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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Bedeutung und wahrgenommener Nutzen der Medizinischen Promotion für die Promovenden

Artikel Medizinische Promotionen

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  • corresponding author Marianne Giesler - Universität Freiburg, Medizinischen Fakultät, Studiendekanat, ompetenzzentrum Evaluation in der Medizin Baden-Württemberg, Freiburg, Deutschland
  • author Martin Boeker - Universität Freiburg, Medizinischen Fakultät, Department für Medizinische Biometrie und Medizinische Informatik, Freiburg, Deutschland
  • author Götz Fabry - Universität Freiburg, Medizinischen Fakultät, Abteilung für Medizinische Psychologie und Soziologie, Freiburg, Deutschland
  • author Silke Biller - Universität Basel, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Basel, Schweiz

GMS J Med Educ 2016;33(1):Doc8

doi: 10.3205/zma001007, urn:nbn:de:0183-zma0010074

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2016-33/zma001007.shtml

Eingereicht: 20. Mai 2015
Überarbeitet: 4. Dezember 2015
Angenommen: 6. Dezember 2015
Veröffentlicht: 15. Februar 2016

© 2016 Giesler et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Einleitung: Die Mehrheit der medizinischen AbsolventInnen in Deutschland promoviert, obwohl der Titel nicht zur ärztlichen Berufsausübung notwendig ist. Zur Frage, welchen individuellen Nutzen die Doktorarbeit aus Sicht der Promovenden hat, ist bislang nur wenig bekannt. Sie ist daher Gegenstand dieser Untersuchung.

Methode: Analysiert wurden Daten aus Absolventenstudien der Abschlussjahrgänge 2007/2008 (N=514) und 2010/2011 (N=598) der Medizinischen Fakultäten Baden-Württembergs.

Ergebnisse: 53% der Befragten haben 1,5 Jahre nach Studienabschluss ihre Promotion abgeschlossen. Die stärkste Zustimmung zu Beweggründen, eine Doktorarbeit anzufertigen, erfahren die Motive „Promotion ist üblich“ (85%) und „Verbesserung der Berufschancen“ (75%). Dem Motiv, eine akademische Karriere anzustreben, stimmten 36% zu. Weniger als 10% der Befragten setzen ihre Promotionsarbeit als Strategie bei der Stellensuche ein. Der Anteil der AbsolventInnen, die in der Krankenversorgung arbeiten ist unter den Promovierten praktisch genauso groß wie unter den Nicht-Promovierten. Diejenigen, die für die Promotion stärker wissenschaftliche Motive angeben, sind auch aktuell stärker an einer akademischen Karriere interessiert und sehen für sich mehr Möglichkeiten wissenschaftlich zu arbeiten. Als impliziter Nutzen zeigte sich, dass die promovierten AbsolventInnen ihre wissenschaftlichen Kompetenzen signifikant höher einschätzen, als ihre nicht promovierten KollegInnen.

Diskussion: Obwohl die meisten MedizinerInnen eine Promotion nicht in erster Linie aus originärem Forschungsinteresse anstreben, erweitern sie dadurch dennoch ihre wissenschaftlichen Kompetenzen. Einen offensichtlicheren Nutzen hat die Promotion für diejenigen, die eine wissenschaftliche Karriere anstreben.

Schlüsselwörter: Promotion, medizinische, Methoden, wissenschaftliche, Absolventenbefragung, Motivation, Evaluation


Kernaussagen

1.
Doktorarbeiten bringen den Promovenden impliziten Nutzen indem sie ihre ihre wissenschaftlichen Kompetenzen erweitern.
2.
Ca. 35% der promovierten Absolventen streben eine wissenschaftliche Karriere an.
3.
Einen offensichtlicheren Nutzen hat die Promotion für diejenigen, die eine wissenschaftliche Karriere anstreben, da sie häufiger Möglichkeiten wahrnehmen, wissenschaftlich zu arbeiten.

Einleitung

Weit über 6000 HumanmedizinerInnen erwerben jedes Jahr einen Doktortitel [https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/BildungForschungKultur/Hochschulen/PruefungenHochschulen2110420127004.pdf?__blob=publicationFile]. Das entspricht etwa 66% der AbsolventInnen eines Jahrgangs. Auch andere Untersuchungen zeigen, dass die medizinische Promotion eher die Regel ist: So gaben etwa 80% der AbsolventInnen der Jahrgänge 2005 und 2009 in Deutschland anderthalb Jahre nach Studienabschluss an, ihre Promotion begonnen bzw. bereits abgeschlossen zu haben [1]. In einer weiteren Befragung [2] waren 75% der AbsolventInnen des Prüfungsjahrgangs 1997 zehn Jahre nach ihrem Abschluss promoviert.

Die medizinische Promotion stellt somit einen „nahezu obligatorischen Abschluss der akademischen Ausbildung“ dar [3]. Das erstaunt umso mehr, als die Promotion formal zur Ausübung der ärztlichen Berufstätigkeit gar nicht erforderlich ist und lediglich in der Universitätsmedizin in der Regel einen verbindlichen Qualifikationsschritt darstellt.

Über den Stellenwert von medizinischen Promotionen, ihre wissenschaftliche Qualität sowie ihre kollektive wie individuelle Kosten-Nutzen-Relation wird immer wieder kontrovers diskutiert. So kritisiert beispielsweise der Wissenschaftsrat [4], dass das wissenschaftliche Niveau medizinischer Promotionsarbeiten in vielen Fällen nicht den Standards anderer Disziplinen entspreche; Umfang und wissenschaftliche Qualität seien eher mit Studienabschlussarbeiten vergleichbar [5]. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fordert in diesem Zusammenhang gar eine „Abkehr von der „pro-forma“-Forschung“, um die Verschwendung von Ressourcen durch „pseudowissenschaftliche“ Arbeiten ohne weitreichende wissenschaftliche Relevanz zu vermeiden [6]. Kritisch wird auch gesehen, dass sich die klinische Ausbildung bei gleichzeitiger Anfertigung der Doktorarbeit oft verlängert [7].

Neben der massiven Kritik an der medizinischen Doktorarbeit werden auch Argumente für deren Nutzen ins Feld geführt. So wird auf individueller Ebene die Bedeutung für die Entwicklung von wissenschaftlichen Kompetenzen betont [8]. Dazu gehören beispielsweise das Erschließen und die Interpretation wissenschaftlicher Evidenz (z.B. Recherche in wissenschaftlichen Datenbanken, kritische Bewertung wissenschaftlicher Studien). Weitere Effekte werden im Hinblick auf methodische und statistische Kenntnisse erwartet [9].

Auf kollektiver Ebene wird mit der Promotion außerdem die Hoffnung verbunden, wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren, insbesondere da seit vielen Jahren ein Mangel von gut ausgebildeten, wissenschaftlich tätigen Ärzten beklagt wird [10]. Weiterer Nutzen könnte auch daraus erwachsen, dass in vielen Bereichen Doktoranden mit ihren ihnen übertragenen Teilprojekten fest in den Forschungsbetrieb eingeplant sind.

Schließlich könnten auch noch andere Faktoren den Stellenwert der Promotion beeinflussen, z.B. das mit dem Doktortitel verbundene Prestige [http://www.zeit.de/campus/2009/01/pmc-titeltr-ger] oder dessen formale Bedeutung für bestimmte Karriereziele. Offen ist, inwieweit die Promotion für die Arzt-Patient-Beziehung relevant sein könnte. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden Ärzte als „Doktoren“ bezeichnet und dementsprechend tituliert. Es ist allerdings fraglich, inwiefern der sprachlichen Assoziation Arzt/Doktor die Erwartung zugrunde liegt, dass Ärzte ihren Titel tatsächlich durch eine wissenschaftliche Arbeit erworben haben.

Stellenwert und Nutzen der medizinischen Promotion werden somit von verschiedenen Interessenlagen beeinflusst. Der konkrete Nutzen für diejenigen, die ihre Promotionsarbeit schreiben bzw. geschrieben haben, lässt sich bislang nur ansatzweise erschließen [9], [11]. Daher soll in dieser Studie der explizite (z.B. Erhöhung der Einstellungschancen) und implizite Nutzen (Kompetenzerwerb) von Promotionsarbeiten untersucht werden. Darüber hinaus wird ein Überblick zur Dauer und Art der Promotion, zur Notengebung und zu den Motiven für eine Promotion gegeben. Hierzu werden Daten von AbsolventenInnenbefragungen herangezogen, die an den Medizinischen Fakultäten in Baden-Württemberg durchgeführt wurden.


Methoden

Fragebogen

Seit 2008 führt das Kompetenzzentrum für Lehrevaluation der Medizinischen Fakultät Freiburg in Kooperation mit dem International Centre for Higher Education Research Kassel (INCHER) jährlich Befragungen von AbsolventInnen des Fachs Humanmedizin durch. Die Befragungen erfolgen anonymisiert unter Einhaltung der Datenschutzbestimmungen. Zudem koordiniert das Kompetenzzentrum alle zwei bis drei Jahre die AbsolventInnenbefragungen an allen Medizinischen Fakultäten des Landes Baden-Württemberg. Der für den Einsatz in der Medizin überarbeitete Fragebogen enthält neben Fragen zu den Themen Studienverlauf, Studienbedingungen, Kompetenzerwerb (u.a. Freiburger Fragebogen zur Erfassung von Kompetenzen in der Medizin, FKM [12]), Beschäftigungssuche und beruflichen Orientierungen auch Fragen zur Promotion. In der vorliegenden Arbeit wurden insbesondere die Fragen ausgewertet, die im Zusammenhang mit der Promotion stehen. Sie stellen nur ein kleiner Teil aller gestellten Fragen dar.

Stichprobe

Zur Überprüfung der Fragestellung wurden die Daten von zwei Stichproben von AbsolventInnen der Studienabschlussjahrgänge 2007/2008 und 2010/2011 aus den fünf Medizinischen Fakultäten Baden-Württembergs analysiert. Die AbsolventInnen wurden jeweils circa 1,5 Jahre nach Studienabschluss befragt. Die Befragung wurde postalisch angekündigt. Für den Jahrgang 2010/11 enthielt das Ankündigungsschreiben bereits Link und Zugangscode für die Onlinebefragung. Papierfragebögen wurden im späteren Verlauf der Befragung zusätzlich eingesetzt. Im Falle von Nichtantworten wurden maximal vier Erinnerungen verschickt.

Statistische Methoden

Neben χ2-Tests wurden überwiegend einfaktorielle Varianzanalysen bzw. t-Tests für unabhängige Stichproben durchgeführt. Es wurden Effektstärken (η2) berechnet, die aufzeigen, wie viel Gesamtvarianz durch die unabhängige Variable aufgeklärt werden kann.

Die statistischen Auswertungen wurden mit Hilfe des Statistikprogramms SPSS, Version 20, durchgeführt.


Ergebnisse

Stichprobenbeschreibung

Tabelle 1 [Tab. 1] zeigt die wesentlichen Merkmale der Stichproben. Die Rücklaufquoten waren mit über 40% akzeptabel. Der Frauenanteil liegt über 60%. Im Mittel waren die Befragten bei Studienabschluss 28 Jahre alt. Sie haben im Durchschnitt 13 Fachsemester studiert. Zwischen der Befragungsstichproben und der Grundgesamtheit fanden sich bezüglich der in der Tabelle angegebenen Merkmale keine statistisch signifikanten Unterschiede. Somit sind die Stichproben diesbezüglich repräsentativ.

Fasst man die Angaben der AbsolventInnen beider Jahrgänge zusammen, so haben zum Zeitpunkt der Befragung durchschnittlich 53% ihre Promotion abgeschlossen. Die Dauer der Arbeit an der Dissertation wird mit durchschnittlich 21 Monaten angegeben.

Allgemeine Angaben zur Promotion

Abbildung 1 [Abb. 1] zeigt, dass 41,5% bzw. 47,3% der AbsolventInnen länger als die Regelstudienzeit studiert haben. Als Grund dafür wird am häufigsten die Promotion genannt (39,6% bzw. 58,7%).

In Abbildung 2 [Abb. 2] sind die prozentualen Anteile verschiedener Arten von Promotionsarbeiten dargestellt. Experimentell angelegte Arbeiten werden am häufigsten durchgeführt, am zweithäufigsten klinisch ausgerichtete Arbeiten mit Patientenbeteiligung. Es folgen klinische Arbeiten, bei denen vorhandene Daten ausgewertet werden. Seltener werden nicht-klinische, empirisch ausgerichtete Themen untersucht und sehr selten klinisch ausgerichtete Literaturarbeiten geschrieben. Weitere Auswertungen zeigen, dass experimentelle Doktorarbeiten signifikant häufiger die Noten Summa cum laude und Magna cum laude erhalten als Arbeiten im klinischen Bereich mit oder ohne Patientenbeteiligung oder Literaturarbeiten (χ2(2007/2008)=76,578, df=12, p=.000, χ2(2009/2010)=93,709, df=12, p=.000). Insgesamt wird die Note Summa cum laude im Schnitt nur in sieben Prozent der Fälle vergeben und zudem fast ausschließlich für Arbeiten mit experimentellem Charakter (ca. 90%).

Motivation zur Promotion

Konkrete Beweggründe, eine Doktorarbeit zu beginnen, wurden erst nach dem Abschlussjahrgang 2007/2008 erfasst, daher sind nachfolgend die prozentualen Anteile nur für diese Kohorte dargestellt. Am stärksten wird dem Beweggrund zugestimmt „weil eine Promotion im Fach üblich ist“ (85%). Es folgen die Motive „um meine Berufschancen zu verbessern“ (75,3%), „um mich persönlich weiterzubilden“ (68,7%), „weil ich an einem interessanten Thema forschen möchte“ (55,1%) und „um meinen fachlichen/beruflichen Neigungen besser nachkommen zu können“ (41,4%). Eine „akademische Laufbahn einschlagen zu wollen“ geben 35,9% der Befragten an. Am wenigsten Zustimmung erhalten die Motive „um den Status eines Promotions-Studenten“ und „um ein höheres Einkommen“ zu erhalten (15,7% bzw. 8,0%).

Expliziter Nutzen der Doktorarbeit

Um festzustellen, ob die Doktorarbeit für die Stellensuche relevant ist, wurden die AbsolventInnen nach den Strategien ihrer ersten Beschäftigungssuche gefragt. Anschließend sollten sie angeben, welche Strategie erfolgreich war. Abbildung 3 [Abb. 3] zeigt, dass mehrheitlich die Initiativbewerbung bevorzugt wurde und vergleichsweise wenige AbsolventInnen versuchten, über ihre Doktorarbeit eine Stelle zu bekommen (9% bzw. 7,1%). Die Strategie, die am häufigsten als zur Einstellung führend genannt wurde, war die Initiativbewerbung, während die Doktorarbeit eher selten als Grund für die Einstellung angegeben wurde.

Analysen der Daten aus der Stichprobe 2007/2008 zeigen, dass fast gleichviele AbsolventInnen in der Krankenversorgung arbeiten, unabhängig davon, ob sie ihre Promotion abgeschlossen haben oder nicht (94,8% vs. 95,7%; χ22007/2008=.192, df=1, p=.662). Ebenso wenig konnten signifikante Unterschiede im Einkommen zwischen Promovierten und Nichtpromovierten ermittelt werden (χ22007/2008=21,163, df=18, p=.271).

Die Doktorarbeit ist eine der Voraussetzungen für eine akademische Karriere. Es wurde daher mit den Daten der Stichprobe 2010/2011 näher analysiert, ob diejenigen, die dem Beweggrund, mit der Promotion eine akademische Karriere anstreben zu wollen, stark zustimmten, sich in weiteren Merkmalen von denen unterschieden, die weniger bzw. kaum Interesse an einer akademischen Karriere angaben.

Ungefähr ein Drittel der Befragten stimmte der Aussage zu, dass sie mit der Promotion eine akademische Karriere anstreben wollen. Diese AbsolventInnen sind signifikant häufiger (60,5% vs. 39,4%; χ2=85,316, df=2, p=.000) an Universitätskliniken beschäftigt als diejenigen, die eine akademische Laufbahn weniger interessiert. Ihnen ist zudem die Möglichkeit, wissenschaftlich zu arbeiten, wichtiger (F=119,862, df=2,345, p=.000, η2=0.41) und sie sehen in ihrer aktuellen beruflichen Situation signifikant häufiger Möglichkeiten, wissenschaftlich zu arbeiten, als die anderen AbsolventInnen (F=28,670, df=2,332, p=.000, η2=0.15).

Impliziter Nutzen der Doktorarbeit

Im Hinblick auf den impliziten Nutzen wurden die Kompetenzeinschätzungen verglichen. Hier zeigte sich, dass die promovierten AbsolventInnen das Niveau ihrer Lernkompetenzen und wissenschaftlichen Handlungskompetenzen rückblickend auf das Studium signifikant höher einschätzen als ihre nicht promovierten KollegInnen (tLernKomp=-1,98, df 442, p=.048, tWissKomp= 2,123, df 432, p=.034; siehe auch Abbildung 4 [Abb. 4]).


Diskussion

Die vorliegende Studie sollte prüfen, ob Promovierende der Humanmedizin von ihrer Promotion berufliche und persönliche Vorteile haben. Die Ergebnisse liefern hierzu kein eindeutiges Bild. In Übereinstimmung mit anderen Befragungen [2], [13] [http://www.zeit.de/campus/2009/01/pmc-titeltr-ger] haben über 50% der Befragten anderthalb Jahre nach Studienabschluss ihre Doktorarbeit abgeschlossen. Den Aussagen der AbsolventInnen zufolge benötigten sie im Schnitt 21 Monate; die Promotion ist der häufigste Grund für eine etwaige Studienzeitverlängerung. Insgesamt betreiben die Studierenden also einigen Aufwand, um den Doktortitel zu erlangen. Inwieweit dieses Engagement auch mit einem entsprechenden Nutzen einhergeht, zeigen die weiteren Auswertungen.

Motivation zur Promotion

In Übereinstimmung mit den Ergebnissen einer anderen Studie [1] stehen extrinsische Motive für die Promotion im Vordergrund. In der vorliegenden Studie waren die beiden am häufigsten genannten Motive „die Promotion ist üblich“ und „Verbesserung der Berufschancen“. Erst danach werden Motive angegeben, die mit Bildungsinteresse oder wissenschaftlichen Neigungen verbunden sind. Dem Motiv, eine akademische Karriere anzustreben, stimmten ca. 36% zu. Dieses Ergebnis entspricht in etwa dem einer kürzlich durchgeführten Befragung von Studierenden verschiedener Fakultäten [12].

Expliziter Nutzen der Doktorarbeit

Betrachtet man die Indikatoren für den direkten Nutzen der Doktorarbeit („um meine Berufschancen zu verbessern“), dann zeigen sich zu diesem frühen Zeitpunkt in der Karriere (noch) kaum berufliche Vorteile. Die Promotion ist nur sehr selten entscheidend für Einstellungen. Offensichtliche Unterschiede in der Beschäftigungssituation von Promovierten und Nichtpromovierten lassen sich nicht feststellen: Ob mit oder ohne Doktortitel, annähernd gleichviele AbsolventInnen sind in der Krankenversorgung tätig und erhalten auch ein vergleichbares Bruttogehalt. Letzteres erstaunt insofern nicht, als die Promotion für die tarifliche Einstufung im öffentlichen Dienst nicht relevant ist, sie könnte sich also allenfalls bei privaten Trägern oder bei einer Beschäftigung in der freien Wirtschaft auswirken. Vermutlich sind die karrierebezogenen Ergebnisse auch durch die momentan günstige Stellensituation für Ärzte beeinflusst: In manchen Disziplinen können selbst an Universitätskliniken offene Stellen nicht sofort besetzt werden, so dass auch hier die Promotion nicht mehr unbedingt ein Einstellungskriterium ist. Zudem ist denkbar, dass die Promotion erst im weiteren Verlauf der beruflichen Karriere relevant wird, z.B. wenn Leitungsfunktionen vergeben werden.

Trotz der primär pragmatischen Haltung der Promotion gegenüber, scheinen intrinsische Motive nicht unwichtig zu sein: So geben immerhin zwei Drittel an, dass die persönliche Weiterbildung ein wichtiges Motiv für die Promotion war und noch gut die Hälfte nennt ein spezifischeres Forschungsinteresse. Diese Ergebnisse legen somit nahe, dass die große Zahl an Promotionen hauptsächlich aus der medizinischen Fachkultur bzw. standesbezogenen Gründen resultiert. Der zusätzliche Aufwand wird aber offenbar nicht als notwendiges Übel angesehen, sondern als Gelegenheit, den persönlichen Horizont zu erweitern oder wissenschaftlichen Interessen nachzugehen, auch wenn diese nicht das primäre Motiv für die Promotion sind.

Der hohe Prozentsatz an experimentellen Arbeiten, deren direkter Nutzen vor allem im wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn liegt, lässt sich dadurch erklären, dass experimentelle Arbeiten am häufigsten angeboten werden, so dass diese unabhängig vom spezifischen Interesse auch am häufigsten gewählt werden. Insofern ist es nicht überraschend, dass der Anteil dieser Arbeiten deutlich höher liegt als die Zahl der Absolventen, die später eine wissenschaftliche Karriere anstreben.

Einen expliziten beruflichen Nutzen scheint die Promotion für diejenigen zu haben, die als Motiv eine akademische Karriere angeben. Diesen AbsolventInnen ist die Möglichkeit, wissenschaftlich zu arbeiten, wichtiger als ihren KollegInnen. Zwei Indikatoren lassen darauf schließen, dass sie sich tatsächlich mit größerer Intensität der wissenschaftlichen Arbeit gewidmet haben: Zum einen sind zum Zeitpunkt der Befragung in dieser Gruppe bereits mehr Promotionsarbeiten abgeschlossen. Zum anderen wurden die Arbeiten signifikant häufiger mit Summa cum laude bewertet, so dass auch ein höherer wissenschaftlicher Ertrag vermutet werden kann. Dementsprechend arbeiten diese Promovenden häufiger in Universitätskliniken und nehmen für sich auch im stärkeren Maße wahr, dass sie im Rahmen ihrer aktuellen Berufstätigkeit forschen können. Grundsätzlich kommen natürlich auch noch andere Gründe für die besseren Noten der experimentellen Arbeiten in Betracht, z.B. wäre es möglich, dass solche Arbeiten, die in der Regel in größere, etwa DFG-geförderte Projekte einbezogen sind, intensiver betreut werden. Dennoch legen unsere Daten nah, dass solche Arbeiten eher diejenigen anziehen, die auch ein größeres Forschungsinteresse haben.

Impliziter Nutzen der Doktorarbeit

Die Indikatoren für den indirekten, impliziten Nutzen weisen darauf hin, dass der Wunsch, sich mit der Promotion persönlich weiterzubilden, aus Sicht der Promovenden, in Erfüllung geht: Die bereits Promovierten schätzen vor allem ihre wissenschaftlichen Handlungskompetenzen signifikant höher ein, als diejenigen, deren Arbeiten noch nicht abgeschlossen sind.

Somit ergibt sich ein differenziertes Bild der medizinischen Promotion: Medizinstudierende entscheiden sich zwar mehrheitlich zu einer Doktorarbeit, weil das in ihren Augen offenbar immer noch dazu gehört, wissenschaftliches Interesse und persönliche Weiterbildung sind ihnen dabei jedoch nicht unwichtig. Für diejenigen, die primär wissenschaftlich interessiert sind, ist die Promotion darüber hinaus anscheinend häufig der erste Schritt zu einer akademischen Karriere. Die wissenschaftlich Motivierten scheinen außerdem nicht nur die besseren Arbeiten zu schreiben, sondern diese darüber hinaus auch noch zügiger abzuschließen. Schließlich führt die Promotion mehrheitlich offenbar zu einem persönlichen Gewinn an wissenschaftlicher Handlungskompetenz.

Limitierungen dieser Untersuchung

Die Ergebnisse der Untersuchung basieren auf Befragungsdaten von zwei Stichproben von AbsolventInnen, die an den fünf Medizinischen Fakultäten in Baden-Württemberg studiert haben. Die Ergebnisse sind von daher nicht unbedingt für andere Fakultäten gültig. Zudem handelt es sich um eine retrospektive Befragung, so dass Verzerrungen nicht auszuschließen sind. Schließlich muss in Bezug auf die wissenschaftliche Handlungskompetenz angemerkt werden, dass es sich um Selbsteinschätzungen handelt.

Ausblick

Insbesondere die Aspekte zum expliziten Nutzen der Promotion könnten durch Panelbefragungen fünf und zehn Jahre nach Studienabschluss verifiziert werden. So ließe sich überprüfen, inwieweit mit einer hochwertigen Promotion tatsächlich der Grundstein zu einer akademischen Karriere gelegt werden kann.


Schlussfolgerung

Die Sicht der hier befragten AbsolventInnen stützt die Auffassung, dass die medizinische Promotion in erster Linie ein „inoffizieller“ Abschluss zu sein scheint. Zwar wirkt sie sich unter den derzeitigen Arbeitsmarktbedingungen kaum auf die Chancen für eine Anstellung aus und hat zumindest zu Karrierebeginn keine Auswirkungen auf das Gehalt, die Annahme beruflicher Vorteile ist aber dennoch ein Hauptmotiv für die Promotion. Angesichts der konstant hohen Zahl an Promotionen kann vermutet werden, dass der vielfach formulierte Anspruch, eine Promotion müsse in erster Linie einen hochwertigen oder auch eigenständigen Beitrag zur Wissenschaft leisten, nicht immer einzulösen ist. Unsere Daten belegen aber auch, dass diese Bewertung nicht für alle Promovenden gilt. Diejenigen, die in erster Linie wissenschaftlich motiviert sind und darüber hinaus auch eine akademische Karriere anstreben, fertigen offensichtlich häufiger Arbeiten an, die dem genannten wissenschaftlichen Anspruch gerecht werden und die ihnen damit eine weitere Karriere in der Wissenschaft ermöglichen. Während die medizinische Promotion somit meistens dem Distinktionsgewinn dient, erfüllt sie zugleich auch die Funktion der Selbstrekrutierung für das medizinische Wissenschaftssystem. Ob Letzteres in ausreichendem Umfang geschieht, kann hier nicht entschieden werden. Allerdings erscheint es angesichts der dokumentierten Motivationslage eher fraglich, ob sich der Prozentsatz derjenigen, die sich für eine Karriere in der Wissenschaft entscheiden, einfach steigern lässt.


Danksagung

Für die gute Zusammenarbeit danken wir unserem Kooperationspartner, dem Kompetenznetz „Lehre in der Medizin Baden-Württemberg“ [http://www.medizin-bw.de/Kompetenznetz_Lehre.html].


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikten im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

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