22 sagt z.B.: „Mein Leistungsanspruch an mich selber besteht darin, dass ich hoffe, dieses Medizinstudium zu schaffen. Das heißt, vier gewinnt - beziehungsweise, also mir ist Bestehen wichtig, die Note ist mir nicht so wichtig.“

Gleichwohl distanzierten sich manche Risikostudierende von jeglichem Leistungsgedanken. S11 sagt z.B.: „Also ich muss nachher dann mit der Verantwortung umgehen können, da einen Menschen vor mir sitzen zu haben, der nicht weiß was mit ihm los ist und den möchte ich adäquat behandeln können. Was dazwischen passiert, muss ich ganz ehrlich sagen, ist mir relativ schnuppe.“

Frühe Prüfungsmisserfolge deuteten bereits zu Beginn des Studiums auf Probleme hin

Der vorklinische Studienabschnitt im Regelstudiengang Humanmedizin beinhaltet verschiedene naturwissenschaftliche und Grundlagenfächer, in denen in Rostock insgesamt 16 Scheine, jeweils bestehend aus mehreren Teilleistungsnachweisen, erlangt werden müssen, um zum ersten Staatsexamen zugelassen zu werden. Aufgrund des engen Zeitplanes ist es fast nur möglich in Regelstudienzeit zum ersten Staatsexamen anzutreten, wenn sämtliche Leistungsnachweise beim ersten oder spätestens beim zweiten Anlauf bestanden werden. Die dreizehn erfolgreichen Studierenden der Kohorte haben zu nahezu jedem Zeitpunkt der Befragung die zu absolvierenden Prüfungen beim ersten Antritt erfolgreich absolviert. Bemerkenswert ist für uns jedoch, dass die Risikostudierenden, deren Studiendauer sich verzögert, bereits in frühen Studienabschnitten Prüfungen nicht bestanden. In den ersten beiden Semestern werden die Studierenden in naturwissenschaftlichen Grundlagenfächern und im Wesentlichen in Anatomie unterrichtet. Hier imponierten zwei Anatomieklausuren, von denen eine im ersten Semester (Klausur Allgemeiner Bewegungsapparat) von über 93% der erfolgreich Studierenden bereits bestanden wurde, jedoch nur von 76% der Studierenden mit risikobehaftetem Studienverlauf. Auch im zweiten Semester ließ sich für die Universitätsmedizin Rostock eine Klausur der Anatomie (Organsysteme) definieren, deren Nichtbestehen im ersten Anlauf mit einer Verzögerung der Studiendauer korrelierte. Aufgrund der lokalen Härtefallregelung führen Prüfungsmisserfolge jedoch selten zur Exmatrikulation, da die Anzahl der Wiederholungsversuche für eine Prüfung nicht auf drei Versuche beschränkt sind, sondern eine Kommission entscheidet, ob dem Antrag auf Härtefall stattgegeben wird.

Tatsächlich kam es bei keiner*m der vier Studienabbrecher*innen in unserer Kohorte zu einer Exmatrikulation seitens der Universität. Vielmehr gaben die beiden, die zu einer abschließenden Befragung noch einmal zur Verfügung standen an, dass der schlussendlichen Entscheidung zum Studienabbruch eine Kombination aus mangelnder Motivation zur Prüfungsvorbereitung und zu viel Angst vor Prüfungsmisserfolg zugrunde liegt.

Die Finanzierung des Studiums spielte bei Studierenden der Wartezeitquote eine untergeordnete Rolle

Für Studierende, die über mehrere Jahre berufstätig waren, stellt der Beginn des Studiums eine finanzielle Umstellung dar, die jedoch eine untergeordnete Rolle zu spielen schien. Der Großteil der Studierenden gab an, sich über elternunabhängiges Bafög zu finanzieren, sowie zusätzliche Unterstützung durch Eltern/Partner und/oder eine geringfügige Beschäftigung zu erhalten, häufig im vorher ausgeübten Beruf. Auch wenn 79% der Befragten aussagten, dass sich ihre finanzielle Situation im Vergleich zu der Zeit vor Aufnahme des Studiums verschlechtert hatte, so empfand der Großteil dies nicht als Belastung. Der finanzielle Einschnitt war im Vorfeld bewusst und man konnte sich einerseits an die neue Situation gewöhnen, andererseits gab es in der neuen Tagesstruktur gar nicht mehr die Möglichkeit, so viel Geld auszugeben. Die Studierenden mit Kindern befanden sich in den meisten Fällen in einer stabilen Partnerschaft, bei der ein*e berufstätige*r Partner*in zur Stabilisierung der finanziellen Situation beitrug. Anders als bei den Ergebnissen von Heublein et al. [7] wurde bei Wartezeitstudierenden das Studium nicht wegen Schwierigkeiten bei der Studienfinanzierung abgebrochen.

Unzulängliche Studienbedingungen, Krankheit oder persönliche/familiäre Gründe spielten bei Studierenden der Wartezeitquote eine untergeordnete Rolle

Trotz viel Kritik an den Studienbedingungen gab es in unserer Studie keinen Studienabbruch aufgrund von unzulänglichen Bedingungen. Es entstand jedoch der Eindruck, dass die Studierenden, die vor Aufnahme des Studiums bereits medizinnah berufstätig waren und daher eine klare Vorstellung vom medizinischen Alltag hatten, in einem praxisnäheren Modellstudiengang möglicherweise mehr Motivation erfahren hätten. So gab zum Beispiel S10 an, „man sei (..) mit einem ganz anderen Blickwinkel so grundsätzlich ja in dieses Thema Medizin gestartet bin und das macht sich auf jeden Fall bemerkbar, dass man doch eigentlich eher so sehr diesen großen Praxisbezug hatte und mit dem jetzt eigentlich gar nichts groß anfangen kann. Und jetzt halt auf einmal sich noch mal der Medizin auf eine ganz andere Art und Weise nähert, und ja das muss man erstmal auch für sich irgendwie auf die Reihe kriegen."

Ebenfalls hat in unserer Kohorte kein Studierender aufgrund von Krankheit sein Studium abgebrochen. Persönliche oder familiäre Gründe zu erfahren, bleibt im Nachhinein spekulativ. In unserer Kohorte äußerten sowohl erfolgreiche, als auch Risikostudierende Belastungsfaktoren wie z.B. eigene Kinder, durch die Zeit für Prüfungsvorbereitung verloren geht, Trennungen oder andere schicksalhafte Ereignisse. Hier ließ sich aufgrund der kleinen Fallzahlen jedoch keine Korrelation zum Studienerfolg herstellen.

Studienabbruch aufgrund von beruflicher Umorientierung war bei Studierenden der Wartezeitquote eher selten

Bei den meisten der von uns Befragten stellte die vorher absolvierte Berufsausbildung durchaus eine Art Notfallplan für den Fall eines Scheiterns im Studium dar. Dennoch wollten die wenigsten in ihren alten Beruf zurück und empfinden dies eher als Ansporn, das Studium erfolgreich abzuschließen. Im Falle eines Scheiterns bestand jedoch der überwiegende Wunsch, im medizinischen Sektor berufstätig zu bleiben. Bei den Abbrecher*innen dokumentierten wir in einem Fall einen Wechsel in ein duales Studium, ein Abbrecher kehrte wieder zurück in den alten Beruf, ein Studienabbrecher wechselte familiär bedingt in eine ganz andere Fachrichtung und in einem Fall blieb die weitere berufliche Entwicklung unbekannt.

Erfolgreiche Studierende verfügten häufiger über eine gewissenhafte Persönlichkeit

Bei allen Teilnehmer*innen wurde anhand des NEO-FFI das Persönlichkeitsinventar erhoben und die Ergebnisse zwischen den erfolgreich in Regelstudienzeit Studierenden und denjenigen mit risikobehaftetem Studienverlauf miteinander verglichen. Abbildung 3 [Abb. 3] zeigt, dass sich die beiden Gruppen weder in Bezug auf Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen noch Verträglichkeit voneinander unterschieden. Allerdings zeichneten sich die erfolgreichen Studierenden durch einen mittleren T-Wert von 61 bei der Gewissenhaftigkeit aus und lagen damit nicht nur mehr als zwei Standardabweichungen über der Altersnorm, sondern sie waren auch signifikant gewissenhafter als ihre Kommiliton*innen mit risikobehaftetem Studienverlauf.


Diskussion

In einer prospektiven Studie haben wir Wartezeitstudierende in ihrem dritten Fachsemester zu ihren persönlichen Risikofaktoren für einen Studienabbruch und konkreten Gedanken, das Studium abzubrechen, sowie nach möglichen Resilienzfaktoren zum Studienerfolg befragt [10]. Anschließend wurden die Proband*innen bis zum erfolgreichen Ablegen des ersten Staatsexamens oder bis zum Ende der Studie – mindestens jedoch zwei Semester lang regelmäßig kontaktiert, um über den Fortschritt des Studiums oder über Abbruchentscheidungen informiert zu bleiben. Die Teilnehmer*innen unserer Studie rekrutieren sich im Wesentlichen aus drei Studienjahren und entsprechen mit 26% gut einem Viertel aller im gesamten Zeitraum zugelassenen Wartezeitstudierenden. Die Tatsache, dass in unserer Kohorte 66% der Wartezeitstudierenden die Regelstudienzeit nicht einhalten konnten während eine frühere Studie diesen Anteil mit 40% beziffert, mag unserer Rekrutierung geschuldet sein, die auch Repetent*innen miteinschließt [5].

Die von uns vorgenommene Einteilung der Proband*innen in Erfolgreiche, die in Regelstudienzeit ihr erstes Staatsexamen ablegen und in Risikostudierende, die länger benötigen oder ihr Studium vor Erreichen des ersten Staatsexamens abbrechen und sich somit durch einen risikobehafteten Studienverlauf auszeichnen, mag rigide wirken, erschien uns aber vor dem Hintergrund der kleinen Fallzahlen sinnvoll [14], [15]. Diese Einteilung erlaubte es uns, signifikante Unterschiede zwischen beiden Gruppen zu identifizieren. So zeigten erfolgreich Studierende im Persönlichkeitsprofil eine überdurchschnittlich hohe Gewissenhaftigkeit, kombiniert mit einem positiv formulierten Wunsch nach mehr Wissenserwerb und Weiterbildung und einem ausgeprägten persönlichen Ehrgeiz.

Tatsächlich wurde in früheren Studien bereits gezeigt, dass Gewissenhaftigkeit als Persönlichkeitsmerkmal den Studienerfolg im vorklinischen Abschnitt vorhersagt [16], [17]. Indem unsere Ergebnisse nun diese Studien bestätigen, belegen sie die Vergleichbarkeit unserer Kohorte mit der Studierendenschaft in der Humanmedizin. Ob Gewissenhaftigkeit ebenfalls Erfolg im klinischen Abschnitt des Studiums vorhersagt, ist noch umstritten und es bleibt spannend zu beobachten, wie sich unsere Proband*innen im weiteren Studium entwickeln [10], [18].

Erfolgreiche Studierende formulierten signifikant häufiger eine positive Motivation, ihr Studium aufzunehmen und begründen ihren Studienwunsch damit, mehr wissen und verstehen zu wollen. Im Gegensatz dazu äußerten die Risikostudierenden eher eine empfundene Unzufriedenheit mit der früheren beruflichen Situation. Vergleichbare Ergebnisse wurden in einer Studie der medizinischen Universität Wien publiziert, die Freude am Wissenserwerb als einen „erfolgsprädiktiven“ Faktor beschreibt [3]. Außerdem gaben die erfolgreichen Studierenden in unserer Kohorte gehäuft an, sehr ehrgeizig zu sein und gute Noten als persönliches Ziel zu haben. Die Risikostudierenden hingegen zeigten eine gewisse Zurückhaltung bei den Aussagen zum eigenen Leistungsanspruch. S15 formulierte zum Beispiel „Also die Note ist auch gar nicht so wichtig, sondern dass man halt möglichst viel Wissen mitnimmt eigentlich.“ Teilweise entstand nahezu der Eindruck, die aktuellen Prüfungsleistungen stünden in keinerlei Bezug zum Erfolg in der späteren ärztlichen Tätigkeit. Es ließ sich allerdings anhand des Studiendesigns nicht differenzieren, ob hierbei der Ausdruck einer selbst wahrgenommenen Unzulänglichkeit zum Tragen kam oder ob ein geminderter Ehrgeiz zu weniger Leistung und in der Folge zu einem unsicheren Studienverlauf führte.

Anders als Heublein und Kollegen es für die Gesamtheit aller Studierenden beschrieben haben, stellte die finanzielle Situation im Rahmen unserer Erhebungen keinen Studienabbruchsgrund dar [7]. Dies mag zum einen im Befragungszeitraum begründet sein, welcher in einer frühen Studienphase stattfand, zu der beispielweise finanzielle Reserven noch nicht aufgebraucht waren und zusätzliche Belastungen, beispielsweise durch die Verlängerung von Bafög-Anträgen bei verlängerter Studiendauer noch nicht so stark zum Tragen kamen. Einige der Proband*innen gaben an, im klinischen Abschnitt verstärkt nebenberuflich tätig werden zu wollen. Es wäre also von Interesse zu beobachten, ob und inwieweit sich eine verstärkte Berufstätigkeit dann in der Folge möglicherweise negativ auf den Studienverlauf auswirkt [7].

Grundsätzlich können unsere Ergebnisse in zwei unterschiedliche Richtungen genutzt werden: Zum einen kann die Erkenntnis, dass eine positive Studienmotivation und hoher persönlicher Ehrgeiz Erfolg vorhersagen, in Auswahlverfahren der Hochschulen einfließen, möglicherweise sogar als fragebogengestütztes Zulassungsverfahren, sofern sich hierfür valide Kriterien generieren lassen [19], [20]. Hierbei ist jedoch nicht außer Acht zu lassen, dass der starke Wunsch nach einer Zulassung zum Medizinstudium die Testergebnisse im Sinne der sozialen Erwünschtheit der Bewerber*innen verzerren kann [21]. Wichtig wäre hier die Entwicklung von standardisierten Testverfahren wie multiplen Miniinterviews oder Situational Judgement Tests, um Motivation und Ehrgeiz zu untersuchen [22], [23], [24]. Da Zulassung über die Wartezeit zentral durch die Stiftung für Hochschulzulassung erfolgt, besteht hier für die medizinischen Fakultäten nicht die Möglichkeit, erfolgsversprechende Wartezeitstudierende selbst zu selektionieren. Jedoch sind unsere Ergebnisse möglicherweise generell auf ältere Studierende mit vorheriger Berufserfahrung übertragbar und lassen sich so bei den hochschuleigenen Auswahlverfahren mitberücksichtigen.

Zum anderen können die von uns identifizierten Unterschiede zwischen erfolgreichen und Risikostudierenden dazu dienen, das Risiko einer Studienverlängerung oder gar eines Studienabbruchs frühzeitig zu erkennen und den betroffenen Studierenden Hilfsangebote zu teil werden zu lassen. Da wir die Tendenz bestätigt sehen, dass Probleme durch Prüfungsmisserfolge bereits in den ersten Semestern des Studiums auftreten, bietet sich die Identifizierung eines oder mehrerer Leistungsnachweise als Warnsignal (red flag) an, an dem sich Studienprobleme früh manifestieren [14]. Vonseiten der Universität besteht dann die Möglichkeit für eine zeitnahe Intervention, so dass mögliche unzulängliche Studienbedingungen beseitigt werden, beratende Gespräche über Lernstrategien und Stressmanagement stattfinden oder aber – als ultima ratio – ein Studienabbruch gemeinsam in Betracht gezogen wird mit dem Ziel, weitere Jahre von Frust und Misserfolgen zu verhindern.

Spannend wäre hier die Frage, welche Interventionsmöglichkeiten für die Fakultäten unter ökonomischen Gesichtspunkten praktikabel sind und wie gut sie von der Studierendenschaft genutzt werden. Möglicherweise besteht hier gerade für Risikostudierende eine hohe Hemmschwelle, sich in eine persönliche Beratung zu begeben.

Letztendlich haben uns noch die Beweggründe für einen Studienabbruch bei Studierenden der Wartezeitquote interessiert. Hier gab es keinerlei Hinweise darauf, dass Schwierigkeiten bei der Finanzierung des Studiums, unzulängliche Studienbedingungen, Krankheit oder andere persönliche oder familiäre Gründe sowie eine berufliche Umorientierung ursächlich am Studienabbruch beteiligt waren [7]. Auch kam es nicht zur Zwangsexmatrikulation aufgrund wiederholt nicht bestandener Prüfungen. Stattdessen standen Leistungsprobleme im Vordergrund und die beiden Proband*innen, die zur Befragung bereit waren, gaben mangelnde Motivation zur erneuten Prüfungsvorbereitung sowie Angst vor Misserfolg als Grund für den Studienabbruch an. Aufgrund unserer kleinen Fallzahlen können wir unsere Ergebnisse jedoch nicht verallgemeinern. Unsere Annahme, dass insbesondere Studierende mit vorheriger berufspraktischer Erfahrung in praxisorientierten Modelstudiengängen der Humanmedizin eine stärkere Lernmotivation erfahren wäre spannend zu untersuchen und könnte im Anschluss an die von uns erhobenen Daten Ziel einer Vergleichsstudie sein.

Anhand unserer Beobachtungen scheinen positive Studienmotivation, gewissenhaftes Persönlichkeitsprofil und hohe Leistungsbereitschaft die wichtigsten Resilienzfaktoren bei erfolgreichen Studierenden der Wartezeitquote zu sein. Inwieweit sich diese Parameter aufgrund anstehender Reformen der Zulassung zum Medizinstudium und des Curriculums selbst im Rahmen des Masterplan 2020 und dem Beschluss der Kultusministerkonferenz verändern ist sicherlich wert, weiterhin erforscht zu werden [2], [25].


Danksagung

Die Autorinnen bedanken sich bei Peter Kropp für angeregte Diskussionen und beim Studiendekanat der Universitätsmedizin Rostock sowie bei dem Institut für medizinische Biochemie und Molekularbiologie für die tatkräftige Unterstützung.


Förderung

Die Studie wurde durch den Fonds des Prorektors der Universität Rostock (PSL-UMR-1-16) unterstützt.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

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