gms | German Medical Science

GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Das subjektive Erleben der Zusammenarbeit in interprofessionellen Tutorenteams

Artikel Interprofessionelle Ausbildung

Suche in Medline nach

  • corresponding author Tobias Weber - Technische Universität Dresden, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Medizinisches Interprofessionelles Trainingszentrum im Referat Lehre, Dresden, Deutschland
  • author Henriette Hoffmann - Technische Universität Dresden, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Medizinisches Interprofessionelles Trainingszentrum im Referat Lehre, Dresden, Deutschland

GMS J Med Educ 2016;33(2):Doc25

doi: 10.3205/zma001024, urn:nbn:de:0183-zma0010240

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2016-33/zma001024.shtml

Eingereicht: 15. August 2015
Überarbeitet: 21. Dezember 2015
Angenommen: 27. Januar 2016
Veröffentlicht: 29. April 2016

© 2016 Weber et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Das Medizinische Interprofessionelle Trainingszentrum der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden bietet seit dem Wintersemester 2014/2015 Lehrveranstaltungen mit interprofessionellen Inhalten an. Die Besonderheit dieser Lehreinheiten besteht darin, dass sowohl studentische TutorInnen der Medizin als auch SchülertutorInnen der Gesundheits- und Krankenpflege gemeinsam die Lehreinheiten betreuen. Die Studie untersucht das subjektive Erleben der TutorInnen während der gemeinsamen Ausarbeitung und Durchführung dieser Lehreinheiten mit dem Ziel, die Effekte der gleichberechtigten Zusammenarbeit auf die Wahrnehmung und Einschätzung der jeweils anderen Berufsgruppe herauszuarbeiten.

Methode: Es wurden teilstrukturierte Leitfadeninterviews mit sechs zufällig ausgewählten TutorInnen durchgeführt. Diese werden mittels inhaltlich-strukturierender Inhaltsanalyse ausgewertet.

Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigen, dass das gemeinsame Arbeiten vor allem bei den studentischen TutorInnen zu einer Reflexion bestehender Einstellungen geführt hat, jedoch wurden die jeweiligen Co-TutorInnen bei beiden Berufsgruppen in unterschiedlichem Grad als Repräsentanten ihrer Profession wahrgenommen. Durch die Bewältigung einer gemeinsamen Aufgabe in einem nicht-klinischen Kontext begegneten sich die Angehörigen der verschiedenen Berufsgruppen auf Augenhöhe, wenngleich die Medizinstudierenden bereits mehr didaktische Erfahrung aufwiesen und somit im Zuge der Erarbeitung und der Umsetzung der Lehreinheiten meist eine Mentoren-Rolle übernahmen. Die SchülertutorInnen waren vorwiegend auf ihre Rolle als TutorIn konzentriert. Hervorgehoben wurde von beiden Berufsgruppen, dass sie vor der Zusammenarbeit mangelnde oder keine Vorstellungen bezüglich des theoretischen Wissens und der praktischen Fertigkeiten der jeweils anderen Berufsgruppe besaßen. Das Projekt insgesamt wurde als gewinnbringend eingeschätzt und der Ansatz der interprofessionellen Lehre befürwortet.

Schlussfolgerung: In der Diskussion werden aus den Erkenntnissen gewonnene Empfehlungen für die gemeinsame Tutorenausbildung beider Berufsgruppen gegeben. Demnach ist eine Angleichung der didaktischen Kompetenz bei allen TutorInnen unerlässlich, wodurch ein gleichberechtigtes Zusammenarbeiten gewährleistet werden soll. Die Schulungen sind idealerweise gemeinsam zu durchlaufen und das verbindende Element des „TutorIn-Seins“ zu betonen.

Schlüsselwörter: Interprofessionelle Zusammenarbeit, Medizinische Ausbildung, Peer Unterricht, Lehren und Lernen, Gruppenzugehörigkeit


1. Einleitung

Gelungene interprofessionelle Zusammenarbeit (IPC)1 [1] gilt als ein qualitätssteigernder Faktor in der Patientenversorgung wie auch für die Arbeitszufriedenheit des beteiligten Personals und wird als ein Schlüsselelement für die Bewältigung der steigenden Anforderungen im Gesundheitssystem angesehen [2], [3]. Wichtige Aspekte von IPC sind ein gemeinsames Verständnis der Arbeitsaufgaben, der Rollen und der Arbeitsprozesse sowie das Wissen über die jeweiligen Kompetenzen der Anderen [4]. Die Fähigkeit zu IPC wird nach einer These von Sieger et al. [5] durch interprofessionelles Lernen (IPL) erworben. In gleicher Weise vertritt es der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (Deutschland) und empfiehlt: „die Ausbildung aller Gesundheitsberufe auf das Handeln am gemeinsamen Gegenstand auszurichten“ [6]. Die Rahmenbedingungen dafür sind jedoch bislang kaum gegeben, da „die Sozialisation der medizinischen, pflegerischen, therapeutischen und diagnostischen Gesundheitsberufe in Ausbildung und Studium weitgehend getrennt voneinander [stattfindet]“ [[7], S. 12]. IPL wird zwar allseits thematisiert, die für diesen Bereich entwickelten, nicht allzu zahlreichen Lehrprojekte erweisen sich trotz aller Gemeinsamkeit der Intention qualitativ wie quantitativ als sehr unterschiedlich. Beispielhaft für diese Variationsbreite sind die Projekte „Interprofessioneller Ethikunterricht“ und „Wahlfach Teamarbeit“ zu nennen [8], [9]. Neben Projekten, die themenspezifische Einzelveranstaltungen beinhalten, wird im Zuge der „Akademisierung der Pflege“ [10] die wissenschaftliche Anbindung verschiedener Pflegeberufe vorangetrieben und mündete u.a. in interprofessionell angelegte Modellstudiengänge. Ein Beispiel stellt der Bachelor-Studiengang „Interprofessionelle Gesundheitsversorgung“ dar [11]. Die Ausbildung grundständiger Pflege bleibt weiterhin bei den Berufsfachschulen, was die Etablierung interprofessioneller Lehrangebote organisatorisch und strukturell erschwert, wenngleich auch eine Modellklausel im Berufsgesetz der Alten- und Krankenpflege die Möglichkeit gibt, „… Modellvorhaben außerhalb von Kranken- und Altenpflegeschulen durch[zu]führen, sofern […] das gesetzlich definierte Ausbildungsziel nicht gefährdet wird“ [10]. Bleibt es jedoch bei diesem vereinzelten Kontakten, wird den Auszubildenden weiterhin die akademische Welt der Studierenden fremd sein und eine Basis für die interprofessionelle Zusammenarbeit, sowohl der Tutoren als auch der Teilnehmer, muss dann erst in der Interaktion ausgehandelt werden.

Es fehlen weiterhin festgeschriebene Kompetenzen der Lehrenden interprofessioneller Lehreinheiten und standardisierte (Weiter)Bildungsangebote. Es wird jedoch konstatiert, dass „interprofessionelle Lernkonzepte im interprofessionellen Team entwickelt und durchgeführt werden [müssen]“ [[7], S.15]. Nach Gardner et al. [12] stehen folgende Punkte dem Ausbau und der Umsetzung interprofessioneller Lehre entgegen: die Terrainverteidigung, fehlendes Vertrauen untereinander, mangelndes Wissen über Gruppendynamiken, unterschiedliche Wertevorstellungen, Berufsethiken, Widerstand gegen Wandel sowie fehlender Platz im Curriculum. Auch wird in einem Positionspapier des Ausschusses „Interprofessionelle Ausbildung in den Gesundheitsberufen“ der Gesellschaft für medizinische Ausbildung (GMA) festgestellt, dass es bislang „… keine gesicherten Erkenntnisse zur Auswirkung interprofessioneller Lernsituation[en] für die Studierenden der unterschiedlichen Gesundheitsberufe“ gibt [7].

Das Medizinische Interprofessionelle Trainingszentrum (MITZ) der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden bietet seit dem Wintersemester 2014/2015 spezielle Veranstaltungen mit interprofessionellen Inhalten an. Die Besonderheit der Lehrveranstaltung besteht neben ihrer Betonung interprofessioneller Aspekte medizinischer und kommunikativer Inhalte hauptsächlich in der Zusammensetzung der Tutorenteams. Diese setzen sich aus jeweils einer/einem Studierenden der Medizin und einer/einem Auszubildenden der Gesundheits- und Krankenpflege bzw. Kinderkrankenpflege zusammen, die Lehrveranstaltungen erfolgen also nach dem peer-teaching-Prinzip.

In den oben zitierten Projekten anderer Einrichtungen wie auch im Zuge der Lehrveranstaltungen im MITZ wurden meist Evaluationen durch die Teilnehmer herangezogen, um die Relevanz oder den Erfolg interprofessioneller Lehreinheiten zu bewerten. Der Fokus der vorliegenden Studie liegt jedoch auf der Zusammenarbeit der Tutorenteams aus Studierenden und SchülerInnen. Ziel ist es, die Prozesse der Annäherung und Zusammenarbeit der beteiligten Tutorengruppen im Zuge der Ausarbeitung ihrer Lehrveranstaltungen zu dokumentieren und zu analysieren. Die Fragestellung bezieht sich auf das subjektive Erleben der TutorInnen: Wie nahmen die Studierenden und die SchülerInnen die Situation des gemeinsamen Ausarbeitens und Durchführens der Lehreinheiten wahr und wie reflektierten sie in diesem Zuge ihre bestehenden Einstellungen gegenüber der anderen und der eigenen Berufsgruppe? Dies soll Aufschluss über die Besonderheiten, die es bei der Zusammenarbeit gemischter Tutorenteams zu berücksichtigen gilt, und Hinweise auf kooperationsfördernde Faktoren geben.

Hierzu wurden im Anschluss an die Lehrveranstaltungen strukturierte Leitfadeninterviews mit den Tutoren durchgeführt, um Einblicke in die Aspekte der Annäherung, möglicher Einstellungsirritationen auf individueller Ebene und der Entscheidungsfindung im Team sowie letztlich der Stoffvermittlung zu gewinnen. Da es sich bei der erstmaligen Durchführung der interprofessionellen Lehreinheiten im Wintersemester 2014/2015 um ein Pilotprojekt handelte, können die gewonnenen Daten einzig als ein exploratives Erschließen der dabei ablaufenden Teamprozesse verstanden werden. In der Diskussion wird auf verschiedene Aspekte Bezug genommen, die eine Verallgemeinerung erschweren und die es bei weiteren Untersuchungen zu berücksichtigen gilt. Aus den Erkenntnissen der Studie werden im letzten Abschnitt Empfehlungen für die zukünftige Konzeption von Lehreinheiten mit interprofessionellen Tutorenteams abgeleitet.


2. Interprofessionelle Lehreinheiten im MITZ

Nach zwei Blockveranstaltung in den Jahren 2011/2012, die jedoch hohe personale Ressourcen in Anspruch nahmen, wurde im Jahr 2014 ein neues Konzept entwickelt, um das Ziel interprofessioneller Ausbildung ressourcenschonender wieder aufnehmen zu können. Dem fehlenden Platz im Curriculum begegnete das MITZ durch die Integration interprofessioneller Lehre in das Pflichtcurriculum der Humanmedizin als gesondert gekennzeichnete Termine, welche eine „thematische Erweiterung: Interprofessionelles Lernen“ enthielten. Die Studierenden konnten wählen, ob sie das normale Training des neunten Fachsemesters oder die erweiterten Lehreinheiten absolvieren wollen. Das MITZ entschied sich, nicht primär Kompetenzen für erfolgreiches interprofessionelles Arbeiten zu schulen, sondern Kenntnisse über die Aufgabenfelder und Kompetenzen der eigenen und der jeweils anderen Berufsgruppe zu vermitteln und für die Thematik zu sensibilisieren. Die Lehrveranstaltung des neunten Fachsemesters stellte sich thematisch als vielversprechende Anwendung interprofessioneller Inhalte heraus, da später gemeinsam ausgeführte Tätigkeiten in der Patientenversorgung gelehrt werden. Die Medizinstudierenden durchlaufen in dem Semester die Lehreinheiten Portpunktion, OP-Aufklärung, Magensondenanlage, Motivierende Gesprächsführung, Atemwegsmanagement und Seldinger-Technik am Beispiel Legen eines zentralvenösen Katheters (ZVK). Die interprofessionellen Lehreinheiten selbst wurden in Kleingruppen mit jeweils zwei Medizinstudierenden und zwei SchülerInnen durchgeführt und durch das interprofessionelle Tutorenteam betreut. Insgesamt nahmen in dem Semester 42 Medizinstudierende und 33 SchülerInnen an den interprofessionellen Lehrveranstaltungen teil. Das angestrebte Gleichgewicht innerhalb der Kleingruppen konnte auf Grund der Differenz in der Gesamtanzahl der Teilnehmer nicht immer erreicht werden.

Im Zuge der Vorbereitung wurden von der Carus Akademie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden als der Berufsfachschule der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe SchülerInnen ausgewählt, die Interesse am und Befähigung zum Lehren gezeigt haben. Diese SchülertutorInnen wurden im MITZ in den Bereichen grundlegender didaktischer Aspekte der Tutorentätigkeit und der Planung einer Lehreinheit geschult. Da die studentischen TutorInnen diese Ausbildung bereits zuvor erfahren hatten, geschah dieser Schritt für die Berufsgruppen noch getrennt. Ein erstes Zusammentreffen aller TutorInnen fand zu Beginn der Konzeptionsphase für die einzelnen Lehreinheiten statt. Der Ablauf der Tutorenausbildung und die Konzeption der Stationen bis hin zur Durchführung der Lehreinheiten ist in Abbildung 1 [Abb. 1] schematisch dargestellt.


3. Methode

Da es sich um eine erste Annäherung an die personalen und sozialen Prozesse während der Konzeption und Durchführung der Lehreinheiten handelt, wurden im Rahmen der Studie teilstrukturierte themenbezogene Interviews durchgeführt. Nachfragen seitens des Interviewers/der Interviewerin zielten auf tiefere Einsichten und persönliche Sinnbezüge „als Voraussetzung für eine angemessene Interpretation“ [[13], S. 425]. Ein offenes oder unstrukturiertes Interview schien auf Grund der Spezifizität der interessierten Erfahrungen nicht effizient. Der Leitfaden wurde von den beteiligten MitarbeiterInnen erstellt und umfasst drei große Themenbereiche:

1.
Evaluation des Gesamtprojektes und dessen grundlegender Idee
2.
Eigenes Rollenverständnis und Umgang mit den anderen TutorInnen bezogen auf die Berufsgruppe
3.
Einschätzung der eigenen Rolle und Tätigkeit als TutorIn

Der erste Teil soll das Verständnis von IPL erfragen, um die Aussagen entweder in Übereinstimmung oder in (teilweiser) Abgrenzung zum Lehrkonzept verstehen zu können. Die zweite Thematik berührt explizit die Fragestellung der Studie, indem der Fokus auf die Zugehörigkeit zu der jeweiligen Berufsgruppe gelegt wird. Der letzte Teil lässt eine Einschätzung der Befragten aus der Perspektive als TutorIn zu, die strukturell mit den anderen TutorInnen identisch ist und damit sind die erlebten Unterschiede von besonderem Interesse für die Untersuchung.

Von den insgesamt 22 TutorInnen, die im Rahmen der Lehrveranstaltung zum Einsatz kamen, wurden nach einem Zufallsverfahren (computergenerierte Zufallszahlen) drei Personen je Berufsgruppe ausgewählt, mit denen Einzelinterviews durchgeführt wurden. Die Quotierung der Berufsgruppen war nötig, um sicherzustellen, dass keine Gruppe überrepräsentiert wird bzw. Unterschiede innerhalb der Gruppen übersehen werden. Ein Interview fand im Vorfeld als Pre-Test mit einem Tutor, welcher nicht in der Stichprobe war, statt. Darauf folgend wurden notwendige Veränderungen am Interviewleitfaden vorgenommen. Es kamen zwei InterviewerInnen zum Einsatz, die nicht in die Konzeption und Durchführung der Tutorenausbildung oder Betreuung involviert waren. Es handelte sich um einen männlichen Interviewer und eine weibliche Interviewerin. Interviewereffekte, hervorgerufen durch vorhergehende gemeinsame Erfahrungen oder eine spezifische Geschlechterkonstellation, sollten somit vermieden werden.

Die Fragen waren zu einem großen Teil offene Fragen, wodurch neben den inhaltlichen Angaben auch Interpretationen der Beantwortungsstruktur ermöglicht werden. Einige Fragen wurden zunächst in geschlossener Form gestellt, wie z.B. „Siehst du deinen Co-Tutor als typischen Vertreter seiner Berufsgruppe?“, wobei dem/der InterviewerIn vorgegeben war, er/sie solle bei einer kurzen Antwort nachfragen und somit zum freien Erzählen ermutigen.

Die Analyse erfolgte, indem zunächst die Antworten auf die von dem/der InterviewerIn gestellten Fragen zusammengefasst in eine Übersicht gebracht wurden. Dies ermöglichte sowohl eine Rekonstruktion eines einzelnen Interviewverlaufes als auch eine Gegenüberstellung der verschiedenen Antworten auf die jeweiligen Fragen. Wiederkehrende Themen und Antwortstrukturen sowie Unterschiede konnten somit deutlich herausgearbeitet werden (inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse). Im Folgenden wurden die Aussagen transkribiert, um diese interpretativ zu bearbeiten und die zugrundeliegenden Zusammenhänge aufzudecken.

Die angeführten Zitate aus den einzelnen Interviews wurden einfach transkribiert, d.h. sie sind von Umgangssprache und Dialekt geglättet. Weiterhin wurde auf die Auszeichnung prosodischer und nonverbaler Merkmale verzichtet. Dieser Verlust an Informationen wird zu Gunsten der Konzentration auf die Inhalte und die argumentative Eingebundenheit und damit letztlich der besseren Lesbarkeit der Aussagen in Kauf genommen [14]. Die Zitate werden anonymisiert wiedergegeben. Merkmale der Interviewten, die für eine Einordnung der Aussagen von Bedeutung sein können, sind in Tabelle 1 [Tab. 1] dargestellt. Die Interviews variierten bezüglich der Länge von 21 Minuten bis 37 Minuten (M=30,5 Minuten).


4. Ergebnisse

Im Folgenden werden die Ergebnisse der Interviews in der Ordnung der erfragten Themengebiete dargestellt. Die Interviewzitate werden teilweise als Illustration der zusammengefassten Inhalte angeführt, in einigen Fällen werden besonders interessante Passagen gesondert betrachtet und interpretativ bearbeitet.

4.1..Evaluation des Projektes und der grundlegenden Idee

Die ersten Fragen bezogen sich auf das Projekt im Allgemeinen und auf die zugrundeliegende Idee des interprofessionellen Arbeitens. Unter den befragten studentischen TutorInnen wurde die Grundidee der interprofessionellen Lehreinheiten dahingehend verstanden, dass verschiedene Berufsgruppen in einem frühen Stadium ihrer Ausbildung zusammen lernen und damit die spätere gemeinsame Zusammenarbeit im Berufsalltag gefördert wird. Es wurde hervorgehoben, dass der Rahmen einen Austausch fern der Anforderungen des Berufslebens erlaubt (Interview 2). Auf den Aspekt des Perspektivwechsels und des Kennenlernens der Ansichten anderer Berufsgruppen wurde in einem Interview eingegangen (Interview 6). Ein Befragter wies auf die hohe gegenseitige Abhängigkeit der Berufsgruppen im klinischen Alltag hin (Interview 1). In den Aussagen einiger TutorInnen kam die Vorstellung zum Ausdruck, dass es Konflikte sowohl innerhalb als auch zwischen den Berufsgruppen gibt und dass diese die Produktivität mindern (Interview 1, Interview 2).

„ ...und dass es dort viel Machtkampf gibt, erst einmal zwischen den Schwestern und Pflegern und dann auch zwischen den Ärzten und Pflege und dass es ganz ganz wichtig ist, dass man sich auch gut versteht, weil es ganz viel hilft.“ (Interview 2)

Die Tutorin führt explizit aus, dass es Machtkämpfe sowohl innerhalb der Profession der Pflegenden gibt als auch interprofessionelle Konflikte bestehen. Sie betont dahingehend die Bedeutung des „Sich-verstehens“. Es bleibt jedoch offen, ob damit (nur) die Zusammenarbeit oder aber auch gruppendynamische Aspekte auf persönlicher Ebene gemeint sind. Der Nebensatz „weil es ganz viel hilft“ kann in beide Richtungen gelesen werden: In Form einer effektiven Zielerreichung oder in Form sozialer Ressourcen im Stationsalltag. All die angesprochenen Aspekte, also der Machtkampf, die gegenseitige Abhängigkeit und die Vorteile effektiver Zusammenarbeit werden in der Forschungsliteratur zum Thema IPC explizit hervorgehoben [4], [15].

Die Schülertutorinnen schienen den Fokus eher auf die bevorstehende Aufgabe als Tutorin zu legen (Interview 3). Das Zusammentreffen der SchülerInnen und Studierenden wird von den Schülertutorinnen positiv bewertet (Interview 3), die Idee des interprofessionellen Arbeitens oder damit verbundene Konflikte wurden von ihnen jedoch nicht weiter erörtert. Nur eine Schülerin verwies auf eigene Erfahrungen im Umgang mit anderen Berufsgruppen auf Station (Interview 5). Dies ist bemerkenswert, da durch die größere Erfahrung im Stationsalltag der SchülerInnen das Thema interprofessionelles Arbeiten präsenter sein sollte als bei den Medizinstudierenden, die ihre theoretische Ausbildung in einer geschlossenen Gruppe durchlaufen und praktische Erfahrungen in stark begrenzten Zeiträumen (z.B. dreimonatiges Krankenpflegepraktikum) sammeln. Als Besonderheit der Lehrsituation wird von den Schülerinnen vor allem die Gleichberechtigung und der gegenseitige Respekt angeführt (Interview 4), was hierbei auf die konkrete Lehrsituation bezogen wurde, jedoch auch als Grundidee der IPC im Sinne einer Aufgabenteilung mit unterschiedlichen Kompetenzbereichen gilt [16], [17].

Die Grundidee des IPL erfuhr von allen Befragten eine hohe Akzeptanz und das Projekt wurde in seiner Ausrichtung befürwortet. Einzelne Aspekte der Organisation wurden von den medizinischen TutorInnen kritisch hervorgehoben. So vor allem der geringe zeitliche Vorlauf, die Platzierung der Termine in der Prüfungsvorbereitung und teilweise mangelnde Kommunikation zwischen den TutorInnen untereinander bzw. den TutorInnen und den jeweiligen Verantwortlichen des Fachbereiches. Von den Schülertutorinnen wurden mangelnde Informationen über den konkreten Ablauf und die Vorbereitung bemängelt. Die didaktische Ausbildung wurde positiv hervorgehoben und als ausreichend bewertet. Keines der genannten Probleme wurde als das Projekt gefährdend angesehen.

4.2..Rollenverständnis und Umgang mit den anderen TutorInnen bezogen auf die Berufsgruppe

Die studentischen TutorInnen wurden aufgefordert, allgemeine Eigenschaften zu nennen, mit denen sie spontan Angehörige der Gesundheits- und Krankenpflege assoziieren. Zur Beantwortung wurde meist auf die eigenen Erfahrungen in der Praxis (Famulaturen) zurückgegriffen, was darauf hinweist, dass es sich bei den Einstellungen um kein elaboriertes abstrahiertes Konzept der jeweils anderen Berufsgruppe handelt, sondern die Einschätzung mit persönlichen Erfahrungen konstruiert und begründet wird. Diese Erfahrungen erwiesen sich als sehr heterogen:

„[...] also manche waren echt richtig gute Erfahrungen, die dann halt auch als Student einen richtig gut aufgenommen haben, da auch einen gewissen Respekt gezollt haben und mit denen man super zusammengearbeitet hat und wo es echt ne tolle Stimmung war und andererseits hat man auch ganz oft gemerkt, dass manche da auch mal zeigen müssen, du bist eigentlich noch Student und ich zeig dir jetzt mal, wo die Harke ist und die einen ganz schön auflaufen lassen haben. Da musste man sich ein bisschen wehren, das fand ich extrem unangenehm. Das war von Anfang an so eine Mauer, wo man von Anfang an merkt, mit denen willst du gar nichts zu tun haben.“ (Interview 1)

Der Studierende verweist auf seine teils gegensätzlichen Erfahrungen. Zur Bewertung dieser Situationen scheinen die Aspekte Integration, Wertschätzung und letztlich Zusammenarbeit/Arbeitsatmosphäre von großer Bedeutung zu sein. Werden diese als ungenügend eingeschätzt, berichtet der Interviewte in einer dennoch allgemein gehaltenen Art von einer Trotzreaktion seinerseits: „mit denen willst du gar nichts zu tun haben“. Die Reflexion dieser Erfahrungen geschah letztlich doch sehr differenziert. Sobald Verallgemeinerungen stattfanden, wurden diese darauf folgend relativiert:

„D[ie] waren oftmals eher so vom älteren Jahrgang, obwohl ich dann wieder sehr gute Erfahrungen mit älteren Pflegern und Pflegerinnen gemacht habe, also es ist immer schwierig, das kann man nicht pauschalisieren.“ (Interview 1)

Der Studierende erweckt mit diesen Aussagen den Eindruck, als wären bestimmte Stereotype implizit vorhanden (ältere PflegerInnen, welche es zum Zweck des Statuserhaltes dem unerfahrenen Studierenden schwer machen), die jedoch von Erlebnissen in der Praxis überformt werden und zu einer Reflexion führen („das kann man nicht pauschalisieren“).

Im Allgemeinen wurden Pflegende als „sehr nett und herzlich“ eingeschätzt. Dies bezog sich bei den meisten Aussagen vor allem auf den Umgang mit den PatientInnen. Negative Einschätzungen wurden wiederum differenziert dargestellt und nicht auf die Pflege im Allgemeinen bezogen:

„Es gibt Herzliche, herzlich würd ich mal sagen, dann gibt’s aber auch die Bissig-Biestigen.“ (Interview 2)

Vergleichbar zu Interview 1 könnte die Aussage in Richtung impliziter Stereotype gedeutet werden, diese bleiben hierbei jedoch noch unkonkreter.

Neben Eigenschaftszuschreibungen wurden handlungsrelevante Aspekte benannt. So sprach ein Interviewter davon, dass er bei manchen Pflegenden den Eindruck hatte, sie machen nur das, was sie machen müssen und beklagen sich zu viel (Interview 1). Dem gegenüber bezeichnete eine Tutorin die Pflegenden allgemein als aktiv und initiativ (Interview 6). Bemerkenswert ist, dass aufgrund der unterschiedlichen Erfahrungen teilweise gegensätzliche Gesamteinschätzungen zustande kamen. Weitere Angaben der studentischen TutorInnen zu der Arbeit mit ihren pflegerischen Co-TutorInnen legen zudem die Vermutung nahe, dass die Einschätzung der Berufsgruppe stark von den Erfahrungen während der Zusammenarbeit an dem IPL-Projekt beeinflusst wurde. Weiterhin wurden Phänomene dargestellt, die auf Gruppendynamiken basieren:

„Aber man darf sich halt [...] nicht zu sehr von ihnen abwenden, weil sonst hat man da Probleme.“ (Interview 1)

Basierten die bisherigen Aussagen auf Erfahrungen, so ist diese sehr allgemein und fast schon regelhaft formuliert: „Man darf“, „man muss“, „sonst hat man Probleme“.

Dies zeigt einen interessanten Aspekt des antizipierten oder erlebten Stationsalltages. Die Pflege wird durch die Medizinstudierenden vor allem im zwischenmenschlichen Bereich positiv, aber dennoch interpersonal differenziert eingeschätzt. Der Arbeitsalltag samt der bereits beschriebenen Phänomene der Hierarchie, Machtkämpfe und Gruppendynamik wird als ein geschlossenes System angesehen, alle sind Teil der Gruppe und handeln danach.

Einschätzungen der eigenen Berufsgruppe wurden nicht explizit abgefragt, traten jedoch in unterschiedlichen Kontexten während der Gespräche auf. Eine Befragte spricht den Aspekt theoretischer Überlegenheit und praktischer Unterlegenheit von MedizinerInnen gegenüber der Pflege an:

„ ...weil man sagt ja, Mediziner machen nicht gern viel Praktik, die denken ja sowieso, die können alles… .“ (Interview 6)

In diesem Zuge spricht die Studierende auch von Selbstüberschätzung der MedizinerInnen („die können alles“). Die Einleitung „man sagt ja“ weist erneut auf übernommene, verallgemeinerte Ansichten hin.

Unter den Pflegenden wird betont, dass ÄrztInnen ein höheres fachliches Wissen besitzen und mehr Verantwortung tragen (Interview 4). Es zeigt sich bei dieser Charakterisierung wiederum eine Mischung aus institutionell festgeschriebenen Eigenschaften der Rolle (Verantwortung) und persönlichen Zuschreibungen, wie fachliche Kompetenz (welche aus der Tatsache der akademischen Ausbildung abgeleitet wird) oder Selbstbewusstsein (Interview 4) und Hilfsbereitschaft (Interview 3). Unterschiede innerhalb der Berufsgruppe der Ärzte werden von den Pflegeschülerinnen nicht benannt.

Es ist auffällig, dass in der Beantwortung der Frage nach Charakteristiken der anderen Berufsgruppe durch die studentischen TutorInnen sowohl strukturelle (Die Pflegenden sind qua Arbeitsauftrag näher am Patienten und daraus ergeben sich vor allem Informationsvorteile. Sie sind erster Ansprechpartner und können teilweise den Gesamtzustand des Patienten besser einschätzen als der behandelnde Arzt [Interview 6]) als auch persönliche Eigenschaften, wie „biestig“ oder „herzlich“ genannt wurden. Die Frage sollte daher im Folgenden mitlaufen, ob es sich bei den jeweiligen Einschätzungen um die Zuschreibung zu einer personalen Eigenschaft oder zu situativ/strukturell bedingtem Verhalten handelt. Damit verbunden muss nach den Effekten dieser Zuschreibung auf die Sicht des Co-Tutors/der Co-Tutorin geschaut werden. Um dies richtig einordnen zu können, wurden die TutorInnen danach gefragt, inwieweit sie ihre Co-TutorInnen als Repräsentanten der jeweiligen Berufsgruppe sahen und wurden aufgefordert, ihre Erfahrungen im Umgang mit diesen zu schildern.

„... die ersten Beiden, mit denen ich es zu tun hatte, die waren, würde ich sagen, eher nicht so. Die waren recht aufgeweckt, sag ich mal, und haben auch viel […] selbst auch mal gemacht, aber ohne, dass sie irgendwie zu dominant gewirkt haben.“ (Interview 1)

Der Studierende bezieht seine Einschätzung auf ein bestimmtes Merkmal (Eigeninitiative). Da er seine Co-Tutorinnen nicht als Repräsentanten ansieht, schreibt er dieses Merkmal der Pflege im Allgemeinen wohl eher nicht zu oder wenn, dann im Sinne von Dominanz. Dies deckt sich mit einer vorherigen Aussage dieses Tutors, wonach Pflegende nur das tun, was sie tun müssen.

„... typisch ja, sehr offen, sehr menschenfreundlich, sehr aktiv. Auch nicht so gehemmt, wie viele Mediziner sind, schüchtern und so, so stell ich mir das nicht so vor.“ (Interview 6)

Bei dieser studentischen Tutorin erfolgte die Bestimmung in Abgrenzung zu den Medizinern.

Hierbei ist zu hinterfragen, inwieweit die Repräsentation der Berufsgruppe oder eher der Auszubildendengruppe gemeint war, da mit den „schüchternen Medizinern“ eventuell die Studierenden und nicht ausgebildete ÄrztInnen gemeint sein könnten.

„Ich sehe sie schon als Schüler, aber dadurch, dass wir ein anderes Projekt zusammen machen, haben sie nicht diese Funktion auf Station für mich, in meinem Kopf.“ Interviewer: „Das heißt, für dich waren sie eher Tutor als Pflegeschüler, also auf einer Augenhöhe hast du mit denen gearbeitet?“ Tutorin: „Genau.“ (Interview 2)

Die Interviewte verneint die Frage nach der Repräsentanz der SchülertutorInnen und bezieht sich stark auf den außergewöhnlichen Kontext der Zusammenarbeit. An den unterschiedlichen Herangehensweisen der Interviewten an die Frage ist zu erkennen, dass der gegebene Kontext und die gemeinsame Aufgabe einen Einfluss nicht nur auf die Einschätzung der Co-TutorInnen, sondern auch darauf zu haben scheint, inwiefern diese als Repräsentanten der jeweiligen Berufsgruppe gesehen wurden. Die Heterogenität dieser Begründungsmuster kann als Folge der Neuheit der Situation gedeutet werden.

In unterschiedlicher Weise differenziert wurde diese Frage von den Pflegeschülerinnen beantwortet, wobei sich in den Antworten ein Muster herauskristallisiert. Als repräsentativ werden die medizinischen TutorInnen im Zusammenhang mit ihrem fachlichen Wissen eingeschätzt, umgekehrt ist es, wenn es um die Einschätzung der persönlichen und der sozialen Ebene ging:

„Sie hat mich überhaupt nicht merken lassen, dass ich nur die Pflegeschülerin bin, sondern, also wir haben uns super verstanden und waren uns sofort sympathisch und auch auf einer Wellenlänge, was ich jetzt nicht immer so [in] meinem Pflegealltag erlebt habe.“ (Interview 4)

Die vorhergehende allgemeine Einschätzung der Berufsgruppe der Mediziner durch die Pflegenden erbrachte keinerlei negative, den ÄrztInnen persönlich zugeschriebene Eigenschaften, was jedoch in dem angeführten Zitat, wenn auch implizit, revidiert wird (abgeleitet aus dem Zitat: ‚Es gibt Ärzte, die mich merken lassen, dass ich nur die Pflegeschülerin bin‘). Die fehlende Zuschreibung negativer Eigenschaften kann nun sowohl in der Form gedeutet werden, dass die Hierarchie, so wie sie ist, als institutionalisierte Gegebenheit hingenommen wird oder aber, dass die Reproduktion hierarchischer Strukturen den ÄrztInnen nur implizit zugeschrieben wird, sie also nicht bewusst dafür verantwortlich gemacht werden. Beide Interpretationen wären auf der Grundlage der oben beschriebenen Vermischung persönlicher und institutionell bedingter Eigenschaften plausibel. Die Themen Hierarchie und Wertschätzung scheinen für die Pflegenden eine große Rolle zu spielen, da sie nicht nur an dieser Stelle angesprochen werden und die Besonderheit des Projektes vermehrt in der gleichberechtigten respektvollen Arbeit der pflegerischen und studentischen TutorInnen gesehen wird. Dies deckt sich mit Befunden, nach denen Pflegende angaben, dass berufliche Unzufriedenheit vor allem aus fehlender Wertschätzung resultiert [18].

Die Zusammenarbeit der Tutorengruppen wurde durchgehend als sehr gut eingeschätzt und der/die jeweilige Co-TutorIn bei allen Interviewten als Unterstützung angesehen. Bei den Studierenden konzentrierte sich diese wahrgenommene Unterstützung durch die PflegeschülerInnen vor allem auf inhaltliche Aspekte. Es wurde besonders hervorgehoben, dass man sich gegenseitig ergänzt habe. In einigen Fällen wurde das gute Zusammenarbeiten als Abschluss eines Einarbeitungs- und Gewöhnungsprozesses beschrieben (Interview 2, Interview 5). In diesen Fällen schien es zu Beginn ein Ungleichgewicht zwischen den Medizinstudierenden und den PflegeschülerInnen gegeben zu haben, welches mit den unterschiedlichen Erfahrungen im Bereich der Lehre sowie den teils unspezifischen inhaltlichen Vorgaben und Zielsetzungen seitens der Pflegefachschule für die einzelnen Lehreinheiten erklärt werden kann. Geäußert hat sich dieser Zustand in einer gewissen Zurückhaltung und Aufgeregtheit mancher PflegeschülerInnen (Interview 2).

Die Medizinstudierenden haben für diese Problematik das nötige Verständnis aufgebracht und haben den PflegetutorInnen die Angst genommen (Interview 5), wodurch sie von den Schülerinnen vor allem in dieser Hinsicht als Unterstützung wahrgenommen wurden. Als ein wesentlicher Aspekt dieser Unterstützung wurde ein elaboriertes und wiederholtes gegenseitiges Feedback während der Ausarbeitung und Durchführung der Lehreinheit angesehen (Interview 4).

Es wurden keine expliziten Konflikte genannt. Kleinere Unstimmigkeiten bezogen sich ausschließlich auf organisatorische Aspekte (Kommunikation, Terminabsprache). Inhaltliche und didaktische Verbesserungsvorschläge ergaben sich im Laufe des genannten Gewöhnungsprozesses und gingen vorwiegend von den medizinischen TutorInnen aus:

„Ich hab dann ein paar Sachen mal angesprochen, gerade bei der zweiten Gruppe, dass man vielleicht ein bisschen mehr aus sich raus kommen muss, ein bisschen aufgeweckter sein sollte.“ (Interview 2)

Die Studierende beschreibt die Anmerkungen an die Co-TutorInnen als Empfehlungen, die sich jedoch nicht auf inhaltlich-fachliche Aspekte beziehen. Es ist bemerkenswert, dass es sich dabei teilweise auf ein bestimmtes Verhalten bezieht („aus sich raus kommen“), teilweise aber auch auf eine Grundhaltung („aufgeweckter sein“).

Ein Austausch mit anderen TutorInnen fand vorwiegend berufsgruppenintern oder innerhalb der Tutorenteams einer Lehreinheit statt. Gehörten die TutorInnen jedoch weder der eigenen Berufsgruppe noch der eigenen Lehreinheit an, gestaltete sich die Kontaktaufnahme schwierig:

„Also an den IPL-Terminen hatte ich am meisten mit meinem Co-Tutor zu tun und sonst mit den Medizinern, weil ich die ja eher noch kannte und die Co-Tutoren, die Anderen, die saßen eher mollig, schmollig [...] sahen die aus [...] die sahen nicht so glücklich aus, saßen hier alleine.“ (Interview 2)

Dass der häufigste Kontakt mit dem Co-Tutor/der Co-Tutorin stattfand, ergibt sich aus der Struktur der Lehrveranstaltung, die außer in den Pausen eine beständige Zusammenarbeit und räumliche Nähe während der Durchführung von sechs aufeinanderfolgenden Lehreinheiten erforderte. Der Kontakt mit den MedizinerInnen wird von der Tutorin durch die Vertrautheit begründet. Bemerkenswert ist jedoch die Einschätzung der Interviewten, wonach die anderen Co-TutorInnen auf sie einen bestimmten Eindruck machten. Auch wenn es nicht explizit benannt wird, so scheint die Zuschreibung „mollig, schmollig“ und „unglücklich“ bei der Tutorin zu einem Gefühl der Distanz geführt zu haben bzw. sah sie sich nicht zu einer Kontaktaufnahme veranlasst. Neben der Eigengruppe (ingroup)1 der jeweiligen Berufsgruppe gibt es nun auch die Eigengruppe der jeweiligen Lehreinheit, die aus unterschiedlichen Berufsgruppen zusammengesetzt ist. Dieses verbindende Merkmal führt zu einer erleichterten Kontaktaufnahme, das allen gemeinsame Merkmal Tutor-Sein scheint hierfür jedoch nicht auszureichen. Nach dem Minimalgruppenparadigma könnte dies jedoch ausreichen, wenn das Merkmal in hohem Maße als Unterscheidungskriterium herausgestellt wird [19]. Hierzu muss eine hohe Identifikation mit der Rolle als TutorIn hergestellt werden.

„Bei den Schülertutoren hab ich gehört, dass manche das nur machen, damit sie irgendwie so ein Ansehen haben [...] und eigentlich gar keine richtige Lust drauf hatten und dass das nicht die Motivation sein sollte [...] Also bei meinen war das jetzt nicht so, die hatten da Bock drauf.“ (Interview 2)

Die Aussage erscheint vor diesem Hintergrund verständlicher. Vor allem die Formulierung „bei meinen war das jetzt nicht so“ weißt auf eine Abgrenzung der eigenen Co-TutorInnen gegenüber den anderen hin. Diese werden unspezifisch differenziert („manche“) und ihnen werden aus unbekannter Quelle („habe ich gehört“) negativ bewertete Motivationen zugeschrieben. Die Unterscheidung der eigenen und der anderen Gruppe findet sich auch bezogen auf die Teilnehmer der Lehrveranstaltung:

„Weil man diese ganzen Leute [die TeilnehmerInnen aus der Pflege, Anm. d. A.] gar nicht kannte. Ich meine, meine Mediziner, die kenn ich halt, da weiß ich vielleicht ein bisschen mehr, wie ich mit denen umgehen kann. Bei denen will ich dann auch [niemandem] zu nahe treten.“ (Interview 1)

Erneut findet sich die Formulierung „meine“ als Kennzeichen von Vertrautheit und sozialer Zugehörigkeit.

In der Literatur zu IPC wird das Wissen um die Kompetenzen der anderen Berufsgruppe als eine Kernkompetenz für interprofessionelle Zusammenarbeit angesehen [20]. Das Problem der mangelnden Kenntnis über das Wissen und die Fähigkeiten der jeweils anderen Berufsgruppe wurde den TutorInnen bewusst:

„Ich konnte mir eigentlich nie vorstellen, was wissen die [die TeilnehmerInnen aus der Pflege, Anm. d. A.], was können die schon, können die mehr, können die viel weniger, die haben dann anfangs auch wenig geredet, das war dann schwer, die auch abzuholen.“ (Interview 1)

Der Studierende verweist auf die völlige Unkenntnis der Kompetenzen der anderen Berufsgruppe. Die Aussage „ich konnte mir eigentlich nie vorstellen“ verweist auf die fehlende Beurteilungsgrundlage wahrscheinlich aufgrund der getrennten Ausbildungswege. Wenn von der schwierigen Kommunikation zu Beginn die Rede ist, so deutet dies auf das Aushandeln eines gemeinsamen Startpunktes hin, von dem der Tutor die TeilnehmerInnen „abzuholen“ versucht. Es wurde in den Interviews auf die Überlegenheit der Pflegenden in praktischen Dingen hingewiesen, überraschend schien dagegen das in manchen Situationen herrschende Gleichgewicht des theoretischen Wissens:

„Ich fand es eigentlich ganz gut, dass wir relativ auf dem gleichen Level waren, so vom Wissensstand her, das hat mich ein bisschen verwundert [...] Manchmal hatte man so die Situation, dass die Pflegeschüler einfach auch mehr wussten, mehr Zusammenhänge wussten.“ (Interview 3)

Dies widerspricht der Einstellung gegenüber der Berufsgruppe der Ärzte im Allgemeinen, in der die medizinisch-theoretische Überlegenheit oft hervorgehoben wurde. Die Irritation dieser Vorannahme kann dazu führen, dass Studierende während des Kontaktes in diesem Stadium der Ausbildung (noch) nicht als Repräsentanten ihrer Berufsgruppe angesehen werden und somit interprofessionelles Lernen erleichtert wird.

4.3..Einschätzung der eigenen Rolle und Tätigkeit als TutorIn

Die bisherigen Ausführungen deuten darauf hin, dass sich die Befragten nur partiell als Angehörige ihrer Berufsgruppe und mehr als TutorIn einer Lehreinheit sahen. Es wurde zu Beginn der Erarbeitungsphase und in den Didaktikschulungen versucht zu vermitteln, dass an den Tutor/die Tutorin besondere Anforderungen im Rahmen des IPL-Projektes gestellt werden. Neben den fachlichen Aspekten gilt es, den Grundgedanken des gemeinsamen Lernens und Arbeitens als Lehrende vorzuleben. Deshalb wurden die Befragten gebeten, retrospektiv Merkmale eines guten Tutors/einer guten Tutorin im Rahmen einer IPL-Lehreinheit zu benennen und sich selbst unter diesem Aspekt einzuschätzen.

Die Medizinstudierenden sehen als Grundvoraussetzung für die Arbeit mit TutorInnen aus anderen Berufsgruppen das Interesse an der Zusammenarbeit und die Bereitschaft mit dem jeweils Anderen auf Augenhöhe zu arbeiten (Interview 2) sowie die Fähigkeit, sich in beide Rollen versetzen zu können an:

„... wenn man dann merkt, dass da wie so eine Mauer zwischen den beiden Parteien ist, dass man dann auch versucht, denen [den TeilnehmerInnen, Anm. d. A.] klarzumachen, dass sie jetzt was zusammen machen müssen, sich auch mal äußern dürfen [...], das war ein wenig anspruchsvoller.“ (Interview 1)

Der Studierende beschreibt die Herausforderung mit dem Bild der Mauer zwischen den Berufsgruppen. Die TutorInnen sollen bei der Überwindung dieser Mauer unterstützen. Der Interviewte spricht zwei unterschiedliche Aspekte an. Zum einen geht es um Zusammenarbeit („was zusammen machen“), zum anderen um Kommunikation oder auch Artikulation/Selbstbehauptung („sich auch mal äußern dürfen“).

Des Weiteren werden die Bereitschaft zur Arbeitsteilung und das Vertrauen in die Kompetenz des Anderen genannt (Interview 2). Der Umgang sollte respektvoll, unterstützend und höflich sein, denn „man kann von beiden Seiten lernen“ (Interview 6). Die Schülerinnen konzentrierten sich in ihren Antworten auf die Anforderungen eines Tutors im Allgemeinen bezogen auf fachliche Kompetenz, Selbstsicherheit und Motivationsfähigkeit. Besonderheiten bezüglich des IPL wurden nicht genannt. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass die Tutorenrolle den Medizinstudierenden bereits vertraut war, die Pflegenden sich hingegen in diese komplett neu einarbeiten mussten und daher den Schwerpunkt auf die basalen didaktischen Anforderungen richteten. Des Weiteren haben die pflegerischen Tutorinnen keinen Vergleich zu einer von ihnen geleiteten monoprofessionellen Lehreinheit und können somit die Spezifika von IPL nicht aus ihrer Erfahrung herleiten.

„Also ich denke, die größte Hürde war es, den Pflegeschülerinnen klar zu machen, worum es hier geht, weil die kannten das ja nicht, was so eine Station überhaupt ist und dass man denen klarmacht, dass die dann noch frei reden müssen, dass es vor allen Dingen von der Zeit hinhauen muss.“ (Interview 1)

Der Studierende spricht von der Aufgabe, den PflegeschülerInnen das stationsbasierte Lehrprinzip nahezubringen und sie bei der Ausbildung didaktischer Fertigkeiten zu unterstützen. Auch wenn er allgemein formuliert, dass „man denen klarmacht“, so ist es naheliegend, dass er mit „man“ sich und im Allgemeinen die wesentlich erfahreneren studentischen TutorInnen meint, die somit zumindest zu Beginn die Mentoren-Rolle für die SchülertutorInnen übernahmen.

Positiv wurde von den Medizinstudierenden hervorgehoben, dass man es geschafft habe, innerhalb der Lehrveranstaltungen „das Selbstbewusstsein der Pfleger gestärkt“ (Interview 1) zu haben und die studentischen TeilnehmerInnen darauf hingewiesen hat, dass man „solche Leute auch mal braucht im Leben, also im Berufsleben“ (Interview 1) und es wurde „Spaß an der Zusammenarbeit vermittelt“ (Interview 2).

4.4..Fazit der TutorInnen

In einem persönlichen Fazit sollten die Befragten ihre Erfahrungen und daraus hervorgehende Einsichten und Auswirkungen auf ihr zukünftiges Handeln darstellen. Die Medizinstudierenden sahen die IPL-Inhalte und die Zusammenarbeit mit den anderen TutorInnen als Bereicherung an und bewerteten die modifizierten Lehreinheiten besser als die ursprünglichen Einzelstationen.

Perspektivisch betonten die TutorInnen ihre erworbene Sicherheit im Umgang mit der jeweils anderen Berufsgruppe. Es gilt, zukünftig mehr aufeinander zuzugehen und eine gute Arbeitsatmosphäre zu schaffen (Interview 1). Gemeinsame Grundlagen wurden hervorgehoben:

„Das halt zwischen dem Studium und der Ausbildung nicht so große Unterschiede sind [...], das da schon gewisse Ähnlichkeiten sind, vom Menschlichen, vom Ausbildungsstand, von der Praxis. Ich meine theoretisch wissen wir sicher mehr, aber praktisch haben die auch schon mehr gemacht.“ (Interview 1)

Der erste Teil des Zitats verwundert, da sich die Ausbildungsgänge derzeit noch stark unterscheiden. Die Aussage scheint etwas konfus, zu Beginn wird die Ähnlichkeit auf die Ausbildungsgänge, dann aber auf die zwischenmenschliche Ebene und zuletzt auf den Wissensstand bezogen. Der zweite Satz steht im Widerspruch zu einer Aussage aus Interview 3, wonach „die Pflegeschüler einfach auch mehr wussten, mehr Zusammenhänge wussten“. Auch da scheinen sich die Ansichten über die Auszubildenden und die ausgebildeten Berufstätigen der jeweiligen Berufsgruppe zu vermischen.

Kommunikation wird stärker noch als wichtiges Mittel und klare Kommunikation als Voraussetzung für gemeinsames Arbeiten angesehen (Interview 2). Durch die Auseinandersetzung mit und dem Kennenlernen der jeweils anderen TutorInnen kommen beide Berufsgruppen zu dem Schluss, dass Kommunikation untereinander möglich ist und von beiden Seiten gewünscht wird. Das Wissen um die Fähigkeiten der Anderen ermöglicht eine offene und lernbereite Einstellung der ÄrztInnen und erhöht den gegenseitigen Respekt (Interview 6). Ein weiterer Effekt ist die Sensibilisierung für die eigenen Einstellungen und die Prüfung eigener Vorurteile gegenüber der anderen Berufsgruppe:

„… dass mir aufgefallen ist, dass es unheimlich viele Vorurteile gibt auf beiden Seiten, auch bei mir und schon unheimlich viel Dynamik, die schon in den Leuten drin ist, die sich dann irgendwie selbst fortpflanzt durch Erfahrungen.“ (Interview 2)

Die Tutorin ist in ihrer Aussage unpräzise, ob sie von bisherigen Erfahrungen oder von den spezifischen Eindrücken der Lehrveranstaltung spricht.


5. Diskussion

Der Einsatz gemischter Tutorenteams im Rahmen der interprofessionellen Lehreinheit soll auf der einen Seite die Relevanz von IPC für beide Berufsgruppen verdeutlichen und zum anderen nimmt die Zusammenarbeit der TutorInnen die berufliche Kooperation vorweg. Wichtige Aspekte von IPC, wie sie bereits im ersten Abschnitt angeführt wurden, konnten somit in ihrer Umsetzung berücksichtigt werden. Es stand vor allem die gemeinsame Arbeitsaufgabe, die Aushandlung der Rollen, die Kenntnisse um die Kompetenzen des Anderen und zuletzt die Ergebnissicherung während der Durchführung im Vordergrund. Die dargestellten Ergebnisse verdeutlichen, dass bei der Annäherung und der Zusammenarbeit der studentischen und pflegerischen TutorInnen sowohl allgemeine gruppendynamische Phänomene (z.B. ingroup/outgroup-Unterscheidungen) als auch spezifische Aspekte der interprofessionellen Zusammenarbeit im medizinischen Bereich (z.B. Berufssozialisation, Erfahrung im praktischen oder didaktischen Bereich) Einfluss auf die Zusammenarbeit nahmen. Die Medizin-TutorInnen waren bei der Erarbeitungs- und Durchführungsphase im Vorteil, da sie mit ihren Erfahrungen im Bereich studentischer Lehre sehr gut über die Abläufe und besonderen Merkmale einer praktischen Lehreinheit im Rahmen der medizinischen Ausbildung Bescheid wussten und sie auf gewohntem Terrain agierten. Die SchülertutorInnen mussten sich in die Rolle des/der Lehrenden erst hineinfinden, was erhebliche psychische und kognitive Ressourcen (Anwendung neu erlernter didaktischer Handlungskompetenzen, Strategien zur Sicherung des Selbstwertgefühles und der Autorität als Lehrende, Ambiguitätstoleranz bezogen auf die Reaktionen der Teilnehmer) in Anspruch genommen zu haben scheint. Die Definition der Rolle als TutorIn schien dabei die Gruppenzugehörigkeit als Pflegende in Abgrenzung zu den MedizinerInnen in bestimmten Bereichen in den Hintergrund treten zu lassen. Vor allem jedoch in der Einschätzung der fachlichen Überlegenheit wurden vorgefertigte Einstellungen übernommen und in diesen Fällen auch handlungswirksam, d.h. die Medizinstudierenden wurden inhaltlich als Autorität wahrgenommen. In der Projektsituation ergab sich für die PflegetutorInnen eine Unterlegenheit zu den Studierenden-Tutoren durch die mangelnde Erfahrung und somit auf einer anderen Grundlage als die der institutionalisierten hierarchischen Strukturen im klinischen Alltag und der damit verbundenen Statusunterschiede [[21], S.48]. Damit einhergehende Phänomene während der Projektdurchführung lassen sich somit nicht zweifelsfrei (durch die beschriebenen Umstände nicht einmal sehr wahrscheinlich) auf die Berufsrolle zurückführen. Die Studierenden, die durch die beschriebenen Erfahrungsunterschiede in eine Mentorenrolle gedrängt wurden, mussten daher nicht berufsbezogene Statuspositionierungen aktivieren, um Ungleichheit herzustellen. Es soll an dieser Stelle betont werden, dass den Studierenden nicht unterstellt wird, sie hätten die Hervorhebung einer Statusungleichheit intendiert, jedoch lässt sich dies auf Grund der Bedingungen nicht analysieren. Die Aussagen der Pflegetutorinnen deuten auf das Gegenteil hin, da die studentischen TutorInnen von den Pflegeschülerinnen als Unterstützung angesehen wurden. Möglich wäre auch, dass bestehende Altersunterschiede eine Bedeutung bei dieser Rollenverteilung hatten.

Aus den Ergebnissen und Erörterungen lässt sich schlussfolgern:

  • Sowohl pflegerische als auch studentische TutorInnen sollten bereits Erfahrungen im Bereich peer-teaching gesammelt haben und sich in der Lehreinrichtung eingearbeitet haben, um sich auf Besonderheiten von IPL konzentrieren zu können.

Nicht nur in didaktischer Hinsicht ist ein Gleichgewicht zwingend notwendig. In den Interviews wurde gefordert, dass pflegerische Inhalte der einzelnen Lehreinheiten festgeschrieben werden und konkretere Vorstellungen über den Ablauf und die Darbietungsweise von den Fachschulen vorgegeben werden sollen, welche dann auch den Medizinstudierenden näher gebracht werden (Interview 1). Daraus abgeleitet lautet die zweite Empfehlung:

  • Medizinisch-ärztliche und pflegerische Inhalte sollten in gleichwertiger Form standardisiert für jede Lehreinheit vorgegeben sein. Jeder Tutor/jede Tutorin sollte die Anforderungen und Inhalte der jeweils anderen Berufsgruppe kennen.

Sind diese Bedingungen erfüllt, kann der Fokus beider Tutorengruppen auf die Besonderheiten interprofessioneller Ausbildung und interprofessionellen Zusammenarbeitens gelegt werden. Die Ausgestaltung der einzelnen Lehreinheiten im Projekt des MITZ berücksichtigte diese Aspekte sehr unterschiedlich. Neben der gemeinsamen Durchführung bestimmter Tätigkeiten kamen rechtliche Aspekte der Zuständigkeit und gelegentlich kommunikative Besonderheiten während des Zusammenarbeitens zur Sprache, jedoch nicht immer in der gewünschten Tiefe. Daraus leitet sich folgende Empfehlung ab:

  • Die TutorInnen sollten vor der Erarbeitung ihrer Lehreinheiten auf Besonderheiten der interprofessionellen Teamarbeit aufmerksam gemacht werden und die Vermittlung ebenfalls standardisiert festgeschrieben werden. Dies betrifft vor allem rechtliche, kommunikative, gruppendynamische und institutionell geregelte Aspekte von IPC sowie Fehlermanagement und Feedback.

Während die Gruppenzugehörigkeit bei der Erarbeitung und Durchführung der Lehreinheit nur in Bezug auf fachliche Aspekte eine Rolle zu spielen schien, sind stärkere Effekte auf sozialer Ebene zu finden. Dies wird in den Aussagen dahingehend deutlich, dass es nur einen lehreinheits- oder berufsinternen Austausch der TutorInnen gegeben hat. Das Merkmal des Tutor-Seins reichte nicht für eine umfassendere ingroup-Definition aus. Daher leitet sich die folgende Empfehlung ab:

  • Die TutorInnen sollten so lang und so oft wie möglich als gesamte Gruppe zusammentreffen und gemeinsam didaktische oder inhaltliche Schulungen bekommen. Generalproben oder gemeinschaftliche Veranstaltungen, wie Semestereröffnungs- oder Abschlussfeiern sollten ebenfalls als Gruppenverbund durchgeführt werden. Im MITZ wird versucht, durch einheitliche Kleidung (in diesem Fall ein grünes Shirt) das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken.

Dies berührt die umfassendste Schlussfolgerung aus dem Projekt sowohl in Bezug auf die TutorInnen als auch auf die TeilnehmerInnen:

  • Kontakt ist die Grundvoraussetzung für die Reflexion von Einstellungen und Vorurteilen und das Erlangen von gesichertem Wissen über die jeweils andere Berufsgruppe: „Es war einfach interessant, weil man das ganze Studium nur mit Medizinern zu tun hat, seinesgleichen sozusagen, und einfach die Seite mal kennenzulernen, wie sie frisch von der Schule kommen, dass da eigentlich viele Ähnlichkeiten da irgendwo sind [...] zu einem selber.“ (Interview 1)

Das Gesamtprojekt hat gezeigt, dass gemischte Tutorenteams sich als sinnvoll erweisen, wenn es darum geht, interprofessionelle Lehreinheiten zu konzipieren und durchzuführen, da der Gedanke des interprofessionellen Lernens und Arbeitens vorgelebt werden kann und sich damit auf die Lernenden leichter übertragen lässt. Es besteht die Hoffnung, dass dies einen positiven Einfluss auf IPC hat, da die TutorInnen später im Berufsalltag als Multiplikatoren wirken können. Es ist bei der Übertragung der Ergebnisse auf interprofessionelle Arbeitssituationen zwischen den Effekten der gemeinsamen Ausbildung auf die TutorInnen und den Effekten auf die TeilnehmerInnen der Lehrveranstaltung zu unterscheiden. Kann bei der Auswahl der TutorInnen von einem Selbstselektionsbias bezüglich einer bereits vorhandenen Offenheit gegenüber interprofessioneller Zusammenarbeit und Sensibilität gegenüber eigener Vorurteile ausgegangen werden, so ist dies auf Seiten der TeilnehmerInnen differenzierter zu betrachten. Die langfristigen Wirkungen von interprofessionellen Lehreinheiten auf die Teilnehmer sollen demnach als ein weiteres Forschungsfeld betrachtet werden, welches hier nicht behandelt werden kann.

Stärken und Schwächen der Studie

Die Methodik dieser Studie zielt bewusst auf einen Zugang zu dem Thema interprofessionelle Tutorenausbildung, der nicht durch eine forschungsleitende Hypothese gesteuert wird, sondern versucht, theoretische Implikationen aus den gewonnen Daten zu gewinnen. Die in Verbindung mit der geringen Stichprobengröße einhergehende eingeschränkte Verallgemeinerbarkeit wird für einen tieferen Einblick in die Prozesse der gemeinsamen Arbeit der TutorInnen der beiden Berufsgruppen in Kauf genommen. Die Ergebnisse können jedoch als Orientierung für eine Weiterentwicklung und Verbesserung interprofessioneller Lehreinheiten und speziell der Tutorenausbildung angesehen werden. Die gegebenen Rahmenbedingungen während des Projektes im MITZ scheinen einen großen Einfluss auf das Verhalten und die Wahrnehmung der TutorInnen beider Berufsgruppen ausgeübt zu haben, wie dies im vorherigen Abschnitt erläutert wurde. Wünschenswert ist daher eine Vergleichsstudie mit den aus der Diskussion abgeleiteten Schlussfolgerungen und Empfehlungen.

Weiterhin wurden in der Studie die soziodemografischen und (berufs)sozialisatorischen Hintergründe der Befragten nicht berücksichtigt. Diese jedoch könnten helfen, bestimmte Aussagen besser zu verstehen und zugrundeliegende Verhaltensmotive aufzuzeigen. Es ist davon auszugehen, dass der Umfang und die Intensität der praktischen Erfahrungen im Umgang mit Angehörigen anderer Professionen unter den TutorInnen stark variiert. Durch Vorausbildungen und/oder verschiedene Praktika ist eine allgemeingültige Aussage bezüglich des fehlenden Kontaktes zwischen den beiden Professionen während der Ausbildung nur bedingt als Erklärung zulässig und müsste über den Weg der Berufssozialisation differenziert werden. Der Altersunterschied ist zwischen dem Medizinstudierenden und den Schülerinnen besonders groß, was ein Grund für unterschiedliche Wahrnehmungen verschiedener Aspekte und für eine unterschiedliche Reflexionskompetenz sein kann.

Ausblick

Das Projekt wird im Wintersemester 2015/2016 in gleicher Form fortgeführt. Hierzu werden neue studentische TutorInnen und SchülertutorInnen ausgebildet, welche die regulären Lehreinheiten modifizieren und leiten. Neben der Weiterentwicklung der Tutorenausbildung wird Wert auf die Standardisierung der Lehrinhalte in Bezug auf die Thematik interprofessionelles Lernen/interprofessionelles Arbeiten gelegt.

Zukünftig wird interprofessionelles Lernen an der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden eine zunehmend größere Rolle spielen und weiterhin schwerpunktmäßig sowohl in wissenschaftlicher Form bearbeitet als auch in praktischen Lehrveranstaltungen umgesetzt. Der Fokus liegt dabei auf der curricularen Einbindung interprofessioneller Lehreinheiten in das Pflichtcurriculum der Studiengänge Humanmedizin und langfristig auch Zahnmedizin. Im Zuge dessen können Prüfungsformate zur Erfolgskontrolle des Kompetenzerwerbes zum interprofessionellen Arbeiten etabliert werden.


Anmerkung

1 In der englischsprachigen Fachliteratur werden die Bezeichnungen Interprofessional Collaboration (IPC) für das interprofessionelle Arbeiten und Interprofessional Education (IPE) für das interprofessionelle Lernen genutzt [1].

2 Phänomene des Intergruppenverhaltens resultieren aus dem Prozess der sozialen Kategorisierung in Eigengruppe (ingroup), also der Gruppe, der die Person angehört und Fremdgruppe (outgroup) als einer Gruppe, die in mindestens einer Merkmalsdimension mit der Eigengruppe verglichen wird [19].


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Mahler C, Gutman T, Karstens S, Joos S. Begrifflichkeiten für die Zusammenarbeit in den Gesundheitsberufen: Definition und gängige Praxis. GMS Z Med Ausbild. 2014;31(4):Doc40. DOI: 10.3205/zma000932 Externer Link
2.
Bartholomeyczik S, Donath E, Schmidt S, Rieger MA, Berger E, Wittich A, Dieterle WE. Bericht "Arbeitsbedingungen im Krankenhaus". Dortmund/ Berlin/ Dresden: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin; 2008. Zugänglich unter/available from: http://www.baua.de/de/Publikationen/Fachbeitraege/F2032.pdf?__blob=publicationFile Externer Link
3.
Knoll M, Lendner I. "...dann wird er halt operiert und es ist keine Blutgruppe da!": Interprofessionelle Kommunikation von Pflegenden einer internistischen Intensivstation. Pflege. 2008;21:339–351. DOI: 10.1024/1012-5302.21.5.339 Externer Link
4.
Antoni CH. Interprofessionelle Teamarbeit im Gesundheitsbereich. Z Evid Fortbild Qual Gesundheitswes. 2010;104(1):18–24. DOI: 10.1016/j.zefq.2009.12.027 Externer Link
5.
Sieger M, Ertl-Schmuck R, Bögemann-Großheim E. Interprofessionelles Lernen als Voraussetzung für interprofessionelles Handeln–am Beispiel eines interprofessionell angelegten Bildungs-und Entwicklungsprojektes für Gesundheitsberufe. Pflege Gesellschaft. 2010;15(3):197–216.
6.
Sachverständigenrat. Gutachten 2007–Kooperation und Verantwortung. Voraussetzungen einer zielorientierten Gesundheitsversorgung. Dtsch Bundestag Drucksache. 2007;16:6339.
7.
Walkenhorst U, Mahler C, Aistleithner R, Hahn EG, Kaap-Fröhlich S, Karstens S, Reiber K, Stock-Schröer B, Sottas B. Positionspapier GMA-Ausschuss – Interprofessionelle Ausbildung in den Gesundheitsberufen". GMS Z Med Ausbild. 2015;32(2):Doc22. DOI: 10.3205/zma000964 Externer Link
8.
Neitzke G. Interprofessioneller Ethikunterricht. GMS Z Med Ausbild. 2005;22(2):Doc24. Zugänglich unter/available from: http://www.egms.de/en/journals/zma/2005-22/zma000024.shtml Externer Link
9.
Quandt M, Schmidt A, Segarra L, Beetz-Leipold C, Degirmenci Ü, Kornhuber J, Weih M. Wahlfach Teamarbeit: Ergebnisse eines Pilotprojektes zur interprofessionellen und interdisziplinären Ausbildung mit formativem Team-OSCE (TOSCE). GMS Z Med Ausbild. 2010;27(4)Doc60. DOI: 10.3205/zma000697 Externer Link
10.
Kälble K. Der Akademisierungsprozess der Pflege. Eine Zwischenbilanz im Kontext aktueller Entwicklungen und Herausforderungen. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz. 2013;8:1127-1133.
11.
Mahler C, Karstens S, Roos M, Szecsenyi J. Interprofessionelle Ausbildung für eine patientenzentrierte Versorgung der Zukunft. Die Entwicklung eines Kompetenzprofils für den Bachelor-Studiengang "Interprofessionelle Gesundheitsversorgung". Z Evid Fortbild Qual Gesundheitswesen. 2012;106(7):523-532. Zugänglich unter/available from: http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1865921712000840 Externer Link
12.
Gardner S, George J, de Gibaja, M Gil, Jordan-Marsh M, Lind J, McCroskey J, Taylor H, Taylor-Dinwiddie S, Zlomik J. A working paper on interprofessional education principles. Alexandria, VA: Council on Social Work Education; 1998.
13.
Mey G, Mruck K. Interviews. In: Mey G (Hrsg). Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften; 2010. S. 423–435.
14.
Kuckartz U, Dresing T, Rädiker S, Stefen C. Qualitative Evaluation: Der Einstieg in die Praxis. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften; 2008.
15.
Nückles M, Bromme R. Knowing what the others know: A study in interprofessional communication between nurses and medical doctors. Klin Pädiatrie. 1998;210:291–296. DOI: 10.1055/s-2008-1043894 Externer Link
16.
Ewers M. Interprofessionalität als Schlüssel zum Erfolg. Public Health Forum. 2012;20(4):10.e1-10.e3.
17.
Hofmann I. Schwierigkeiten im interprofessionellen Dialog zwischen ärztlichem und pflegerischem Kollegium. Pflege. 2001;14(3):207-213.
18.
Buxel H. Was Pflegekräfte unzufrieden macht. Dtsch Ärztebl. 2011;108(17):946-948.
19.
Tajfel H, Billig MG, Bundy RP, Flament C. Social categorization and intergroup behaviour. Eur J Soc Psychol. 1971;1(2):149–178. DOI: 10.1002/ejsp.2420010202 Externer Link
20.
MacDonald MB, Bally JM, Ferguson LM, Murray BL, Fowler-Kerry SE, Anonson JM. Knowledge of the professional role of others: A key interprofessional competency. Nurse Educ Pract. 2010;10(4):238–242. DOI: 10.1016/j.nepr.2009.11.012 Externer Link
21.
Wilkesmann, M. Wissenstransfer im Krankenhaus. Institutionelle und strukturelle Voraussetzungen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften; 2008.