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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Die Bedeutung des Mutterschutzes im Gesundheitswesen. Ein Interview mit der zuständigen Referatsleiterin im Bundesfamilienministerium

Interview Humanmedizin

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  • corresponding author Jutta Struck - Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Referatsleiterin 207: Familienrecht, Mutterschutz, Müttergenesungswerk, Berlin, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2012;29(2):Doc21

doi: 10.3205/zma000791, urn:nbn:de:0183-zma0007911

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zma/2012-29/zma000791.shtml

Eingereicht: 1. Mai 2011
Überarbeitet: 23. Mai 2011
Angenommen: 23. Mai 2011
Veröffentlicht: 23. April 2012

© 2012 Struck.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Anmerkung

Der hier vorliegende Beitrag enthält Auszüge der Wortbeiträge von Jutta Struck und Dr. Daniela De Ridder aus der Podiumsdiskussion der Tagung am 14.10.2010 zum Thema Mutterschutz.


Interview

De Ridder: Es gibt noch ungelöste Probleme, insbesondere in Bezug auf die Flexibilisierung der Kinderbetreuung, und für die Medizinerinnen z.B. auch beim Mutterschutz. Wichtig ist ein familienfreundliches Profil der medizinischen Studiengänge; ggf. muss auch die Approbationsordnung insoweit in den Blick genommen werden. Über die medizinischen Berufe im Hinblick auf mutterschutzrechtliche Aspekte möchte ich gern mit Ihnen, Frau Struck, sprechen. Sie sind Ministerialrätin, engagierte Juristin, die seit 1985 im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit tätig ist, das inzwischen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend heißt. Was ist der Hotspot, den Sie mitnehmen aus dieser Tagung? Was ist das drängendste Thema? Die Möglichkeiten des Doings, um das mal so neudeutsch zu sagen, sind unendlich groß. Wo aber würden Sie, wenn Sie jetzt diese Tagung verlassen und morgen an Ihren Arbeitsplatz zurückkehren, als Erstes ansetzen wollen?

Struck: Nach so einer Tagung gehe ich oft begeistert mit neuen Anregungen an den Arbeitsplatz und möchte sofort Ideen umsetzen. Abgesehen davon, dass die Sachherrschaft nicht allein mir obliegt, holt mich dann der voll gepackte Terminkalender wieder ein, der die Aktionen ungewünscht, aber unerbittlich bremst. Ich wünsche mir sehr, dass wir bei diesem wichtigen Thema wirklich bald – jeder auf seiner Ebene und an seinem Platz, z.B. Bund, Land, Universität, aber auch die vielen anderen Beteiligten – zur Verbesserung der Rahmenbedingungen beitragen können. Manchmal gibt es selbst bei viel gutem Willen auf allen Seiten Verständigungsschwierigkeiten bei den unterschiedlichen Disziplinen.

De Ridder: Ein Plädoyer für eine Kooperation.

Struck: Richtig. Ich wurde unmittelbar angesprochen wegen des Mutterschutzes. Ich finde es ganz bedenklich, dass oft folgendes Gegensatzpaar konstruiert wird: Mutterschutzvorschriften als zwingende unbeliebte Regelungen, die Ärztinnen die Ausübung ihres Berufs unnötig erschweren. Wie Herr Professor Fegert sehr richtig gesagt hat: muss Mutterschutz denn etwas Schlechtes sein? Die Vorschriften erfüllen wichtige Schutzfunktionen für die (werdende) Mutter und ihr Kind in einer sehr wichtigen und positiven, aber auch empfindsamen Lebensphase beider. Häufig gehen die Beteiligten sogar von falschen Voraussetzungen aus. Das Mutterschutzgesetz sieht nicht 14 Monate, sondern nur 14 Wochen als Schutzfrist vor; eigentlich geht es nur um die acht (bzw. 12 Wochen bei medizinischen Früh- und bei Mehrlingsgeburten), die nach der Entbindung obligatorisch sind. Denn die Schwangere muss die Schutzfrist vor der Geburt nicht in Anspruch nehmen, sondern darf arbeiten, allerdings jederzeit widerruflich innerhalb der Sechs-Wochen-Frist. Eine Ärztin darf also grundsätzlich bis zum Tag der Entbindung vom mutterschutzrechtlichen Standpunkt her tätig sein. Natürlich gibt es je nach Art der Tätigkeit Einschränkungen. Aber das Bundesgesetz, das Mutterschutzgesetz schreibt in keinem Paragraphen vor, eine Schwangere dürfe nicht operieren. Sie darf z.B. nicht bestimmten Stoffen ausgesetzt sein und muss vor Nadelstichverletzungen sicher geschützt sein, darf nicht zu lange stehen - inzwischen gibt es aber eine weit entwickelte Medizintechnik, die neue und sichere Möglichkeiten bietet. Und: nehmen wir mal die Anästhesie. Dort sollen seit 20 Jahren bessere organisatorische Bedingungen für schwangere Ärztinnen herrschen. Das kann doch auch in anderen Bereichen versucht werden. Z. B. könnte es in der Chirurgie in bestimmten Fällen für schwangere Ärztinnen vorsorglich Mehrfachbesetzungen geben. Auch auf eine plötzliche Erkrankung von Chirurgen, also Männern, muss man im Klinikbetrieb grundsätzlich vorbereitet sein. In der Anästhesie kann eine schwangere Ärztin z.B. bei geschlossenem Narkosegas-Kreislauf genügend geschützt sein. Schutzzweck der Mutterschutzregelungen ist, dass Kind und Mutter geschützt werden in diesem kurzen Zeitraum. Wir sind nicht der Meinung – wie es innerhalb der EU gefordert wird -, dass wir noch einen längeren Mutterschutz haben sollten. Wir plädieren dafür, dass wir mit unserem Elterngeld und der Elternzeit ein gutes System haben, um nach dem Mutterschutz beide Eltern in die Betreuung des Kindes einbinden zu können.

De Ridder: Sie verwahren sich sehr deutlich gegen Behauptungen, das Mutterschutzgesetz sei Arbeitsverbot. Wir sehen trotzdem, dass es natürlich einen Einfluss hat und die Frauen auch sehr ängstlich macht.

Struck: Ich finde es schon richtig, sinnvollen Änderungen gegenüber aufgeschlossen zu sein. Zum Beispiel verstehe ich durchaus, wenn man über den Sinn von starren Uhrzeiten eines Beschäftigungsverbots nachdenkt, sofern ein entsprechender Zeitausgleich gegeben ist. Das Beschäftigungsverbot in einer Klinik muss aus meiner Sicht nicht unbedingt ab 20 Uhr bestehen. Aber schon darüber gehen die Meinungen auseinander. Alle Beteiligten müssen das Pro und Contra gegeneinander abwägen, um zu einer Verbesserung kommen.

Ein Wort zur Familienfreundlichkeit: Ich finde nachvollziehbar, wie es im Verlauf der Tagung gesagt wurde, dass die Kinder auch von den Eltern betreut werden sollten, die Eltern wollen das durchaus. Wenn man sich überlegt, wie viele Menschen Kinderwünsche haben, und zwar nicht nur die jungen Medizinerinnen, sondern auch die jungen Männer, wie wir aus Umfragen wissen, dann sollte Zeit für die Familie auch für Medizinerinnen und Mediziner möglich sein. Die Kliniken sollten versuchen, im Rahmen der Rechtsvorschriften möglichst optimale Bedingungen zu schaffen. Die Vorschriften bieten durchaus einen ausfüllbaren Rahmen. Denn das Mutterschutzgesetz schreibt viel weniger im Konkreten vor, als immer angenommen wird. Es gibt natürlich gewisse Grundprinzipien und bestimmte Beschäftigungsverbote, ohne die der Schutz für Mutter und Kind nicht gegeben wäre. Man kann in diesem Rahmen aber eine ganze Menge organisieren. Die Durchführung des Mutterschutzgesetzes in den Ländern lässt Spielräume zu. Die Aufsichtsbehörden können Ausnahmen regeln; sie können einzelne Fälle vor Ort beurteilen und auch beraten. Man sollte den Mutterschutz nicht einseitig nur als Blockadeinstrument sehen. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten zur besseren Organisation, damit auch Ärzte, also die Väter, ihre Kinder betreuen können, nicht nur die Ärztinnen. Umfragen besagen, dass auch Männer an flexiblen Arbeitszeiten interessiert sind, um Familienaufgaben übernehmen zu können.

De Ridder: Ich würde Sie gerne fragen: Wenn heute eine Studentin zu Ihnen käme und sagen würde, ich will ab nächstem Semester lieber nach Schweden auswandern, weil die Bedingungen da deutlich besser sind, was würden Sie ihr sagen?

Struck: Ich würde ihr sagen, dass sie nach ihrem Aufenthalt in Schweden bitte zu mir und zu einem größeren Forum kommen sollte und sagen, was sie da alles erlebt hat. Wie es besser funktioniert. Warum es besser funktioniert. Was man lernen kann von dort. Wir haben öfter mal in Schweden Anleihe genommen, siehe z.B. Elterngeld. Vielleicht kann man etwas transferieren. Insbesondere würde mich auch interessieren, ob es stimmt, dass in Skandinavien - z.B. Dänemark, Schweden - die Väter durchaus nachmittags um vier ihre Kinder abholen können, keiner rümpft die Nase, weil das etwas ganz Normales ist, wie übrigens in Frankreich auch. Nur bei uns ist es undenkbar, dass ein Arzt um diese Zeit nicht in der Klinik ist, sondern sein Kind betreut. Da brauchen wir einen Bewusstseinswandel. Vielleicht könnte uns die aus Schweden Zurückkommende ein bisschen Nachhilfe geben.

De Ridder: Ganz herzlichen Dank, dass Sie uns hier Rede und Antwort gestanden haben. Das Programm ist groß, das haben wir bei der Tagung gelernt. Es gibt viele Maßnahmen auf den Weg zu bringen, ob das nun beim Curriculum ist, ob es beim Arzt, bei den Arbeitsbedingungen, beim Arbeitsklima oder beim Mutterschutz ist. Aber ich bin sicher, alle werden eine Menge aus dieser Tagung mitnehmen und möglichst bald umsetzen wollen.


Interessenkonflikt

Die Autorin erklärt, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel hat.