gms | German Medical Science

GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Studiengebühren im Medizinstudium – eine Studie zu Auswirkungen und Akzeptanz

Artikel Studiengebühren

Suche in Medline nach

  • author Yassin Karay - Universität zu Köln, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Köln, Deutschland
  • corresponding author Jan Matthes - Universität zu Köln, Institut für Pharmakologie, Köln, Deutschland

GMS J Med Educ 2016;33(1):Doc6

doi: 10.3205/zma001005, urn:nbn:de:0183-zma0010055

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2016-33/zma001005.shtml

Eingereicht: 18. September 2015
Überarbeitet: 17. November 2015
Angenommen: 8. Dezember 2015
Veröffentlicht: 15. Februar 2016

© 2016 Karay et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Durch die in Deutschland zurzeit wieder abgeschafften Studiengebühren wurden Nachteile wie z.B. eine verlängerte Studiendauer befürchtet, während der Nachweis eines Nutzens bislang aussteht. Wir haben den Einfluss von Gebühren in Höhe von € 500 pro Semester auf den Studienverlauf Kölner Medizinstudierender sowie deren Einstellung gegenüber diesen Abgaben untersucht.

Methodik: Für 1.324 Studierende, die im vorklinischen Studienabschnitt durchweg, zeitweise oder nie Studiengebühren zu zahlen hatten, wurde die Einhaltung der Mindeststudienzeit und die Studienabbrecherquote bis zum ersten Abschnitt der ärztlichen Prüfung analysiert. Mithilfe einer Regressionsanalyse wurden etwaige Effekte durch Studiengebühren und demografische Faktoren untersucht. Zusätzlich beantworteten 400 Studierende in einer online-Befragung Fragen zu ihrer Belastung durch und ihrer Einstellung zu Studiengebühren.

Ergebnisse: Studiengebühren hatten keinen erkennbaren Einfluss auf Studiendauer oder Abbrecherquote. Laut Angaben in der online-Befragung wichen zuzeiten der Studiengebühren signifikant mehr Studierende vom vorgeschlagenen Stundenplan ab und sie verwendeten signifikant mehr Zeit darauf, nebenher Geld zu verdienen. 51% der Studierenden, die Gebühren gezahlt hatten und sogar 71% derer, die dies nie mussten, fanden Studiengebühren nicht oder eher nicht gerechtfertigt. Mehr als zwei Drittel der Studierenden konnten keine anhaltende Verbesserung durch Studiengebühren erkennen.

Schlussfolgerung: Studiengebühren hatten an der Medizinischen Fakultät zu Köln keinen Einfluss auf Abbrecherquote und Studiendauer. Sie veränderten aber offenbar das Studierverhalten durch die vermehrte Notwendigkeit, neben dem Studium Geld zu verdienen. Die Kölner Medizinstudierenden sahen die Studiengebühren mehrheitlich kritisch und nahmen keinen nachhaltigen Nutzen im Sinne einer Verbesserung der Ausbildungsqualität wahr.

Schlüsselwörter: Studiengebühren, Studienverlauf, Abbrecherquote


1. Einleitung

1.1. Hintergrund

Während beispielsweise in den USA Studiengebühren einen festen Bestandteil des Bildungssystems darstellen, ist dies in vielen europäischen Ländern nicht der Fall [1], [2]. In Deutschland wurden Studiengebühren nicht in jedem Bundesland und in vergleichsweise geringer Höhe von € 1.000 pro Jahr erhoben. Nichtsdestotrotz führten und führen Studiengebühren immer wieder zu kontroversen Diskussionen. Während Befürworter in Studiengebühren ein geeignetes Instrument zur Qualitätsverbesserung von Studium und Lehre sehen, befürchten Gegner, dass insbesondere sozial benachteiligte Studienberechtigte durch die zusätzliche finanzielle Belastung vom Studium abgehalten werden [3], [4], [5]. Nordrhein-Westfalen war eines der Bundesländer, in denen zeitweise Studiengebühren erhoben wurden. Studierende der Universität zu Köln zum Beispiel mussten von 2006 an € 1.000 pro Jahr (€ 500 pro Semester) entrichten, bis die Gebühren im Jahre 2011 von der neu gewählten Landesregierung wieder abgeschafft wurden. Es bleibt die Frage, ob und gegebenenfalls wie Studiengebühren den Studienverlauf beeinflusst haben. Beispielsweise wurde befürchtet, dass Studiengebühren das Studium verlängern, beziehungsweise vermehrt zum Abbruch des Studiums führen könnten, da die Studierenden mehr Zeit investieren müssten, um die zusätzliche finanzielle Belastung durch Studiengebühren zu kompensieren [6], [7].

1.2. Fragestellung

Mit unserer Studie adressieren wir die Frage, ob sich zuzeiten der Studiengebühren beziehungsweise nach deren Abschaffung Effekte auf die Einhaltung der Mindeststudienzeit oder auf die Exmatrikulationsquote gezeigt haben. Außerdem haben wir Studierende zu ihrer subjektiven Belastung durch sowie ihrer Einstellung gegenüber Studiengebühren befragt, um etwaige Effekte

1.
von Belastung und Einstellung auf den Studienverlauf sowie
2.
von Studiengebühren auf Studienverlauf und Einstellung zu eruieren.

2. Methoden

2.1. Rahmenbedingungen

Der Kölner Modellstudiengang ist ähnlich den Regelstudiengängen gemäß Approbationsordnung in drei Abschnitte unterteilt und dauert mindestens zwölf Semester [8]. Der erste Teil wird als vorklinischer Studienabschnitt bezeichnet und dauert mindestens zwei Jahre. Die Mindeststudienzeit des zweiten, klinischen Teils dauert drei Jahre. Anschließend folgt das Praktische Jahr.

2.2. Analyse des Studienverlaufs

Die Leistungsnachweise und Prüfungsergebnisse von Medizin-Studierenden in Köln werden elektronisch im hiesigen Campusmanagementsystem dokumentiert und verwaltet. Anhand von Studienverlaufsanalysen wurden kohortenbezogene Mindeststudienzeit- und Exmatrikulationsquoten für den vorklinischen Abschnitt ermittelt [9]. Per binär-logistischer Regressionsanalyse wurde der Einfluss verschiedener Faktoren wie Höhe der Studiengebühren, Geschlecht, Alter bei Studienbeginn, Nationalität und Abiturnote auf den Studienverlauf untersucht.

2.3. Online-Befragung

Über die Lernplattform ILIAS wurde eine Online-Umfrage durchgeführt. Alle an der Universität zu Köln zum Untersuchungszeitpunkt eingeschriebenen Studierenden der Medizin wurden per E-Mail dazu eingeladen. Der selbst entwickelte Fragebogen bezog sich auf die Einstellung gegenüber Studiengebühren sowie eine etwaige Beeinflussung im Studium (siehe Anhang [Anh. 1]). Die Fragen waren mit „ja“ oder „nein“ oder auf einer fünfstufigen Likert-Skala (z.B. von „trifft voll zu“ bis „trifft nicht zu“) zu beantworten. Die Umfrage war im Zeitraum 17.12.2013 bis 20.02.2014 online, anonym und unverbindlich. Die gestellten Fragen unterschieden sich in Abhängigkeit davon, ob der / die jeweilige Studierende angab, jemals Studiengebühren gezahlt zu haben oder nicht (Fragen im Originalwortlaut siehe online supplemental). Die Auswertung der Umfragedaten erfolgte deskriptiv beziehungsweise vergleichend in Abhängigkeit davon, ob die antwortenden Studierenden jemals Studiengebühren zahlen mussten oder nicht.

2.4. Untersuchte Stichprobe

Die Studienverlaufsanalyse umfasste acht Kohorten (Studienbeginn: Wintersemester 2008/2009 bis Sommersemester 2012) mit insgesamt 1.324 Studierenden. Drei der Kohorten hatten über den vollen vorklinischen Studienabschnitt Studiengebühren zu zahlen (insgesamt € 2.000), jeweils eine Kohorte für drei, zwei oder ein Semester (insgesamt € 1.500, 1.000 beziehungsweise € 500). Zwei Kohorten hatten nie Studiengebühren gezahlt.

Die Einladung zur Online-Umfrage wurde per E-Mail an alle im Erhebungszeitraum regulär eingeschriebenen Studierenden (insgesamt 2.285) der Humanmedizin der Universität zu Köln versendet.

2.5. Untersuchte Variablen

Wir untersuchten den Studienverlauf im vorklinischen Abschnitt, da eigenen Statistiken zufolge nur hier relevante Studienabbruchquoten zu erwarten sind. Für die empirische Studienverlaufsanalyse wurden die Einhaltung der Mindeststudienzeit von vier Semestern im vorklinischen Abschnitt sowie die Exmatrikulation während der ersten vier Semester als Endpunkte definiert (jeweils: nein=0, ja=1). Als unabhängige Variablen mit potenziellem Einfluss auf den vorklinischen Studienverlauf wurden Geschlecht (männlich=0, weiblich=1), Alter zu Studienbeginn (in Jahren), Nationalität (ausländisch=0, deutsch=1), Abiturnote (1,0 bis 4,0) sowie – im Sinne der Fragestellung – die Gesamthöhe der gezahlten Studiengebühren in Euro festgelegt. Mittels Chi2-Test, Korrelationskoeffizienten nach Spearman und binär-logistischer Regressionsanalyse wurde der Einfluss der genannten Merkmale auf die abhängigen Variablen untersucht.

2.6. Datenschutz und Ethik

Alle Daten wurden anonymisiert erhoben und ausgewertet. Die Ethikkommission der Universität zu Köln hatte keine Einwände gegen die Durchführung der Studie oder die Publikation der Ergebnisse (Aktenzeichen: 15-377).


3. Ergebnisse

3.1. Studiendauer und Exmatrikulationsrate

Die Häufigkeitsverteilung hinsichtlich der Einhaltung der Mindeststudienzeit zeigte keinen signifikanten Unterschied zwischen den untersuchten Kohorten (Chi²=5,95, df=7, p=0,55) (vergleiche Abbildung 1 [Abb. 1]). Ein Zusammenhang von Einhaltung der Mindeststudienzeit und Anzahl der Semester, in denen Studiengebühren gezahlt wurden, war in der Korrelationsanalyse nach Spearman nicht zu erkennen (r=0,01, p=0,72). Auch bei Kategorisierung der acht Kohorten in drei Gruppen (1. Gruppe: ≥ 4 Semester Studiengebühren; 2. Gruppe: ein bis drei Semester Studiengebühren; 3. Gruppe: keine Studiengebühren) zeigte sich kein Unterschied bezüglich der Mindeststudienzeitquote (Chi²=1,12, df=2, p=0,55).

Beim Vergleich der Exmatrikulationsquoten der einzelnen Kohorten (Chi²=2,67, df=7, p=0,91) oder der anhand der Zahlungsdauer definierten Gruppen (Chi²=2,0, df=2, p=0,37) zeigten sich ebenfalls keine statistisch signifikanten Unterschiede (Abbildung 1 [Abb. 1]). Ein Zusammenhang von Exmatrikulation innerhalb der ersten vier Semester und Höhe der Studiengebühren, die insgesamt gezahlt wurden, war in der Korrelationsanalyse nach Spearman nicht zu erkennen (r=0,03, p=0,24).

Da bei den durchgeführten bivariaten Analysen (Chi2-Test und Korrelationsanalyse) die Abhängigkeiten zwischen mehreren Variablen nicht berücksichtigt werden, wurden im Folgenden mit Hilfe der binär-logistischen Regressionsanalyse Stärke und Richtung des Einflusses der unabhängigen Variablen auf die Einhaltung der Mindeststudienzeit und die Exmatrikulation innerhalb der ersten vier Semester multivariat analysiert. Hierbei zeigten sich ein niedrigeres Lebensalter, eine bessere Abiturnote sowie die deutsche Staatsangehörigkeit durchweg als positive Prädiktoren hinsichtlich der Einhaltung der Mindeststudienzeit (vergleiche Tabelle 1 [Tab. 1]). Einzig in der Subpopulation der Abiturbesten zeigte sich ein signifikanter Effekt der Studiengebühren im Sinne einer höheren Wahrscheinlichkeit die Mindeststudienzeit einzuhalten, wenn länger Studiengebühren gezahlt werden mussten. In der Subpopulation der ausländischen Studierenden war es wahrscheinlicher, dass weibliche Studierende die Mindeststudienzeit nicht überschreiten. Hinsichtlich der Exmatrikulation innerhalb der ersten vier Studiensemester zeigte sich ein höheres Lebensalter als positiver Prädiktor mit Ausnahme der Subpopulation „ausländische Studierende“ und „Abiturbeste“ (vergleiche Tabelle 2 [Tab. 2]). Das Geschlecht, die Nationalität, die Abiturnoten sowie die Höhe der Studiengebühren zeigten bezüglich der Exmatrikulationsquote in keiner Subpopulation einen Effekt.

3.2. Einfluss der Studiengebühren laut Umfrage

Die online-Befragung wurde von insgesamt 400 Studierenden bearbeitet. Bezogen auf die im Untersuchungszeitraum regulär eingeschriebenen Studierenden im Studiengang Humanmedizin (N=2.285) entspricht dies einer Rücklaufquote von 18%. Im Vergleich der Verteilungen nach den demographischen Merkmalen Geschlecht, Nationalität und Alter zeigten sich keine Unterschiede zwischen Umfrageteilnehmern und Gesamtpopulation, sodass wir die Stichprobe diesbezüglich als repräsentativ erachten.

Im Rahmen der Online-Umfrage zeigte sich, dass der Anteil der Studierenden, die aus einer Akademikerfamilie stammen, sowohl bei den Studierenden, die nie Studiengebühren gezahlt hatten („Nicht-Zahler“), als auch bei den Studierenden, die für mindestens ein Semester Gebühren zahlen mussten („Zahler“), mit 72% gleich hoch war. Auf die Frage, wie die Studiengebühren aufgebracht wurden, gaben 40% der Zahler Jobben neben dem Studium an. Während 74% der befragten Zahler angaben, zuzeiten der Studiengebühren mehr als 11 Stunden pro Woche gearbeitet zu haben, lag der Anteil hier nach Abschaffung der Studiengebühren nur noch bei 46%. Für 44% der Studiengebührenzahler war nach eigener Angabe das Jobben neben dem Studium einer der Gründe für eine Studienzeitverlängerung. 17% der Zahler hatten nach eigener Aussage aufgrund der Studiengebühren Schulden aufnehmen müssen.

Nur 28% der Nicht-Zahler aber 49% der Zahler gaben an, Lehrveranstaltungen um mindestens ein Semester verschoben zu haben (Chi2=40,23; df=4; p<0,01) (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). Offensichtlich konnten die Studiengebührenzahler diesen Rückstand im weiteren Verlauf des Studiums allerdings aufholen, wie die Antworten auf die Frage der Studiendauer bis zum Physikum zeigten: 48% der Zahler und 47% der Nicht-Zahler schlossen demnach den vorklinischen Abschnitt in Mindeststudienzeit ab. Unsere Ergebnisse aus der Studienverlaufsanalyse (s.o.) bestätigen diese Aussagen.

3.3. Einstellungen zu Studiengebühren laut Umfrage

Gut die Hälfte der Zahler (51%) gab an, Studiengebühren im Medizinstudium nicht oder eher nicht gerechtfertigt zu finden (vergleiche Abbildung 3 [Abb. 3]). Bei den Nicht-Zahlern lag der Anteil mit 71% sogar signifikant höher (Chi2=14,72; df=4; p<0,01).

Drei Viertel der Zahler lehnten die Wiedereinführung von Studiengebühren in Höhe von € 500 ab. Interessanterweise gaben 70% der Studiengebührenzahler an, aus ihrer Sicht habe sich durch die Studiengebühren die Qualität des Studiums nicht spürbar verbessert, 75% lehnten ihre Wiedereinführung ab. Auf Seiten der antwortenden Nicht-Zahler war die ablehnende Haltung gegenüber der Wiedereinführung von Studiengebühren mit 88% sogar noch stärker ausgeprägt (Chi2=11,46; df=4; p<0,05). Nur 29% der Nicht-Zahler und 27% der Zahler waren der Ansicht, dass sich durch die Studiengebühren die Studiensituation nachhaltig verbessert habe.


4. Diskussion

In der vorliegenden Studie finden wir, dass Studiengebühren in Höhe von € 1.000 pro Jahr weder den Anteil Studierender der Humanmedizin in Köln, die in Mindeststudienzeit den vorklinischen Studienabschnitt absolvieren, noch die Studienabbruchquote beeinflusst haben. Es gab moderate, aber statistisch signifikante Auswirkungen auf die Studienplanung (z.B. Vorziehen oder Nachholen von Lehrveranstaltungen). Zuzeiten der Studiengebühren verbrachten Studierende signifikant mehr Zeit mit Geldverdienen. Die Mehrzahl der Studierenden, die an unserer Umfrage teilnahmen, äußerte sich ablehnend gegenüber Studiengebühren. Interessanterweise war dies häufiger bei Studierenden der Fall, die selbst nie hatten Studiengebühren zahlen müssen.

4.1. Sozioökonomischer Hintergrund

In der Öffentlichkeit und den Medien wurde oft die Befürchtung geäußert, Studiengebühren könnten sozioökonomisch benachteiligte Schulabgänger von einem Hochschulstudium abhalten. Tatsächlich scheint das in Deutschland nicht der Fall zu sein [10], [11], aber: [12]. Quast et al. fanden zwar eine geringere Bereitschaft sich einzuschreiben, allerdings zeigte sich das sowohl in Bundesländern, in denen Studiengebühren erhoben wurden, als auch dort, wo das nicht der Fall war [4]. Dem entsprechend fanden wir in unserer Studie, dass der Anteil Studierender, deren Eltern selbst Hochschulabsolventen waren, zuzeiten der Studiengebühren sowie nach deren Abschaffung gleichermaßen bei 72% lag. Es ist zu beachten, dass im internationalen Vergleich die Studiengebühren in Köln mit € 1.000 pro Jahr eher moderat waren (nota bene: es handelte sich um den höchsten vom Gesetzgeber erlaubten Satz) [12]. In diesem Sinne ist bereits argumentiert worden, dass der vergleichsweise geringe Anteil an Studienanfängern mit niedrigem sozioökonomischen Hintergrund eher durch gesellschaftliche, denn durch finanzielle Faktoren begründet sei [13].

Befürworter von Studiengebühren verweisen oft auf die USA, in denen der Anteil an Studierenden aus sozialschwächeren Schichten trotz deutlich höherer Gebühren größer sei als z.B. in Deutschland [14]. Schaut man aber auf sogenannte „tier 1 colleges“ als Hochschulen, die mit deutschen Universitäten am ehesten vergleichbar sind, ist der Anteil Studierender aus Familien mit niedrigem Einkommen ähnlich gering [15]. Es gibt Daten, die darauf hinweisen, dass die Unterstützung durch die öffentliche Hand (z.B. Erstattung von Studiengebühren) negative, durch finanzielle Engpässe bedingte Effekte auf Studienbewerberzahlen verhindern kann [16], [17]. Andererseits konnte Kane zeigen, dass die allgemeine Absenkung von Studiengebühren einen größeren Effekt auf die Entscheidung, ein Studium aufzunehmen, hatte, als gezielte Angebote einer finanziellen Unterstützung für Bedürftige [18], [19]. Als Erklärung wird angeführt, dass bereits die Tatsache, dass überhaupt Studiengebühren erhoben werden, finanziell schlechter Gestellte davon abhält, nach Unterstützungsangeboten zu suchen. In Ontario (Kanada) verdoppelten sich die Studiengebühren zwischen 1997 und 2000 auf ca. 12.000 kanadische Dollar (ca. € 9.100). Im selben Zeitraum sank der Anteil Studierender aus Familien mit niedrigem Einkommen um mehr als ein Drittel von 23% auf 15% [20]. Merani et al. fanden, dass Studiengebühren in Kanada einer der Hauptgründe für Schulden zum Zeitpunkt des Studienabschlusses waren [21]. Fast 90% der Medizinstudierenden gingen der Studie zufolge davon aus, beim Verlassen der Hochschule verschuldet zu sein. In unserer Untersuchung gaben 17% der Befragten an, sich aufgrund der Studiengebühren (€ 1.000 pro Jahr) verschuldet zu haben. In Großbritannien führte die Anhebung der Studiengebühren um € 8.000 dazu, dass sich die Zahl älterer Studierender deutlich verringerte, während für die Gruppe der 18-Jährigen kein Effekt zu verzeichnen war [2]. Zusammenfassend kann man festhalten, dass in Abhängigkeit von der Höhe der Studiengebühren mit einem Effekt auf bestimmte Bevölkerungsgruppen (z.B. Einkommensschwache oder ältere Studierende) zumindest gerechnet werden muss.

4.2. Zeitaufwand für Erwerbstätigkeit

Ein oft gegen Studiengebühren geführter Einwand ist, dass Studierende Zeit aufbringen müssten, um das erforderliche Geld neben dem Studium zu verdienen, was wiederum den Studienerfolg gefährde. Dies führe letztlich zu Verzögerungen oder gar dem Abbruch des Studiums. In unserer Studie zeigte sich in der Tat, dass die Studierenden zuzeiten der Studiengebühren deutlich mehr nebenher arbeiteten, allerdings fanden wir weder einen Effekt auf die Studiendauer noch die Abbruchrate im untersuchten vorklinischen Studienabschnitt. Eine Erklärung kann sein, dass Geldverdienen eher auf Kosten der Freizeit denn auf Kosten der auf das Studium verwendeten Zeit geht [7]. Geht man davon aus, dass ältere Studierende in dieser Hinsicht aufgrund ihrer privaten Verpflichtungen (z.B. eigene Familie) zeitlich weniger flexibel sind, könnte diese Subpopulation besonders aufgrund einer zusätzlichen Belastung durch Studiengebühren belastet sein. Wir fanden aber in unserer Studie auch in Abhängigkeit vom Alter keinen Einfluss der Studiengebühren auf Studiendauer oder Studienabbruchquote. Während man einerseits argumentieren kann, dass die Belastung Kölner Studierende durch Studiengebühren in Höhe von € 1.000 pro Jahr vergleichsweise gering ausfiel, zeigte sich in anderen Untersuchungen, dass die Verringerung finanzieller Belastungen durch Unterstützung seitens der öffentlichen Hand sogar zu einer Verlängerung der Studiendauer (und einem schlechteren Abschneiden der Studierenden) führte [16], [22]. Es kann gemutmaßt werden, dass die Wahrnehmung des zulassungsbeschränkten Medizinstudiums als Studiengang mit hohem Sozialprestige die Studierenden dazu veranlasst, das Studium „um jeden Preis“ erfolgreich zu beenden, was die Bereitschaft zu zusätzlicher Erwerbstätigkeit und Anpassung des Stundenplans (Vorziehen / Nachholen von Veranstaltungen) auch unter Inkaufnahme des Risikos einer etwaigen Verlängerung der Studiendauer erklären mag.

4.3. Qualität des Studiums

Laut Befürwortern von Studiengebühren soll deren Erhebung zu einer Verbesserung der Qualität des Studiums führen. Uns sind keine eindeutigen Belege für diese Hypothese bekannt. Man sollte allerdings davon ausgehen dürfen, dass sich Studiengebühren unmittelbar durch ihren Nutzen rechtfertigen. So kann ihre Erhebung dazu dienen, gestiegene Ausgaben für das Studium zu kompensieren, um den Qualitätsstandard zu halten. Andererseits könnten die Gebühren für die Verbesserung der Studienqualität eingesetzt werden. In Kanada zeigte sich, dass das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Studierenden und Lehrenden als häufig genutzter Qualitätsparameter um 20% zunahm, obwohl die Studiengebühren stetig stiegen [2]. In Deutschland wurden Studiengebühren im Wesentlichen damit begründet, die Studienqualität verbessern zu wollen. Dessen ungeachtet wurde die Verwendung der Studiengebühren von Seiten der Studierenden sowohl als Argument für wie auch gegen diese Abgaben angeführt [23]. An der Medizinischen Fakultät Köln wurde über die Verwendung der Studiengebühren durch einen vor allem mit Studierenden besetzten Ausschuss entschieden. Umso erstaunlicher ist es, dass in unserer Studie Kölner Studierende offenbar keinen unmittelbaren Nutzen der Studiengebühren sahen. Zwei Beispiele sollen unsere Überraschung verdeutlichen: auf dem Medizinercampus in Köln wurde mit maßgeblicher Unterstützung durch Studiengebühren ein vierstöckiges Gebäude errichtet, das unter anderem ein erstklassiges Skills-Lab [http://kiss.uni-koeln.de], das Fachschaftsbüro sowie Freizeiträume für Studierende beherbergt. Ebenfalls nur durch Studiengebühren ermöglicht wurde die Etablierung eines einwöchigen Praxismoduls, in dem Studierende des zehnten Semesters auf einer Simulationsstation mit einer Betreuungsquote von im Mittel 6:1 unmittelbar auf das Praktische Jahr vorbereitet werden – eine Lehrveranstaltung, die seit ihrer Einführung stets zu den in der studentischen Evaluation bestbewerteten praktischen Kursen gehört [24]. Dass unsere Studierenden trotz dieser Beispiele für die Verwendung von Studiengebühren eher keine direkte Verbesserung durch die Erhebung dieser Abgaben erkennen konnten, mag dadurch erklärt werden, dass sie schlichtweg nicht wussten, welche Projekte durch Studiengebühren ermöglicht wurden oder dass sie die Einführung dieser Verbesserungsmaßnahmen nicht selbst miterlebt hatten. Die letztgenannte Interpretation wird durch unseren Befund gestützt, dass vor allem Studierende, die selbst nie hatten Studiengebühren zahlen müssen, diesen ablehnend gegenüberstanden.

4.4. Limitationen der Studie

Es ist festzustellen, dass die Rücklaufquote unserer Online-Befragung bei nur 18% lag, was allerdings durchaus auf dem niedrigen erwarteten Niveau solcher Umfragen liegt (z.B. [25]). Eine weitere Limitation unserer Studie ist die Beschränkung auf Studierende der Humanmedizin in Köln. Andererseits liegen unseres Wissens vergleichbare Daten anderer deutscher Universitäten bislang nicht vor. Außerdem muss kritisch angemerkt werden, dass im internationalen Vergleich Studiengebühren in Deutschland eher niedrig ausfielen. Bezogen auf unsere Studie sollte dabei aber berücksichtigt werden, dass der Standort Köln hinsichtlich der Mietaufwendungen durch Studierende deutschlandweit Höchstwerte erzielt, so dass es nicht überrascht, dass Studierende zuzeiten der Studiengebühren vermehrt Zeit auf das Geldverdienen verwenden mussten [26]. Umso eher erstaunt, dass Studiendauer und Abbruchquote unbeeinflusst blieben.


5. Zusammenfassung

Unsere Befunde zeigen, dass sich Studiendauer und Abbruchquote im vorklinischen Studienabschnitt zuzeiten der Studiengebühren in Köln nicht verändert haben. Sie beeinflussten aber offenbar den Studienverlauf durch die vermehrte Notwendigkeit, neben dem Studium Geld zu verdienen. Die Kölner Studierenden sahen die Studiengebühren mehrheitlich kritisch und nahmen keinen nachhaltigen Nutzen im Sinne einer Verbesserung der Ausbildungsqualität wahr. Die Abschaffung von Studiengebühren (oder der in NRW derzeit durch das Land geleisteten Kompensationszahlungen) wird voraussichtlich viele auf eine Verbesserung der Studienqualität abzielende Maßnahmen verhindern (siehe oben und z.B. [27]). Um die Akzeptanz von etwaigen zukünftigen Studiengebühren zu erhöhen, sollte ihr (potenzieller) Nutzen kritisch und multizentrisch evaluiert sowie besser vermittelt werden.


Danksagung

Wir danken Frau Inka Meyer-Widynski für ihre Unterstützung bei der Datenerhebung.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Biffl G, Isaac J. Should Higher Education Students Pay Tuition Fees? Eur J Educ. 2002;37(4):433-455. DOI: 10.1111/1467-3435.00120 Externer Link
2.
Orr D, Usher A, Wespel J. Do changes in cost-sharing have an impact on the behaviour of students and higher education institutions? Evidence from nine case studies. Brüssel: European Commission; 2014.
3.
Lieb W. Humboldts Begräbnis. Zehn Jahre Bologna-Prozess. Bl Dtsch Int Politik. 2009;6:89-96.
4.
Quast H, Spangenberg H, Hannover B, Braun E. Determinanten der Studierbereitschaft unter besonderer Berücksichtigung von Studiengebühren. Z Erziehungswissensch. 2012;15:305-326. DOI: 10.1007/s11618-012-0276-x Externer Link
5.
Rinkens HD. Studiengebühren: nicht sozialverträglich. Die Länder ignorieren die soziale und finanzielle Lage der Studierenden. Forsch Lehre. 2006;1:14-15.
6.
Heineck M, Kifmann M, Lorenz N. A duration analysis of the effects of tuition Fees for long-term students in Germany. J Econ Stat. 2006;226(1):82-109.
7.
Horstkötter A, Prinz A. Reaktionen von Studierenden auf Studiengebühren: Mikroökonomische Überlegungen und empirische Ergebnisse. Hochschulmanage. 2007;2:30-4.
8.
Stosch C, Lehmann K, Herzig S. Time for Change – Die Implementierung des Modellstudiengangs Humanmedizin in Köln. Z Hochschulentwick. 2008;3(3):36-47.
9.
Pixner J, Mocigemba D, Kraus M, Krempkow R. Sag mir, wo die Studis sind. Wo sind sie geblieben? Outputorientierte Qualitätssicherung auf Studiengangsebene mithilfe der Studienverlaufsanalyse. Hoschulwes. 2009;1(6-13).
10.
Baier T, Helbig M. War all die Aufregung umsonst? Über die Auswirkung der Einführung von Studiengebühren auf die Studienbereitschaft in Deutschland. WZB Discussion Paper. 2011;2011-001. Berlin: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung; 2011. Zugänglich unter/available from: http://bibliothek.wzb.eu/pdf/2011/p11-001.pdf Externer Link
11.
Bruckmeier K, Wigger BU. The effects of tuition fees on transition from high school to university in Germany. Econ Educ Rev. 2014;41:14-23. DOI: 10.1016/j.econedurev.2014.03.009 Externer Link
12.
Hubner M. Do tuition fees affect enrollment behavior? Evidence from a 'natural experiment' in Germany. Econ Educ Rev. 2012;31(6):949-60. DOI: 10.1016/j.econedurev.2012.06.006 Externer Link
13.
Konegen-Grenier C. Sind Studiengebühren ungerecht? Ein Beitrag zur aktuellen Debatte um die Abschaffung der Studiengebühren. IW Policy Paper. 2013;5.
14.
Marcucci PN, Johnstone DB. Tuition Fee Policies in Comparative Perspective: Theoretical and Political Rationales. J High Educ Policy Manage. 2007;29(1):25-40. DOI: 10.1080/13600800600980015 Externer Link
15.
Hartmann M. Studiengebühren und Hochschulzugang: Vorbild USA? Leviathan. 2005;33(4):439-463. DOI: 10.1007/s11578-005-0055-7 Externer Link
16.
Brunello G, Winter-Ebmer R. Why Do Students Expect to Stay Longer in College? Evidence from Europe. IZA Discussion paper series. 2003;658. Bonn: Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit GmbH; 2003. Zugänglich unter/avialable from: http://www.researchgate.net/publication/4850999_Why_Do_Students_Expect_to_Stay_Longer_in_College_Evidence_from_Europe Externer Link
17.
Janeba E, Kemnitz A, Ehrhart N. Studiengebühren in Deutschland: Drei Thesen und ihr empirischer Gehalt. Persp Wirtschaftspolitik. 2007;8(2):184-205. DOI: 10.1111/j.1468-2516.2007.00240.x Externer Link
18.
Kane TJ. College Entry by Blacks Since 1970: The Role of College Costs, Family Background, and the Returns to Education. J Polit Econ. 1994;102:878-911. DOI: 10.1086/261958 Externer Link
19.
Kane TJ. Rising Public College Tuition and College Entry: How Well Do Public Subsiders Promote Access to College? NBER Working Paper. 1995;5164. Cambridge: National Bureau of Economic Research; 1995. Zugänglich unter/available from: http://www.nber.org/papers/w5164.pdf Externer Link
20.
Kwong JC, Dhalla IA, Streiner DL, Baddour RE, Waddell AE, Johnson IL. Effects of rising tuition fees on medical school class composition and financial outlook. CMAJ. 2002;166(8):1023-10258.
21.
Merani S, Abdulla S, Kwong JC, Rosella L, Streiner DL, Johnson IL, Dhalla IA. Increasing tuition fees in a country with two different models of medical education. Med Educ. 2010;44(6):577-586. DOI: 10.1111/j.1365-2923.2010.03630.x Externer Link
22.
Sahin A. The incentive effects of higher education subsidies on student effort. Staff Report. New York: Federal Reserve Bank of New York; 2004. S.192.
23.
Heine C, Quast H, Spangenberg H. Studiengebühren aus der Sicht von Studienberechtigten. Hannover: HIS Forum Hochschule; 2008. S.15.
24.
Schiessl C, Hallal H, Johannsen W, Kliche O, Neumann E, Thrien C, Stosch C. Gut vorbereitet ins Praktische Jahr mit dem Kölner PJ-STArT-Block. Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA). Bochum, 23.-25.09.2010. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2010. Doc10gma66. DOI 10.3205/10gma066
25.
Kaplowitz MD, Hadlock TD, Levine R. A Comparison of Web and Mail Survey Re-sponse Rates. Publ Opinion Quart. 2004;68:94-101. DOI: 10.1093/poq/nfh006 Externer Link
26.
Isserstedt W, Middendorff E, Kandulla M, Borchert L, Leszczensky M. The Economic and Social Conditions of Student Life in the Federal Republic of Germany in 2009. Hannover: HIS Hochschulsystem; 2010.
27.
Meinel FG, Dimitriadis K, von der Borch P, Stormann S, Niedermaier S, Fischer MR. More mentoring needed? A cross-sectional study of mentoring programs for medical students in Germany. BMC Med Educ. 2011;11:68. DOI: 10.1186/1472-6920-11-68 Externer Link