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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Studierendenauswahl kann den Allgemein- und Landarztmangel nicht lösen

Leserbrief Studierendenauswahl

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  • Johanna Hissbach - University Medical Center Hamburg-Eppendorf, Department of Biochemistry and Molecular Cell Biology, Hamburg, Germany
  • Stefan Zimmermann - University Medical Center Hamburg-Eppendorf, Department of Biochemistry and Molecular Cell Biology, Hamburg, Germany
  • corresponding author Wolfgang Hampe - University Medical Center Hamburg-Eppendorf, Department of Biochemistry and Molecular Cell Biology, Hamburg, Germany

GMS J Med Educ 2017;34(2):Doc16

doi: 10.3205/zma001093, urn:nbn:de:0183-zma0010938

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2017-34/zma001093.shtml

Eingereicht: 2. März 2017
Überarbeitet: 3. März 2017
Angenommen: 7. März 2017
Veröffentlicht: 15. Mai 2017

© 2017 Hissbach et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Leserbrief

Kesternich et al. [1] adressieren in ihrem Artikel das wichtige Thema des Land- und Hausärztemangels, das in Form einer Landarzt-Zulassungsquote auch im Masterplan Medizinstudium 2020 aufgegriffen wird. In der Studie werden die Ergebnisse einer Befragung von Münchner Medizinstudierenden im klinischen Abschnitt dargestellt. In dem von ihnen berechneten multivariaten Modell bestimmen sie den Einfluss soziodemografischer Faktoren, typischerweise in der Studierendenauswahl berücksichtigter Parameter und der Risikoaversion auf den ebenfalls abgefragten Wunsch, als Landarzt oder Allgemeinmediziner zu praktizieren. Dabei sind lediglich

  • eine höhere selbst berichtete Risikoaversion
  • eine schlechtere Abiturnote
  • sowie die Tatsache, dass mindestens ein Elternteil Arzt ist,

signifikant positiv mit einem oder beiden Wünschen korreliert. Nicht signifikant korrelieren unter anderem praktische Vorerfahrung im Gesundheitssektor, das erwartete Einkommen, die Physikumsnote oder eine Wartezeit vor dem Studium. Leider ist in dem Artikel keine deskriptive Statistik für die Subgruppen enthalten, wie z.B. die Anzahl der Studierenden mit Wartesemestern, die eine hausärztliche Tätigkeit auf dem Land anstreben (wir vermuten, dass diese im Modell wichtige Gruppe nur wenige Studierende umfasst). Die Modellgüte in Form von Pseudo-R2 oder einer Klassifikationstabelle wird nicht angegeben. Eine Bewertung der Ergebnisse ist daher schwierig.

In der Diskussion machen die Autoren mehrere Vorschläge für die zukünftige Studierendenauswahl mit dem Ziel, die Anzahl von Hausärzten in ländlichen Gebieten zu erhöhen. Hierbei soll der Einfluss der Abiturnote bei der Auswahlentscheidung durch Hinzunahme weiterer Kriterien zur Messung der Studienmotivation gemindert werden:

1.
Lebenslauf mit freiwilligem sozialen Engagement oder Tätigkeit im Gesundheitssektor: In dem multivariaten Modell war praktische Vorerfahrung im Gesundheitssektor kein Prädiktor für den Wunsch nach haus- oder landärztlicher Tätigkeit, Daten zu sozialem Engagement werden nicht berichtet.
2.
Bereitschaft zur Tätigkeit als Allgemeinmediziner durch Multiple Mini-Interviews (MMI): Auch wenn MMIs mit der Bewertung von praktischer ärztlicher Tätigkeit im Studium korrelieren, halten wir es aufgrund internationaler [2] und eigener Erfahrungen mit dem seit 2009 durchgeführten Hamburger MMI kaum für möglich, damit eine nicht vorgetäuschte Motivation oder spätere Wahl der Facharztrichtung der meist sehr jungen Studienbewerber vorherzusagen. Zudem sind MMIs sehr aufwändig und unter den gegebenen Bedingungen nur für einen sehr kleinen Teil aller Bewerber durchführbar.
3.
Berücksichtigung von Wartesemestern z.B. durch Erhöhung der Wartezeitquote: In der Studie korreliert das Auftreten von Wartesemestern nicht signifikant mit dem Wunsch nach haus- oder landärztlicher Tätigkeit. Nicht erwähnt wird in der Studie, dass in vielen deutschen Fakultäten etwa 40% der über die Wartezeit zugelassenen Studierenden nicht das Physikum bewältigen [3]. Selbst wenn in der Wartezeitquote prozentual mehr Absolventen auf das Land gingen, würde ein Effekt daher durch die hohe Studienabbruchrate zunichte gemacht.

Besonders kritisch sehen wir folgenden Vorschlag: „Insbesondere für Bewerber (…), deren Eltern bereits auf dem Land praktizieren, könnte der Numerus clausus gelockert werden“ [1] (S. 15). Die Ergebnisse der Befragung deuten zwar darauf hin, dass Kinder von Ärzten häufiger den Wunsch nach landärztlicher Tätigkeit angeben. Eine Bevorzugung von Ärztekindern halten wir jedoch nicht für grundgesetzeskonform und vor dem Hintergrund der geringen Durchlässigkeit unseres Bildungssystems auch nicht für wünschenswert.

Die Politik steht vor dem schwierigen Problem, den Mangel an Land- und Hausärzten zu beheben. Die Vorschläge der Autoren passen jedoch aus unserer Sicht weder zu den von ihnen erhobenen Daten, noch halten wir sie für zielführend. Insbesondere würde eine Ausweitung der Wartezeitquote eine Reduktion der Absolventenzahl und damit eine Verschärfung des Landärztemangels bewirken. Ein Cochrane Report [4] und Empfehlungen der WHO [5] sehen die Herkunft aus ländlichen Regionen als einzigen validierten Studierendenauswahl-Faktor für eine späte Tätigkeit als Landarzt. Leider fehlt in der aktuellen deutschen Studie die Frage nach der Herkunft. Zudem wäre die Auswahl nach der Herkunft verfassungsrechtlich fragwürdig. Die Wirksamkeit einer Landarztquote, wie sie im Masterplan diskutiert wird, ist bisher nicht untersucht worden. Da die Entscheidung für die Weiterbildungsrichtung meist erst im Studium fällt, sind Maßnahmen zur Stärkung der Allgemeinmedizin im Studium, wie sie ebenfalls im Masterplan angeregt werden, dagegen geeignet, die Anzahl von Hausärzten erhöhen [4], [5].

Sinnvoll erscheint uns der Vorschlag von Kesternich et al., die „spätere Wahl der Spezialisierung als weiteres Kriterium zur Evaluation von Zulassungskriterien“ aufzunehmen [1]. Hierfür benötigen wir längsschnittliche Studien zum Fach der Weiterbildung und Ort der Tätigkeit, die die Zeit von der Studienbewerbung bis zur Facharztprüfung umfassen.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Kesternich I, Schumacher H, Winter J, Fischer MR, Holzer M. Student characteristics, professional preferences, and admission to medical school. GMS J Med Educ. 2017;34(1):Doc5. DOI: 10.3205/zma001082 Externer Link
2.
Knorr M, Hissbach J. Multiple mini-intervierws: same concept, different approaches. Med Educ. 2014;48(12):1157-1175. DOI: 10.1111/medu.12535 Externer Link
3.
Heidmann J, Schwibbe A, Kadmon M, Hampe W. Warten aufs Medizinstudium – Sieben lange Jahre. Dtsch Arztebl. 2016;113:A1636-A1637.
4.
Grobler L, Marais BJ, Mabunda SA, Marindi PN, Reuter H, Volmink J. Interventions for increasing the proportion of health professionals practising in rural and other underserved areas. Cochrane Database Syst Rev. 2009;(1):CD005314. DOI: 10.1002/14651858.cd005314.pub2 Externer Link
5.
World Health Organization. Increasing access to health workers in remote and rural areas through improved retention. Global policy recommendations. Geneva: World Health Organization; 2010.