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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Katastrophe auf dem Spielbrett – ein neuartiger Ansatz Medizinstudierenden das Thema Katastrophenmedizin näher zu bringen

Artikel Katastrophenmedizin

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  • corresponding author Simon Drees - Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V., Berlin, Deutschland; Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • author Karin Geffert - Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V., Berlin, Deutschland; Julius-Maximilians Universität Würzburg, Medizinische Fakultät, Würzburg, Deutschland
  • author Rex Brynen - McGill University, Department of Political Science, Montreal, Canada

GMS J Med Educ 2018;35(4):Doc46

doi: 10.3205/zma001192, urn:nbn:de:0183-zma0011927

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2018-35/zma001192.shtml

Eingereicht: 29. Dezember 2017
Überarbeitet: 17. Juli 2018
Angenommen: 21. September 2018
Veröffentlicht: 15. November 2018

© 2018 Drees et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Einleitung: Jedes Jahr verursachen Katastrophen eine signifikante Anzahl von Todesfällen weltweit. Eine Stärkung der Katastrophenmedizin, unter anderem durch Gesundheitsfachkräfte, in den Bereichen Prävention, Notfalleinsätze als auch bei dem Wiederaufbau ist erforderlich. Hierzu zählen Kompetenzen und Wissen in den Feldern Planung, Koordination und Kommunikation. Simulationen können dazu genutzt werden, diese Kompetenzen zu erwerben.

Projektbeschreibung: Die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. hat 2016 das Projekt „Katastrophenmedizin“ gegründet um interessierte Studierende fortbilden und vernetzen zu können. Für die Workshops wurde das Brettspiel AFTERSHOCK genutzt, welches die Phase der unmittelbaren Katastrophenhilfe nach einem Erdbeben simuliert. Sieben Workshops wurden zwischen Oktober 2016 und Dezember 2017 durchgeführt. Eine Umfrage wurde durchgeführt, um die Zufriedenheit der Teilnehmenden und den Aufbau des Workshops zu evaluieren.

Ergebnisse: 89 Medizinstudierende nahmen an den Workshops teil und 73 (83 %) beteiligten sich an der Evaluation. Die Studierenden gaben allgemein ein mittleres bis niedriges Vorwissen an. Die Veranstaltung wurde positiv bewertet und ein Großteil der Studierenden empfand die Simulation als einen hilfreichen oder sehr hilfreichen Weg um die Herausforderungen von humanitärer Hilfe und Katastrophenhilfe kennenzulernen. Qualitatives Feedback umfasste unter anderem die Forderung nach mehr theoretischem Hintergrundwissen und einer kleineren Gruppengröße.

Diskussion und Schlussfolgerung: Brettspiele wie AFTERSHOCK sind für die medizinische Ausbildung gut geeignet und bei Studierenden sehr beliebt. Um einen umfassenderen und langanhaltenden Lerneffekt zu erreichen, sollten sie durch theoretische Kurse begleitet werden.

Schlüsselwörter: Katastrophe, Katastrophenmedizin, humanitäre Hilfe, Simulation, medizinische Ausbildung


Einleitung

Die Anzahl an Katastrophen ist weiterhin besorgniserregend: Menschengemachte und Naturkatastrophen bedrohen das Leben von Individuen und Bevölkerungen auf der ganzen Welt [1]. Selbst in Deutschland stellen Unwetter und terroristische Anschläge eine erhebliche Bedrohung dar und die zunehmend globalisierte Welt bringt immer größere Herausforderungen mit sich. Diese Entwicklung verlangt nach einer besseren Reaktion aller Sektoren, auch aus dem Gesundheitsbereich, um Katastrophenmedizin zu stärken [2]. Der Nationale Kompetenzbasierte Lernzielkatalog Medizin (NKLM), der 2015 durch den medizinischen Fakultätentag verabschiedet wurde, beinhaltet eine Teilkompetenz und zwei damit assoziierte Lernziele zum Thema Katastrophenmedizin [http://www.nklm.de]. Diese decken sowohl die theoretische Grundlage von Katastrophenmedizin ab, als auch das Konzept von Triage, und definieren somit, dass jeder deutsche Medizinstudierende Basiswissen über Katastrophenmedizin erlernen sollte. Leider ist das Thema jedoch in medizinischen Curricula unterrepräsentiert: Eine kürzliche von Wunderlich et al. publizierte Evaluation unter Medizinstudierenden in Deutschland ergab, dass die Anzahl von Studierenden die eine Ausbildung in Katastrophenmedizin erhalten sehr gering ist, obwohl gleichzeitig ein großes Interesse daran besteht [3].

Katastrophenmedizin kann als Wissenschaft definiert werden, welche die negativen gesundheitlichen und medizinischen Auswirkungen, die mit Katastrophen assoziiert sind, adressiert [4]. Dies umfasst Prävention, Notfalleinsätze und Wiederaufbau für betroffene Individuen und Gesellschaften. Erforderlich sind hierfür nicht nur theoretisches Wissen, sondern auch Methoden und verfahrensbasierte Kompetenzen. Der Erwerb dieser Basiskompetenzen in der Praxis ist weder praktikabel, noch ethisch zu rechtfertigen. Aus diesem Grund sind Simulationen ein unersetzbarer Bestandteil der Ausbildung im Bereich Katastrophenmedizin. Das Emergency Capacity Building Project – eine gemeinsame Initiative der sieben größten Nichtregierungsorganisationen die in der globalen Katastrophenhilfe involviert sind – führte eine große Studie zu simulationsbasierten Trainingsmethoden in diesem Sektor durch. Es zeigte sich, dass Simulationen ein hilfreiches Werkzeug sowohl für das Training als auch für die Planung sind. Sie erlauben humanitären Helfer*innen, Organisationen und Regierungen, Fehler in einer sicheren, kontrollierten Umgebung zu machen ohne Leben zu riskieren [5].

Ein Hauptcharakteristikum von humanitärer Hilfe und Katastrophenhilfe ist die Vielfalt der (oft selbstständig agierenden) Akteure und Organisationen und die daraus entstehende Herausforderung, diese in oft chaotischen und unsicheren Umgebungen zu koordinieren. Dies gilt besonders für große globale oder transnationale humanitäre Katastrophen – wie beispielsweise der Tsunami 2004 im Indischen Ozean, das Erdbeben 2010 in Haiti oder die andauernden Kriege in Syrien oder Jemen – in die eine Vielzahl von internationalen Organisationen, Regierungen, Nichtregierungsorganisationen, lokalen Akteuren und andere eingebunden sind, ohne das eine klare organisatorische Hierarchie besteht. Die Vorbereitung von Personal auf diese Kontexte erfordert die Vermittlung von Koordinierungsfähigkeiten, wie beispielsweise ein Verständnis der Perspektive verschiedener Akteure, Flexibilität, effektive Kommunikation, Priorisierung und die Identifizierung von neuen Ansätzen und Synergien. Die Integration dieser Ansätze in Simulationen kann den Teilnehmenden dabei helfen, sowohl ihre Bedeutung zu reflektieren als auch persönliche und intellektuelle Fähigkeiten zu entwickeln um ihnen effektiv begegnen zu können. Unabhängig von dem Inhalt der Simulation kann das Einüben dieser Sozialkompetenzen außerdem zu allgemeinen Kompetenzen beitragen, wie sie in den entsprechenden Kapiteln des NKLM zu den ärztlichen Rollen als Kommunikator, Teammitglied und Manager ausgeführt sind (siehe Kapitel 7,8 und 10) [http://www.nklm.de].

Im Rahmen des Projektes über das wir hier berichten, wurden Workshops zum Thema Katastrophenmedizin unter Nutzung eines Brettspiels mit deutschen Medizinstudierenden durchgeführt. Das Ziel dieser Workshops war die Vermittlung eines Verständnisses der oben genannten Komplexitäten und allgemeiner Informationen zu den Themen Katastrophenmedizin und Humanitäre Hilfe. Die Zufriedenheit der Teilnehmenden und der Aufbau des Workshops wurde evaluiert.


Projektbeschreibung

Die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. hat im Jahr 2016 das Projekt “Katastrophenmedizin” gegründet um Simulationen zu erproben und interessierten Studierenden eine Plattform zur Vernetzung, zum Wissensaustausch sowie zur Information über Ausbildungsangebote im diesem Themenbereich anzubieten. Das Projekt wurde initiiert und geleitet von Karin Geffert und Simon Drees. Ein Workshopkonzept, bestehend aus einer Einführung zu Katastrophenmedizin und einer Simulationseinheit wurde entwickelt. Für Letzteres wurde das Brettspiel “AFTERSHOCK: A Humanitarian Crisis Game”, entwickelt von Rex Brynen, ausgewählt [https://paxsims.wordpress.com/aftershock/ [zitiert am 2017 Dec 8].

AFTERSHOCK wurde von Anfang an entwickelt um Studierende, humanitäre Helfer*innen, Militärangehörige und Regierungsangestellte über Herausforderungen in der Katastrophenhilfe zu schulen [6]. Die Simulation spielt im fiktiven Land Carana und basiert auf den Erfahrungen, die im Rahmen des Erdbebens in Haiti 2010 sowie weiteren humanitären Notlagen gemacht wurden. Sie wurde unter Einbeziehung von Fachexperten entwickelt und ausgiebig getestet. AFTERSHOCK umfasst ungefähr die ersten drei Monate der humanitären Hilfsaktion und beinhaltet somit die initiale Nothilfe als auch die frühe Wiederaufbauphase. Carana ist ein fragiles, von Konflikten betroffenes Land, weshalb die Rettungs- und Wiederaufbaumaßnahmen durch soziale Unruhen und politische Instabilität beeinträchtigt werden können. Dies gilt insbesondere für die Phase des frühen Wiederaufbaus, wenn der initiale Schock der Katastrophe überwunden ist. Kernthemen der Simulation sind: Bedarfsanalyse und Priorisierung, Koordination verschiedener Akteure (betroffenes Land, Militär der Nachbarstaaten, Vereinte Nationen, Nichtregierungsorganisationen) mit ihren jeweils unterschiedlichen Prioritäten, Selbsthilfe der betroffenen Bevölkerung, Binnenvertreibung, Epidemien, sekundäre Katastrophen (Nachbeben, Überflutungen), Sicherheit und Stabilität des betroffenen Landes, Logistik und Versorgungsrouten, die Transition von initialer Hilfsaktion zum Wiederaufbau und Medienarbeit. Mit der Unterstützung der National Defense University konnte zudem später eine Erweiterung zu Genderthemen in der humanitären Hilfe entwickelt werden. Das Spiel wird üblicherweise mit einer Zeitbegrenzung auf zwei Stunden gespielt um einerseits die Dauer begrenzen zu können und andererseits in Analogie zu einer realen Katastrophe Zeitstress bei den Teilnehmenden zu erzeugen.

Seit der ersten Veröffentlichung im Jahr 2015 wurde AFTERSHOCK in verschiedenen Kontexten verwendet: In Universitätskursen auf der ganzen Welt, in der Ausbildung humanitärer Helfer*innen in Kanada [7], als Teil eines Kurses der WHO zur Kontrolle übertragbarer Krankheiten in humanitären Notlagen [8], für eine Trainingseinheit für humanitäre Hilfe und Katastrophenhilfe des US-Militärs [9] und für ein einsatzvorbereitendes Training von Friedensächtern und CIVPOL-Personal (Zivilpolizei) in Chile [10]. Ein typischer Durchlauf der Simulation umfasst 4-12 Teilnehmende in vier Teams, wobei verschiedene Hilfsmittel ebenfalls eine Durchführung mit größeren Gruppen erlauben. Das Feedback in anderen Kontexten war sehr positiv. In Umfragen unter Studenten der McGill Universität und Teilnehmenden am „Canadian Disaster and Humanitarian Response Training Program” gaben 85-90% an, die Simulation als angenehm empfunden zu haben. Mehr als 95% bewerteten das Spiel als gut oder sehr gut geeignet um Themen der Humanitären Hilfe und der Koordination von Hilfsmaßnahmen zu veranschaulichen, während mehr als 90% die Nutzung von AFTERSHOCK in zukünftigen Kursen empfahlen [für vollständige Daten siehe https://paxsims.wordpress.com/aftershock/].

Die Spielmaterialien wurden durch die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. zum Preis von 99.99$ im Jahr 2016 erworben. Daraufhin wurden zwischen Oktober 2016 und Dezember 2017 insgesamt sieben Workshops an deutschen medizinischen Universitäten (Charité – Universitätsmedizin Berlin, Goethe Universität Frankfurt, Universität des Saarlandes Homburg) sowie im Rahmen von Veranstaltungen der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. durchgeführt (Bundeskongresse in Freiburg und Mainz). Die Bewerbung der Workshops erfolgte über Facebook sowie über die Email-Verteiler der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. Alle Workshops folgten der gleichen Struktur: 30 Minuten Einführung in Katastrophenmedizin (Terminologie, relevante Institutionen, Grundlagen der Katastrophenhilfe), gefolgt von der AFTERSHOCK Simulation (120-150 Minuten). Für die Einführung und die Erklärung der Kernaspekte der Simulation wurde ein standardisierter Foliensatz verwendet. Teilnehmende wurden zu Beginn der Simulation zufällig auf die vier Teams verteilt. Am Ende der Workshops erfolgte eine moderierte Nachbesprechung mit einem Fokus auf die Gruppendynamik, gewonnenen Erkenntnisse und Limitationen von AFTERSHOCK (15-30 Minuten). Die Durchführung des Workshops erforderte lediglich eine/n Moderator*in, allerdings war die Anwesenheit einer zweiten Person für den Aufbau des Spiels, die Beantwortung von Fragen während der Simulation und die Moderation der Nachbesprechung hilfreich.

Am Ende der Veranstaltung wurde allen Teilnehmenden ein papierbasierter Evaluationsbogen ausgehändigt. Dieser bestand zum einen aus Fragen mit Likert-artigen Skalen zu Vorerfahrungen und der Zufriedenheit mit der Struktur, dem Inhalt und der Komplexität des Workshops und zum anderen aus einer Freitextfrage nach Verbesserungsvorschlägen. Die Fragen basierten auf den oben erwähnten früheren AFTERSHOCK-Evaluationen. Eine fünfstufige Skala wurde verwendet um den Teilnehmenden die Angabe einer neutralen / unentschiedenen Position zu erlauben (je nach Item). Die Auswertung der Daten erfolgte mittels IBM SPSS Statistics 24.


Ergebnisse

Insgesamt nahmen 89 Personen an den Workshops teil (9-16 pro Workshop), hiervon beteiligten sich 74 (83%) an der Evaluation (siehe Anhang 1 [Anh. 1]). Mit der Ausnahme eines Krankenpflegers waren alle Teilnehmenden Medizinstudierende. Im Mittel hatten alle Studierenden 6 Semester studiert (Wertebereich 1-13). 56.8% hatten in der Vergangenheit an einer von der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. organisierten Veranstaltung teilgenommen. 17.6 bewerteten ihr Vorwissen im Bereich Humanitäre Hilfe als sehr gering, 33.8% als gering, 40.5% als weder hoch noch gering und 8.1% als hoch. Keiner der Teilnehmenden bewertete sein/ihr Vorwissen als sehr hoch.

Die Zustimmung zu verschiedenen Aussagen zur Struktur des Workshops, seiner Bestandteile und der allgemeinen Zufriedenheit der Teilnehmenden ist in Abbildung 1 [Abb. 1] dargestellt. Die Umfrageergebnisse zeigen, dass die Teilnehmenden den Schwierigkeitsgrad des Spiels als angemessen empfanden. Der Schwierigkeitsgrad der Simulation wurde von niemandem als viel zu gering, von 2.7% als gering, von 90.5% als angemessen, von 5.4% als groß sowie von 0% als viel zu groß eingeschätzt. 1.4% der Teilnehmenden machten keine Angabe.

Die Freitextangaben sowie das mündliche Feedback der Teilnehmenden betonte die Notwendigkeit einer kleinen Gruppengröße von 8-12 Teilnehmenden um eine aktive Beteiligung und somit die Zufriedenheit aller Beteiligten zu sichern. Ferner wurde die Vermittlung von mehr theoretischem Hintergrund zu Katastrophenmedizin im Kontext der Simulation vorgeschlagen, beispielweise über die Struktur und Ziele unterschiedlicher Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen. Eine kleine Zahl der Teilnehmenden waren von der Komplexität der Simulation überwältigt und schlugen einen Testdurchlauf oder das vorherige Verschicken der Regeln vor.


Diskussion

Das Ergebnis der Evaluation der Workshops ist sehr positiv. Eine große Mehrheit der Teilnehmenden war überwiegend zufrieden mit der Veranstaltung und ihren Bestandteilen. Fast alle Teilnehmenden schätzten den Schwierigkeitsgrad als angemessen ein. Dies ist konsistent mit den Ergebnissen anderer AFTERSHOCK Evaluationen, die bereits in der Projektbeschreibung erwähnt wurden [7], [8], [9], [10]. Auch wenn die Teilnehmenden in diesen Veranstaltungen aus sehr verschiedenen Sektoren kamen (WHO, Militär), bewerteten sie ihre Zufriedenheit, den Komplexitätsgrad und das Design des Spiels ähnlich positiv. Der niedrige bis mittlere Grad an Vorerfahrung in unserer Umfrage korrespondiert mit der Zielgruppe, für die AFTERSHOCK ursprünglich entwickelt wurde. Die Teilnehmenden in den Workshops waren sehr motiviert, wobei kleine Gruppengrößen und ausreichend viel Zeit für die Einführung und die Nachbesprechung entscheidend für den Erfolg waren. Wir sprechen uns gegen den Vorschlag aus, die Regeln der Simulation vorab an die Teilnehmenden zu verschicken oder einen Testdurchlauf durchzuführen. Die oben genannte Erfahrung aus anderen Kontexten deutet darauf hin, dass dies nicht unbedingt hilfreich ist: Teilnehmende welche die Regeln vorab erhalten könnten es für notwendig erachten, diese vollumfänglich zu beherrschen. Im Gegensatz hierzu hat es sich aus unserer Erfahrung bewährt, neue Elemente immer dann einzuführen, wenn sie im Spielverlauf relevant werden. Hinzu kommt, dass ein gewisser Grad an initialer Verwirrung und Unsicherheit ein wertvolles Lehrinstrument darstellt: Die Folgezeit nach einer Katastrophe ist schließlich auch durch Unsicherheit und begrenzte Information gekennzeichnet. Mündliches und schriftliches Feedback der Teilnehmenden betonte die Wichtigkeit der Einbettung der Simulation in umfangreichere Kurse zu Katastrophenmedizin um diese durch theoretisches Hintergrundwissen zu ergänzen. Auch wenn wir sicher sind, dass wir unser Hauptziel, die Vermittlung eines basalen Verständnisses von Katastrophenmedizin und Humanitärer Hilfe, insbesondere hinsichtlich der Komplexitäten in der Praxis, erreicht haben, stimmen wir dieser Bewertung zu. Sie ist ferner konsistent mit dem „Scholarship on serious games“, das die Bedeutung der Integration verschiedener Lehrelemente und den Nutzen von Nachbesprechungen betont, welche dazu dienen, spielerisches Lernen zu kontextualisieren [11].

Um dem 2006 von der Schutzkommission beim Bundesministerium des Innern (bis 2015 bestehend), der Deutschen Gesellschaft für Katastrophenmedizin und dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe veröffentlichten „Konzept zur katastrophenmedizinischen Ausbildung im studentischen Unterricht an deutschen Hochschulen“ nachzukommen, müssten Kurse mit diesem oder ähnlichen Aufbau an medizinischen Universitäten in Deutschland implementiert werden [12]. Das Konzept beinhaltet 14 verschiedene Themen und entsprechende Lernziele, welche laut der Kommission in Deutsche Medizincurricula integriert werden sollten. Wie bereits erwähnt beinhaltet der Nationale Kompetenzbasierte Lernzielkatalog Medizin derzeit nur Teile des vorgeschlagenen Konzeptes [http://www.nklm.de]. Beide Dokumente konzentrieren sich hauptsächlich auf lokale und nationale Kontexte und Fähigkeiten wie die Triage. Im Gegensatz hierzu ist die von uns genutzte Simulation wesentlich breiter und auf einer Metaebene angelegt: Sie behandelt globale Herausforderungen und die Koordination zwischen internationalen Organisationen, Regierungen und Nichtregierungsorganisationen. Auch wenn die Anwendbarkeit des verwendeten Szenarios auf den deutschen Kontext limitiert erscheint, sind diese übergreifenden Aspekte sicher generalisierbar. Dies betrifft auch die Sozialkompetenzen, die im Rahmen der Simulation erworben werden können. Darüber hinaus glauben wir, dass Medizinstudierende in Kontakt mit den Herausforderungen anderer Kontexte und Umgebungen kommen sollten.

Unser Projekt und dessen Evaluierung ist limitiert durch einen Selektionsbias: Teilnehmende nahmen freiwillig und in ihrer Freizeit an unseren Workshops teil und erhielten hierfür keine zusätzlichen Vorteile wie beispielsweise Credits. Die Bewertung könnte weniger positiv ausfallen, wenn die Teilnahme verpflichtend wäre. Die Validität der Angaben hinsichtlich der relevanten Vorerfahrung ist durch die Selbsteinschätzung limitiert. Außerdem wurde der Evaluationsbogen nur am Ende der Veranstaltung verteilt. Wie bereits erwähnt, bleibt der Langzeiteffekt unserer Workshops unklar, da wir keine Befragungen im Intervall durchgeführt haben. Darüber hinaus hätten zusätzliche qualitative Daten (zum Beispiel aus Interviews mit den Teilnehmenden) Nutzen der Simulation im Bereich der Sozialkompetenzen aufzeigen könnten, wie beispielsweise Teamarbeit, Management, effektive Kommunikation, die zu den entsprechenden Kompetenzen im NKLM beitragen könnten.

Ein weiteres, allgemeines Risiko bei der Nutzung von Simulationen besteht darin, dass Teilnehmende sich primär auf die Spielmechaniken fokussieren um zu gewinnen und dabei die zugrundeliegenden Prinzipien vernachlässigen [13]. Dies kann den Lerneffekt negativ beeinflussen und ist besonders bei digitalen Spielen von Relevanz. Obwohl diese deutlich ausgefeilter sein können als Brettspiele, tragen sie gleichzeitig das Risiko, durch eine größere Komplexität und ablenkendes Bildmaterial zugrundeliegende Dynamiken und wesentliche Aspekte zu verschleiern. Auf der anderen Seite nutzen Brettspiele vereinfachte, klare Spielmechanismen, welche zur Diskussion anregen und kritische Einblicke befördern. Sie sind ferner leicht modifizier- und anpassbar, sogar während einer Simulation. Wir halten daher AFTERSHOCK und ähnliche Simulationen für gut geeignet für die Verwendung in der medizinischen Ausbildung.


Schlussfolgerung

Brettspiele wie “AFTERSHOCK: A Humanitarian Crisis Game” sind gut geeignet um die Komplexität der Humanitären Hilfe zu simulieren. Sie bieten die Chance, theoretisches Wissen über Katastrophenmedizin in der Praxis anzuwenden und gleichzeitig die Herausforderungen einer dynamischen Umgebung zu erleben. Dies und ihre hohe Akzeptanzrate unter Studierenden begründet ihre Nutzbarkeit in der medizinischen Ausbildung. Um den Langzeitlerneffekt zu sichern, sollten Simulationen immer durch theoretische Kursinhalte und eine effektive Nachbesprechung begleitet werden.


Danksagung

Wir möchten uns bei der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. für die Gründung und finanzielle Unterstützung des Projekts bedanken.


Anmerkung

Die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. erstattete die Reisekosten die SD und KG im Kontext der Durchführung der Workshop entstanden. Die Mittel für den Erwerb des AFTERSHOCK Brettspiels wurden ebenfalls durch die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. zur Verfügung gestellt. RB entwarf das AFTERSHOCK Brettspiel, welches käuflich erworben werden kann. Alle Gewinne aus dem Verkauf des Spiels werden an das World Food Programme und andere humanitäre UN Organisationen gespendet.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

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