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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Risiken und Fehler in der Medizin. Konzept und Evaluation eines Wahlfachs mit integrierter Vermittlung ethischer, rechtlicher und kommunikativer Kompetenzen

Artikel Fehler in der Medizin

  • corresponding author Jan Schildmann - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Halle, Deutschland; Ruhr-Universität Bochum, Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin, Bochum, Deutschland
  • Sabine Salloch - Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Greifswald, Deutschland
  • Tim Peters - Ruhr-Universität Bochum, Zentrum für Medizinische Lehre, Bochum, Deutschland
  • Tanja Henking - Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt, Würzburg, Deutschland
  • Jochen Vollmann - Ruhr-Universität Bochum, Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin, Bochum, Deutschland

GMS J Med Educ 2018;35(3):Doc31

doi: 10.3205/zma001177, urn:nbn:de:0183-zma0011773

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2018-35/zma001177.shtml

Eingereicht: 13. September 2017
Überarbeitet: 9. März 2018
Angenommen: 5. Juni 2018
Veröffentlicht: 15. August 2018

© 2018 Schildmann et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Darstellung und Diskussion der Inhalte, Methodik und Evaluationsergebnisse einer Lehrveranstaltung zu „Risiken und Fehler in der Medizin“ unter Verwendung eines integrierten Ansatzes zur Vermittlung ethischer, rechtlicher und kommunikativer Aspekte.

Methodik: Schriftliche strukturierte Evaluation mittels des adaptierten Evaluationsbogen „Evasys“ sowie ergänzender offener Fragen zu positiven und negativen Aspekten des Kurses und Einschätzung zu den Auswirkungen des Kurses aus Sicht der Teilnehmenden. Die Auswertung der Freitextantworten erfolgt nach Prinzipien der qualitativen Inhaltsanalyse.

Ergebnisse: 32 der 36 Teilnehmenden (88,9%) evaluierten die Lehrveranstaltung schriftlich. Der Wert für die globale Beurteilung der Lehrveranstaltung liegt bei 1,7 (1=sehr gut, 6=ungenügend). Der selbst eingeschätzte Lernerfolg wurde mit 1,9 angegeben. Im Rahmen der qualitativen Analyse der Freitextantworten wurden die Fallorientierung, der Einsatz von Simulationspatienten sowie die juristischen Inhalte und die ethischen Modelle der Arzt-Patient-Beziehung positiv gewertet. Negative Aspekte des Kurses waren unter anderem die Gewichtung der Inhalte und der geringe zeitliche Umfang. Auswirkungen und Veränderungen wurden von den Studierenden in Bezug auf die Kenntnis rechtlicher Aspekte, die Reflexion auf das eigene Handeln sowie die Ausbildung und Weiterentwicklung kommunikativer Kompetenzen benannt. Die Bedeutung der Lehrveranstaltung für das Studium sahen die Studierenden unter anderem in der Ergänzung zum Pflichtcurriculum sowie der Bedeutung von Inhalten des Medizinrechts.

Schlussfolgerungen: Die Erfahrungen der Autoren und die schriftlichen Evaluationsergebnisse zeigen, dass das integrierte Lehrkonzept im Medizinstudium umsetzbar ist und überwiegend positiv bewertet wird. Wesentliche Herausforderungen bilden die Gewichtung der unterschiedlichen Inhalte und Methoden sowie der vergleichsweise hohe Abstimmungsbedarf der Vertreter der unterschiedlichen Fachrichtungen.

Schlüsselwörter: Fehler, Risiken, Ethik der Medizin, Medizinrecht, Medizinstudium, Evaluation


Einleitung

Ethische, rechtliche und kommunikative Lehrinhalte sind Gegenstand der ärztlichen Approbationsordnung in Deutschland. Allerdings werden bislang nur wenige Lehrveranstaltungen angeboten, in denen ethische, rechtliche und kommunikative Aspekte der Arzt-Patient-Beziehung im Rahmen einer Lehrveranstaltung behandelt werden [1], [2]. Professionelles Verhalten in der klinischen Praxis erfordert häufig eine Zusammenführung ethischer, rechtlicher und kommunikativer Kompetenzen. So reicht es beispielsweise nicht aus, wenn der Arzt1 über Kenntnisse und Reflexionsvermögen in rechtlicher und ethischer Hinsicht verfügt, aber nicht in der Lage ist, die bekannten normativen Prinzipien im Arzt-Patient-Gespräch kommunikativ umzusetzen. Weiterhin stellen sich in der Arzt-Patient-Beziehung häufig typische ethische und rechtliche Herausforderungen, die vom Arzt identifiziert und kompetent bearbeitet werden müssen. Was soll der Arzt beispielsweise tun, wenn ein minderjähriger an Krebs erkrankter Patient weitere lebensverlängernde Behandlungsmaßnahmen ablehnt? Welche rechtlichen Konsequenzen sind zu bedenken, wenn ein Behandlungsfehler gegenüber dem Patienten kommuniziert wird? Welche Form der Kommunikation von Risiken sollte gewählt werden, damit Patienten in die Lage versetzt werden, selbstbestimmt zu entscheiden? Neben solchen und vielen weiteren Beispielen aus der klinischen Praxis, in denen ethische, rechtliche und kommunikative Herausforderungen eng miteinander verwoben sind, gibt es auch aus theoretischer Perspektive relevante Verbindungen zwischen den drei Bereichen. Ein Beispiel hierfür sind ethische und rechtliche Analysen von Kommunikationsmodellen, wie beispielsweise dem „shared decision making“ (Partizipative Entscheidungsfindung) [3], [4], [5]. Die vorstehenden Beispiele machen deutlich, dass eine integrierte Vermittlung ethischer, rechtlicher und kommunikativer Kompetenzen sowohl mit Blick auf die praktische ärztliche Kompetenz als auch unter theoretischen Gesichtspunkten in Bezug auf die „Praxiswissenschaft“ Medizin notwendig ist. Nach unserer Kenntnis existieren allerdings nur wenige konzeptionelle Beiträge beziehungsweise Berichte aus der Lehrpraxis [1], [2] zur integrierten Vermittlung dieser Bereiche der medizinischen Ausbildung.

Im Folgenden wird die integrierte Vermittlung ethischer, rechtlicher und kommunikativer Inhalte in der klinischen Medizin am Beispiel der Lehrveranstaltung „Risiken und Fehler in der Medizin“ (Wahlfach im ersten und zweiten Studienabschnitt an der Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum) dargestellt und diskutiert. Der Begriff „integrierte“ Vermittlung bezieht sich in diesem Beitrag auf zwei Bedeutungen des Begriffs. Zum Ersten werden Wissen und Methoden der drei Bereiche Ethik, Recht, Kommunikation mit Blick auf ein übergeordnetes Ziel – in diesem Fall die Befähigung der Studierenden, professionell mit Risiken und Fehlern umzugehen – zusammengeführt. Zum Zweiten weist der Begriff auf die notwendigen und umfänglichen inhaltlichen und methodischen Abstimmungen zwischen den drei Bereichen bei der Umsetzung der Lehrveranstaltung hin. Nach einer Einführung in die Thematik der Lehrveranstaltung erfolgt die Darstellung wesentlicher Lernziele, Inhalte und Methoden der Lehrveranstaltung. Im Anschluss werden Evaluationsergebnisse unter besonderer Berücksichtigung einer qualitativen Analyse der schriftlichen Freitextantworten der Studierenden zum integrierten Lehrkonzept zusammengefasst. In der abschließenden Diskussion werden Chancen und Grenzen der integrierten Vermittlung, auch unter Berücksichtigung der praktischen Herausforderungen, diskutiert.


Risiken und Fehler in der klinischen Medizin. Inhaltliche Einführung

Der Umgang mit Risiken und Fehlern ist ein wichtiger Bestandteil der ärztlichen Tätigkeit [6], [7]. Beiden Themen ist gemein, dass sie aus Sicht von Patienten, Angehörigen und dem Behandlungsteam negativ konnotiert sind. Fehler und die Manifestation von Risiken können das Vertrauen in das „System Medizin“ auf die Probe stellen. Die Medizin ist von einem hohen Vertrauen der Gesellschaft und der Akzeptanz der immanenten Regeln und Abläufe abhängig. Wenn Patienten durch die Manifestation von Risiken oder durch Fehler zu Schaden kommen, wird dieses Vertrauen hinterfragt oder gar beschädigt. Der wesentliche Unterschied zwischen Fehlern und Risiken ist, dass erstere als vermeidbare Schadensereignisse definiert werden, wohingegen Risiken sich auf unerwünschte Ereignisse, also Schädigungsrisiken, die sich trotz fehlerfreier Behandlung manifestieren können, beziehen.

Fehler und Risiken in der Medizin stellen erhebliche Anforderungen an ethische, rechtliche und kommunikative Kompetenzen von Ärzten. Die Thematisierung von Risiken durch Ärzte erfolgt oft nicht beziehungsweise in fehlerhafter Weise [8]. Kenntnisse über ethische und rechtliche Grundlagen der Patientenaufklärung sowie kommunikative Fertigkeiten für eine verständliche Risikokommunikation sind wichtige Voraussetzungen für einen angemessenen Umgang mit Risiken in der Medizin. In Bezug auf medizinische Fehler sind Scham, die Angst vor juristischen Konsequenzen sowie befürchtete Nachteile im beruflichen Fortkommen häufige Gründe für eine Tabuisierung. Empirische Untersuchungen zeigen, dass eine fehlende beziehungsweise nicht professionelle Kommunikation von Fehlern – sowohl innerhalb des Teams als auch gegenüber dem Patienten – für zusätzliche Belastungen auf Seiten der Patienten und Angehörigen sorgen kann. Weiterhin erschwert die fehlende Kommunikation über Fehler die Vermeidung zukünftiger Fehler [6], [9].

Angesichts der erheblichen ethischen, rechtlichen und kommunikativen Anforderungen, die der professionelle Umgang mit Fehlern und Risiken stellt, und bislang fehlenden Lehrveranstaltungen zu diesen Themen für Medizinstudierende der Ruhr-Universität Bochum haben die Autoren, Fachvertreter aus Medizin, Medizinethik, Recht und Linguistik, eine Lehrveranstaltung konzipiert und wiederholt durchgeführt.


Projektbeschreibung

Die Lehrveranstaltung wurde in der in diesem Beitrag vorgestellten Form erstmals im Sommersemester 2013 gemeinsam vom Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin in Kooperation mit dem Zentrum für Medizinische Lehre (beide: Ruhr-Universität Bochum) als Wahlfach für Studierende der Humanmedizin aller Semester angeboten. Die Teilnehmerzahl ist auf 12 Studierende begrenzt. Die Benotung erfolgt auf der Grundlage einer Hausarbeit, in welcher ethische, rechtliche und kommunikative Aspekte eines konkreten Fallbeispiels analysiert werden müssen.

Das Seminar gliedert sich in vier Unterrichtssitzungen, deren erste beiden dem Thema „Risiken“ gewidmet sind, während es in Sitzung 3 und 4 um das Thema „Fehler“ geht. In beiden Themenblöcken finden Gespräche mit Simulationspatienten (SP) statt. Eine detaillierte Darstellung der Lehrinhalte und jeweils eingesetzten Lehrmethoden kann der Tabelle 1 [Tab. 1] entnommen werden. Jeweils ein Fallbeispiel für den Themenbereiche „Risiken“ und „Fehler“ wurde als Anlage beigefügt (siehe Anhang 1 [Anh. 1] und Anhang 2 [Anh. 2]). Die Lernziele sind in Abbildung 1 [Abb. 1] zusammengefasst.


Evaluationsmethoden

Die Evaluation durch die Studierenden erfolgte mündlich und schriftlich direkt im Anschluss an die letzte Sitzung. Zur schriftlichen Evaluation wurde der in der Fakultät langjährig erprobte Evaluationsbogen „Evasys“ (Bewertung inhaltlicher und didaktischer Aspekte des Kurses in Schulnoten) angepasst und um offene Fragen zu positiven und negativen Aspekten des Kurses sowie Auswirkungen auf die eigene Person beziehungsweise Einschätzung des Kurses für die spätere Arbeit ergänzt (Fragebogen siehe Anhang 3 [Anh. 3]). Aufgrund der kleinen Anzahl von Studierenden und dem Fokus der Evaluation auf Rückmeldungen zum integrierten Lehrkonzept liegt der Schwerpunkt auf der qualitativen Auswertung der Freitextantworten. Die Auswertung der schriftlichen Rückmeldungen der Studierenden erfolgte nach Prinzipien der qualitativen Inhaltsanalyse [10]. Zu diesem Zweck wurden alle Freitextantworten auf die Fragen

1.
„Besonders gefallen an dem Kurs hat mir…“,
2.
„Nicht/weniger gefallen an dem Kurs hat mir…“,
3.
„Hat der Kurs etwas bei Ihnen bewirkt/verändert?“
4.
„Ihre Einschätzung der Bedeutung der Lehrveranstaltung für das Studium?“

aus den Lehrveranstaltungen vom Sommersemester 2013 bis Wintersemester 2014/2015 zusammengefasst und vom Erstautor in Sinnabschnitte aufgeteilt. In einem nächsten Schritt wurden die Zitate von drei Co-Autoren regelgeleitet und unabhängig voneinander in inhaltlich übergeordnete Kategorien zusammengefasst. Darauf aufbauend wurde ein Kategorienbaum einschließlich Zuordnung aller Zitate vom Erstautor erstellt. Abschließend erfolgte die Diskussion und Konsentierung der Ergebnisse durch alle an der Auswertung beteiligten Autoren. Im Folgenden präsentieren wir die verschiedenen Kategorien sowie tabellarisch typische Beispielzitate von den Studierenden zur Illustration der jeweiligen Kategorie.


Evaluationsergebnisse

36 Studierende besuchten eine der vier Lehrveranstaltungen im Zeitraum vom Sommersemester 2013 bis Wintersemester 2014/2015. Von 32 Studierenden (88,9%) liegen Evaluationsbögen vor. Der Wert für die globale Beurteilung der Lehrveranstaltung liegt bei 1,7 (1=sehr gut, 6=ungenügend). Der selbst eingeschätzte Lernerfolg wurde mit 1,9 angegeben. Im Folgenden werden ausgewählte Kategorien, die auf der Grundlage der Freitextantworten gebildet wurden, vorgestellt. Die Tabelle 2 [Tab. 2], Tabelle 3 [Tab. 3], Tabelle 4 [Tab. 4] und Tabelle 5 [Tab. 5] geben eine Übersicht über alle Kategorien sowie ausgewählte illustrierende Beispielzitate.

Die positiven Rückmeldungen zur Lehrveranstaltung (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]) bezogen sich neben allgemeinen Anmerkungen zu Didaktik und Rahmenbedingungen insbesondere auf die Fallorientierung, den Einsatz von Simulationspatienten sowie auf die juristischen Inhalte und ethischen Modelle der Arzt-Patient-Beziehung. Die Möglichkeit zur Diskussion, die positive Atmosphäre sowie die Leistung der Dozenten wurden ebenfalls positiv gewertet.

Negative Aspekte des Kurses (siehe Tabelle 3 [Tab. 3]) waren die Gewichtung der Inhalte, wobei hier insbesondere der zu geringe zeitliche Umfang für die zum Teil komplexen rechtlichen Aspekte kritisiert wurde. Bezüglich der Unterrichtsmethodik wurde unter anderem die große Gruppe (max. 12 Teilnehmer) bei Gesprächen mit Simulationspatienten kritisiert. Hinsichtlich der Kursorganisation wurde insbesondere der späte Zeitpunkt der Lehrveranstaltung (16.30-18.45 Uhr) kritisiert.

Auswirkungen und Veränderungen (siehe Tabelle 4 [Tab. 4]) wurden von den Studierenden in Bezug auf die Kenntnis rechtlicher Aspekte, die Reflexion auf das eigene Handeln sowie die Ausbildung und Weiterentwicklung kommunikativer Kompetenzen benannt. Weitere Rückmeldungen zu den Auswirkungen der Lehrveranstaltungen betrafen die in der Lehrveranstaltung vermittelten Anstöße zum angemessenen Umgang mit Risiken und Fehlern.

Die Bedeutung der Lehrveranstaltung für das Studium (siehe Tabelle 5 [Tab. 5]) sahen die Studierenden vor allem in der Ergänzung zum Pflichtcurriculum, der Bedeutung des Rechts in der Medizin sowie der Relevanz für die Praxis einschließlich einer besseren Kommunikation mit Patienten.


Diskussion

Die Lehrveranstaltung zu Risiken und Fehler behandelt Themen, die für den ärztlichen Beruf von erheblicher Bedeutung sind [8], [11], [12], aber nach Kenntnis der Autoren bislang kaum im Rahmen des Medizinstudiums behandelt werden. Der Vergleich mit dem erst nach Konzipierung der Lehrveranstaltung veröffentlichten Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin [http://www.nklm.de], (vgl. Tabelle 6 [Tab. 6]) sowie dem Positionspapier des Ausschusses für Patientensicherheit und Fehlermanagement der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung [13] zeigt, dass die Lehrveranstaltung wesentliche Lernziele beziehungsweise Kompetenzen, die in den vorstehenden Dokumenten aufgeführt werden, berücksichtigt.

Die Erfahrungen der Autoren nach vier Semestern gemeinsamer Entwicklung und Durchführung und die schriftlichen Evaluationsergebnisse der Studierenden zeigen, dass die Bearbeitung des Themas Risiken und Fehler im Medizinstudium umsetzbar ist und ganz überwiegend positiv bewertet wird. Der thematische Schwerpunkt „Risiken und Fehler“ wird in den Rückmeldungen der Studierenden als wichtige und praxisrelevante Ergänzung zum Pflichtcurriculum benannt. In dieser Hinsicht wurde unser Eindruck eines Bedarfs an Lehre zu diesen Themen bestätigt. Die integrierte Vermittlung von ethischen, rechtlichen und kommunikativen Aspekten wird von den Studierenden zumindest indirekt positiv bewertet. Wie in der Einleitung ausgeführt, bezieht sich die Integration sowohl auf die Ausrichtung der verschiedenen Inhalte und Methoden auf das übergeordnete Ziel der Befähigung der Studierenden zum professionellen Umgang mit Risiken und Fehlern als auch auf die Detailabstimmung zwischen den Anteilen der drei Bereiche Ethik, Recht und Kommunikation in der Lehrveranstaltung. Die insgesamt positiven Rückmeldungen zur Lehrveranstaltung können als empirische Bestätigung der Einschätzung der Autoren dienen, dass der gewählte Ansatz zumindest aus der Perspektive der teilnehmenden Studierenden die bisherige Lehre sinnvoll ergänzt. Angesichts der auch für andere Aufgaben der ärztlichen Praxis ähnlich gelagerten Anforderungen an ethische, rechtliche und kommunikative Kompetenzen (z.B. Aufklärung und Einwilligung, Entscheidungen am Lebensende) sollte nach Einschätzung der Autoren geprüft werden, ob der gewählte Ansatz einer integrierten Vermittlung von Kompetenzen aus den Bereichen Ethik, Recht und Kommunikation auf andere Themenfelder sinnvoll ausgeweitet werden kann. Eine solche Prüfung würde sowohl die im Rahmen dieses Projektberichts lediglich skizzierte konzeptionelle Grundlage einer integrierten Vermittlung ethischer, rechtlicher und kommunikativer Kompetenzen als auch die Möglichkeiten einer Übertragung auf weitere Themen umfassen.

Für die Integration von ethischen und kommunikativen Aspekten waren nach Einschätzung der Autoren insbesondere die Verbindung der Analyse ethischer Modelle zur Arzt-Patient-Beziehung einerseits und die praktischen Übungen mit Simulationspatienten andererseits hilfreich. Am Beispiel der konzeptionellen Abgrenzung einer paternalistisch, deliberativ, interpretativ oder informativ gestalteten Arzt-Patient-Beziehung [14] erwerben die Studierenden relevante Kenntnisse in Bezug auf die ethische Dimension der Arzt-Patient-Kommunikation. In den Gesprächsübungen liegt der Fokus entsprechend auf der bewussten und begründeten Entscheidung für eine der modellhaft kennengelernten Vorgehensweisen bei Aufklärung und Entscheidungsfindung. Dieser Ansatz der kritischen Reflexion der ethischen Dimension von Kommunikation unterscheidet sich von Ansätzen der Ausbildung kommunikativer Kompetenzen, in denen es um die Umsetzung von vorab als „gut“ definierten Fertigkeiten geht [5], [15], [16].

Die Evaluation der Studierenden macht weiterhin deutlich, dass rechtliche Aspekte des ärztlichen Handelns im klinischen Alltag ein Desiderat in der medizinischen Ausbildung darstellen. Dies deckt sich mit Erfahrungen und Rückmeldungen von Studierenden aus Lehrveranstaltungen zu klinischen und ethischen Fragestellungen am Lebensende, in denen die Einbeziehung rechtlicher Inhalte von Seiten der Studierenden gefordert wurde [17], [18]. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass die überwiegend gelehrten Inhalte des Fachgebietes Rechtsmedizin, wie beispielsweise die Leichenschau oder medizinisch-forensische Aspekte, etwas anderes umfassen als die in der von den Autoren durchgeführten Lehrveranstaltung vermittelten rechtlichen Aspekte der Arzt-Patient-Beziehung. Letzteres wird nach Kenntnis der Autoren bislang nicht systematisch im Rahmen der medizinischen Ausbildung vermittelt. Gleichzeitig stellen rechtliche Grundkenntnisse eine wichtige Voraussetzung für kompetentes Handeln bereits zu Beginn der ärztlichen Tätigkeit dar.

Wesentliche Herausforderungen bei der Durchführung der Lehrveranstaltung bilden die Dosierung und Gewichtung der unterschiedlichen Inhalte und Methoden. Die Rückmeldungen einzelner Studierender zeigt, dass es unterschiedliche Erwartungen in Bezug auf die Gewichtung der drei Teilaspekte Ethik, Recht und Kommunikation gibt. Die Auswahl und die Gewichtung fachlicher Inhalte im Rahmen der Lehrveranstaltung war auch ein wiederkehrendes Thema der regelmäßigen Lehrbesprechungen der Autoren. Es wurde im Verlauf der Lehrveranstaltung weiterhin deutlich, dass die Umsetzung der interdisziplinären Lehrveranstaltung an strukturellen Rahmenbedingungen und individuellem Engagement der Lehrenden hängt. Auf struktureller Ebene bildeten das interdisziplinär ausgerichtete Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin sowie das Vorhandensein eines Simulationspatientenpools bzw. -programms mit einer großen Auswahl gut ausgebildeter Simulationspatienten wichtige Voraussetzungen. Auf individueller Ebene ist festzuhalten, dass von allen beteiligten Dozenten ein im Vergleich zu anderen Lehrveranstaltungen weit überdurchschnittlicher Aufwand für die umfassenden inhaltlichen und methodischen Abstimmungen gefordert wurde. Schließlich muss kritisch reflektiert werden, dass eine Ausweitung der Lehrveranstaltung für alle Studierenden in dem hier vorgestellten Lehrformat zumindest mit den aktuell zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht möglich ist.

Methodische Stärken und Limitationen

Der Projektbericht basiert auf Erfahrungen von vier Lehrveranstaltungen als Wahlfach sowie schriftlichen Rückmeldungen von 32 teilnehmenden Studierenden. Die gewählte qualitative Methodik ermöglicht ein vertieftes Verständnis der Wahrnehmungen und Bewertung der Lehrveranstaltung aus der Perspektive der Studierenden. Auf diese Weise konnten insbesondere die auf der Seite der Lehrenden bestehenden Vorannahmen hinsichtlich des Wertes des gewählten methodischen Ansatzes einer integrierten Vermittlung von ethischen, rechtlichen und kommunikativen Inhalten und seiner Umsetzbarkeit mit der Perspektive der Studierenden abgeglichen werden. Angesichts der kleinen Anzahl von Rückmeldungen einer selektierten Kohorte von überdurchschnittlich motivierten Studierenden gehen wir davon aus, dass diese Evaluationsergebnisse nicht auf die Gesamtheit der Studierenden (eingeschränkte Repräsentativität) übertragen werden können. Weiterhin stellt die qualitative Analyse von Freitextantworten als exploratives Herangehen immer eine Interpretationsleistung der Auswertenden dar, so dass trotz der Bemühungen um Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Auswertungsschritte subjektive Setzungen Teil der hier vorgestellten Evaluation sind.


Anmerkung

1 Im vorliegenden Beitrag wird aus Gründen der gebotenen Kürze und Lesbarkeit zur Bezeichnung gemischtgeschlechtlicher Gruppen die männliche Form verwendet. Gemeint sind stets beide Geschlechter, hier z.B. Ärztin und Arzt.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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