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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Theo R. Payk: Burnout – Basiswissen und Fallbeispiele

Buchbesprechung Humanmedizin

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  • corresponding author Thomas Lempp - Johann Wolfgang von Goethe-Universität Frankfurt am Main, Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Frankfurt/Main, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2013;30(2):Doc16

doi: 10.3205/zma000859, urn:nbn:de:0183-zma0008597

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2013-30/zma000859.shtml

Eingereicht: 19. Februar 2013
Überarbeitet: 8. April 2013
Angenommen: 8. April 2013
Veröffentlicht: 15. Mai 2013

© 2013 Lempp.
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Bibliographische Angaben

Theo R. Payk

Burnout – Basiswissen und Fallbeispiele

Psychosozial-Verlag, Gießen

Erscheinungsjahr: 2012, Seiten: 84, € 12,90

ISBN-13: 9783837922592


Rezension

Ein Seminar für Medizinstudierende an der Universität Frankfurt: Die Studierenden sollen in Kleingruppen Differenzialdiagnosen für eine 16-jährige Jugendliche sammeln, die sich mit Schlafstörungen, Erschöpfungszuständen und neu aufgetretenen schulischen Konzentrationsproblemen ambulant vorstellt. Die Studenten überraschen wie so oft mit guten Ideen: Schilddrüsenfunktionsstörung, Drogenabusus, Depression, PTBS, Borreliose. Schließlich einigt sich eine Gruppe von hoch interessierten Teilnehmern, dass es sich wohl am ehesten um ein „Burnout-Syndrom“ handeln müsse, da die Symptome unmittelbar nach dem Wechsel der Patientin in ein elitäres Privatgymnasium aufgetreten sind.

„Burnout“: Immer häufiger taucht dieser bisher nicht einheitlich definierte und daher schwierig zu handhabende Begriff in den letzten Jahren im klinischen Arbeitsalltag auf. Patienten, Medien, Studierende benutzen ihn oft völlig selbstverständlich und Ärzte (so auch der Rezensent) sind durch den inflationären Gebrauch des Begriffs meist irritiert und überfordert. Faktenwissen tut also Not.

Das kompakte, angenehm nüchtern und praxisnah geschriebene Büchlein „Burnout – Basiswissen und Fallbeispiele“ trägt allerlei Wissenswertes zu diesem Phänomen zusammen. Der Autor, ein emeritierter Psychiatrieprofessor hat sicherlich schon einige Krankheitsentitäten in seiner beruflichen Laufbahn kommen und gehen sehen (z.B. Neurasthenie, Chronic Fatigue Syndrom) und seine langjährige klinische Erfahrung wird auf allen 80 Seiten deutlich. Trotzdem bleibt nach der Lektüre so einiges unklar. Einführend wird zwar das Krankheitskonzept und die eindimensionale ätiologische Sichtweise, die im „Burnout“-Begriff enthalten ist (krankmachende Erschöpfung durch die Bedingungen der modernen Arbeitswelt) eingängig kritisiert, aber in den nachfolgenden Kapiteln „Wie erkennt man Burnout?“ und „Burnout oder Depression?“ werden diagnostische und differentialdiagnostische Überlegungen angestellt, als sei der Autor eigentlich doch von einer eigenständigen Krankheit „Burnout“ überzeugt. Dies verwirrt. Das Kapitel „Was sind die Ursachen von Burnout?“ überzeugt mit spannenden und klugen Überlegungen, warum sich diese vermeintliche Diagnose so inflationär in unserer Gesellschaft ausgebreitet hat. Ein sozialhistorischer Rückblick mit dem Aufzeigen der gestiegenen Erwartungshaltung der Menschen an die Arbeits- und Lebensqualität, eine Mitbeachtung der Dimension „moderner Armut“ und den Auswirkungen von reduzierten familiären und weltanschaulichen Bindungen auf die psychische Gesundheit zeigen die zahlreichen Facetten des Themas auf. Für die klinische Praxis interessant erscheinen vor allem die differentialdiagnostischen Überlegungen von Prof. Payk: „echte“ Depressionen, Anpassungsstörungen, somatoforme Störung und bipolare Störungen (in deren manischen Phasen eine erhöhte Arbeitsleistung möglich ist und in den nachfolgend depressiven Episoden ein Gefühl der „völligen Ausgebranntheit“ bestehen kann). Auch auf die Wichtigkeit der Abklärung körperlicher Diagnosen legt Payk ausdrücklich wert: Tumorleiden, chronische Infektionen, Bluterkrankungen, Stoffwechselstörungen. Letztlich bleibt dem Rezensent aber die anvisierte Zielgruppe für dieses Büchlein unklar. Für Ärzte und Psychotherapeuten fehlen sicherlich konkrete Handlungsleitlinien für Fragestellungen des klinischen Alltags. Am ehesten erscheint das Werk für akademisch gebildete Betroffene und deren Angehörige geschrieben zu sein. Diese dürften aber über die therapeutischen Empfehlungen im Kapitel „Was tun gegen Burnout?“ eher enttäuscht sein, da diese doch sehr im Allgemeinen bleiben (Förderung des sozialen Umfeld, Sport, Kreativität, usw.).

Einige komplexere, aber wichtig erscheinende Aspekte bleiben im Büchlein ausgesparrt oder finden zu wenig Beachtung: Die Patienten scheinen im Begriff „Burnout“ ein unstigmatisierendes, plastisch-bildliches Konzept mit einfachem Abstraktionsniveau vorzufinden („Ausgebrannt“), bei dem die Krankheitsursache überwiegend außerhalb des Individuums gesehen wird. Die aktuelle psychische „Schwäche“ wird mit früherem motivierten, enthusiastischen, aufopferungsvollen Handeln vor sich selbst und vor anderen legitimiert. „Burnout“ stellt also wohl in erster Linie ein subjektives (!) Krankheitsmodell dar, dass im ärztlichen Alltag ernstzunehmen, aber als Diagnose nicht vom Patienten direkt zu übernehmen und in jedem Fall sehr kritisch differentialdiagnostisch zu hinterfragen ist. Für Fachleute liegt das Hauptproblem zunächst wohl darin, dass es keine allgemein gültige Definition des Begriffes gibt. Darüber hinaus beschreibt die moderne Psychiatrie in ihren gängigen Krankheitsklassifikationen (ICD-10, DSM-V) „demütig geworden“ nur noch typische Symptomkonstellationen ohne dabei i.d.R. über die möglichen Ursachen zu spekulieren. Eine Verwendung des Begriffes „Burnout“ von Fachleuten erscheint hier wie ein Schritt zurück. Der Patient hingegen scheint hier jedoch andere Bedürfnisse zu haben, die ebenfalls ernstzunehmen sind. An der Erfolgskarriere des Begriffes kann von der Ärzteschaft vielleicht Wichtiges über die Patienten-Perspektive gelernt werden (Brauchen wir neue entstigmatisierende Krankheitsbezeichnungen?; Brauchen die Patienten ein besseres Verständnis für die Krankheitsursache und wie können wir ihnen diese besser vermitteln?). Präventionsmedizinisch und betriebsärztlich sollten wir uns intensiver mit der Frage auseinandersetzen, wie Arbeitsbedingungen (z.B. auch in Krankenhäusern) gestaltet sein sollten, um nicht nur körperliche sondern auch psychische Gesundheit zu erhalten. Die Ärzteschaft insgesamt wird den Burnout-Begriff, der sich mit enormem Erfolg in der Gesellschaft durchgesetzt hat, wohl weder blind übernehmen, noch vehement verteufeln können.

Zusammenfassend bietet dieses Büchlein eines erfahrenen Arztes eine lehrreiche Lektüre zum Thema, kann aber die bestehende Verwirrung in der Fachwelt nicht wirklich reduzieren. Der Rezensent empfiehlt diesbezüglich das aktuelle Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) zum Thema Burnout vom März 2012 (kostenlos erhältlich über die DGPPN-Homepage: http://www.dgppn.de/fileadmin/user_upload/_medien/download/pdf/stellungnahmen/2012/stn-2012-03-07-burnout.pdf). Hier werden klinisch hilfreiche Hinweise für den Umgang mit dem Burnout-Phänomen vermittelt. Einige offenen Fragen bleiben aber auch hier bestehen. Das Thema „Burnout“ bleibt also weiter spannend.


Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass er keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel hat.