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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Ist Vertrauen gut? Oder Kontrolle besser?

Leitartikel Kompetenzbasiertes Prüfen

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  • corresponding author Sigrid Harendza - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, III. Medizinische Klinik, Hamburg, Deutschland

GMS J Med Educ 2018;35(4):Doc52

doi: 10.3205/zma001198, urn:nbn:de:0183-zma0011989

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2018-35/zma001198.shtml

Eingereicht: 15. Oktober 2018
Überarbeitet: 15. Oktober 2018
Angenommen: 15. Oktober 2018
Veröffentlicht: 15. November 2018

© 2018 Harendza.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Leitartikel

Eine der wichtigsten ärztlichen Kompetenzfacetten ist die Übernahme von Verantwortung. Auf verantwortliches Handeln möchten Vorgesetzte von frisch approbierten Ärztinnen und Ärzten ab dem ersten Arbeitstag vertrauen können [1]. Ebenso wird postuliert, dass die kontinuierliche Integration von Ärztinnen und Ärzten in ein interprofessionelles Team in der frühen Phase der Weiterbildung wesentlich ist, um Vertrauen in Verantwortungsübernahme anderer zu fördern und zu stärken [2]. Das Vertrauen darauf, dass alle Beteiligten im Gesundheitswesen ihre Aufgaben in eigener Verantwortung nach dem Stand des derzeitigen Wissens zum Wohle der Patientinnen und Patienten erledigen, ist die Basis der Zusammenarbeit in Krankenhäusern, Praxen und anderen medizinischen Einrichtungen. Dass junge Ärztinnen und Ärzte sich trotz bisheriger curricularer Reformen des Medizinstudiums bei Arbeitsbeginn insbesondere durch die Übernahme von Verantwortung und den Umgang mit Unsicherheit stark belastet fühlen, ist ebenso bekannt wie die Tatsache, dass dieser Stress beim Übergang in die ärztliche Berufstätigkeit durch den Umfang an klinischer Erfahrung während des Medizinstudiums reduziert werden kann [3]. Wie lassen sich also die derzeitigen Entwicklungen der Gestaltung des Medizinstudiums unter diesen Gesichtspunkten einordnen?

Mit der Initiative „Masterplan Medizinstudium 2020“ wird von der Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern unter anderem beabsichtigt, die Praxisnähe im Studium zu fördern [Deutschlands Zukunft gestalten, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD; https://www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf, abgerufen am 7.10.2018]. Hiermit wurde den Curriculumsplanenden ein ideales Steuerungselement an die Hand gegeben, um bei optimaler Ausgestaltung die Übernahme von Verantwortung durch Medizinstudierende bereits im Studium zu fördern und ihnen den Übergang in den Arbeitsalltag zu erleichtern. Verschiedene Herangehensweisen sind denkbar, damit Medizinstudierende lernen, echte Verantwortung zu übernehmen. Beispielsweise hält das Konzept der „Anvertraubaren professionellen Tätigkeiten“ (APT) zunehmend in das Medizinstudium Einzug und basiert auf unterschiedlichen Stufen der Supervision [4]. Das Vertrauen in die verantwortliche Übernahme einer bestimmten Aufgabe durch eine/n Medizinstudierende/n hängt wiederum von der supervidierenden Person, dem/der Medizinstudierenden, der Beziehung zwischen beiden, der Aufgabe selbst und dem Kontext ab [5].

Viele medizinische Curricula sind heute modular aufgebaut und eine kontinuierliche Betreuung einzelner Studierender durch dieselbe Lehrperson ist meist kaum vorgesehen. Daher wird es vielen Lehrenden auch kaum möglich sein zu bewerten, ob einem/einer Studierenden bestimmte Tätigkeiten anvertraut werden können. Außerdem profitieren Studierende bei einem APT-Konzept sehr stark von regelmäßigem strukturiertem Feedback, das bislang in der ärztlichen Ausbildung allerdings nur wenig etabliert ist. Zudem sehen die meisten Curricula in Deutschland eher summative als formative Prüfungsformate vor. Eine stärkere Ausrichtung in Richtung feedback- und kompetenzorientierter Ausbildung würde gleichzeitig weitere Schritte in der Fakultätsentwicklung mit mehr Mut zur Subjektivität bei Prüfenden erfordern [6]. Etwaige Befürchtungen, dabei die qualitätskontrollierende Funktion einer Prüfung zu verlieren, sind insofern unbegründet, als gerade formative Prüfungen die Möglichkeit eröffnen würden, auf individuelle Kompetenzdefizite bei Studierenden rechtzeitig und differenziert reagieren zu können. Ein weiterer Aspekt kommt noch hinzu: Viele Lehrende und Prüfende sind sich ihrer Rolle als Vorbilder für Medizinstudierende und der Wichtigkeit, die Vorbilder für Medizinstudierende auf ihrem Weg durch das Studium haben [7], nur wenig bewusst. Dem eigenen professionellen Verhalten kommt in der medizinischen Ausbildung also eine wichtige Bedeutung zu, um als Lehrende oder Prüfende für Studierende glaubwürdig zu sein. Der Weg zu einer kompetenzorientierten ärztlichen Ausbildung verlangt somit von allen Beteiligten großen persönlichen Einsatz.

Innerhalb dieses Wandels der medizinischen Ausbildung und des medizinischen Prüfens sind schon eine Reihe von Schritten getan, die forschend begleitet werden. In dieser Ausgabe des GMS Journal for Medical Education zeigen beispielsweise Soemantri et al., welche Art von Feedback in Mini Clinical Evaluation Exercises (Mini-CEX) verwendet wird und dass hierfür Fakultätsentwicklung erforderlich ist [8]. Dahmen et al. fanden heraus, dass Studierende in Objective Structured Clinical Examinations (OSCE) einen Einfluss auf das Lernen und für die Entwicklung klinischer Kompetenz sahen [9]. Ludwig und Ross fanden heraus, dass durch das tatsächliche Erleben von (haus)ärztlicher Tätigkeit auf dem Land im Rahmen des Praktischen Jahres Barrieren gegen eine solche Tätigkeit, die vor dem PJ-Tertial bestanden, reduziert werden konnten [10]. Diese Beispiele der Forschung zeigen, dass auch in der medizinischen Ausbildung, ähnlich wie in der ärztlichen Weiterbildung [11], Techniken der „Elternschaft“ wie vorbildhaftes Verhalten, Lernen durch zunehmende Verantwortungsübernahme und Feedback eine wesentliche Rolle spielen werden. Der Nationale Kompetenzbasierte Lernzielkatalog Medizin (NKLM) [NKLM, http://www.nklm.de, abgerufen am 7.10.18], der sich derzeit in der Weiterentwicklung befindet, bietet hierfür das ideale Rahmenwerk [12].


Interessenkonflikt

Die Autorin erklärt, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

1.
Fürstenberg S, Schick K, Deppermann J, Prediger S, Berberat PO, Kadmon M, Harendza S. Competencies for first year residents - physicians' views from medical schools with different undergraduate curricula. BMC Med Educ. 2017;17(1):154. DOI: 10.1186/s12909-017-0998-9 Externer Link
2.
Sonnenberg LK, Pritchard-Wiart L, Busari J. The resident physician as leader within the healthcare team. Leadersh Health Serv (Bradf Engl). 2018;31(2):167-182. DOI: 10.1108/LHS-08-2017-0046 Externer Link
3.
Brennan N, Corrigan O, Allard J, Archer J, Barnes R, Bleakley A, Collett T, de Bere SR. The transition from medical student to junior doctor: today's experiences of Tomorrow's Doctors. Med Educ. 2010;44(5):449-458. DOI: 10.1111/j.1365-2923.2009.03604.x Externer Link
4.
Patel M, Baker P. Supervision for entrustable professional activities. Med Educ. 2018;52(10):998-1000. DOI: 10.1111/medu.13685 Externer Link
5.
Hauer KE, Ten Cate O, Boscardin C, Irby DM, Iobst W, O'Sullivan PS. Unterstanding trust as an essential element of trainee supervision and learning in the workplace. Adv Health Sci Educ Theory Pract. 2014;19(3):435-456. DOI: 10.1007/s10459-013-9474-4 Externer Link
6.
Rotthoff T. Standing up for subjectivity in the assessment of competencies. GMS J Med Educ. 2018;35(3):Doc29. DOI: 10.3205/zma001175 Externer Link
7.
Paice E, Heard S, Moss F. How important are role models in making good doctors? BMJ. 2002;325(7366):707-710. DOI: 10.1136/bmj.325.7366.707 Externer Link
8.
Soemantri D, Dodds A, Mccoll G. Examining the nature of feedback within the Mini Clinical Evaluation Exercise (Mini-CEX): an analysis of 1427 Mini-CEX assessment forms. GMS J Med Educ. 2018;34(4):Doc47. DOI: 10.3205/zma001193 Externer Link
9.
Müller S, Settmacher U, Koch I, Dahmen U. A pilot survey of student perceptions on the benefit of the OSCE and MCQ modalities. GMS J Med Educ. 2018;34(4):Doc51. DOI: 10.3205/zma001197 Externer Link
10.
Ludwig K, Machnitzke C, Kühlen T, Roos M. Barriers to practicing General Practice in rural areas – Results of a qualitative pr-post-survey about medical students during their final clinical year. GMS J Med Educ. 2018;34(4):Doc50. DOI: 10.3205/zma001196 Externer Link
11.
Burlew CC. Surgical education: Lessons from parenthood. Am J Surg. 2017;214(6):983-992. DOI: 10.1016/j.amjsurg.2017.09.014 Externer Link
12.
Fischer MR, Bauer D, Mohn K; NKLM-Projektgruppe. Finally finished! National Competence Based Catalogues of Learning Objectives for Undergraduate Medical Education (NKLM) and Dental Education (NKLZ) ready for trial. GMS Z Med Ausbild. 2015;32(3):Doc35. DOI: 10.3205/zma000977 Externer Link