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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Einführung des HAM-Nat-Auswahltests – Bewerber und Zugelassene 2012-2014 an der Medizinischen Fakultät Magdeburg

Artikel Studierendenauswahl

  • corresponding author Katrin Werwick - Otto-von-Guericke Universität Magdeburg, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Magdeburg, Deutschland
  • author Kirstin Winkler-Stuck - Otto-von-Guericke Universität Magdeburg, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Magdeburg, Deutschland
  • author Wolfgang Hampe - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Zentrum für Experimentelle Medizin, Institut für Biochemie und Molekulare Zellbiologie, Hamburg, Deutschland
  • author Peggy Albrecht - Otto-von-Guericke Universität Magdeburg, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Magdeburg, Deutschland
  • author Bernt-Peter Robra - Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Medizinische Fakultät, Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie, Magdeburg, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2015;32(5):Doc53

doi: 10.3205/zma000995, urn:nbn:de:0183-zma0009954

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2015-32/zma000995.shtml

Eingereicht: 2. März 2015
Überarbeitet: 23. Juli 2015
Angenommen: 18. August 2015
Veröffentlicht: 16. November 2015

© 2015 Werwick et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund/Zielsetzung: Die Medizinische Fakultät Magdeburg hat zum Wintersemester 2012/13 einen Wissenstest zur Auswahl ihrer Studienbewerber eingeführt. Das Hamburger Auswahlverfahren für medizinische Studiengänge - Naturwissenschaftsteil (HAM-Nat) umfasst einen Multiple Choice-Test mit Fragen zu medizinisch relevanten Aspekten der Fächer Biologie, Physik, Chemie und Mathematik, der speziell für die Auswahl von Medizinbewerbern entwickelt wurde.

Es wird untersucht, wie der HAM-Nat die Studierendenauswahl beeinflusst, aus welchen Gründen sich Studierende im Rahmen des Bewerbungsverfahrens für die Teilnahme am Test entscheiden und welche Erwartungen sie an das Studium haben.

Methodik: Die Auswahlverfahren der Hochschule 2011 (ohne HAM-Nat) und 2012-2014 (mit HAM-Nat) werden verglichen. Aufbauend auf den Ergebnissen explorativer Interviews wurden erstmalig Studienanfänger des Wintersemesters 2013/2014 zur Wahl von Studienfach und Studienort sowie zu ihren Erwartungen an das Studium schriftlich befragt.

Ergebnisse: Das um den HAM-Nat-Test erweiterte Auswahlverfahren wurde problemlos eingeführt. Der HAM-Nat hatte einen großen Einfluss auf die Auswahlentscheidung. Rund 65% der Zugelassenen hätten bei ausschließlicher Berücksichtigung der Abiturnote keinen Studienplatz erhalten. Männliche Bewerber zeigten im Durchschnitt bessere HAM-Nat-Ergebnisse als weibliche.

Den Fragebogen beantworteten 147 von 191 Studienanfängern(77%). Für Studienbewerber aus Sachsen-Anhalt sind Hauptgründe für die Wahl der Landeshauptstadt die regionale Nähe, das vorhandene soziale Umfeld, die guten Studienbedingungen und der Wohlfühlcharakter am Studienort. Für die Mehrzahl der Bewerber, insbesondere für Bewerber aus anderen Bundesländern, standen dagegen die relativ guten Zulassungschancen in Magdeburg im Vordergrund.

Schlussfolgerung: Die Medizinische Fakultät Magdeburg sieht im HAM-Nat ein geeignetes Instrument, um Bewerber mit hervorragenden naturwissenschaftlichen Kenntnissen auszuwählen und so den Kenntnisstand zu Beginn des Studiums zu heben und zu harmonisieren. Die Einhaltung der Regelstudienzeit und der Erfolg im 1. Abschnitt der Ärztlichen Prüfung werden Gegenstand weiterer Beobachtung der Studierenden sein. Als leistungsbezogener Auswahltest ist der HAM-Nat nicht geeignet, Landeskinder im Zulassungsverfahren aktiv zu bevorzugen, dennoch hat ihre Anzahl nach Einführung des HAM-Nat zugenommen. Die Bewerber nutzen das Auswahlverfahren vorrangig taktisch, um ihren Wunschstudienplatz Medizin zu erhalten. Curriculare Spezifika bzw. die Profil- und Forschungsschwerpunkte der Universität sind nicht auswahlentscheidend.

Schlüsselwörter: Auswahlverfahren, HAM-Nat, Medizinstudium, Studierendensurvey, AdH, Studienbewerberauswahl Medizin


Hintergrund

Deutsche medizinische Fakultäten können 60 Prozent der Studienplätze, die nach Abzug von Vorabquoten verfügbar sind, im Auswahlverfahren der Hochschulen (AdH) vergeben, hinzu kommen noch unbesetzte Plätze aus der Abiturbestenquote. Das Auswahlverfahren ist primär leistungsbezogen durchzuführen [http://www.landesrecht.sachsen-anhalt.de/jportal/?quelle=jlink&query=HSchulZulG+ST&psml=bssahprod.psml&max=true&aiz=true]. Neben der Abiturnote („Grad der Qualifikation“) können Einzelnoten des Abiturzeugnisses und/ oder

1.
das Ergebnis eines fachspezifischen Studierfähigkeitstests,
2.
die Art einer Berufsausbildung oder Berufstätigkeit und/oder
3.
das Ergebnis eines Auswahlgesprächs bei der Auswahl berücksichtigt werden.

Die möglichen Auswahlinstrumente unterscheiden sich hinsichtlich der residualen Dominanz der Abiturnote als Leistungskriterium und in ihrer notwendigen Logistik. Keines der Kriterien ist im Hinblick auf den Berufserfolg prospektiv validiert [1].

Das Auswahlverfahren in Magdeburg

Bis zum Wintersemester 2011/12 war die Abiturnote das alleinige Auswahlkriterium im Auswahlverfahren der Medizinischen Fakultät Magdeburg. Da Abiturnoten aus den einzelnen Bundesländern jedoch nicht ohne weiteres vergleichbar sind [2], hatte die Fakultät beschlossen, ab Wintersemester 2012/13 einen Wissenstest zur Auswahl ihrer Studienbewerber1 einzuführen. Der Naturwissenschaftstest der Medizinischen Fakultät Hamburg (HAM-Nat) ist ein Multiple Choice-Test mit Fragen zu medizinisch relevanten Aspekten der Fächer Biologie, Physik, Chemie und Mathematik, der speziell für die Auswahl von Medizinstudierenden entwickelt und geprüft wurde [3], [4], [5], [6], [7]. Die Medizinische Fakultät Hamburg hat den Auswahltest primär eingeführt, um Abbrüche im 1. Studienabschnitt zu reduzieren [3]. Der HAM-Nat gibt Bewerbern mit hervorragenden naturwissenschaftlichen Kenntnissen höhere Zulassungschancen. Damit soll das Leistungsniveau in den ersten Semestern vor allem im naturwissenschaftlichen Bereich gehoben und harmonisiert werden. Auch die regelzeitgerechte Teilnahme der größten Studierendengruppe (60% AdH) am 1. Abschnitt der Ärztlichen Prüfung soll gesteigert werden.

In Magdeburg beginnen lt. Kapazitätsverordnung jährlich 191 bis 193 Studierende das Medizinstudium, davon werden unter Berücksichtigung von Nachrückverfahren ca. 150 im AdH von der Fakultät selbst ausgewählt. Bis 2011 wurde für die Auswahl allein die Abiturnote berücksichtigt. Im neuen Auswahlverfahren werden seit 2012 in einer Vorauswahl 700 Bewerber, die Magdeburg mit erster Ortspräferenz angegeben haben, in der Rangfolge der Durchschnittsabiturnote ihrer Hochschulzugangsberechtigung ermittelt. Die Bewerber auf den Plätzen 1-25 werden direkt, d. h. ohne Ablegen des Tests, zum Studium zugelassen (Exzellenzquote). Ab Platz 26 werden die Studienplätze nach der Durchschnittsabiturnote in Verbindung mit dem Ergebnis des Auswahltests vergeben. Dafür wird die Durchschnittsabiturnote linear in eine Punktzahl zwischen 60 (bei Abiturnote 1,0) und 0 (ab Abiturnote 4,0) umgerechnet. Für das Ergebnis des HAM-Nat-Tests werden bis zu 59 Punkte erteilt. Der Rangplatz eines Bewerbers wird ab Platz 26 aus der Summe seiner beiden Punktzahlen ermittelt [http://www.med.uni-magdeburg.de/Studierende/Studieng%C3%A4nge/Humanmedizin/Bewerbung+und+Zulassung/Hochschulauswahlverfahren+Humanmedizin+%28hochschulstart_de%29-p-13682.html]. Bei gleicher Punktzahlsumme werden - wie auch in den früheren Jahren - ein gemäß Vergabeverordnung der Stiftung für Hochschulzulassung http://www.hochschulstart.de/fileadmin/downloads/Gesetze/g03.pdf] anerkannter Freiwilligendienste (z.B. freiwilliger Wehrdienst, Bundesfreiwilligendienst) sowie bei Ranggleichheit eine im Verfahren generierte Losnummer berücksichtigt.

Die vorliegende Publikation vergleicht in einem ersten Schritt die Auswahlverfahren der Hochschule 2011 bis 2014 bezüglich Bewerberzahl, Abiturnoten der Bewerber und der Zugelassenen, ihrer Geschlechterverteilung, Herkunft, Testergebnissen sowie der Veränderung der Ranglisten aufgrund des Tests. Anschließend werden die ausgewählten Studierenden hinsichtlich ihres Bewerbungsverhaltens und ihrer weiteren Studienplanung charakterisiert. Sobald für weitere Kohorten Ergebnisse zum Staatsexamen M1 vorliegen, wird eine nachfolgende Publikation untersuchen, wie die Ziele der Fakultät

1.
Harmonisierung der Eingangsbedingungen (Erleichterung der Lehre),
2.
Verringerung der Quote der Studienabbrecher sowie
3.
Einhaltung der Regelstudienzeit mit Einführung des neuen Auswahlverfahrens erreicht werden.

Methoden

Auswahlverfahren

Es werden die Auswahlverfahren der Hochschule 2011 (ohne HAM-Nat) und 2012-2014 (mit HAM-Nat) bezüglich der Teilnehmerstatistik und der Testergebnisse verglichen. Zur Abschätzung der Reliabilität wurde die interne Konsistenz [8] der Auswahltests (Cronbachs α) ermittelt.

Der HAM-Nat-Test ist ein personal- und zeitgünstiges und damit auch kostengünstiges Verfahren. In Magdeburg sind ca. 45 Mitarbeiter am Testtag in zehn Hörsälen zeitgleich an der Durchführung beteiligt. Die Testvorbereitung beinhaltet die Fragenerstellung, den Fragenreview-Prozess und die Abstimmung der Fragen an den drei beteiligten Standorten (HH, MD, B). Die Prüfungen werden papierbasiert geschrieben und standardisiert (IMS, KLAUS) ausgewertet. Noch am Testtag liegt die Teststatistik vor, sodass über Items mit eventuell fraglicher Qualität entschieden werden kann. Die Testteilnehmer erhalten zeitnah ihre Zulassungsbescheide. Alle Ergebnisse und die Bewertung sind nachvollziehbar, sodass dieses Testverfahren Rechtssicherheit bietet.

Studierendenbefragung

Als erste Stufe eines zweistufigen qualitativen-quantitativen methodischen Vorgehens wurden 17 Studienanfängerinnen und 15 Studienanfänger, die am AdH-Verfahren 2012 oder 2013 teilgenommen hatten, interviewt. Die Auswertung der Interviews orientierte sich an den Grundtechniken qualitativer Inhaltsanalyse [9], [10].

Aufbauend auf den Ergebnissen dieser Interviews und orientiert an den Items des Studierendensurveys [11], [12] wurden die Studienanfänger des Wintersemesters 2013/14 im Rahmen der Einführungsveranstaltung anonym schriftlich befragt. Der Fragebogen hatte 36 Fragen überwiegend mit einer 5-stufigen Likert-Skala „1= trifft überhaupt nicht zu“ bis 5= „trifft völlig zu“ bzw. mit Freitextfeldern. Er ist mit den Antworthäufigkeiten im Anhang vollständig aufgeführt.

Insgesamt beantworteten 147 von 191 Studienanfängern (77%) aller Zulassungsquoten den standardisierten Fragebogen. Als Zustimmung zu einer Aussage gilt im Folgenden eine Antwort auf den Stufen 4 und 5. Die erhobenen Daten wurden mit dem Statistikprogramm SPSS (Version 21) ausgewertet.


Ergebnisse

Vergleich der Auswahlverfahren 2011 bis 2014

Um den Einfluss des HAM-Nat-Verfahrens auf die Zusammensetzung der Zugelassenen zeigen zu können, werden die Auswahlverfahren der Jahre 2012-2014 mit dem aus 2011 verglichen. Bis einschließlich 2011 wurden Bewerber aller Ortspräferenzen in der Reihenfolge ihrer Abiturnoten bis zum Grenzrang zugelassen. 2011 lag die Grenznote bei 1,5. Im HAM-Nat-Verfahren werden die 700 abiturbesten Bewerber, die Magdeburg mit 1. Ortspräferenz angegeben haben, vorausgewählt. Zulassungen wurden unter Berücksichtigung von Abiturnote und HAM-Nat-Ergebnis bis zum Grenzrang erteilt. Da sich nicht alle Zugelassenen auch im ersten Studienjahr einschreiben, die Aufnahmekapazität aber restlos auszuschöpfen ist, ist die Zahl der im AdH Zugelassenen verfahrensbedingt größer als 60% der festgesetzten Aufnahmekapazität.

Im Zeitraum 2011 bis 2014 ist die Zahl der Medizinstudienbewerber mit Magdeburg in 1. Ortspräferenz nach einem einführungsbedingten Abfall gleich geblieben (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Weil die Bewerberzahl mit Abiturnoten im Bereich 1,3-1,7, für die ein gutes Testergebnis die Zulassungschancen deutlich verändert, stark zugenommen hat, reduzierte sich ab 2013 die Abiturnote, bis zu der Studienbewerber zum HAM-Nat in Magdeburg eingeladen wurden (2012: Einladung bis Abiturnote 2,9; ab 2013: Einladung bis Abiturnote 2,0). Die Abiturnote, die bei Weiterführung der Auswahl nur aufgrund der Abiturnote für eine Zulassung ausgereicht hätte, ist von 2012 bis 2014 etwa gleich geblieben.

2012 sind nur 58% der eingeladenen Studienbewerber zum HAM-Nat erschienen, seit 2013 beträgt die Teilnahmequote ca. 80%. Die durchschnittliche Abiturnote der Zugelassenen ist gestiegen, d.h. auch Bewerber mit weniger guten Abiturnoten sind aufgrund ihrer guten Testergebnisse zum Zuge gekommen (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Bewerber mit sehr guten Abiturnoten, aber geringen naturwissenschaftlichen Kenntnissen, haben ihre Zulassungschance verloren. Das entspricht der Intention des Verfahrens, Bewerber mit hervorragenden naturwissenschaftlichen Kenntnissen auszuwählen. Das HAM-Nat-Ergebnis korreliert 2012 und 2013 schwach mit der Abiturnote (d.h. Bewerber mit niedrigen Abiturnoten haben hohe Testpunktzahlen), nicht aber im Jahr 2014, obwohl die interne Konsistenz der Tests in allen drei Testjahren fast gleich ist (Cronbachs α 0,87 bis 0,89).

Die Auswahlwirksamkeit des Tests, gemessen mit dem Paternoster-Effekt [13], hat besonders zwischen dem ersten und dem zweiten Testjahrgang zugenommen. Der „Paternoster-Effekt“ quantifiziert den Anteil der Zugelassenen, die erst unter Einbezug des HAM-Nat-Ergebnisses einen Studienplatz erhalten haben, an allen Zugelassenen. Er lag 2012 bei 56% (siehe Tabelle 1 [Tab. 1] und Abbildung 1 [Abb. 1]) und stieg danach auf etwa zwei Drittel (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). Die Steigerung erklärt sich durch die abnehmende Grenzabiturnote für die Einladung zum HAM-Nat-Test und die somit weniger auswahlwirksamen Unterschiede der Abiturnoten der Testteilnehmer.

Abbildung 1 [Abb. 1] zeigt den Paternoster-Effekt. Testteilnehmer mit einem Direktrangplatz bis 150 (links von der senkrechten Linie) hätten vor Einführung des HAM-Nats einen Studienplatz erhalten. Nach Berücksichtigung des Testergebnisses sind Teilnehmer mit einem Gesamtrangplatz bis 150 (unterhalb der waagerechte Linie), aber einem Direktrangplatz über 150 (d.h. Bewerber im rechten unteren Quadranten), die „Gewinner“ des neuen Auswahlverfahrens, denn sie erhalten ihre Zulassung nur unter Berücksichtigung ihrer guten Testergebnisse. Teilnehmer im linken unteren Quadranten haben im Test ihre auf Grund der Abiturnote schon gegebene Zulassungschance gewahrt. Bewerber im linken oberen Quadranten sind trotz zulassungsfähiger Abiturnote von 1,2-1,5 wegen ihres Testergebnisses abgelehnt worden. Nicht erschienene Bewerber erhielten satzungsgemäß die Gesamtrangplätze nach den Testteilnehmern.

Männliche Teilnehmer erreichten in allen drei Jahren im HAM-Nat etwa 4 Punkte mehr als weibliche. Dadurch erhöht sich der Anteil der männlichen Zugelassenen gegenüber einem nur auf der Abiturnote beruhenden Verfahren.

Schriftliche Studierendenbefragung 2013
Wahl des Medizinstudiums

Bereits bei der Wahl der Leistungskurse in der Schule waren für einen Teil der Studienanfänger das Erreichen der bestmöglichen Abiturnote (54% Zustimmung) oder die gute Vorbereitung auf das zukünftige Studium (38%) wichtig, im Vordergrund stand aber in der Regel das Interesse am Inhalt des Leistungsfaches (93%).

Ein Drittel der Befragten fühlte sich durch die Schule gut auf den HAM-Nat vorbereitet. Dieser Wert lag über dem Durchschnitt bei Absolventen naturwissenschaftlicher oder technischer Gymnasien (52%) und bei Neuabiturienten (43%). 86% der Studienanfänger, die den Auswahltest absolviert haben, sehen die Vorbereitung auf den Test auch als hilfreich für das weitere Studium an.

Wichtige Gründe für die Aufnahme eines Medizinstudiums sind neben dem vorherrschenden Fachinteresse die Möglichkeit, als Arzt Menschen zu helfen, mit Menschen zu arbeiten und Nützliches für die Allgemeinheit zu tun (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]). Obwohl das naturwissenschaftliche Interesse hoch bewertet wurde, spielt eine spätere wissenschaftliche Tätigkeit nur eine untergeordnete Rolle. 90 Prozent der Befragten reizt die Vielfalt der beruflichen Möglichkeiten, fast ebenso wichtig sind persönliche Neigungen und Begabungen. Bei 7 von 10 zukünftigen Ärzten stand der Wunsch, diesen Beruf zu ergreifen, schon vor Ende der Schulzeit fest.

Ergänzend ergab die Analyse der Interviews, dass neben den vielfältigen Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt offenbar die Aussicht auf ein hohes Einkommen ausschlaggebend für die Studienentscheidung war, obwohl dies lediglich von 17 Prozent der schriftlich befragten Studienanfänger als wichtig angegeben wurde, ein Hinweis auf sozial erwünschtes Antwortverhalten im schriftlichen Test.

46 von 127 Studienanfängern (36%) gaben an, mindestens ein im Gesundheitswesen tätiges Elternteil zu haben. Für 18 von ihnen (39%) waren Ratschläge von Eltern, Verwandten oder Freunden bei der Studienfachwahl wichtig, während dies lediglich 17% der Studienanfänger ohne Elternteil im Gesundheitswesen angaben. Dabei scheinen Ratschläge des Vaters stärker durchzudringen als solche der Mutter.

Erwartungen an das Studium

Alle Studierenden sind zu Beginn des Studiums optimistisch, das Studium zu bestehen (98% Zustimmung). Ein hoher Praxisbezug (96%), der Erwerb von großem Faktenwissen und „viel und intensiv arbeiten“ (86%) werden mit dem Studium verbunden. Obwohl bei der Studienwahl eine wissenschaftliche Tätigkeit nur einen nachgeordneten Aspekt darstellte, erwarten die Studienanfänger, im Studium wissenschaftlich zu arbeiten (79%), sich mit theoretischen Fragen auseinanderzusetzen (78%) oder einen Forschungsbezug (69%). Auch die Auswertung des 11. Studierendensurveys [12] zeigte, dass die Studierenden der Humanmedizin vorrangig am und mit dem Menschen arbeiten wollen. Für wirklich jeden Befragten ist das Bestehen des Studiums das wichtigste Ziel, gefolgt vom Finden eines Bereiches, der Spaß macht (97%), der Erlangung nachhaltigen Wissens (95%) und dem Wunsch, den eigenen Maßstäben gerecht zu werden (94%). 85 Prozent der zukünftigen Mediziner halten auch ein Leben neben dem Studium für wichtig.

Gründe für die Wahl des Studienortes

Der Hauptgrund, sich an der Medizinischen Fakultät in Magdeburg zu bewerben, ist die relativ gute Zulassungschance im Fach Medizin (siehe Abbildung 4 [Abb. 4]). Darauf folgend kann Magdeburg durch geringe Studierendenzahlen, gute Lernbedingungen und das Fehlen von Studiengebühren überzeugen. Für fast jeden zweiten ist die regionale Nähe zum Heimatort wichtig.

Die meisten Studienanfänger gaben an, aus Sachsen-Anhalt (N=42), Nordrhein-Westfalen (N=20), Berlin (N=17), Bayern (N=15) oder Niedersachsen (N=12) zu kommen. Während die Anfänger aus Sachsen-Anhalt die regionale Nähe zum Heimatort und das vorhandene soziale Umfeld schätzten, waren für die übrigen Befragten die guten Zulassungschancen wichtiger.

Schon in den vorab durchgeführten Interviews hatte sich gezeigt, dass Magdeburg oftmals aus taktischen Gründen gewählt wurde. Die Stadt wird von den Interviewten weniger als Lebensort, sondern eher als ein Studienort betrachtet, der die notwendigen Voraussetzungen für das Absolvieren des Medizinstudiums bietet.


Diskussion

An der Medizinischen Fakultät Magdeburg konnte der HAM-Nat-Test als Auswahlverfahren störungsfrei eingeführt werden. Die Akzeptanz bei den Teilnehmern ist hoch, 86% der Studienanfänger sehen den HAM-Nat als hilfreich für das weitere Studium an. Nachdem im Jahr der HAM-Nat-Einführung 2012 die Zahl der Bewerber mit 1. Ortspräferenz für Magdeburg stark abgenommen hatte und alle bis zu einer Abiturnote von 2,9 zum HAM-Nat eingeladen worden waren, hat sich im Folgejahr die Zahl dieser Bewerber fast verdoppelt und somit wieder das Niveau von 2011 erreicht. Offenbar erforderte die Anpassung des Bewerberverhaltens an das neue Auswahlverfahren ein Jahr Zeit. Im Jahr 2013 hat sich im Vergleich zu 2012 trotz des besseren Abiturnotenschnitts der HAM-Nat-Teilnehmer (Einladungsgrenze jetzt bei einer Abiturnote von 2,0) die mittlere Abiturnote der durch das AdH Zugelassenen verschlechtert (von 1,55 Abiturnote auf 1,68). Der hohe Paternostereffekt von zwei Dritteln zeigt deutlich, dass ein gutes Testergebnis zur Zulassung führt und auch Bewerber mit schwächeren Abiturnoten eine Zulassungschance haben. Dies war intendiert.

Männliche Bewerber zeigen im Mittelwert deutlich bessere HAM-Nat-Ergebnisse als weibliche, so dass nun mehr männliche Bewerber zugelassen werden als früher (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Dieses Phänomen tritt auch in Hamburg und bei anderen Studieneignungstests wie z.B. in Graz auf [14], [15]. Ein Grund könnte im höheren naturwissenschaftlichen Interesse der männlichen Bewerber liegen, das sich schon in der Wahl der schulischen Leistungskurse niederschlägt. Unsere Studierendenbefragung 2013 zeigt, dass Schüler eher Mathematik (männlich: 45%/weiblich: 31%), Physik (10%/4%) oder Chemie (15%/10%) als Leistungskurs in der Schule gewählt haben als Schülerinnen. Diese wählen vorrangig Deutsch (15%/39%), Englisch (27%/33%) und Biologie (49%/50%). Mit diesem Fächerprofil erreichen Abiturientinnen bessere Noten als Abiturienten (z.B. erreichten im Jahr 2011 in Nordrhein-Westfalen etwa 60% mehr Frauen als Männer eine Abiturnote von 1,0 bis 1,9 [http://www.it.nrw.de/statistik/analysen/stat_studien/2012/band_75/wl_z089201254.html]. In der Folge ist der Frauenanteil in der Bewerberpopulation größer als der der Männer [16]. Der HAM-Nat-Test setzt andere inhaltliche Schwerpunkte als ein nur auf Abiturnoten gestütztes Zulassungsverfahren.

Für Bewerber aus Sachsen-Anhalt sind die Hauptgründe für die Studienortswahl neben der regionalen Nähe und dem vorhandenen sozialen Umfeld die guten Studienbedingungen und der Wohlfühlcharakter am Studienort. Die positive Darstellung der Universität war Schwerpunkt regionaler Pressearbeit der Fakultät, sie sollte beibehalten werden, um Nachwuchs für Sachsen-Anhalt und insbesondere den ländlichen Bereich zu sichern. Besonders für Bewerber aus anderen Bundesländern mit einem Abiturnotendurchschnitt >1,6 standen die relativ guten Zulassungschancen bei guten naturwissenschaftlichen Vorkenntnissen im Vordergrund. Die Ortspräferenzen werden somit von ca. 80% der Bewerber vorrangig taktisch genutzt, um den Wunschstudienplatz Medizin zu erhalten. Die curricularen Spezifika bzw. die Profil- und Forschungsschwerpunkte der Universität sind nicht entscheidend für die Bewerbung.

Mit der Einführung des HAM-Nat hat sich die Anzahl der in Magdeburg zugelassenen Landeskinder zunächst verdoppelt (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). In den Folgejahren hat sie wieder abgenommen, was in erster Linie durch den gestiegenen Anteil der Bewerber aus anderen Bundesländern bedingt ist. Als leistungsbezogener Auswahltest ist der HAM-Nat nicht geeignet, Landeskinder im Zulassungsverfahren bevorzugt zu berücksichtigen, sofern sie nicht leistungsstärker als andere sind. Das Hochschulmedizingesetz und die Vergabeordnung der Stiftung für Hochschulzulassung sahen und sehen für das AdH [http://www.landesrecht-hamburg.de/jportal/portal/page/bshaprod.psml?showdoccase=1&doc.id=jlr-VergabeVStiftVHArahmen&st=lr], [http://wcms.uzi.uni-halle.de/download.php?down=28395&elem=2554892] keine Bevorzugung heimatnaher Bewerber vor, dem Diskriminierungsverbot in Artikel 3 Abs. 3 GG entsprechend. Falls die auswärtigen Zugelassenen nach dem Studium in ihre Heimatbundesländer zurückkehren, könnte die ärztliche Versorgung gerade im ländlichen Raum Sachsen-Anhalts durch fehlenden Nachwuchs mehr als ohnehin schon gefährdet sein. Lediglich 64 von 138 befragten Studienanfängern (46%) können sich nach dem Studium eine Niederlassung vorstellen. Von diesen erwägen 23% eine hausärztliche Tätigkeit. Lediglich 9% möchten eine Hausarztpraxis in einer ländlichen Region betreiben, was Sorge über die zukünftige Versorgung ländlicher Gebiete begründet [siehe auch [17]].

Die vorliegende Arbeit erlaubt noch keine abschließende Aussage zur Wirkung des HAM-Nat-Auswahltests bezüglich des Studienerfolgs der Ausgewählten. Zukünftig werden in weiterführenden Analysen die Studienerfolgsparameter, insbesondere die Anzahl der Studienabbrüche und die Ergebnisse des 1. Abschnitts der Ärztlichen Prüfung (M1) untersucht werden. Im M1-Staatsexamen wird u.a. naturwissenschaftliches Grundlagenwissen geprüft, auf das schon der HAM-Nat-Test zielt. Da ein Vergleich der Testergebnisse mit denen des 1. Abschnitts der Ärztlichen Prüfung bei den HAM-Nat-Kooperationspartnern Hamburg und Berlin wegen der dortigen Modellstudiengänge nicht möglich ist, ist es umso interessanter, den Studienerfolg der Magdeburger HAM-Nat-Kohorten weiter zu beobachten.


Anhang

Fragebogen (siehe Anhang 1 [Anh. 1]) und Antworthäufigkeiten mit Mittelwertangabe (siehe Anhang 2 [Anh. 2]).


Anmerkung

1 In diesem Text wird der Einfachheit halber nur die männliche Form verwendet. Die weibliche Form ist selbstverständlich immer mit eingeschlossen.


Danksagung

Die Autoren sind den konsultierten und beratenden Partnern, insbesondere

  • den Mitgliedern der Auswahlkommission,
  • dem Dekan der Medizinischen Fakultät, Prof. Dr. H.-J. Rothkötter,
  • dem Studiendekan der Medizinischen Fakultät, Prof. Dr. C. H. Lohmann
  • Herrn Prof. Dr. G. Reiser,
  • der Interviewerin S. Hartwig sowie
  • den Studienteilnehmern und -teilnehmerinnen

für ihre eingebrachten Meinungen und Anregungen zu besonderem Dank verpflichtet. Wir danken der Medizinischen Fakultät für die finanzielle Unterstützung des Lehrprojektes.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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