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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Die „Klasse Allgemeinmedizin“ als Wahlpflichtfach im vorklinischen Studienabschnitt: Didaktischer Aufbau, Lehrziele und Umsetzung

Projekt Humanmedizin

  • author Claudia Langosch - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Sektion Allgemeinmedizin, Halle (Saale), Deutschland
  • author Jörg-Friedrich Onnasch - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Sektion Allgemeinmedizin, Halle (Saale), Deutschland
  • author Thomas Steger - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Sektion Allgemeinmedizin, Halle (Saale), Deutschland
  • corresponding author Andreas Klement - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Sektion Allgemeinmedizin, Halle (Saale), Deutschland
  • author Susanne Grundke - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Sektion Allgemeinmedizin, Halle (Saale), Deutschland; HTW Saarland, Studienbereich Gesundheits- und Pflegewissenschaften, Saarbrücken, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2012;29(5):Doc67

doi: 10.3205/zma000837, urn:nbn:de:0183-zma0008372

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2012-29/zma000837.shtml

Eingereicht: 31. Mai 2012
Überarbeitet: 28. Juni 2012
Angenommen: 4. Juli 2012
Veröffentlicht: 15. November 2012

© 2012 Langosch et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Die universitäre Lehre im Fach Allgemeinmedizin steht vor zwei großen Herausforderungen: die Attraktivität des Faches für alle Studierenden zu erhöhen und den Nachwuchs für eine flächendeckende, wohnortnahe hausärztliche Versorgung in ländlichen Räumen zu gewinnen. Mit dem Curriculum der „Klasse Allgemeinmedizin“ als Wahlpflichtfach nach ÄAppO für den vorklinischen Studienabschnitt stellen wir ein Konzept zur Stärkung von an Primärversorgung orientierten medizinischen Ausbildungsinhalten für eine interessierte Zielgruppe vor.

Die „Klasse Allgemeinmedizin“ bietet seit Oktober 2011 für 10% (n=20) der Erstsemester in Halle-Wittenberg einen Erfahrungsraum, um in eine hausärztliche Professions- und praxisorientierte Lernkultur hineinzuwachsen. Landärztliche Mentoren begleiten dazu interessierte Studierende als „Vorbilder“ das gesamte Studium hindurch. Das Lehrprojekt ist innovativ durch enge Verzahnung zwischen „erlebter Praxis“, hausärztlichen Fertigkeitentraining und frühen Patientenkontakt vom ersten Semester an – sowie durch den Einsatz individueller Mentoren.

Schlüsselwörter: Allgemeinmedizin, ländliche Regionen, Ärztemangel, Medizinische Ausbildung, Curriculum


Einleitung

Die universitäre Lehre im Fach Allgemeinmedizin steht durch die Erwartungen von Politik und Gesellschaft vor zwei großen Herausforderungen: Alle Studierenden sollen die notwendigen Kenntnisse über Funktionen und Arbeitsweise der hausärztlichen Versorgung so erwerben, dass die Attraktivität des Faches für den Nachwuchs insgesamt gesteigert wird. Zusätzlich soll ein Teil des ärztlichen Nachwuchses für die Berufsperspektive hausärztlicher Versorgung in ländlichen Räumen gewonnen werden [http://www.svr-gesundheit.de/index.php?id=14].

Mit der Novellierung der Ärztlichen Approbationsordnung (ÄAppO) im Jahr 2002 wurde auch das Ziel verfolgt, praktischen Ausbildungsinhalten und der Allgemeinmedizin im Medizinstudium mehr Gewicht zu geben [1]. Die beständige praxisorientierte Weiterentwicklung ärztlicher Ausbildung wird, nicht nur in der Allgemeinmedizin, in einer Vielzahl von Lehrprojekten vorangetrieben. Als im Hinblick auf Kenntnisse und Kompetenzen für den ambulanten Versorgungssektor besonders bedeutsame Entwicklungen sind integrierte „Skills Labs“ unter Nutzung von standardisierten Patienten [2], der (Kleingruppen-)Unterricht mit Patienten in realen Versorgungssituationen [3] und das Blockpraktikum Allgemeinmedizin hervorzuheben [4]. Dennoch ist die Vermittlung allgemeinmedizinischer Inhalte und Handlungsweisen, trotz Einbeziehung der Allgemeinmedizin in den fachübergreifenden Unterricht in Querschnittsfächern [5], anders als in klinischen Fächern mit Bezügen zu Untersuchungstechniken, Organen oder Ätiologien im Längsschnitt des Medizincurriculums auf Hauptvorlesung und Blockpraktikum fokusiert. Hierdurch wird die Nachwuchsgewinnung für die Allgemeinmedizin gegenüber spezialistisch ausgerichteten Fächern besonders in den ersten Studienjahren erschwert. Ein „curricularer Längsschnittplan“ für eine bessere Vernetzung des vorklinischen mit dem klinischen Ausbildungsabschnitt im Hinblick auf Vermittlung und (vor)gelebten Umgang mit hausärztlicher Medizin ist ebenso wünschenswert, wie die Stärkung verbindender didaktischer Elemente zwischen universitärer Wissensvermittlung und der ärztlichen Arbeitsrealität außerhalb von Krankenhäusern [6], [7].

Die Herausbildung eines „gelebtem Berufsverständnisses“ (attitude) als Hausarzt und einer Handlungssicherheit durch ärztliche Fertigkeiten (skills) ist ein ebenso dynamischer wie zeitintensiver Prozess, der sich nicht curricular „abarbeiten“ lässt. Es erscheint weder empfehlenswert noch umsetzbar, innerhalb zeitlich segmentierter curricularer Vorgaben des Regelstudienganges (z.B. Querschnittsfächer, Blockpraktikum) ein „fertiges“ Berufsverständnis für angehende Hausärzte zu vermitteln und zusätzlich Begeisterung für den Beruf des Landarztes zu entfachen [8]. Das angestrebte Ziel der Förderung der Entwicklung einer Berufsidentität unterscheidet das hallesche Projekt von Modellstudiengängen wie z. B. in Witten/Herdecke, Berlin oder Aachen. In Modellstudiengängen werden durch eine Veränderung der Anordnung des Lernstoffs („Organzentriertes Lernen“) und/oder die intensivere Verbindung von Theorie und Praxis (Problemorientiertes Lernen, Bedside-teaching, Allgemeinarzt-„Adoptions“-Programm) umfassende Änderungen am Medizincurriculum vorgenommen – beispielhaft sei hier der Modellstudiengang in Witten-Herdecke genannt [9], [http://www.thieme.de/viamedici/medizinstudium/modellstudium/infos-modellstudiengang.html]. Unser Konzept ergänzt dagegen bestehende Strukturen um ein „add on“ – Wahlpflichtfach und kann daher, ohne Fakultäten zu größeren Änderungen des curriculären Konzeptes zu zwingen, auf eine Zielgruppe zugeschnitten werden. Der längsschnittlichen Vermittlung eines gelebten Berufsverständnisses durch Mentoren im Rahmen eines Wahlpflichtfaches schreiben wir eine besondere Prägekraft zu [10], [11]. Die Studierenden erlernen so den Umgang mit spezifischen Problemstellungen hausärztlicher Versorgung durch Anleitung, Beratung und Unterstützung („Expertenkultur“). Sie können so in ihr eigenes hausärztliches Selbstverständnis hineinwachsen (professionelle Individuation). Über den kontinuierlichen Austausch im Klassenverband und mit dem Mentor können die Studierenden zunehmende Handlungs- und Urteilssicherheit erlangen.

Trotz Reform der ÄAppO und bundesweiter Förderung der Weiterbildung ist das Interesse Studierender und junger Ärzte an einer Weiterbildung im Fach Allgemeinmedizin seit Jahrzehnten rückläufig, wodurch vor allem die Versorgung der Bevölkerung in ländlichen und strukturschwachen Räumen gefährdet ist. Obwohl in Befragungen von Medizinstudierenden bis zu 30% Allgemeinmedizin als mögliches Ziel einer Facharztweiterbildung nennen, zeigt die Verteilung der Vertragsärzte auf die haus- und fachärztliche Versorgung, dass die Strukturentwicklung „zu Lasten der hausärztlichen Versorgung ging“ [12], S. 49, [13], S. 24. Durch den demographischen Wandel und die Verschiebung des Morbiditätsspektrums entfallen auf weniger „Landärzte“ immer mehr chronisch und mehrfach erkrankte Patienten die eine kontinuierliche wohnortnahe Versorgung benötigen. Für eine attraktive Darstellung der Berufsperspektive „Hausarzt“ muss gezeigt werden, dass hohe Routinebelastungen und komplexe Anforderungen an Therapie und langfristiges Management der Patienten ebenso wie die Risiken einer selbstständigen Praxisführung sich durch spezifische Freiräume und Anreize lohnen können und durch breite Erfahrungen in Aus-, Weiter- und Fortbildung zu bewältigen sind.

Für das Berufsziel „Landarzt“ empfahlen Brooks et al. [14], als Schlussfolgerung eines Metareview, bereits während des Studiums eine systematische Vorbereitung auf die Herausforderungen der Landarztpraxis mit frühen Praxis- und Patientenkontakten anzubieten. Studien aus den USA, Kanada und Australien konnten zeigen, dass sich z. B. durch das Ableisten eines Praktikums im ländlichen Gebiet, das Interesse an der Landmedizin steigern lässt [15]. Ebenso korreliert ein frühes Fertigkeiten-Training (2. bis 4. Semester) positiv mit einem späteren Eintritt in die Facharztweiterbildung für Allgemeinmedizin [16]. Die menschlich und fachlich überzeugende Präsenz und praktische Erfahrbarkeit der hausärztlichen Praxis im Studium trägt ganz wesentlich zur Motivation für den späteren Berufswunsch bei und hat den Charakter eines Vorbildes für Berufsidentität [7], [17].


Projektbeschreibung „Klasse Allgemeinmedizin“

Seit dem Wintersemester 2011/12 bietet die Sektion Allgemeinmedizin der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg das Lehrprojekt „Klasse Allgemeinmedizin“ im Gesamtumfang von 1 SWS als „Wahlpflichtfach“ nach ÄAppO an. Die Beschreibung des Projekthintergrundes und nationaler und internationaler Modellprojekte mit dem Fokus „Landarztmangel“ wurde in der Zeitschrift für Allgemeinmedizin ausführlich dargelegt [18]. Mittels Auswahlverfahren (näheres dazu siehe [18]) werden pro Studienjahr 20 Studierende in die „Klasse Allgemeinmedizin“ aufgenommen.

Lehrziele

Übergeordnete Lehrziele und –inhalte der „Klasse Allgemeinmedizin“ orientieren sich an der europäischen Definition der Kernkompetenzen des Allgemeinarztes der WONCA aus dem Jahr 2002 [http://www.woncaeurope.org/sites/default/files/documents/Definition%202nd%20ed%202005.pdf] und am Basler Consensus Statement für kommunikative und soziale Kompetenzen im Medizinstudium [19]:

  • frühzeitiger, angeleiteter und supervidierter Patientenkontakt in der ländlichen Versorgungspraxis,
  • Verständnis und Erwerb komplexer Kompetenzen für die Aufgaben, Arbeitsweise und Entscheidungsfindungen in der Primärversorgung,
  • Kenntnisse, Fertigkeiten und reflektierte Anwendungserfahrungen(haus)ärztlicher patientenzentrierter Gesprächsführung.

Diese Lehrziele sollen nicht nur zur Bildung einer professionellen Grundhaltung (Habitus) beitragen, sondern auch den Aufbau einer langfristigen berufsbiographischen Perspektive als Hausarzt ermöglichen. Das Lernen im festen Klassenverband fördert kooperatives Verhalten bereits während der Ausbildung. Die Betreuung der Gruppe ist über sechs Jahre angelegt und kann im PJ oder im regionalen Weiterbildungsverbund weitergeführt werden. Damit eröffnen sich planbare berufliche Perspektiven für die Teilnehmer.

Die theoretische Wissensvermittlung erfolgt durch ein interdisziplinäres Team, bestehend aus 2 niedergelassenen Hausärzten und einer Sprechwissenschaftlerin. Als Mentoren konnten 20 Landärzte als erfahrene Praktiker gewonnen werden, die über das gesamte Studium hinweg jeweils zwei Tage pro Semester mit ihrem Mentee zusammenarbeiten. Über die Mentorenpraxen bekommen die Studierenden frühzeitig Kontakt zu Patienten und deren Familien und lernen die besondere Arbeitsweise eines Allgemeinmediziners in der Grundversorgung außerhalb der Ballungsräume kennen. Die Mentoren werden in besonderen Lehrarztfortbildungen für ihre Aufgaben im Lehrprojekt geschult und vor Aufnahme in das Mentorenprogramm visitiert und als Lehrpraxis zertifiziert.

Wie in der Vorklinik ist dann auch im klinischen Studienabschnitt vorgesehen, die „Klasse Allgemeinmedizin“ als Wahlpflichtfach mit 1 SWS Gesamtumfang fortzusetzen. Die Studierenden besuchen weiterhin regelmäßig ihre Praxis und sprechen (angeleitet durch ein Logbuch für die Praxistage) mit ihrem Mentor über kurz- und langfristige Behandlungsepisoden persönlich (mit-)betreuter Patienten, anstehende Behandlungsmaßnahmen sowie deren Auswirkungen auf die Lebensführung. So wird der Hausarzt bei der Langzeitbetreuung erlebbar und die Studierenden lernen praxisnah und schrittweise die allgemeinärztlichen Funktionen, Aufgaben, Arbeitsweisen und typische Beratungssituationen kennen. Dabei erlangen die Studierenden bis zum Abschluss des Studiums zunehmende Selbstsicherheit und Urteilsvermögen hinsichtlich ihrer eigenen praktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten (hausärztliche Handlungskompetenz). Die Studierenden werden zunehmend vom Rezipierenden zum Agierenden und erproben unter Aufsicht des Mentors eigenständiges Handeln.

Konzeption des Curriculum für den vorklinischen Studienabschnitt

Das Lehrangebot der "„Klasse Allgemeinmedizin“" besteht aus vier sich ergänzenden Teilen: drei Seminaren zu jeweils 90 Minuten pro Semester (Kommunikationstraining, Fertigkeitentraining und Fallreflexionen) und jeweils zwei Praxistagen pro Semester mit Logbuch-Aufgabenstellungen (siehe Anhang [Anh. 1]).

Im Fertigkeitentraining werden Abläufe und Organisation einer hausärztlichen Praxis näher beleuchtet. Darüber hinaus werden den Studierenden vom ersten Semester an einfache Untersuchungstechniken (z.B. Blutdruckmessung) und technische Fertigkeiten (z.B. Blutzuckerbestimmung) vermittelt, die sie damit früher als die Studierenden des Regelstudiengangs anwenden können. Damit sollen die Studierenden in die Lage versetzt werden, bereits während der ersten Praxistage die Rolle des passiven Rezipienten zu verlassen und aktiv am und mit Patienten zu arbeiten.

Im Kommunikationstraining werden wichtige Fähigkeiten zur Anbahnung, Verbesserung und Erhaltung der Arzt-Patient-Beziehung vermittelt. Der Fokus des Seminars liegt auf aktiv durchgeführten Übungen mit anschließender Reflexionsphase, die vor allem durch das Feedback in Form der „Gewaltfreien Kommunikation“ unterstützt werden [20]. Gerade letztere wird bisher im Kommunikationstraining von den Studenten als Hilfsmittel zur Orientierung vermisst, wie die qualitative Studie von Büchtemann et al. zeigte [21]. Die Studierenden lernen ihr eigenes Kommunikationsverhalten besser kennen und können in einem Arzt-Patient-Gespräch bewusster mit verschiedenen Kommunikationstechniken umgehen. Die Reihenfolge der Seminarbausteine und die Durchführung jedes Seminars folgt sprechwissenschaftlichen und andragogischen Methoden (d.h. Methoden des lebenslangen Lernens und der Erwachsenenbildung) der Seminarplanung und Durchführung [22], [23], [24].

Die kontinuierlich dokumentierte Begleitung eines chronisch kranken Patienten in der Praxis des Mentors stellt die Basis für die „Allgemeinmedizinischen Fallreflexionen“. Hier sollen die Studierenden individuelle Krankengeschichten verstehen lernen und einen „Spürsinn“ für die Bedeutung des sozialen Umfelds und der Biographie für die (Krankheits-)Geschichte ihrer Patienten entwickeln. Hierzu werden insbesondere die verschiedenen möglichen Interpretationen eines Symptomes erörtert [25]. Im Seminar werden die „erlebten“ Fälle gemeinsam vor dem Hintergrund hermeneutischen Fallverständnisses, psychosomatischer Grundversorgung und Erkenntnissen aus der Balint-Gruppenarbeit zum Arzt-Patientenverhältnis ausgewertet.

Schon in der Vorklinik findet also innerhalb der "Klasse Allgemeinmedizin" eine enge Verschränkung von theoretischen und praktischen Inhalten statt, wie sie derart gegenwärtig überwiegend im klinischen Studienabschnitt oder in Modellstudiengängen praktiziert wird.

Evaluation

Die prozess- und endpunktorientierte Evaluation erfolgt mit dem Ziel der laufenden inhaltlichen und qualitativen Verbesserung und Absicherung der Adressatenorientiertheit. Hierzu wird das Projekt nach Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität in insgesamt drei Teilstudien detailliert analysiert:

1.
Erprobung des Curriculums unter ausbildungs- bzw. praxisnahen Bedingungen (Formative Evaluation in einem quasi-experimentellen Längsschnitt-Design mittels modifiziertem HILVE-II-Fragebogen) [26].
2.
Erfassung der Langzeitwirkung des Lehrprojekts und Validierung der Effekte (Summative Evaluation mittels modifiziertem BEvaKomp-Fragebogen) [27].
3.
Biografie- und professionsanalytische Untersuchung der (nachhaltigen) Herausbildung einer „Hausarztidentität“ (Metaevaluation individueller und kollektiver Professionalisierungseffekte mittels biographischer Interviews aller 20 Teilnehmer der "Klasse Allgemeinmedizin", Jahrgang 2011) [28].

Die Evaluationen auf allen Ebenen werden im Moment bearbeitet, entweder durch die Auswertung der erwähnten Fragebögen bzw. durch das Führen und Verschriftlichen der Interviews. Die biographieanalytische Untersuchung wird im Rahmen eines Dissertationsprojekts an der Sektion Allgemeinmedizin durchgeführt.


Diskussion

Das Wahlpflichtfach „Klasse Allgemeinmedizin“ bietet für das Fach Allgemeinmedizin eine attraktive Möglichkeit zum Brückenschlag zwischen Wissensvermittlung, Fertigkeitentraining und Förderung berufspraktischer Kompetenzen bereits im vorklinischen Studienabschnitt. Insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung sozialer und kommunikativer Kompetenzen werden entsprechende Forderungen der GMA und Erwartungen der Studierenden berücksichtigt [19], [21]. Ansätze zur (haus-)ärztlichen Nachwuchsförderung in ländlichen Räumen durch individualisierte oder kleingruppenorientierte Projekte wurden international bereits positiv evaluiert, vor dem Hintergrund der medizinischen Ausbildung in Deutschland steht dies jedoch noch aus [15], [16], [17], [29]. Ziel des Projektes ist es aber nicht nur Studierende für das Berufsbild „Landarzt“ zu gewinnen, sondern auch einzelne Module des Lehrkonzeptes (wie z.B. Kommunikationstraining, früher Patientenkontakt über Praxistage) im Hinblick auf die Übernahme in den vorklinischen Regelstudiengang für alle Studierenden in Halle zu erproben. Zur effizienten Vermittlung von sowohl fachlichen als auch sozialen- und kommunikativen Kompetenzen ist ein Lehrkonzept entwickelt worden, welches ein kontinuierliches und stets aufeinander bezogenes Lernen ermöglicht [19]. Hierfür bietet die "Klasse Allgemeinmedizin" potentiell „ideale“ Voraussetzungen durch kontinuierliche enge Verschränkung von Theorie und Praxis, Gruppendynamik und Einsatz individueller Mentoren. Insbesondere das Ziel eines frühzeitigen supervidierten Patientenkontaktes ist nur durch die Einbindung von Mentoren als „Praxisanleiter“ umsetzbar. Daher ist die Rekrutierung, Auswahl und Schulung der Mentoren für ihre Lehraufgaben eine Kernaufgabe der Projektorganisation. Dazu ist ein erheblicher Personaleinsatz erforderlich, so betreuen im ersten Jahrgang drei wissenschaftliche Mitarbeiter in Teilzeit auf einer Vollkraftstelle nur 20 Studierende in 20 Mentorenpraxen. Aus Sicht der Universitätsmedizin Halle, die das Projekt mit einer Vollkraftstelle im Jahr fördert, ergeben sich nicht nur Chancen zur positiven Außendarstellung gegenüber der Öffentlichkeit und (Landes-)Politik. Zusätzlich könnten über eine Lehrpraxiskooperation auch potentielle partnerschaftliche Versorgungsmodelle oder (Versorgungs-)Forschungsvorhaben gebahnt werden. Bei positiver Evaluation der ersten Projektphase „Vorklinik“ ist nach zwei Jahren die Verstetigung des Projekts in Halle vorgesehen. Es soll dann ein Programm aufgebaut werden, in dem im Jahre 2017 erstmals die erste „Klasse Allgemeinmedizin“ zur Approbation kommt und dann insgesamt bis zu 120 Studenten über 5 Studienjahre (2 x 20 Vorklinik, 4x 20 Klinik/PJ) teilnehmen können. Die Initiatoren des Projekts sind der Überzeugung, dass das Prinzip der Förderung von Persönlichkeiten und Interessen-Gruppen Im Hinblick auf die Gewinnung und Förderung haus- und landärztlichen Nachwuchses auch in Deutschland effektiver sein kann, als das „Gießkannenprinzip“ [29]. Die Chancen von Kleingruppen hinsichtlich Lerneffekt, gruppendynamischen Prozessen, Zusammenhalt und gemeinsamen Berufsperspektiven werden dabei auch genutzt um der Gefahr der „Überforderung“ des einzelnen Studierenden zu begegnen [10], [17], [28]. Die Evaluation des Projekts wird in den nächsten Jahren zeigen, ob diese Annahme richtig ist.


Fazit

Politik und Gesellschaft erwarten zunehmend von medizinischen Fakultäten in Deutschland einem drohenden Hausärztemangel schon in der medizinischen Ausbildung mit geeigneten Fördermaßnahmen entgegen zu wirken. Das Wahlpflichtfach „Klasse Allgemeinmedizin“ bietet hierfür ein schlüssiges Konzept.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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