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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Dr. med. – obsolet? Eine Querschnittserhebung zur Wahrnehmung und Akzeptanz der medizinischen Doktorarbeit

Forschungsarbeit Humanmedizin

  • Xenia Heun - Universitätsmedizin Rostock, Institut für Immunologie, Rostock, Deutschland
  • Christian Eisenlöffel - Universitätsklinikum Leipzig, Abteilung für Neuropathologie, Leipzig, Deutschland
  • Bastian Barann - Universitätsmedizin Rostock, Institut für Biochemie, Rostock, Deutschland
  • corresponding author Brigitte Müller-Hilke - Universitätsmedizin Rostock, Institut für Immunologie, Rostock, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2014;31(3):Doc30

doi: 10.3205/zma000922, urn:nbn:de:0183-zma0009228

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2014-31/zma000922.shtml

Eingereicht: 23. Mai 2013
Überarbeitet: 18. März 2014
Angenommen: 6. Mai 2014
Veröffentlicht: 15. August 2014

© 2014 Heun et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Zielsetzung: In Deutschland ist zum Erlangen des Titels „Dr. med.“ die Anfertigung einer Dissertationsarbeit gefordert, die in aller Regel parallel zum Studium durchgeführt wird. Diese zusätzliche Arbeitsbelastung – vor dem Hintergrund mangelnder Standards und einem Berufsdoktorat in anderen europäischen und angelsächsischen Ländern – führt immer wieder zur Kritik am deutschen System. Eine systematische Umfrage zur Wahrnehmung und Akzeptanz der medizinischen Doktorarbeit unter Betroffenen ist überfällig.

Methodik: Mit einem anonymen online Fragebogen wurden Studierende der Medizin und approbierte Ärzte zum jeweiligen Stadium ihrer Promotion, zu ihrer Motivation, zum persönlichem Nutzen, zeitlichen Aufwand, wissenschaftlichen Output, sowie Sinnhaftigkeit des aktuellen und alternativer Promotionsverfahren befragt. Zusätzlich wurden Patienten befragt, wie wichtig ihnen der Titel „Dr. med.“ beim behandelnden Hausarzt ist. Die Auswertungen erfolgten mit basisstatistischen Methoden.

Ergebnisse und Fazit: Der „Dr. med.“ scheint nicht obsolet, aber verbesserungsfähig. Zum einen ist der wissenschaftliche Gewinn groß und nur 15,1% der Promovenden veröffentlichen ihre Ergebnisse gar nicht. Zum anderen vermischen die anfangs noch isolierte Betrachtung von Motivation, Nutzen und Wertschätzung im Verlauf und nach Abschluss der Promotion zu einem einheitlichen Gesamtbild. Das aktuelle Promotionsverfahren wird von Promovierten als am sinnvollsten erachtet. Allerdings bestehen Diskrepanzen zwischen erwarteter und tatsächlicher Dauer und Art der Promotion. Diese Ergebnisse könnten andeuten, dass das Verfahren der medizinischen Promotion hinsichtlich Aufklärung und Betreuung verbessert werden könnte. Bei den Patienten scheint die Wichtigkeit des Doktortitels des behandelnden Arztes mit dem eigenen Bildungsniveau zu korrelieren.

Schlüsselwörter: Promotion, Dr. med., Berufsdoktorat, Fragebogen


Einleitung

Die Promotionsrate unter Absolventen* des Medizinstudiums liegt mit ca. 60-65% über dem Durchschnitt der meisten anderen Fächer [1], [2]. Während sich jedoch bei allen anderen Fächern die Promotion an das Studium anschließt und regelhaft nicht weniger als drei Jahre dauert, wird die medizinische Doktorarbeit in der überwiegenden Mehrheit der Fälle studienbegleitend durchgeführt. Dieser Umstand bedingt nicht nur in Fachkreisen wiederkehrende Diskussionen über einen Mangel an Qualität [3], [4], auch die Feuilletons führender Deutscher Zeitungen berichten über „Flachforscher“ [5] und die „Ramschware Dr. med.“ [6]. Der Wissenschaftsrat hat sich dieses Themas angenommen und in Anlehnung an das Vorgehen in Österreich oder den angelsächsischen Ländern dafür ausgesprochen, mit der Approbation ein Berufsdoktorat zu verleihen und eine wissenschaftliche Promotion im Anschluss an das Studium den forschungsorientierten Medizinern vorzubehalten [7]. Dem Berufsdoktorat hält z.B. der Medizinische Fakultätentag entgegen, dass gerade die Rolle des Wissenschaftlers eine unabdingbare Grundlage für die ärztliche Aus- und Weiterbildung darstellt, da in keinem anderen akademischen Beruf wissenschaftlicher Fortschritt und Erkenntnisse so schnell in die Praxis umgesetzt werden wie in der Medizin. Daher sollte jeder Arzt lernen, wie und mit welchen Methoden neue Erkenntnisse gewonnen werden und wie die Qualität wissenschaftlicher Veröffentlichungen einzuordnen ist [8]. Zwei rezente Publikationen belegen, dass die Qualität der medizinischen Doktorarbeit tatsächlich besser ist als ihr Ruf [9], [10]. Demzufolge publizieren 52% bzw. 62% der Promovenden – abhängig davon, ob eine Online-PubMed-Recherche mit den fakultären Promotionsdaten abgeglichen oder eine Selbstauskunft mittels Fragebogen eingeholt wurde – ihre Ergebnisse in Form einer Originalarbeit und bei ca. 25% der Veröffentlichungen sind die Promovenden Erstautor. Der Promotion im Anschluss an das Medizinstudium wird entgegengehalten, dass es vor dem Hintergrund eines mindestens 6 Jahre dauernden Studiums und einer 4- bis 7-jährigen Weiterbildung zum Facharzt unrealistisch scheint, zusätzlich eine 3-jährige Promotion zu verlangen, bevor sich ein junger Mensch für den Karriereweg des Wissenschaftlers oder des praktizierenden Arztes entscheidet und in das selbständige Berufsleben eintreten kann. In den laufenden Diskussionen werden die Akzeptanz der medizinischen Doktorarbeit unter Medizinstudenten und Ärzten sowie der persönlich gewonnene Nutzen aus einer Promotion vernachlässigt. Ebenso unklar und durch keine Studien belegt ist die Haltung der Patienten gegenüber promovierten bzw. nicht-promovierten Ärzten. Die vorliegende Arbeit untersucht mittels Querschnittserhebung die selbst eingeschätzte Motivation zur Anfertigung einer medizinischen Doktorarbeit sowie den erwarteten und daraus gewonnenen persönlichen Nutzen aus der Sicht der unmittelbar Betroffenen. Des Weiteren wurde die Motivation und Zufriedenheit in Abhängigkeit von der Art der Arbeit (statistisch, klinisch oder experimentell) ermittelt. Statistisch bedeutet eine retrospektive Datensammlung, klinisch meint eine prospektive Erhebung von Daten und experimentell steht für eine Arbeit, deren Datenermittlung überwiegend im Labor stattfindet. Da wir von unterschiedlichen Einstellungen in Abhängigkeit vom jeweiligen Stadium der Dissertation ausgegangen sind, wurden stichprobenartig Studierende vor Beginn einer Promotion, aktuell an ihrer Promotion arbeitende und eine Promotion ablehnende Studierende, sowie fertig promovierte Ärzte in die Studie mit eingeschlossen. Außerdem wurden hausärztliche Patienten als Fremdwahrnehmer zu ihrer Einstellung gegenüber promovierten bzw. nicht-promovierten Ärzten befragt.


Methoden

Anstoß für die Entwicklung des Fragebogens war ein Kongress der Bundesvertretung der Medizinstudierenden (bvmd) im November 2010 in Münster. Die Fragen wurden unter Einbezug einer Fokusgruppe und Literaturquellen entwickelt, darunter Arbeiten von Kock et al. [11] und Weihrauch et al. [12], [13].

Der hier genutzte Fragebogen zur Akzeptanz und zur Wahrnehmung der medizinischen Doktorarbeit enthält fünf Blöcke, von denen der erste persönliche Daten wie Alter, Geschlecht, Ausbildungsstand und Stand der Promotion abfragt. Der zweite Block fragt nach der Motivation zur Anfertigung einer Promotion. Der dritte Block beinhaltet Fragen zur Art der Promotion, zum zeitlichen Rahmen und Aufwand, zu Einschränkungen und zu Veröffentlichungen und außerdem für die Gruppen „in Arbeit“ und „abgeschlossen“ je eine Frage nach der Zufriedenheit insgesamt und einem gestiegenen Forschungsinteresse. Block 4 erhebt den persönlich gewonnen Nutzen und Block 5 die Sinnhaftigkeit bzw. Wertschätzung von alternativen Verfahren zu Erlangung des Titels „Dr. med.“.

Für die Beantwortung der Blöcke 1 und 3 standen Ordinal- bzw. Nominalskalen zur Verfügung, für die Blöcke 2, 4 und 5 waren es Ordinalskalen mit jeweils vier Antwortoptionen von „trifft zu“ bis „trifft nicht zu“. Die Blöcke 2-4 wurden in drei verschiedenen Tempora abgefasst, so dass mit den gleichen Fragen Studierende der Medizin vor bzw. während und Ärzte nach der Bearbeitung einer medizinischen Doktorarbeit adressiert werden konnten. Der erste Block war für alle Befragten identisch, danach mussten sie sich entscheiden, ob sie für die Blöcke 2-4 im Konjunktiv oder Futur (noch nicht mit der Promotion begonnen), im Präsens (Promotion momentan in Arbeit), im Imperfekt bzw. Perfekt fortfahren oder bei „kein Interesse/keine Arbeit“ gleich zum fünften Block wechseln wollten.

Der Fragebogen wurde in EvaSys, einer Software für automatisierte Befragungen, konzipiert und der hinführende Link mit Passwort online an Studierende der Medizin in Greifswald – über den Verteiler der Fachschaft – und in Rostock – über den Verteiler des Studiendekanats – verschickt. Die Ärzte der Universitätsmedizin Rostock wurden aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht direkt, sondern nur über die Einrichtungsleiter angeschrieben. Am städtischen Klinikum Südstadt Rostock wurde der Fragebogen in Papierform verteilt. Alle Befragten hatten vier Wochen Zeit, den Bogen auszufüllen.

Der Fragebogen für die Patienten enthält fünf Fragen nach Alter, Geschlecht, Bildungsstand und Kenntnis sowie Wichtigkeit des Titels „Dr. med.“ beim behandelnden Hausarzt. Für die Befragung wurden vier Praxen niedergelassener Hausärzte, darunter zwei mit dem Titel „Dr. med.“ und zwei ohne, ausgewählt. Die Patienten wurden im Wartezimmer persönlich gebeten, den Fragebogen auszufüllen und ihn danach in eine dafür vorgesehene Box zu werfen, um die Anonymität zu wahren.

Die Zustimmung der lokalen Ethikkommission wurde vor Beginn der Befragungen eingeholt (A 2012-0009).

Statistik

Zunächst wurden rein deskriptiv Häufigkeiten – zum Rücklauf und zur Kohorte, zur Art der Arbeit, zur Dauer der Promotion und zur Veröffentlichung der Ergebnisse – bestimmt. Zur Ermittlung der Signifikanzniveaus von Gruppenunterschieden wurden bei normalverteilten Daten mittels T-Test die Mittelwerte verglichen, bei nicht-normalverteilten Daten mittels Mann-Whitney-U-Test die Rangsummen. Mit Hilfe eines Fisher’s Exact Tests wurden Unterschiede im Patientenverhalten bezüglich der Wahl des Arztes berechnet.

Um mögliche Veränderungen in Motivation und Einstellung gegenüber der medizinischen Doktorarbeit in Abhängigkeit vom jeweiligen Ausbildungsstand zu untersuchen, wurden die korrelativen Strukturen hinter den verschiedenen Antwortmöglichkeiten analysiert. Dazu wurden zunächst drei Skalen definiert – Motivation und Wertschätzung (Blöcke 2 und 5), persönlich gewonnenen Nutzen aus der Promotion (Block 4) sowie die Kombination aus beiden (Blöcke 2, 4 und 5). Die innere Konsistenz und Dimensionalität dieser drei Skalen wurden anschließend mittels Cronbach's alpha für die drei Ausbildungsstadien ermittelt, wobei Werte von 0,65 als reliabel betrachtet.

Zur Untersuchung von Motivation und Zufriedenheit in Abhängigkeit von der Art der Promotionsarbeit wurden die betroffenen Gruppen – „momentan an einer Promotion arbeitend“ und „Promotion bereits abgeschlossen“ – gemeinsam mittels Varianzanalyse (ANOVA) ausgewertet.

Für die Auswertung von Block 5 wurden die Mittelwerte berechnet und diese wurden zwischen den Gruppen mittels einfaktorieller ANOVA auf Signifikanz geprüft.

Sämtliche Statistiken wurden mit IBM SPSS Statistics 20 und Microsoft Office Excel 2003 durchgeführt.


Ergebnisse

Rücklauf

Insgesamt wurden im Rahmen der vorliegenden Arbeit 631 Fragebögen zur Promotion ausgewertet. Der Rücklauf unter den Studierenden aus Rostock und Greifswald betrug 30,6%. Da die Anzahl der angeschriebenen Ärzte aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht bekannt ist, kann der Rücklauf unter den Ärzten nicht bestimmt werden. Tabelle 1 [Tab. 1] beschreibt neben Alter und Geschlechterverteilung der Kohorte das Semester bzw. die Dauer der Berufsausübung in Jahren. Auffällig ist der hohe Anteil an Frauen, die kein Interesse an einer Promotion zeigen. Erwartungsgemäß liegt das Alter der approbierten Ärzte, die ihre Promotion bereits abgeschlossen haben, deutlich über dem der Studierenden.

Erwartungen und Erleben stellen sich je nach Stadium der Promotion unterschiedlich dar

Beim Vergleich der Antworten von Studierenden und Ärzten vor Beginn, während oder nach Abschluss ihrer Promotion zeichnen sich verschiedene interessante und signifikante Unterschiede ab. Ein Unterschied betrifft die Art der Arbeit. Während sich 19,6% der Befragten vor Beginn ihrer Promotion eine statistische, 54,1% eine klinische und 26,3% eine experimentelle Arbeit vorstellen, führt tatsächlich die Mehrheit der Promovenden, nämlich 40,7% eine experimentelle, 25,3% eine klinische und 34,1% eine statistische Arbeit durch. Gegenüber der Gruppe, die schon abgeschlossen haben, ist der Unterschied noch größer: nur 10,0% haben eine statistische Arbeit, 20,0% eine klinische und ganze 70,0% eine experimentelle (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]).

Ein weiterer Unterschied betrifft die Dauer der Promotion, wobei hier die Zeit von Beginn bis zur Verteidigung gemeint ist. Während sich (in Rostock) die Studierenden vor Beginn ihrer Promotion vorstellen, dass sie bis zur Verteidigung im Median 2 Jahre benötigen, korrigieren diejenigen, die aktuell an ihrer Promotion arbeiten, auf 3 Jahre nach oben. Tatsächlich aber dauerte die Promotion in der Gruppe der Promovierten vom Beginn bis zur Verteidigung im Median 4 Jahre. Diese Unterschiede sind für die drei befragten Gruppen signifikant (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Alle weiteren Fragenitems zum zeitlichen Aufwand für und Einschränkung durch die Promotion ergeben keine signifikanten Unterschiede.

Die Wissenschaftlichkeit der medizinischen Doktorarbeit ist besser als ihr Ruf

Als Maß für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn gilt die Publikation. Aus diesem Grunde wurde abgefragt, ob die Ergebnisse der eigenen Promotion veröffentlicht werden bzw. wurden und wenn ja, in welcher Form. Wie anzunehmen, können die Studierenden im Vorfeld nur Erwartungen äußern. 71,4% geben an, es noch nicht zu wissen. Dieser Prozentsatz sinkt während der Promotion auf 52,0%. Tatsächlich aber haben nur 15,1% derjenigen mit einer abgeschlossenen Promotion ihre Ergebnisse gar nicht veröffentlicht. Dem gegenüber stehen 67,9% mit (mindestens) einem Artikel, 47,2%, die (mindestens) einen Vortrag gehalten und 37,7%, die (mindestens) ein Poster präsentiert haben (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). Angaben über die jeweiligen Autorenpositionen der Doktoranden liegen nicht vor. Auffällig ist, dass die bestehenden Erwartungen bezüglich der Publikation eigener Daten vor Beginn der Promotion niedrig sind, in der Gruppe der Promovierenden zunehmen und von den tatsächlichen Ergebnissen der bereits promovierten Gruppe übertroffen werden. Diese Beobachtung gilt nicht nur für veröffentlichte Artikel, sondern auch für Vorträge und Poster.

Die Einstellung gegenüber der medizinischen Doktorarbeit hängt vom Stadium der Promotion ab

Um unsere Ausgangshypothese zu überprüfen, dass Motivation und Wertschätzung gegenüber der medizinischen Doktorarbeit sowie die Anerkennung eines persönlichen Nutzens vom jeweiligen Ausbildungsstadium abhängen, haben wir die korrelativen Strukturen unseres Fragebogens für die drei befragten Gruppen miteinander verglichen. Dazu wurden zunächst drei Skalen definiert, die die Fragenitems zu Motivation und Wertschätzung gegenüber der medizinischen Doktorarbeit (Blöcke 2 und 5), zum durch die Promotion gewonnenen persönlichen Nutzen (Block 4) oder aber zur Kombination aus Motivation, Wertschätzung und Nutzen (Blöcke 2, 4 und 5) beinhalten. Für diese drei Skalen und die drei befragten Gruppen wurden die Reliabilitäten mittels Cronbachs alpha ermittelt. Tabelle 3 [Tab. 3] verdeutlicht, dass die dritte Skala mit der höchsten Dimensionalität bei den Ärzten mit abgeschlossener Promotion den höchsten Cronbachs alpha-Wert von 0,90 und damit die höchste Reliabilität aufweist. Im Gegensatz dazu zeigt diese dritte Skala bei den Studierenden vor Beginn einer Promotionsarbeit mit einem Cronbachs alpha von 0,63 keine Reliabilität.

Motivation und Zufriedenheit bei einer experimentellen Doktorarbeit sind höher als bei einer statistischen

Die Frage, ob die Art der Arbeit – statistisch, klinisch oder experimentell – die Motivation oder Zufriedenheit mit der Promotion beeinflusst, wurde mittels Varianzanalyse bestimmt. Tatsächlich gibt es sowohl für die Zufriedenheit als auch für die Motivation geringe, dennoch statistisch signifikante Unterschiede zwischen den drei Gruppen (p-Wert von 0,0008 bzw. 0,0005). Dabei sind diejenigen, die eine statistische Arbeit anfertigen oder angefertigt haben am wenigsten, jene mit einer experimentellen Arbeit am höchsten motiviert und am zufriedensten (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]).

Studierende, die keine Doktorarbeit anfertigen, halten das aktuelle Promotionsverfahren für Mediziner signifikant seltener für sinnvoll als ihre Kommilitonen, die zu promovieren beabsichtigen oder dabei sind und als Ärzte, die bereits die Promotion abgeschlossen haben (siehe Tabelle 4 [Tab. 4]). Die Studierenden ohne Doktorarbeit halten außerdem alternative Verfahren, die ein Berufsdoktorat beinhalten, signifikant häufiger für sinnvoll. Am sinnvollsten erachten diejenigen das aktuelle Verfahren zur Erlangung des Titels „Dr. med.“, die es bereits abgeschlossen haben.

Patienten mit höherer Bildung wählen Ärzte mit einem akademischen Titel

Abschließend haben wir die Einstellung von Patienten gegenüber einem promovierten Hausarzt in Abhängigkeit vom jeweiligen Bildungsniveau der Patienten analysiert. Dazu haben wir vier Praxen von niedergelassenen Hausärzten – zwei im Besitz und zwei ohne akademischen Titel – ausgewählt und konsekutiv 83 Patienten mittels Fragebogen nach ihrem Alter, Geschlecht, Bildungsstand und Stellenwert des „Dr. med.“ bei ihrem behandelnden Arzt befragt. Tatsächlich wählen die Patienten mit einem höheren Bildungsstand (Abitur/allgemeine Hochschulreife und Hochschul-/Universitätsabschluss) einen Arzt, der den Titel „Dr. med.“ trägt (p=0,0005, RR=0,3778, 95% CI=0,1893-0,7541). Patienten, deren Bildungsstand in die gewählten Kategorien nicht eindeutig einzuordnen war („Berufsausbildung“, „Sonstiges“), wurden in diese Berechnung nicht miteinbezogen. Abbildung 4 [Abb. 4] fasst das Ergebnis eines Fisher’s Exact Tests zusammen und zeigt, dass Patienten mit einem höheren Bildungsstand einen promovierten Arzt bevorzugen.


Diskussion

Die vorliegende Studie ermittelt im Rahmen einer Querschnittserhebung die Einstellung gegenüber der medizinischen Doktorarbeit und die Akzeptanz des derzeitigen Promotionsverfahrens bei Studierenden der Medizin und approbierten Ärzten. Auf Grund der hohen Promotionsrate unter den Absolventen eines Medizinstudiums und weil die Promotion in aller Regel studienbegleitend durchgeführt wird [1], [2], adressiert dieser Fragebogen vor allem Studierende, aus deren Reihen auch die meisten Rückläufe kamen. Approbierte Ärzte mit abgeschlossener Promotion stellen in unserer Umfrage nur 8,40% der Rückläufe. Während die Gruppen der Studierenden altersmäßig sehr homogen sind und von der Geschlechterverteilung auf keine unausgewogene Auswahl schließen lassen, ist die Gruppe der approbierten Ärzte signifikant älter und heterogener. Das stand einerseits zu erwarten, weil die Gruppe der approbierten Ärzte das komplette Berufsleben umschließt. Andererseits war es auch gewollt, um ein möglichst breites Spektrum an Erfahrungen mit dem persönlichen aus der Promotion gewonnenen Nutzen für den weiteren Lebensweg abzubilden. Gleichzeitig müssen wir davon ausgehen, dass besonders Ärzte an einem Universitätsklinikum eine einseitige Einstellung repräsentieren, da für diese Gruppe eine Doktorarbeit durchaus eine höhere Bedeutung haben könnte als für Ärzte, die nicht in einer akademischen Umgebung tätig sind.

Das zentrale Ergebnis dieser Umfrage ist, dass der „Dr. med.“ bei weitem noch nicht obsolet ist. Diese Schlussfolgerung beruht auf drei Erkenntnissen, nämlich dass erstens der aus medizinischen Doktorarbeiten resultierende wissenschaftliche Erkenntnisgewinn respektabel ist und deutlich größer, als im Vorfeld von den Kandidaten erwartet: Während nur 15% der Kandidaten ihre Ergebnisse gar nicht veröffentlichen, gelangen immerhin knapp 68% der von uns Befragten zu einer Publikation als Artikel. Ziemann und Oestmann haben kürzlich für die Charité Zahlen veröffentlicht, wonach 52% der Promovenden in den Jahren 1998-2008 PubMed-gelistet publiziert haben [9]. Eine der Ursachen für diese diskrepanten Ergebnisse könnte sein, dass unser Fragebogen nicht gezielt nach einer PubMed-Listung gefragt hat. Darüber hinaus konnten Pabst et al. kürzlich zeigen, dass eine Eigenauskunft zu besseren Ergebnissen führt als eine internetbasierte Recherche [10].

Die zweite wichtige Erkenntnis ist, dass die Beteiligten selbst der medizinischen Doktorarbeit sehr positiv gegenüberstehen. Die vermutete Hypothese, dass sich die Motivation gegenüber der medizinischen Dissertation und der persönlich gewonnene Nutzen aus der Bearbeitung einer Dissertation in den Stadien unterscheiden, stellt sich als wahr heraus. Vor Beginn der Promotion werden die Motivation und die Wertschätzung getrennt von einem möglichen Nutzen gesehen. Im Stadium der Promotion jedoch und auch retrospektiv vermischen sich die Motivation sowie die Wertschätzung mit dem Nutzen – bestehend aus dem persönlich gewonnenen Nutzen für den Umgang mit Statistik, Fachliteratur und Zeitmanagement sowie aus dem übergeordneten Nutzen für Studium und beruflichen Werdegang – zu einem einheitlichen Gesamtbild. Möglich ist natürlich, dass nur diejenigen Studierenden und Ärzte unseren Fragebogen ausgefüllt haben, die a priori eher wertkonservativ eingestellt sind. Denkbar ist auch, dass niemand den jungen Kollegen die erlebten Erfahrungen vorenthalten möchte und die Promotion deswegen besonders positiv bewertet wird. Dem widerspricht allerdings unsere Beobachtung, dass die Zufriedenheit und die Motivation zur Promotion mit der Art der Arbeit und dem damit verbundenen Aufwand, z.B. bei einer experimentellen Arbeit, korrelieren. Dieser Zusammenhang wurde auch in einer Studie von Pfeiffer et al. dargestellt [14]. Zusammenfassend können wir jedoch nicht ausschließen, dass eine tatsächliche Längsschnittstudie zusätzliche oder andere Aspekte hervorbringt.

Für uns unerwartet war die überwiegende Ablehnung eines – auch vom Wissenschaftsrat vorgeschlagenen – Berufsdoktorats [7] oder alternativer Promotionsverfahren von allen befragten Gruppen. Denkbar ist allerdings, dass das Konzept einer Bachelorarbeit noch zu fremd ist und Ängste vor einer Bologna-Reform im Medizinstudium schürt. In Summe erlaubt unser Fragebogen jedoch keinerlei Ursachenforschung – auch nicht für ein Desinteresse an einer medizinischen Doktorarbeit oder für den in diesem Zusammenhang hohen Frauenanteil.

Die dritte wichtige Erkenntnis betrifft die Patientensicht. Obwohl unsere Fallzahlen hier relativ klein sind, scheint der eigene Bildungsstand mit der Wichtigkeit eines akademischen Titels beim behandelnden Hausarzt zu korrelieren. Auch hier können wir über die Beweggründe der Patienten keine Aussage treffen und auch nicht darüber, ob der gleiche Anspruch auch an andere Fachärzte gestellt wird. Dennoch sollte sich ein Student mit dem Berufsziel des niedergelassenen Arztes dieser möglichen Erwartungshaltung bewusst sein. Ob die Ergebnisse der Greifswalder und Rostocker Umfragen bundesweit übertragbar sind oder ob es standortspezifische Unterschiede gibt, könnte zukünftig mit Hilfe des hier verwendeten Fragebogens untersucht werden.

Unsere Untersuchung zeigt aber auch auf, dass das Verfahren zur Erlangung des Titels „Dr. med.“ in einigen Punkten verbesserungsfähig ist. Der erste Punkt betrifft die Diskrepanz bezüglich der erwarteten und tatsächlichen Dauer der Promotion. Ein weiterer Punkt ist der überwiegende Wunsch nach einer klinischen Arbeit, obwohl am häufigsten experimentelle Arbeiten durchgeführt werden. Für diese Diskrepanzen können wir keine genauen Ursachen benennen, können aber vermuten, dass sie durch eine bessere Aufklärung im Vorhinein, Organisation oder Betreuung vermindert werden könnten.

Der Arzt als Wissenschaftler ist heute mehr denn je Voraussetzung für die ärztliche Arbeit, die Aus- und Weiterbildung und für die kritische Bewertung neuer Erkenntnisse zu Therapie und Diagnostik. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Erkenntnis promovierter Ärzte, dass sich eine Doktorarbeit lohnt, zusätzlich an Bedeutung und sollte Ansporn für die Medizinischen Fakultäten sein, vermehrt in die Betreuung medizinischer Doktoranden zu investieren und die Qualität der ärztlichen Promotion weiter zu verbessern.


Schlussfolgerungen

Der Titel „Dr. med.“ ist nicht obsolet, denn unter Medizinern besteht der Bedarf an einer wissenschaftlichen Dissertation. Trotz der wiederkehrenden Diskussionen um die Qualität und damit die Sinnhaftigkeit der medizinischen Doktorarbeit streben über 90% der Studierenden in Mecklenburg-Vorpommern die Promotion an. Allerdings könnte das Verfahren, den „Dr. med.“ zu erlangen, in manchen Bereichen, z.B. bei der Aufklärung und der Betreuung, verbessert werden.

Im Stadium der Promotion zeigt sich eine positive Haltung gegenüber der medizinischen Doktorarbeit, die Zufriedenheit steigt sogar mit dem Aufwand und ist bei experimentellen Arbeiten am höchsten. Retrospektiv vermischen sich bei den promovierten Ärzten die Motivation und die Wertschätzung mit dem praktischen Nutzen für den Umgang mit Statistik, Fachliteratur und Zeitmanagement sowie mit dem übergeordneten Nutzen für Studium und beruflichen Werdegang zu einem einheitlichen Gesamtbild. Ein Berufsdoktorat wird derzeit abgelehnt. Die Wertigkeit des „Dr. med.“ wird auch durch die Haltung der Patienten gespiegelt, die mit steigendem eigenem Bildungsniveau diesen akademischen Titel beim behandelnden Hausarzt zu erwarten scheinen.


Anmerkung

* Im Sinne einer leichteren Lesbarkeit wird im Text meist die männliche Schreibweise gewählt. Das betreffende Wort bezieht sich jedoch immer auf beide Geschlechter.


Danksagung

Danke an alle Medizinstudenten und Ärzte aus Greifswald und Rostock, die den Fragebogen ausgefüllt haben. Besonderer Dank geht an Annett Müller aus dem Studiendekanat in Rostock, Prof. Dr. Peter Schuff-Werner, Prof. Dr. Emil Reisinger und Dr. Wäschle der Universitätsmedizin Rostock, sowie an PD Dr. Christof Schober und Dr. Reichardt des Klinikums Südstadt und an die Rostocker Hausärzte für die Möglichkeit, diese Befragung durchzuführen.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

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