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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Mittendrin oder nur dabei? – Ein Plädoyer für einen multimodalen Ansatz zwischen medizinischen Fakultäten und Studierendenschaften bei der Integration von internationalen Medizinstudierenden

Artikel Kommentar

  • corresponding author Timo Astfalk - Universitätsmedizin Rostock, Rostock, Deutschland; Projekt Internationale Medizinstudierende der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V., Berlin, Deutschland
  • author Danmei Zhang - Ludwig-Maximilians-Universität München, München, Deutschland; Projekt Internationale Medizinstudierende der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V., Berlin, Deutschland
  • author Ricardo Patricio Pérez Anderson - Ludwig-Maximilians-Universität München, München, Deutschland; Projekt Internationale Medizinstudierende der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V., Berlin, Deutschland
  • author Obada T. Alhalabi - Universität Heidelberg, Heidelberg, Deutschland; Projekt Internationale Medizinstudierende der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V., Berlin, Deutschland
  • author Henrike Schulze - Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland; Projekt Internationale Medizinstudierende der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V., Berlin, Deutschland

GMS J Med Educ 2018;35(5):Doc61

doi: 10.3205/zma001207, urn:nbn:de:0183-zma0012073

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2018-35/zma001207.shtml

Eingereicht: 30. Dezember 2018
Überarbeitet: 28. Juni 2018
Angenommen: 21. September 2018
Veröffentlicht: 30. November 2018

© 2018 Astfalk et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Eine steigende Zahl medizinischer Fakultäten bietet Unterstützungsangebote für ihre internationalen Studierenden an. Solche Angebote fokussieren häufig auf die sprachliche und fachliche Unterstützung von internationalen Medizinstudierenden und spiegeln damit eine eher defizitorientierte Wahrnehmung dieser Studierendengruppe wider. Dieser Kommentar plädiert daher für eine verstärkte ergänzende Integrationsförderung in die lokalen Studierendenschaften. Dies geschieht sowohl vor dem Hintergrund des zu erwartenden akademischen Nutzens als auch des Mehrwerts interkulturellen Lernens an medizinischen Fakultäten.

Schlüsselwörter: Internationale Medizinstudierende, kulturelle Vielfalt, soziales Lernen, Integration, Curriculumsentwicklung


Einleitung

Berichte über schwächere Studienleistungen [1], [2], [3] und Studienprobleme [4], [5] von internationalen Medizinstudierenden führten in den vergangenen Jahren zur vielfachen Etablierung von Unterstützungsprogrammen für diese Zielgruppe [6], [7], [8], [9], [10], [11]. Dabei stehen oftmals die Aspekte der sprachlichen [10], [11] und fachlichen [9] Unterstützung im Vordergrund. Doch trotz dieser Initiativen besteht weiterhin die Wahrnehmung unter Dozierenden und in Studiendekanaten, dass sich die Studienprobleme von internationalen Medizinstudierenden an vielen Fakultäten noch nicht gebessert haben [6], [12]. Dazu kommt, dass durch die Konzentration auf Leistungsunterschiede eine Defizitorientierung gegenüber internationalen Studierenden zementiert wird [13]. Wir schlagen daher vor, dem Aspekt der Integration von internationalen Studierenden in die lokal existierenden Studierendenschaften höhere Bedeutung beizumessen. Dieser bietet das Potential, die Vorteile des sozialen Lernumfelds [14], [15] sowie der kulturellen Vielfalt [16] in medizinischen Studierendenschaften stärker zu nutzen. Auch möchten wir aufzeigen, warum der frühe Einbezug einer studentischen Perspektive in die Planung und Umsetzung von Unterstützungsprogrammen für internationale Medizinstudierende diesem Ziel dienlich ist.


Integration und Studienerfolg im Medizinstudium

Dass die Integration in die akademische und soziale Umwelt der Hochschule neben individuellen Merkmalen für den Studienerfolg relevant ist, wird seit Tintos Modell zum Studienabbruch weitläufig angenommen [17]. Wenngleich empirisch schwer zu erfassen, konnte dieser Zusammenhang bei Studierenden mehrfach bestätigt werden [14], [15], [18]. Betrachtet man das Medizinstudium aus der studentischen Perspektive, dann ergeben sich mehrere Erklärungsansätze für diesen Zusammenhang. So kann das studentische Umfeld bei der Beschaffung von Informationen zur Semesterorganisation oder bei der Klausurvorbereitung praktische Antworten liefern. Auch das eigene Lernen wird durch dieses Umfeld geprägt, sodass fachliche Auseinandersetzungen in Lerngruppen spätere mündliche Prüfungssituationen gut abbilden können. Und nicht zuletzt führt die Einbettung in die Gemeinschaft von Medizinstudierenden vom ersten Tag an zu einem ausgeprägten Gefühl der Verbundenheit und Unterstützung, die man in anderen Studiengängen selten wiederfindet. Diese Verbundenheit mit anderen Medizinstudierenden gilt zudem als Ursprung einer gemeinsamen studentischen Identität, die sich über den Verlauf des Studiums zu einer professionellen ärztlichen Identität weiterentwickelt [19].


Integrationsschwierigkeiten bei internationalen Medizinstudierenden

Obwohl bestehende Untersuchungen [20], [21] neuen Studienanfängern insgesamt eine in der Tendenz leichte Integration in die medizinische Studierendenschaft zuschreiben, scheinen es internationale Studierende in Hinblick auf den Integrationsprozess deutlich schwieriger zu haben. Medizinstudierende mit einem Migrationshintergrund berichten von vermehrter Einsamkeit im Semester [22], weniger Kontakten zu deutschen Studierenden und einer geringer wahrgenommenen Unterstützung [5], [23]. Auch fanden Netzwerkanalysen kulturelle und sprachliche Grenzziehungen in medizinischen Jahrgängen, die auf einen gewissen Grad der Segregation von Sprach- und Kulturkreisen hindeuten [24], [25]. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass sowohl internationale als auch inländische Studierende im hohen Maße von der Integration in die Jahrgänge profitieren würden. Neben den oben beschriebenen Vorteilen im Studium sind zusätzlich positive Effekte auf die eigene Sprachkompetenz zu erwarten [16]. Auch das interkulturelle Lernen zwischen Studierenden aus dem In- und Ausland wird oft erst durch eine Integration beider Gruppen ermöglicht [16].


Wege der Integrationsförderung

Vor diesem Hintergrund sollten Angebote für internationale Medizinstudierende hinsichtlich ihrer Integrationsförderung überprüft und angepasst werden. Dabei kommt multimodalen Programmen eine besondere Rolle zu, da sie verschiedene, für die Integration wichtige, Faktoren beeinflussen können. Während Sprach- und Fachtutorien bewährte Mittel zur Entwicklung der Studienkompetenz sind, vermitteln kommunikative und interkulturelle Trainings Fertigkeiten, die bei der Eingliederung in die lokale Studierendengemeinde helfen können [26]. Auch muss der Effekt von etablierten und kulturell geprägten Strukturen im Studium und der Studierendenschaft bedacht werden. So kann es sinnvoll sein, bestehende studentische und akademische Veranstaltungen hinsichtlich ihrer kulturellen Offenheit zu überdenken. Auch die Förderung der Sichtbarkeit von Kulturen an den Hochschulstandorten, zu der entsprechende Begegnungsräume und ein Empowerment der internationalen Studierenden zählen, ist ein weiterer Aspekt der Integrationsförderung. Dabei ist der Einbezug lokaler Studierendenschaften in die Konzeption und Durchführung solcher Angebote essentiell und zeigt sich insbesondere in langjährig erfolgreichen Projekten [7], [8], [9]. Dieser verspricht nicht nur die Ergänzung fachlicher Angebote der Fakultäten durch stärkere soziale Ein- und Anbindung im Semester, sondern auch die niedrigschwellige Ansprache der Zielgruppe. Durch solche Kooperationen können Unterstützungsprogramme bedarfsgerechte Angebote gestalten, ihren Wirkungsgrad erhöhen und einen Beitrag zur Abkehr von der Defizitorientierung gegenüber internationalen Studierenden leisten. Gelingt diese Zusammenarbeit zwischen Studierendenschaft und Fakultät, kann eine nachhaltige akademische und soziale Integration erreicht und das Potential der Internationalisierung [27] an medizinischen Fakultäten optimaler genutzt werden. Hierdurch kann die Hochschulmedizin nicht nur zur Sicherung der zukünftigen medizinischen Ausbildung beitragen, sondern auch einen Beitrag in aktuellen migrationspolitischen Debatten leisten.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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