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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Der Kriterienkatalog der DEGAM für die Befugnis zur Facharztweiterbildung Allgemeinmedizin − ein Vorschlag zur Einschätzung der Strukturqualität in Weiterbildungspraxen

Projekt Humanmedizin

  • corresponding author Günther Egidi - Arzt für Allgemeinmedizin, Bremen, Deutschland; Sprecher der DEGAM-Sektion Fortbildung, Bremen, Deutschland
  • author Ruben Bernau - Arzt für Allgemeinmedizin in Hambergen bei Bremen, Bremen, Deutschland
  • author Matthias Börger - Arzt für Allgemeinmedizin, Bremen, Deutschland
  • author Hans-Michael Mühlenfeld - Arzt für Allgemeinmedizin, Bremen, Deutschland; Vorsitzender des Institutes für hausärztliche Fortbildung, Köln, Deutschland
  • author Guido Schmiemann - Universität Bremen, Institut für Public Health und Pflegeforschung, Abteilung für Versorgungsforschung, Bremen, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2014;31(1):Doc8

doi: 10.3205/zma000900, urn:nbn:de:0183-zma0009002

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2014-31/zma000900.shtml

Eingereicht: 6. Juni 2013
Überarbeitet: 28. November 2013
Angenommen: 4. Dezember 2013
Veröffentlicht: 17. Februar 2014

© 2014 Egidi et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Hintergrund: Der zunehmenden Strukturierung der allgemeinmedizinischen Weiterbildung auf Ebene der zuständigen Ärztekammern steht in Deutschland noch immer ein heterogenes Anforderungsprofil für die Weiterbilder gegenüber. Auch andere Fächer sehen zunehmend die Erfordernis eines Weiterbildungsabschnittes im ambulanten Bereich.

Zielsetzung: Die derzeitige Praxis einer weitgehend ungeregelten und uneinheitlichen Erteilung einer Weiterbildungsbefugnis Allgemeinmedizin durch die Landesärztekammern soll durch einen konsentierten und detaillierten Kriterienkatalog überwunden werden.

Methodik: In einen von den Autoren erstellten Erstentwurf eines Kriterienkataloges wurden Rückmeldungen von 30 wissenschaftlich tätigen Hausärzten eingearbeitet. In einem durch 30 weitere Allgemeinmediziner durchgeführten Praxistest wurde die Anwendbarkeit des Kataloges überprüft. Dabei wurde neben soziodemographischen Angaben zu den Weiterbildern und zur Struktur ihrer Praxen die Zufriedenheit der Test-Teilnehmer mit der anhand des Kataloges ermittelten Länge der Weiterbildungsbefugnis untersucht.

Ergebnis: Der Kriterienkatalog enthält insgesamt 19 Items aus den drei Domänen Qualifikation der Weiterbilder, Infrastruktur der Praxis sowie Patientenspektrum, dazu einige obligate Kriterien. Das Ergebnis des Katalogs ist ein Score, dem eine definierte Dauer der Weiterbildungsbefugnis entspricht. Von den 30 Antwortenden waren 17 mit den nach dem Katalog zu erwartenden Kriterien zufrieden, 10 waren nicht zufrieden, und einer war unentschieden.

Die Zufriedenheit korrelierte nur leicht mit der Dauer der Niederlassung, nicht mit dem Geschlecht, der eigenen Weiterbildungserfahrung oder der Anzahl der erreichten Punkte im Katalog.

Schlussfolgerung: Im vorliegenden Kriterienkatalog werden die Breite des allgemeinmedizinischen Fachgebietes und das didaktische Engagement der Weiterbilder abgebildet. Die Zufriedenheit der Teilnehmer im Praxistest war gut. Der Katalog wird von uns als Grundlage für die Vergabe der Weiterbefugnis durch die Landesärztekammern empfohlen. Er kann für andere Fächer als Blaupause genutzt werden.

Schlüsselwörter: Allgemeinmedizin, Weiterbildung, Qualifikation, Kriterienkatalog


Hintergrund

Aktuell existiert in Deutschland eine wenig strukturierte Situation bei der Qualifikation allgemeinmedizinischer Weiterbilder.

Gesundheitspolitiker und Vertreter von Verbänden, Krankenkassen und kassenärztlichen Vereinigungen haben erkannt, dass einem drohenden Hausärztemangel v.a. in der Fläche und in unterprivilegierten Stadtbezirken entgegen gesteuert werden muss. Neben der Implementierung eines Förderprogramms für die allgemeinmedizinische Weiterbildung [Artikel 8 Abs. 2 GKV-SolG i. d. F. des GKV-OrgWG vom 15.12.2008 http://www.gesetze-im-internet.de/gkv-solg/art_8.html - zuletzt besucht am 23.4.2013] sind vielerorts allgemeinmedizinische Weiterbildungs-Verbünde entstanden.

Bis diese Maßnahmen zur Sicherung des hausärztlichen Nachwuchses greifen werden, muss ein zeitlicher Vorlauf eingerechnet werden. Daraus ergibt es sich, dass es in absehbarer Zeit mehr Weiterbildungsstellen in der Allgemeinmedizin geben wird als Ärzte*, die einen solchen Weiterbildungsplatz suchen – eine günstige Voraussetzung dafür, die Qualifikation der Weiterbilder zu verbessern.

Im Zusammenhang mit der anstehenden Überarbeitung der Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer wird viel über die während dieser Weiterbildung zu erwerbenden Kompetenzen der angehenden Hausärzte diskutiert. Im internationalen Vergleich fällt auf, dass mit Ausnahme von Modellprojekten wie der „Verbundweiterbildung plus“ [http://www.weiterbildung-allgemeinmedizin.de/ zuletzt besucht am 23.4.2013] eine verbindliche didaktische Qualifizierung in Deutschland praktisch nicht existiert. Auch weitere Voraussetzungen für die Weiterbildungspraxen werden nicht systematisch und einheitlich abgefragt. Bedingt durch den deutschen Föderalismus existiert aktuell ein Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen in den Landesärztekammern, der subjektiven Entscheidungen breiten Raum lässt. Beim Deutschen Ärztetag vom 28.-31.5.2013 in Hannover wurde beschlossen: „Die Bundesärztekammer wird aufgefordert, im Rahmen der Novellierung der (Muster-) Weiterbildungsordnung (MWBO) auch grundsätzliche Empfehlungen für die Erteilung einer Weiterbildungsbefugnis und für die Durchführung der Weiterbildung in Praxis und Klinik zu erarbeiten.

Diese sollen der Qualitätssicherung in der Weiterbildung und der einheitlichen Umsetzung und Anwendung der MWBO in den einzelnen Kammern dienen.

Begründung: Bereits der 114. Deutsche Ärztetag 2011 in Kiel hatte diesen Auftrag an die Bundesärztekammer erteilt. Bereits damals wurde darauf hingewiesen, dass im Gegensatz zu der einheitlich angewendeten Weiterbildungsordnung die Kriterien, nach denen die Befugnis zur Weiterbildung beurteilt und vergeben wird, nicht transparent und in den Ländern erheblich different seien. Dies bedinge erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern in der Organisation und der Durchführung der Weiterbildung. Hier können grundsätzliche Empfehlungen die Bedingungen vereinheitlichen.“[116. Deutscher Ärztetag, Beschlussprotokoll, http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=0.2.9807.11302, zuletzt besucht am 21.7.2013]

Die unterschiedliche Umsetzung der vielerorts vagen Vorgaben [1] lässt es als sinnvoll erscheinen, einen konsentierten Kriterienkatalog für allgemeinmedizinische Weiterbilder zu erstellen. Dieser Katalog soll den allgemeinmedizinischen Vertretern in den Weiterbildungs-Ausschüssen der Ärztekammern als Richtschnur dienen. Die Einbeziehung ambulant durchgeführter Weiterbildungsabschnitte ist auch in anderen Disziplinen geplant [2]. Auch diese Fächer werden sich zukünftig mit der Formulierung von Kriterien zur Weiterbildungsermächtigung auseinandersetzen müssen.

In den letzten Jahren ist in Deutschland die Zahl der Facharztanerkennungen in der Allgemeinmedizin dramatisch zurückgegangen. [http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/Stat09Abbildungsteil.pdf zuletzt besucht am 21.1.2014].

Im Gegensatz zu anderen Ländern mit einem primärmedizinischen System ist eine hausärztliche Tätigkeit in Deutschland mit unterschiedlichen Qualifikationen möglich (Arzt für Allgemeinmedizin, Praktischer Arzt, Hausärztlich tätiger Internist).

Im Jahr 1999 mussten sich die in Deutschland tätigen Internisten festlegen, ob sie überwiegend in einer internistischen Sub-Disziplin oder eher hausärztlich tätig bleiben wollten. Der Zustand, direkt aus der Inneren Medizin in die hausärztliche Versorgung überzuwechseln, kann dabei nur als Übergangsregelung verstanden werden – umfangreiche Untersuchungen belegen, dass Erkrankungen aus der Inneren Medizin nur ca. 32-40% der hausärztlichen Beratungsanlässe darstellen [3], [4], [5] [http://www.content-info.org/public/berichtsband/CONTENT_Berichtsband_2.pdf zuletzt besucht am 21.1.2014].

Dementsprechend erscheint es besonders wichtig, die fehlenden chirurgischen, orthopädischen, psychosomatischen etc. Qualifikationen und Kompetenzen sowie eine spezifische Kenntnis der Besonderheit der ärztlichen Arbeit im Niedrigprävalenz- und Niedrigrisiko-Bereich der Hausarzt-Praxis von der allgemeinärztlichen Weiterbildung und folglich auch von den Weiterbildern zu verlangen. Es ist Aufgabe der wissenschaftlichen Allgemeinmedizin, ihrer Fachgesellschaft und Berufsverbände, die Erfordernisse ihres Faches zu beschreiben, wie sich auch zu Recht keine andere Berufsgruppe von einer entsprechenden Mehrheit anderer Fachgesellschaften im Weiterbildungsausschuss der regionalen Ärztekammer vorschreiben lassen würde, welche Qualifikationen sie im Laufe ihrer Weiterbildung zu erwerben hätte.

Die DEGAM ordnet sich hiermit ein in entsprechende Initiativen im europäischen Rahmen, die sämtlich fordern, dass allgemeinmedizinische Weiterbilder

  • das gesamte Spektrum der Hausarztmedizin kennen und die entsprechenden Patienten behandeln können und
  • didaktische Kompetenzen brauchen [6], [7].

Ziel des hiermit vorgelegten Kriterienkataloges ist es, eine transparente, sowohl die didaktische Qualifikation der Weiterbilder als auch die Breite des Faches abbildende Entscheidungshilfe für die Weiterbildungsausschüsse der Landesärztekammern zur Verfügung zu stellen.


Methode

Das Projekt Kriterienkatalog für allgemeinmedizinische Weiterbilder

Eine hausärztliche Expertenrunde erarbeitete zunächst einen Erstentwurf für einen Kriterienkatalog, der die gesamte Breite des Faches Allgemeinmedizin abbildet und die Spezifika hausärztlicher Tätigkeit [http://www.degam.de/index.php?id=303, zuletzt besucht am 23.4.2013] [8], [9] sowie didaktische Fähigkeiten hervorhebt.

Neben wenigen „Ausschluss-Kriterien“ (zu geringe Patientenzahl, keine Durchführung von Hausbesuchen) ist der Katalog in die Bereiche

  • Qualifikation des Weiterbilders
  • Infrastruktur der Praxis und
  • Spektrum der von der Praxis versorgten Patienten gegliedert.

Der Katalog wurde einem Delphi-Prozess unter Einbeziehung des Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), der Sektionen Fort- und Weiterbildung der DEGAM, der Jungen Allgemeinmedizin Deutschlands (JADE [http://www.jungeallgemeinmedizin.de/tiki-index.php?page=Willkommen, zuletzt besucht am 23.4.2013]) sowie des „Allgemeinmedizinischen Listservers" unterzogen.

Rückmeldungen von insgesamt 30 Personen bzw. Organisationen wurden in kommentierter Form in einer Synopse zusammengestellt und zur erneuten Kommentierung freigegeben. Dieser Prozess wurde dreimal wiederholt. In abschließender Disskussion unter den 5 Autoren wurde eine Konsenslösung bei den strittigen Punkten gefunden.

Die Synopse ist auf der Homepage der Bremer Akademie für hausärztliche Fortbildung [http://www.hausaerzteverband-bremen.de/uploads/media/SynopseRueckmeldungenKriterienWeiterbilderAllgemeinmedizin_3b.doc, zuletzt besucht am 21.1.2014] einsehbar.

Besonders kontroverse Items waren

  • Betonung chirotherapeutischer Untersuchungstechniken der Bewegungsorgane
  • Einsatz der Videokamera zur gemeinsamen Reflexion und Verbesserung kommunikativer Fähigkeiten
  • Normative, „DEGAM-nahe“ Kriterien
  • Stellenwert apparativer Untersuchungen in der Hausarztpraxis
  • Maximale Weiterbildungszeit in einer Praxis

Begründungen für die einzelnen Items des Kataloges wurden, um die Länge dieses Artikels zu begrenzen, in einen Web-Appendix ausgegliedert [http://www.hausaerzteverband-bremen.de/uploads/media/Erlaeuterungen_zu_den_einzelnen_Items_des_Kriterienkataloges_fuer_allgemeinmedizinische_Weiterbilder.pdf, zuletzt besucht am 21.1.2014].


Ergebnis

Der Kriterienkatalog für allgemeinmedizinische Weiterbilder

Präambel:

Praxen im ambulanten hausärztlichen Bereich (kurz: Hausarztpraxen) sollen hinsichtlich

  • der didaktischen Qualifikation der Weiterbilder,
  • des Patientenspektrums und
  • der Infrastruktur der Praxen

bestimmte Mindest-Kriterien erfüllen, damit ihre Inhaber als allgemeinmedizinische Weiterbilder zugelassen werden können. Aus einem Punkte-Score müssen aus jeder Domäne ein Drittel, aus der Domäne Infrastruktur die Hälfte der Punkte erreicht werden.

Einige wenige Kriterien werden als obligat definiert, aus der Gesamt-Punktzahl der Kriterien der drei Bereiche ergibt sich die maximale Weiterbildungszeit.

Obligate Kriterien:

Grundsätzlich dürfen Hausarzt-Praxen nur dann weiterbilden, wenn es ein für den Arzt in Weiterbildung unabhängig vom Weiterbilder und ggfs. weiteren tätigen Ärzten benutzbares Sprechzimmer in der Praxis gibt.

Weitere obligate Voraussetzungen:

  • Durchführung von Weiterbildungsgesprächen mindestens einmal im Quartal
  • Mindestens wöchentliche Fallbesprechungen
  • Kontinuierlich gepflegtes Qualitätsmanagement-Systems
  • Hilfe beim Suchen und Finden eines Mentors für die allgemeinmedizinische Weiterbildung, sofern vom Weiterzubildenden gewünscht. (Gemeint ist ein erfahrener Hausarzt, an den sich der Arzt in Weiterbildung wenden kann, um Orientierungshilfen zu bekommen. Dies soll ausdrücklich nicht der Weiterbilder sein, damit der Weiterzubildende auch die Möglichkeit bekommt, über eventuelle Probleme mit seinem Weiterbilder zu berichten.)
  • Eine vom jeweiligen weiterbildenden Arzt versorgte Patientenzahl <400/Quartal schließt eine Befugnis zur allgemeinmedizinische Weiterbildung aus.
  • Praxen, die keine Hausbesuche durchführen, sind für die allgemeinmedizinische Weiterbildung nicht geeignet.

Die Qualifikation der Weiterbilder ist das wichtigste Kriterium für die Vergabe einer Weiterbildungs-Befugnis. Entsprechend können in diesem Bereich die meisten Punkte vergeben werden (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Um zur Weiterbildung Allgemeinmedizin zugelassen zu werden, müssen von 26 möglichen Punkten in der Domäne Qualifikation des ärztlichen Weiterbilders mindestens 10 erreicht werden.

Aspekte der Infrastruktur waren den Autoren des Kriterienkataloges weniger wichtig als die Qualifikation der Weiterbilder – entsprechend können in dieser Domäne nur maximal 14 Punkte erreicht werden (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]). Dies ist in vielen Punkten leicht möglich, weshalb der Anteil obligat zu erreichender Punkte höher angesetzt wurde: um zur Weiterbildung Allgemeinmedizin zugelassen zu werden, müssen von 14 möglichen Punkten in der Domäne Infrastruktur mindestens 6 erreicht werden.

Ein möglichst breites Spektrum der in der Praxis versorgten Gesundheitsprobleme wurde von den Autoren hinsichtlich seiner Wichtigkeit im Katalog zwischen der Qualifikation der Weiterbilder und der Infrastruktur der Praxis eingeordnet (siehe Tabelle 3 [Tab. 3]). Weil hier die ganze Bandbreite des allgemeinmedizinischen Fachgebietes abgebildet werden soll, wurde der Anteil obligat zu erbringender Punkte im Kriterienkatalog noch höher angesetzt: um zur Weiterbildung Allgemeinmedizin zugelassen zu werden, müssen von 18 möglichen Punkten in der Domäne Praxis-Spektrum mindestens 10 erreicht werden.

Maximal erreichbare Punkte: 58 Punkte

Zuteilung der Weiterbildungsbefugnis:

26-30 Punkte: 6 Mon
31-37 Punkte: 12 Mon
38-45 Punkte: 18 Mon
46-58 Punkte: 24 Mon

Gemäß der Musterweiterbildungsordnung können bis zu 42 Monate der allgemeinmedizinischen Weiterbildung im ambulanten Bereich abgeleistet werden. Um den Ärzten in Weiterbildung auch einen Perspektivenwechsel zu ermöglichen, erachtet die Autorengruppe eine maximale Weiterbildungszeit im ambulanten Bereich von 24 Monaten an einer Weiterbildungsstätte für ausreichend, so dass ggf. an eine andere Weiterbildungsstätte gewechselt werden sollte.

Praxistest:

Im Sommer 2012 wurde ein Praxistest in hausärztlichen Praxen hinsichtlich von Machbarkeit und Angemessenheit des Kriterienkataloges durchgeführt.

30 Hausärzte aus dem allgemeinmedizinischen Listserver sowie den Sektionen Fortbildung und Weiterbildung der DEGAM beteiligten sich und beantworteten neben soziodemographischen (Alter, Geschlecht, Dauer der Niederlassung, Größe der Ortschaft, formale Qualifikation, Praxisgröße) auch Fragen nach eigenen Zusatzqualifikationen, Erfahrungen als Weiterbilder, der Anzahl im Kriterienkatalog erreichter Punkte sowie der Einschätzung der Angemessenheit der daraus resultierenden Dauer einer Weiterbildungsbefugnis (siehe Tabelle 4 [Tab. 4]).

Dies wurde ergänzt um offene Fragen nach fehlenden und ggfs. für überflüssig gehaltenen Kriterien.

Die abhängige Variable Zufriedenheit mit der Zahl erreichter Punkte im Kriterienkatalog wurde mit den Grundvariablen Alter, Geschlecht, Dauer der Weiterbildungsbefugnis etc. korreliert.

62,96% der Antwortenden waren mit den nach dem Katalog zu erwartenden Kriterien zufrieden, 37,04% waren nicht zufrieden, und 3,70% waren unentschieden (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

In der Tendenz waren länger niedergelassene Ärzte eher mit der Zahl erreichter Punkte im Katalog zufrieden. Ein Zusammenhang mit dem Geschlecht, der eigenen Weiterbildungserfahrung und der Anzahl der erreichten Punkte (und damit der Dauer der Weiterbildungs-Befugnis) im Katalog besteht nicht. Die Korrelation wurde nach Kendalls rank correlation tau berechnet. Hinsichtlich der Beziehung der Zahl der erreichten Punkte im Katalog zur Zufriedenheit lag die Korrelation bei 0,105.

Am meisten Kritik wurde an den Kriterien Vorhandensein einer Videokamera, Bewertung der Chirotherapie, Stellenwert der Sonographie sowie auf die DEGAM bezogenen Kriterien (Weiterbildungs-Curriculum, Feedback-Bogen, Leitlinien sowie Hospitations-Label der DEGAM) geäußert. Die Autoren entschieden sich, diese Kriterien dennoch im Katalog zu behalten. Die ausführliche Begründung ist im web appendix dargestellt [http://www.hausaerzteverband-bremen.de/uploads/media/Erlaeuterungen_zu_den_einzelnen_Items_des_Kriterienkataloges_fuer_allgemeinmedizinische_Weiterbilder.pdf].

Umsetzung des Kataloges:

Die DEGAM-Sektionen Fortbildung und Weiterbildung haben dem vorliegenden Kriterienkatalog zugestimmt. Im Rahmen der anstehenden Überarbeitung der Musterweiterbildungs-Ordnung durch die Bundesärztekammer und den Deutschen Ärztetag beansprucht die DEGAM in Absprache mit dem Berufsverband für sich die Kompetenz, die Qualifikations-Kriterien für die Weiterbilder in ihrem Fachgebiet zu definieren – und strebt eine Übernahme dieser Kriterien durch die Deutschen Akademie für Allgemeinmedizin sowie der Landesärztekammern an.


Diskussion

In diesem Artikel wird ein Vorschlag für eine Deutschland-weite, transparente Darstellung von Kriterien zur Ermittlung der Weiterbildungsermächtigung in der Allgemeinmedizin vorgestellt.

Dieser Vorschlag ist eine Antwort auf die teils ungeregelten, teils deutlich voneinander abweichenden Verfahrensweises in den verschiedenen Landesärztekammern. Eine gezielte Befragung sämtlicher deutscher Landesärztekammern ergab ein sehr uneinheitliches Bild (Alle Landesärztekammern wurden am 8.2.2013 angefragt. Zehn LÄK antworteten bis zum 22.3.2013. Eine Übersicht ist dargestellt siehe Anhang 1 [Anh. 1], [10].

Stärken dieses Konzeptes sind die Durchführung mehrerer Feedbackschleifen, die transparente Darstellung deren Ergebnisses sowie die Durchführung eines Praxistests.

Schwächen bestehen in der geringen Teilnehmerzahl an Feedbacks und Praxistests sowie der Selektion aus einem Kreis besonders motivierter Hausärzte.

Wie in der ersten Rückmeldungsrunde bestand die größte Unzufriedenheit bei den Kriterien Vorhandensein einer Videokamera, Chirotherapie/Orthopädie sowie DEGAM-bezogenen Kriterien (Weiterbildungs-Curriculum, Feedback-Bogen, Leitlinien sowie Hospitations-Label der DEGAM). Die normativen Kriterien haben das Ziel, eine Verhaltensänderung zu induzieren. Sie diskriminieren nicht. Die Notwendigkeit, Fähigkeiten bei Diagnose und Behandlung von Störungen der Bewegungsorgane, operationalisiert durch die Zusatzbezeichnung Chirotherapie und/oder eine Tätigkeit in der Orthopädie abzubilden, wurde im Katalog ausführlich diskutiert. Einige Anregungen aus dem Praxistest wurden in eine Neufassung des Kriterienkataloges aufgenommen. Dies betrifft beispielsweise die Berücksichtigung der Tätigkeit auf dem Land sowie die Möglichkeit Balintgruppen in unterschiedlichen Formaten anzuerkennen (zu den Einzelheiten sei auf die Synopse verwiesen, siehe Anhang 2 [Anh. 2])

Eine Alternative zum vorliegenden Kriterienkatalog könnte darin bestehen, nicht unterschiedliche Zeiträume für die Weiterbildungs-Befugnis zu erteilen, sondern wie in etlichen anderen Ländern eine allgemeine Befugnis, wenn bestimmte Minimal-Kriterien erfüllt sind. Ein solches Vorgehen könnte vor dem Hintergrund eines Mangels an Hausärzten erforderlich sein- allerdings würde dies nicht zum erwünschten didaktischen Qualitätszuwachs führen. Auch wenn die Hausärzte in der Evaluation der Weiterbildung von allen Fachgruppen am besten abschnitten [http://www.baek.de/page.asp?his=1.128.6936, zuletzt besucht am 23.4.2013], bleibt hinsichtlich der Qualität der Weiterbildung sicherlich noch erheblicher Verbesserungsbedarf.

Im Jahr 2009 untersuchte eine internationale Expertenkommission aus Dänemark, Großbritannien und den Niederlanden auf Einladung der DEGAM das deutsche System der allgemeinmedizinischen Weiterbildung. Das Urteil dieser Experten war vernichtend [10]:

  • es gebe kein standardisiertes Curriculum,
  • es gebe kein Training für Weiterbilder,
  • Weiterbilder würden nur nach formalen Kriterien ausgewählt
  • es werde kein formatives Assessment durchgeführt
  • die Rolle der Ärztekammern bei der Weiterbildung solle hinterfragt, die Weiterbildung solle in die Kompetenz der Fachgesellschaft gegeben werden
  • die Weiterbildung werde in Deutschland offensichtlich eher von politischen als von pädagogischen Erwägungen geleitet.

Ein Vergleich mit den aktuellen Vorgaben in verschiedenen europäischen Ländern zeigt, dass die Vorgaben in den zentralen Elementen sehr unterschiedlich gehandhabt werden – siehe Anhang 3 [Anh. 3].

Die Vorgaben betreffen Infrastruktur, didaktische Schulung der Weiterbilder und Praxisgröße. Auch in anderen europäischen Ländern besteht wie bei den Teilnehmern des Praxistestes die Befürchtung, durch zu scharfe Qualitätskriterien potenzielle Weiterbilder abzuschrecken und dadurch möglicherweise sogar zu einer Verschärfung des sich abzeichnenden Hausärztemangels beizutragen. Dem ist entgegen zu halten, dass aktuell deutlich mehr allgemeinmedizinische Weiterbildungsstellen zur Verfügung stehen, als nachgefragt werden. Attraktive Modelle einer guten allgemeinmedizinischen Weiterbildung könnten sich als „Marktvorteil“ herausstellen – und perspektivisch dazu beitragen, dass sich die Qualität der Weiterbildung in der Fläche verbessert. Die steigende Attraktivität der Verbundweiterbildungen kann als Indiz für den Wunsch nach verbesserter Qualität angesehen werden.

Die vorliegende Arbeit behandelt vorrangig die Weiterbildung für eine Tätigkeit in der Hausarztpraxis. Beim Deutschen Ärztetag 2013 in Hannover wurde intensiv darüber diskutiert, ob auch in anderen Fächern obligate Weiterbildungsabschnitte im ambulanten Bereich eingeführt werden sollten [http://www.aerzteblatt.de/archiv/140872/Entschliessungen-zum-Tagesordnungspunkt-IV-%28Muster-%29Weiterbildungsordnung, zuletzt besucht am 21.1.14]. Auch wenn uns keine Belege darüber vorliegen – nicht zuletzt, weil aktuell in anderen Fächern als der Allgemeinmedizin nur kleine Teile der Weiterbildung im ambulanten Bereich stattfinden, ist davon auszugehen, dass ein Kriterienkatalog wie der hier diskutierte als Grundlage für den Einsatz auch in anderen Fächern dienen könnte.

Nach der Veröffentlichung dieses Kriterienkataloges streben die Autoren eine Annahme durch die Deutsche Akademie für Allgemeinmedizin bei der Bundesärztekammer an. Von dort sollte eine der Rechtssicherheit und der geografischen Mobilität der Weiterzubildenden halber möglichst einheitliche Implementierung in den Landesärztekammern erfolgen.


Schlussfolgerungen

Der vorliegende Katalog stellt unserer Kenntnis nach den einzigen Vorschlag für einen transparenten Kriterienkatalog zur Quantifizierung der Weiterbildungsbefugnis dar. In unserem Vorschlag werden sowohl die Breite des allgemeinmedizinischen Fachgebietes als auch die didaktische Fähigkeiten der Weiterbilder abgebildet. Die hohe Zufriedenheit der Teilnehmer am Praxistest spricht für die Umsetzbarkeit des Vorschlags Der Katalog sollte zur Grundlage für die Vergabe der Weiterbefugnis durch die Landesärztekammern genommen werden. Einzelne Merkmale, insbesondere aber der Prozess der Entwicklung dieses Kataloges können anderen Fächern als Blaupause für die Einführung ambulanter Weiterbildungsabschnitte dienen.


Danksagung

Wir bedanken uns bei Frau Professor Erika Baum vom Abteilung für Allgemeinmedizin, Präventive und Rehabilitative Medizin an der Philipps-Universität Marburg für die kritische Durchsicht des Manuskriptes.


Anmerkung

*Wenn die männliche Form benutzt wird, geschieht dies nur aus Gründen der Vereinfachung. Gemeint sind immer Frauen und Männer.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Hummers-Pradier E, Gagyor I. Weiterbildungsverhinderung im Fach Allgemeinmedizin – eine Chronologie. Z Allg Med. 2013;89:77-78.
2.
Korzilius H. Ambulante Weiterbildung: Von der Rotation profitiert jeder. Dtsch Arztebl. 2013;110(14):A-639/B-567/C-567.
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Abholz HH, Hager C, Rose C. Was tun wir? Sekundärauswertung der Düsseldorfer Studie zu Behandlungsanlässen in der Hausarztpraxis. Z Allg Med. 2003;79:176 –178. DOI: 10.1055/s-2003-39955 Externer Link
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Bödecker AW. Wissen wir, was wir tun? Eine empirische Untersuchung zu Behandlungsanlässen und deren Fächer-Zuordnung. Z Allg Med. 2003;79:169–172. DOI: 10.1055/s-2003-39953 Externer Link
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Braun V. Inhalte allgemeinmedizinischer Tätigkeit – eine Wochenanalyse in 25 bundesdeutschen Praxen. Z Allg Med. 2003;79:173-175. DOI: 10.1055/s-2003-39954 Externer Link
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EURACT. EURACT Statement on Selection of Trainers and Teaching Practices for Specific Training in General Practice. Tartu/Estonia: EURACT Council; 2002.
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European Academy of Teachers in General Practice/Family Medicine (EURACT). Selection of General Practice / Family Medicine (GP/FM) Trainers / in Practices and Implementation of Specialist Training GP/FM. Jerusalem, Israel: EURACT; 2012.
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World Organization of National Colleges, Academies and Academic Associations of General Practitioners/Family Physicians (WONCA-Europe). The European definition of general practice/family medicine. Ljubljana, Slovenia: WONCA Europe; 2011. Zugänglich unter/available from: http://www.woncaeurope.org/sites/default/files/documents/Definition%203rd%20ed%202011%20with%20revised%20wonca%20tree.pdf Externer Link
10.
Maagaard R, Pawliwskowa T, van Berkestijn L. Speciality Training for General Practice in Germany. Frankfurt: Degam; 2009. Zugänglich unter/available from: http://www.degam.de/dokumente/aktuell_2009/Report%20German%20GP%20Vocl%20Training%20Commission%20July%20final-amalgamated%20not%20confidential.pdf Externer Link