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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Determinanten für eine hausärztliche Berufswahl unter Studierenden der Medizin: Eine Umfrage an drei bayerischen Medizinischen Fakultäten

Forschungsarbeit Allgemeinmedizin

  • corresponding author Antonius Schneider - Technische Universität München, Klinikum rechts der Isar, Lehrstuhl für Allgemeinmedizin, München, Deutschland
  • Marlies Karsch-Völk - Technische Universität München, Klinikum rechts der Isar, Lehrstuhl für Allgemeinmedizin, München, Deutschland
  • Alica Rupp - Technische Universität München, Klinikum rechts der Isar, Lehrstuhl für Allgemeinmedizin, München, Deutschland
  • author Martin R. Fischer - Klinikum der LMU München, Lehrstuhl für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin, München, Deutschland
  • Hans Drexler - Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Medizinische Fakultät, Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Erlangen, Deutschland
  • Jörg Schelling - Ludwig-Maximilians-Universität München, Klinikum der Universität München, Lehrbereich Allgemeinmedizin, München, Deutschland
  • Pascal Berberat - Technische Universität München, Klinikum rechts der Isar, Studiendekanat TUM MeDiCAL, München, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2013;30(4):Doc45

doi: 10.3205/zma000888, urn:nbn:de:0183-zma0008881

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2013-30/zma000888.shtml

Eingereicht: 30. April 2013
Überarbeitet: 15. August 2013
Angenommen: 17. September 2013
Veröffentlicht: 15. November 2013

© 2013 Schneider et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Der zunehmende Hausärztemangel wird immer mehr zu einem realen Versorgungsproblem. Ziel war es, an drei Universitäten mit unterschiedlichem Grad der Institutionalisierung des Fachs Allgemeinmedizin Einflussfaktoren zu ermitteln, die die Motivation für eine spätere hausärztliche Tätigkeit begünstigen.

Methodik: In einem standardisierten Fragebogen wurde die Haltung gegenüber dem Fach Allgemeinmedizin und die Bereitschaft zur Niederlassung in eigener hausärztlicher Praxis bzw. Motivation zur Arbeit in Anstellungsverhältnissen erfasst. Einflussfaktoren auf Haltung und Motivation für eine spätere hausärztliche Tätigkeit wurden mittels binär logistischer Regression berechnet.

Ergebnisse: 940 (15,2%) Studierende von insgesamt 6182 Studierenden aus drei bayerischen Universitäten (Erlangen, LMU und TUM) haben sich an einer internetbasierten Umfrage beteiligt. 585 (62,7%) waren weiblich. Das Durchschnittsalter betrug 25,0 Jahre (Standardabweichung 3,7). Die durchschnittliche Abiturnote war 1,6 (Standardabweichung 0,5). 718 (76%) der Studierenden könnten sich eine hausärztliche Arbeit vorstellen, wobei die Anstellung der Selbstständigkeit vorgezogen wird (65,5 vs. 35,1%). Für die wertschätzende Haltung gegenüber der Allgemeinmedizin zeigt sich die „Existenz eines Lehrstuhls“ als stärkster Prädiktor (OR 1,57; 95%CI 1,13-2,417). Die stärksten Prädiktoren für die Motivation zu einer späteren hausärztlichen Tätigkeit sind „weibliches Geschlecht“ (OR 2,56; 95%CI 1,80-3,56) und die „Existenz eines Lehrstuhls“ (OR 1,68; 95%CI 1,14-2,46). Eine weniger gute Abiturnote war mit einer höheren Bereitschaft zur Selbständigkeit assoziiert (OR 1.39; 95%CI 1.02-1.90).

Schlussfolgerung: Diese Studie zeigt, dass durchaus viele Studierenden gegenüber einer hausärztlichen Tätigkeit aufgeschlossen sind, allerdings präferenziell im Angestelltenverhältnis und nicht in selbstständiger Niederlassung. Eine Institutionalisierung der Allgemeinmedizin scheint bedeutsam zu sein für eine positive Einstellung zum Fach und zur Motivation für eine spätere hausärztliche Tätigkeit.

Schlüsselwörter: Allgemeinmedizin, Institutionalisierung, Studierende der Medizin, Arztberuf, Motivation


Einleitung

Seit über zehn Jahren zeichnet sich ein zunehmender Ärztemangel ab [1], vor allem im ländlichen und im hausärztlichen Bereich [2]. Dies wird auf mehrere Faktoren zurückgeführt, wie zum Beispiel Landflucht, aufgrund von Abwanderungen ins Ausland [3] oder mangelnde Attraktivität der Patientenversorgung [4], unter anderem aufgrund von Arbeitsüberlastung [1]. Eine besondere Herausforderung stellt der Hausarztmangel dar, der unter anderem auch auf ein Imageproblem zurückgeführt wird [5]. Dabei muss berücksichtigt werden, dass diese Entwicklung ein weltweites Phänomen der industrialisierten Nationen darstellt, beispielsweise auch in den USA [6], Australien [7], Schweiz [8] und Norwegen [9]. Problematisch ist der Mangel jedoch insbesondere im ländlichen Raum, da hier die Versorgung einzubrechen droht, nicht zuletzt aufgrund einer alternden Ärzteschaft, so dass bis 2020 schätzungsweise 52.000 Vertragsärzte ausscheiden [4]. Kennzeichnend ist hierbei, dass sowohl die Zahl der Facharztprüfungen für Allgemeinmedizin als auch die Anzahl an niedergelassen Hausärzten abnimmt, bei den spezialistischen Disziplinen besteht hingegen ein umgekehrter Trend: 1996 waren noch 54,8% der Niedergelassenen hausärztlich und 42,8% als Spezialisten tätig, 2005 kehrte sich das Verhältnis erstmalig um – und 2010 waren nur noch 47,1% hausärztlich, dafür aber 52,9% als Spezialisten tätig. Die abnehmende Bereitschaft zur Arbeit in der Einzelpraxis und die Tendenz zur Tätigkeit in größeren Arbeitsgemeinschaften werden als weiterer wichtiger Trend verzeichnet [10].

Durch verschiedene Initiativen wird derzeit versucht, dem drohenden bzw. teilweise manifesten Mangel zu begegnen. Dabei spielen neben diversen gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen die Aus- und Weiterbildung eine zunehmend zentrale Rolle. Bereits vor mehreren Jahren wurden Weiterbildungsverbünde entwickelt, die anfangs schwerpunktmäßig von universitärer Seite, mittlerweile aber auch von den Koordinierungsstellen an den Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen betreut werden. Diese sollen gewährleisten, dass motivierte junge Ärztinnen und Ärzte auf strukturierte und transparente Weiterbildungsbedingungen treffen. Zudem ist bekannt, dass vor allem durch positive Rollenbespiele schon während der Ausbildung im Medizinstudium Studierende frühzeitig für die hausärztliche Versorgung motiviert und damit die Berufswahl entsprechend beeinflusst werden kann [11], [12]. Sowohl Umfang der Lehre wie auch konkrete Praxiserfahrungen in der Allgemeinmedizin sind wesentliche Faktoren für die Prägung der positiven und nachhaltigen Einstellung [13], [14], [15]. Dementsprechend erfolgte 2012 eine Änderung der Approbationsordnung, mit der eine Verlängerung des Blockpraktikums Allgemeinmedizin auf 2 Wochen erreicht wurde und eine einmonatige Pflichtfamulatur in einem Grundversorgerfach, namentlich Allgemeinmedizin, hausärztlicher Innere Medizin oder Pädiatrie verlangt. Darüber hinaus wird postuliert, dass eine stärkere Institutionalisierung des Fachs Allgemeinmedizin an den Universitäten zu einer höheren Motivation seitens der Studierenden für den hausärztlichen Beruf führt [16], [17].

2012 gab es 25 Institute oder Abteilungen mit insgesamt 19 Lehrstühlen an den 36 Medizinischen Fakultäten in Deutschland. Bis 2009 gab es an den fünf bayerischen Fakultäten keinen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin. An der TU München wurde im Juli 2009 ein Lehrstuhl, gestiftet von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns und der AOK Bayern, besetzt – bislang immer noch der einzige in Bayern. Dieser Lehrstuhl ist drittmittelfähig ausgestattet und in Forschung und Lehre aktiv. In Erlangen wurde 2012 ein Lehrstuhl für Allgemeinmedizin ausgeschrieben, der in Kürze besetzt werden soll, an der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians Universität München (LMU) ist eine Ausschreibung in Vorbereitung. Sowohl in der TU München als auch an der LMU und Universität Erlangen sind zahlreiche Lehrbeauftragte für Allgemeinmedizin tätig, die sich in der Lehre engagieren. Ziel dieser Studie war es, an drei bayerischen Universitäten mit unterschiedlichem Grad der Institutionalisierung des Fachs Allgemeinmedizin Einflussfaktoren zu ermitteln, die die Motivation für eine spätere hausärztliche Tätigkeit begünstigen.


Methode

Im Sinne einer Querschnittserhebung wurden alle Studierenden der klinischen Semester von den Studiendekanaten der Medizinischen Fakultäten der Ludwig-Maximilians Universität München (LMU) und Technischen Universität München (TUM) einmalig über einen Emailversand gebeten, an einer internetbasierten Umfrage teilzunehmen. An der LMU und TUM konnte freiwillig eine Matrikelnummer angegeben werden, ansonsten erfolgte die Umfrage vollständig anonymisiert. Die Voten der Ethikkommissionen wurden eingeholt. Die Medizinische Fakultät der Universität Erlangen nahm ebenfalls an der Umfrage teil und verschickte die Email an die Studierenden der klinischen und vorklinischen Semester.

Als Basis wurde der Fragebogen von Kruschinski et al. verwendet, der speziell entwickelt wurde, um die Haltung der Studierenden zum Fach Allgemeinmedizin zu untersuchen [13]. Dieser Fragebogen stellt eine vor dem Hintergrund von Besonderheiten des deutschen Ausbildungs- und Gesundheitssystems geeignete Auswahl an Items aus Instrumenten der englischsprachigen Literatur dar, die kulturell adaptiert wurden [13]. Zusätzlich wurden eigene Fragen angefügt, um die Bereitschaft zur Niederlassung in eigener hausärztlicher Praxis bzw. die Mitarbeit im Rahmen von Anstellungsverhältnissen und die Bedeutung eines Lehrstuhls für Allgemeinmedizin gezielter herausarbeiten zu können. Die Items konnten mit einer fünfstufigen Likert-Skala mit den Niveaus 1 (trifft nicht zu), 2 (trifft eher nicht zu), 3 (teils, teils), 4 (trifft eher zu) und 5 (trifft zu) beantwortet werden. Die Berechnung auf die Signifikanz der Unterschiede erfolgte mittels Kruskal-Wallis-Test für kontinuierliche Variablen (nicht-parametrische Verteilung) und mit Chi-Quadrat-Test für kategoriale Variablen.

Bezüglich der Motivation für die hausärztliche Tätigkeit wurden zwei Kategorien gebildet: „Motivation gegeben“ = „trifft zu“ oder „trifft eher zu“ und „Motivation nicht gegeben“ = „Teils teils“ oder „trifft eher nicht zu“ oder „trifft nicht zu“. Diese binär kodierte Motivation wurde als abhängige Variable für die logistische Regression verwendet. Eine binär logistische Regression als Einschlussmodell wurde auch bezüglich der aufsummierten Skala „Wertschätzung der Allgemeinmedizin insgesamt“ berechnet. Um hier eine Aussagekraft zu ermöglichen, wurde folgende Dichotomisierung durchgeführt: „Hohe Wertschätzung“ ist gegeben, wenn der Durchschnittswert der Skala ≥ 4 („trifft zu“ und „trifft eher zu“); „keine hohe Wertschätzung“ ist gegeben, wenn der Durchschnittswert der Skala < 4. Da am Standort München die Studierenden der LMU und der TUM in einer gemeinsamen Vorklinik unterrichtet werden und sich erst im klinischen Abschnitt auf die LMU und TU aufteilen, wurden die Studierenden der Vorklinik hier nicht befragt. Um etwaige Effekte der vorklinischen Semester aus Erlangen kontrollieren zu können, wurde eine Sensitivitätsanalyse durchgeführt, indem die Studierenden aus dem vorklinischen Abschnitt in Erlangen aus dem Regressionsmodell herausgenommen wurden.


Ergebnisse

Insgesamt haben 940 Studierende an der Umfrage teilgenommen. Bei 6182 Studierenden an allen drei Universitäten gesamt lag die Teilnahmequote bei 15,2%. Bezogen auf die einzelnen Medizinischen Fakultäten zeigten sich folgende Teilnahmequoten: TU – 336 (23,0%)Teilnehmer von 1458 klinischen Studierenden, LMU – 386 (15,4%) Teilnehmer von 2505 klinischen Studierenden, Erlangen – 218 (9,8%) Teilnehmer von 2219 Studierenden insgesamt (Klinik und Vorklinik). 585 (62,7%) waren weiblich, 7 Teilnehmer machten keine Angabe zum Geschlecht. Bezogen auf die Gesamtzahl war die durchschnittliche Abiturnote 1,6 (Standardabweichung 0,5). Nur 32 Studierende (3%) hatten eine Abiturnote von 3 oder schlechter, die schlechteste Abiturnote lag bei 3,6. Die Teilnehmer der Universität Erlangen befanden sich im etwas niedrigeren Fachsemester, wobei keine signifikanten Differenzen im Hinblick auf das Alter zu verzeichnen waren (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Darüber hinaus kamen Studierende in Erlangen signifikant häufiger aus dem ländlichen Umfeld als die Studierenden der TU und LMU. Insgesamt konnten sich 718 (76,4%) Studierende generell vorstellen, hausärztlich zu arbeiten. Diese gaben in mindestens einem der Items „Angestellter in Praxis / MVZ“ oder „Hausarzt in eigener Praxis“ „trifft zu“ oder „trifft eher zu“ an. 617 (65,6%) konnten sich vorstellen, im Angestelltenverhältnis zu arbeiten (Praxis oder MVZ), 330 (35,1%) würden auch selbständig in eigener hausärztlicher Praxis arbeiten. Die Bereitschaft zur hausärztlichen Tätigkeit war bei Studierenden der TU München am höchsten. Eine Tätigkeit am Krankenhaus konnten sich 669 (71,2%) der Studierenden vorstellen. Diesbezüglich zeigte sich keine signifikante Differenz zwischen den Universitäten.

Die Auswertung des Fragebogens zur Haltung der Studierenden zum Fach Allgemeinmedizin zeigte einen deutlichen Deckeneffekt. Das heißt, die Antwortoptionen sind sehr in den „sozial erwünschten“ Bereich, also entweder sehr nach oben oder sehr nach unten, je nach Richtung der Antwortoption, verschoben. Dennoch lassen sich Unterschiede zwischen den Studierenden in Abhängigkeit von den jeweiligen Universitäten erkennen, die sich teilweise auch signifikant ausprägen (siehe Tabelle im Anhang [Anh. 1]). Die Analyse zeigt, dass Studierende der TU in zahlreichen Aspekten das Fach Allgemeinmedizin günstiger einschätzen als die Studierenden der LMU und Erlangen. In der logistischen Regression mit der wertschätzenden Haltung gegenüber der Allgemeinmedizin als abhängiger Variable zeigt sich die Existenz eines Lehrstuhls als stärkster Prädiktor (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]). Weiterhin war „Weibliches Geschlecht“ und „Ländlich aufgewachsen“ signifikant mit einer höheren Wertschätzung assoziiert.

In der binär logistischen Regression bezüglich der Motivation für die hausärztliche Tätigkeit als abhängige Variable zeigten sich „weibliches Geschlecht“ und die Existenz eines Lehrstuhls als stärkste Prädiktoren (siehe Tabelle 3 [Tab. 3]). Die Abiturnote spielt diesbezüglich keine Rolle. „Weibliches Geschlecht“ ist auch generell ein starker Prädiktor für die Präferenz, im Anstellungsverhältnis zu arbeiten. Im Hinblick auf die selbständige Tätigkeit ist der stärkste Prädiktor die Eigenschaft, im ländlichen Raum aufgewachsen zu sein. Die Abiturnote spielt hier auch eine Rolle – je schlechter die Abiturnote, desto eher die Präferenz der Tätigkeit in eigener Praxis. Diesbezüglich sollte jedoch berücksichtigt werden, dass die Abiturnoten im Durchschnitt sehr gut sind, die Abweichungen nach unten daher zurückhaltend zu interpretieren sind. Die im Rahmen der Sensitivitätsanalyse durchgeführten logistischen Regressionen ohne die Studierenden aus dem vorklinischen Abschnitt aus Erlangen ergaben keine wesentlichen Unterschiede im Vergleich zur Gesamtgruppe; es zeigten sich lediglich diskrete Änderungen der odds ratios (OR) um 0,1 oder 0,2 ohne Veränderungen der Gewichtung in den Modellen.


Diskussion

Die Auswertung der Online-Umfrage unter den Studierenden der Universität Erlangen, LMU und TU München zeigt drei wichtige Sachverhalte: Frauen haben eine größere Neigung, den allgemeinärztlichen Beruf zu ergreifen, und die Präsenz eines Lehrstuhls für Allgemeinmedizin ist ebenfalls mit dieser Einstellung verbunden. Darüber hinaus ist es von Bedeutung, ob die Studierenden im ländlichen Raum aufgewachsen sind. Diese drei Eigenschaften waren auch mit einer höheren Wertschätzung des Fachs Allgemeinmedizin verbunden. Die Abiturnote hingegen spielte keine wesentliche Rolle im Hinblick auf die Haltung gegenüber dem hausärztlichen Beruf.

Die Präferenz von weiblichen Studierenden für Allgemeinmedizin ist bereits aus internationalen Studien bekannt, wobei die diesbezüglichen Ergebnisse uneinheitlich sind [11]. In Arbeiten aus Kanada [18] und den Niederlanden [19] konnte dies nicht mehr belegt werden. Bezogen auf deutsche Verhältnisse konnten Kruschinski et al. zeigen, dass Studentinnen der Allgemeinmedizin eine höhere Wertschätzung entgegen bringen [13]. In Bezug auf die konkrete Bereitschaft, später als Hausärztin bzw. Hausarzt zu arbeiten, gab es in einem kürzlich durchgeführten Survey in Baden-Württemberg bereits Hinweise darauf, dass Frauen eine höhere Bereitschaft hierfür aufweisen [20], wobei dies auch für Fächer wie Gynäkologie, Pädiatrie und Innere Medizin galt. In unserer Studie zeigte sich die Präferenz der weiblichen Studierenden sehr deutlich ausgeprägt, insbesondere mit Fokussierung auf Anstellungsverhältnisse. Diese gesteigerte Bereitschaft für die Tätigkeit als Hausärztin kann sowohl aus individueller, wie auch struktureller Perspektive begründet werden. Einerseits zeigen Frauen mehr Wertschätzung von typisch hausärztlichen Schwerpunkten, wie z.B. der Patientenorientierung [21]. Andererseits bieten sich als Hausärztin mehr Möglichkeiten, durch Teilzeit und Verzicht auf Schichtarbeit Familie und Beruf zu vereinbaren [22]. Beispielsweise lassen sich in der Hausarztpraxis Weiterbildungszeiten besser halbtags realisieren als im klinischen Setting. Im Vergleich zum Krankenhaus erlaubt die spätere Mitarbeit in Gemeinschaftspraxen oder Medizinischen Versorgungszentren in der Regel auch eher eine Halbtagstätigkeit. Weitere qualitative Forschung wäre notwendig, um diese Vermutungen zu bestätigen, da sich dies aus den strukturierten Fragebögen alleine nicht erschließt. Wie bereits in einer Studie aus den Niederlanden angemerkt, muss hinterfragt werden, warum die nun seit Jahren anhaltende „Feminisierung der Medizin“ nicht zu einem signifikanten Anstieg des Nachwuchses im hausärztlichen Bereich geführt hat [19]. In dieser Studie wurde festgestellt, dass die Motivation der Frauen, eine hausärztliche Tätigkeit zu wählen, nicht langfristig erhalten werden konnte und kurz nach dem Abschluss des Studiums massiv sank. Die Gründe dafür werden dabei nicht analysiert. Auch wenn die vorliegende Untersuchung zum Verlauf der Motivation zum Ende des Studiums hin keine Aussage machen kann, könnte die hohe Präferenz der hausärztlichen Tätigkeit im Angestelltenverhältnis ein Hinweis sein, dass unternehmerische Herausforderungen und Verantwortungen einer selbständigen Tätigkeit eher abgelehnt werden.

Der häufig vermutete Zusammenhang, dass Studierende mit einer tendenziell schlechteren Abiturnote eher zur hausärztlichen Tätigkeit neigen, konnte in der vorliegenden Studie für die hausärztliche Tätigkeit im Gesamten nicht bestätigt werden. Es zeigte sich allerdings ein Zusammenhang „schlechterer“ Abiturnoten mit der Motivation, sich in einer eigenen Praxis niederzulassen. Es könnte spekuliert werden, dass dies eher mit der Neigung zur Selbstständigkeit und nicht spezifisch mit dem Fach Allgemeinmedizin zusammenhängt. Grundsätzlich muss jedoch festgestellt werden, dass die Abiturnoten der Teilnehmer insgesamt einen sehr hohen Durchschnitt erreichten, so dass die diesbezügliche Aussagekraft eingeschränkt sein kann.

Die Bedeutung eines Lehrstuhls für Allgemeinmedizin, um Studierende für die hausärztliche Tätigkeit zu motivieren, wurde bereits mehrfach postuliert [16], [17]. Unserer Kenntnis nach wurde dies bisher noch nie dezidiert nachgewiesen. Durch die gemeinsame Umfrage von einer Medizinischen Fakultät mit und zwei Fakultäten ohne Lehrstuhl konnte ein entsprechender Unterschied sowohl im Hinblick auf die Wertschätzung der Allgemeinmedizin als auch bezüglich der Bereitschaft für eine spätere hausärztliche Tätigkeit gezeigt werden. Eine Erklärung für diesen Effekt könnte sein, dass eine akademische Präsenz mehr Aufmerksamkeit bei den Studierenden erzeugt, eine Intensivierung und Zunahme von Dissertationsarbeiten eine wissenschaftliche Auseinandersetzung fördert, Vernetzungen mit den anderen akademischen Disziplinen ermöglicht und schließlich Vorbilder für akademische Karrieren gegeben werden. Es gibt Hinweise, dass kurzfristige und einmalige Lehraktivitäten (z.B. 2 wöchiges Blockpraktika) zwar unmittelbar einen hohen Effekt erzielen, aber die Motivation nicht nachhaltig genug prägen ([13], [19]. Vermutlich sorgt die Institutionalisierung für eine nachhaltigere Wirkung der verschiedenen neuen Lehraktivitäten, was sich letztlich in einer positiven Haltung gegenüber der Allgemeinmedizin niederschlagen könnte.

Einschränkend zu diesen Ergebnissen muss festgestellt werden, dass diese Umfrage nur an drei Universitäten durchgeführt wurde. Daher bleibt unklar, welche Faktoren am Lehrstuhl für Allgemeinmedizin an der TUM zu dieser Einstellung beitragen. Denkbar ist, dass beispielsweise aufgrund der Institutsneugründung ein erhöhtes Engagement aller Beteiligten – Institutsmitarbeiter und Lehrbeauftragte – im Sinne eines „Honeymoon-Effekts“ zu diesem Effekt beiträgt. Darüber hinaus könnte auch eine bessere Ausstattung mit Ressourcen, was wiederum eine intensivere Didaktik für das Fach ermöglicht, hierfür mit verantwortlich sein. Zudem hat zwar mit 940 Studierenden eine hohe Anzahl an der Umfrage teilgenommen; dennoch sind dies nur 15,2% aller Studierenden, die von den Studiendekanaten per Email zur Teilnahme aufgefordert wurden. Es scheint sich um eine typische Responderrate einer internetbasierten Umfrage in einem derartigen Kontext zu handeln, da diese nur geringfügig unter der Responderrate des deutschlandweiten Surveys von Heinz & Jakob (15,7%) liegt [23]. Dennoch muss spekuliert werden, dass vor allem die für den hausärztlichen Beruf motivierten Studierenden teilgenommen haben, so dass unsere Ergebnisse die Motivation auch überschätzen könnten. Letztlich müsste die Umfrage an mehreren Medizinischen Fakultäten mit und ohne allgemeinmedizinischen Lehrstühlen wiederholt werden, eventuell auch in Kombination mit einer verbindlichen Befragung, die beispielsweise in Lehrveranstaltungen durchgeführt werden. Da es sich um eine explorative Untersuchung handelt, wurde eine Adjustierung bezüglich multiplen Testens nicht durchgeführt. Als Grundmuster ist jedoch zu erkennen, dass die Einstellung zur Allgemeinmedizin und die Bereitschaft, als Hausärztin / Hausarzt zu arbeiten, an der TU München (mit Lehrstuhl Allgemeinmedizin) stärker ausgeprägt ist. Heinz und Jakob fanden in ihrer bundesweiten Onlinebefragung keine große Differenz bezüglich der Beliebtheit von Allgemeinmedizin zwischen Studierenden mit und ohne Lehrstuhl bzw. Institut für Allgemeinmedizin (28,6% versus 30,2%) [23]. Aus deren Studie geht jedoch nicht hervor, wie stark sich die Institute unterscheiden, z.B. bezüglich der Größe der Ausstattung oder alleinige Besetzung durch Honorarprofessuren. Darüber hinaus fällt auf, dass in unserer Studie die Motivation für eine hausärztliche Tätigkeit doppelt so hoch angegeben wird wie in deren Studie. Ursächlich hierfür könnte sein, dass in unserer Studie sehr allgemein die generelle Neigung erfragt wird, so dass die Studierenden letztlich von multiplen Optionen ausgehen können, die offen gehalten werden. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass Studierende das Angestelltenverhältnis nicht nur im Hinblick auf die Allgemeinmedizin interpretiert haben, auch wenn es unsererseits im Kontext so gemeint war. Ein Hinweis für eine gewisse Ambivalenz ist, dass eine große Zahl von Studierenden sich auch eine Angestelltentätigkeit im Krankenhaus vorstellen konnte. In der Studie von Heinz und Jakob [23] bzw. Gibis et al. [10] stand Allgemeinmedizin als Option unter vielen anderen Fachdisziplinen kompetitiv als Auswahl zur Verfügung. In Bezug auf Motivationen für Anstellungsverhältnisse bzw. selbständige Niederlassung sind unsere Zahlen recht ähnlich zu Heinz und Jakob [23]. Analog verhält es sich mit den Umfragen von Zupanic et al. [24] und Osenberg et al. [25]. In deren Erhebungen war Allgemeinmedizin ebenfalls kompetitiv gelistet. Letztlich scheint es also auf die Art der Fragestellung anzukommen, die unter Umständen zu verändertem Antwortverhalten führt.

Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen zeigt unsere Studie, dass durchaus viele Studierenden die hausärztliche Tätigkeit in Erwägung ziehen, allerdings präferenziell im Angestelltenverhältnis und nicht in selbstständiger Niederlassung. Darüber hinaus scheint die zunehmende Institutionalisierung des Fachs Allgemeinmedizin von zentraler Bedeutung für eine positive Haltung gegenüber der Allgemeinmedizin und schließlich für die Motivation für eine spätere hausärztliche Tätigkeit zu sein. Weitere Untersuchungen müssen klären, warum letztlich doch nur ein geringer Anteil von Absolventen die Facharztprüfung für Allgemeinmedizin absolviert. Neben den spezifischen Herausforderungen aufgrund der komplexen Weiterbildungsstruktur für diesen Facharzt [26] scheinen auch strukturelle Hindernisse zu bestehen, insbesondere im Hinblick auf eine selbständige Praxistätigkeit. In diesem Zusammenhang sollte von den Akteuren im Gesundheitswesen die positive Einstellung von weiblichen Studierenden gegenüber der Allgemeinmedizin aufgegriffen werden. Bei mittlerweile mehrheitlich weiblichen Studierenden stellen diese ein wertvolles Potential da, um dem drohenden Hausärztemangel begegnen zu können. Insbesondere die Präferenz, diese hausärztliche Tätigkeit im Angestelltenverhältnis wahrzunehmen, verlangt die Entwicklung neuer Arbeitsmodelle und Strukturen. Aufgrund der positiven Einstellung von Studierenden aus dem ländlichen Raum gegenüber der Allgemeinmedizin ergeben sich auch einige Förderpotentiale. Eine Option wäre, dass Studierende aus dem ländlichen Raum vermehrt über Möglichkeiten für ein Stipendium informiert werden, das mit einer späteren Tätigkeit im ländlichen Raum verknüpft wird. Stipendien werden derzeit über einige Gesundheitsministerien auf Länderebene vergeben, teilweise können auch regionale Krankenhäuser für eine Stipendien-Initiative gewonnen werden.


Danksagung

Die Autoren bedanken sich herzlich bei PD Dr. med. Carsten Kruschinski für die Bereitstellung des Fragebogens zur Erfassung der Haltung der Studierenden zur Allgemeinmedizin, bei Herrn Andreas Forstner und bei Herrn Dipl.-Ing. Matthias Holzer für die technische Unterstützung bei der Durchführung der Online-Umfrage. Darüber hinaus bedanken sich die Autoren für die Förderung der Umfrage durch das Bayerische Gesundheitsministerium.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit dem Artikel haben.


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